Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FAKTEN

KRIEGSMEDIZIN/027: Uranwaffen - Neue Erkenntnisse und Schritte zur Ächtung (IPPNW-Kongress)


IPPNW-Kongress 25 Jahre Tschernobyl - 8.-10. April 2011
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

URANWAFFEN
Neue Erkenntnisse und Schritte zur Ächtung

Von Winfrid Eisenberg


Natururan besteht zu 99,3 % aus dem Isotop U-238, 0,7 % entfallen auf U-235, ferner gibt es Spuren von U 234. Um das spaltbare U-235 als nuklearen Brennstoff verwenden zu können, muss es auf 3 - 5 % angereichert werden. Übrig bleibt das "abgereicherte" Uran (DU), das 99,8 % U-238 und nur noch 0,2 % U-235 enthält. Deshalb ist die Radioaktivität etwas geringer, ca. 60 % bezogen auf Natururan. Die Halbwertszeiten sind unvorstellbar lang: 246.000 Jahre für U 234; 703,8 Millionen Jahre für U 235 und 4,468 Milliarden Jahre für U 238.

An dem billigen "Abfallprodukt" DU ist die Rüstungsindustrie sehr interessiert, weil es aufgrund seiner extremen Dichte (18,95 g/cm³; 1,7 mal dichter als Blei) das ideale Material für panzer- und bunkerbrechende Geschosse ist. Solche Hartkerngeschosse gibt es für Kampfflugzeuge, Kriegsschiffe, Panzer und sogar für Maschinengewehre. Vorwiegend werden 30-mm-Luft-Boden-Geschosse verwendet, die 272 g U-238 im Kern der Projektilspitze enthalten. Kampfpanzer sind hingegen mit 105- oder 120-mm-Granaten bestückt mit jeweils 3 - 6 kg DU.

Bei einem Treffer entzündet sich das auf über 3000 Grad Celsius erhitzte Metall im Inneren des Panzers oder Bunkers selbst, das getroffene Ziel verbrennt. Dabei entsteht Uranoxid (UO²) als Aerosol mit Partikelgrößen im Nanobereich (1 Nanometer = 1 Milliardstel Meter), das sich mit dem Wind weiträumig verteilt und mit Staub immer wieder aufgewirbelt wird. Die Nanopartikel sind so leicht, dass sie sich wie ein Gas verhalten und wochenlang in der Luft bleiben können. Staub- und Sandstürme verteilen das Uran sehr weit, möglicherweise über Hunderte von Kilometern.

Über die Atemluft, das Wasser und die Nahrungskette gelangt DU in den menschlichen Körper, es wird "inkorporiert" und kann in alle Organe eingebaut werden; über die Placenta erreicht es auch das ungeborene Kind und kann dort schwere Schäden verursachen.

Uran ist als Schwermetall chemotoxisch und als instabiles Element radiotoxisch. Es lagert sich besonders in den Nieren, in den Knochen, im Gehirn und in der Leber ab. Als Schwermetall schädigt es die genannten Organe, die Hauptgefahr ist Nierenversagen infolge Uranspeicherung in den Tubuli. Durch die Radiotoxizität -Uran ist ein Alphastrahler - wird Krebs induziert; ferner werden die Chromosomen und Gene geschädigt. Die Alphateilchen haben eine Energie von 4 MeV; sie durchdringen 6 Zellen und hinterlassen auf ihrer Spur eine "Schneise der Verwüstung". Deshalb hat sogar die ICRP die Alphastrahler hinsichtlich der biologischen Strahlenwirkung mit einem Wichtungsfaktor 20 im Vergleich zu Gammastrahlen versehen. Die Alphateilchen schädigen oder vernichten nicht nur die direkt getroffenen Zellen, sondern sie verursachen auch in den Nachbarzellen Veränderungen (Bystandereffekt, genomische Instabilität), die zu maligner Entartung führen können. Ein Mikrogramm (= 1 Millionstel Gramm) U 238 sendet pro Tag 1000 Alphateilchen aus.

Die ICBUW (International Coalition to Ban Uranium Weapons) hat Ende 2009 eine Liste von 69 aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten zusammengestellt, in denen DUWirkungen auf Zellkulturen, Tiere, Menschen und Umwelt untersucht werden Ich hatte Gelegenheit, die Abstracts dieser Arbeiten für die IPPNW ins Deutsche zu übersetzen. Die Arbeiten und Studien lassen in ihrer Summe auf verhängnisvolle DUAuswirkungen schließen; dabei sind die chemotoxischen und die radiotoxischen Schadwirkungen nicht immer eindeutig voneinander zu trennen, ohne Zweifel gibt es auch synergistische Effekte.

Im folgenden versuche ich, diese 69 Arbeiten ein wenig aufzuschlüsseln; alle Studien stammen aus den Jahren 2002 - 2009.

a) In neun Arbeiten wurden die DU-Effekte mit Hilfe von Zellkulturen erforscht; verwendet wurden menschliche Knochen- und Lungenzellen, Ovarialzellen des chinesischen Hamsters und Alveolarepithelien der Ratte. Unter DU entstanden Chromosomenveränderungen und zwar dicentrische, acentrische und Ringchromosomen, Strangbrüche und doppelte Strangbrüche; ferner wurden Blockierungen der Reparaturenzyme, Bildung freier Radikale mit Zellmembranschäden und neoplastische Zellumwandlungen beobachtet. Alle diese Effekte wurden der radiotoxischen DU-Wirkung zugeschrieben.


b) In 40 Studien wurden Tierversuche durchgeführt; bei den Versuchstieren handelte es sich vorwiegend um Ratten und Mäuse; drei Untersuchungen betrafen Zebrafische oder Frösche. Bei den Fischen verminderte sich unter DU in ihrem Umgebungswasser die Schlüpfrate, die Jungfische waren kürzer als normal. In den Kiemen, Nieren, in der Leber und im Gehirn wurde DU abgelagert, nach 15 Tagen waren alle DU-Fische tot, von den Kontrollen waren erst 34 % gestorben. Bei den Fröschen ergab sich eine stark verzögerte Metamorphose, 5 % der Kaulquappen wiesen Missbildungen auf, 8 % starben sofort nach einer Kurzexposition.

Die DU-Applikation bei Ratten und Mäusen variierte: Pellet-Implantationen in die Beinmuskulatur, subcutane und intraperitoneale Injektionen, nasale Inhalation und - die häufigste Anwendung - Verabreichung mit dem Trinkwasser. Untersucht wurden sehr unterschiedliche Parameter:

Muskulatur - nach DU-Implantation entstanden lokal Carcinome mit Umgebungsentzündung; auch ortsferne Tumoren und Leukämie.

Fortpflanzung - nach DU-Gabe mit dem Trinkwasser wurden verzögerte Meiose, beeinträchtigte Oocytenreifung, Missbildungen bei den Jungen beobachtet; ferner bei den Männchen reduzierte Spermienzahl und -beweglichkeit, also bei beiden Geschlechtern schwere Fruchtbarkeitsstörungen.

Gehirn - groteske Verhaltensauffälligkeiten bei gleichzeitig nachgewiesener Erhöhung der Lipidoxidation; fehlende REM-Schlafphasen, Gewichtsabnahme wegen Appetitlosigkeit; Minderung der Dopamin- und Serotonin-Spiegel, Uraneinlagerung im Gehirn, besonders im Hippocampus, dann im Kleinhirn, weniger auch im Großhirn. Offensichtlich passiert DU die Blut-Hirn-Schranke. "Oxidativer Stress" durch übermäßige Bildung freier Radikale; reaktiver Anstieg der Antioxidantien >> Zellmembranschäden.

Knochen - DU-Einlagerung, Minderung der Knochenneubildung, Steigerung des Knochenabbaus; verringerter Vit. D - Gehalt.

Nieren - Dysfunktion, irreversible Schäden besonders an den oberen Tubuli bis hin zu Nekrosen, aber auch an den Glomerula; massive Uraneinlagerung. Minderung des Glucosetransports in die Nierenzellen; schwere strukturelle und funktionelle Nierenschädigungen bis zum Tod durch Niereninsuffizienz bzw. Lungenödem. Immunsystem/Darm - Abnahme der Macrophagen, Zunahme der Neutrophilen, Schwächung des Immunsystems, z. T. Entstehung von Autoimmunerkrankungen. Lunge - durch nasales Inhalieren zugeführtes DU verursachte DNA-Strangbrüche in den Bronchoalveolarzellen; Lungenfibrose. Wiederholtes Inhalieren verstärkte diese Effekte. (Ein ICRP-Strahlenschutzmodell beruht auf einmaliger Inhalation - das ergibt ein falsches Bild!)

Interaktion mit Medikamenten - gleichzeitige Anwesenheit von Uran und Acetaminophen führt zu Zellnekrosen in den oberen Tubuli und zum Versagen der Entgiftungsfunktion in der Leber; Fazit: Verstoffwechselung von Medikamenten ist schwer gestört.

Transgenerationelle Effekte (Arfsten 2009) - Ratten wurden DU-Pellets in die Beinmuskulatur implantiert; auch wenn nur ein Elternteil betroffen war, zeigten sich in der F1-Generation folgende Symptome: Geburtsgewichte vermindert, Hyperaktivität, Leber und Herz vergrößert; 7 von 54 Tieren starben innerhalb von drei Monaten. In der F2-Generation ergab sich eine Fruchtbarkeitsstörung infolge zu geringer Beweglichkeit der Spermien.


c) Sechs Untersuchungen an Menschen, Golf- und Balkankriegsveteranen sowie Arbeitern und Anwohnern einer Uranfabrik ergaben, dass noch nach 20 Jahren DU im Urin ausgeschieden wird (z.T. über 0,1 ug/g Kreatinin). Blutuntersuchungen zeigten 5 mal mehr Chromosomenveränderungen als bei Kontrollpersonen, und zwar dicentrische und Ringchromosomen, die als biologische Indikatoren für ionisierende Strahlung gelten, sowie toxische Granulation im Cytoplasma; ferner vermehrte freie Radikale mit Zellstoffwechselstörungen.


d) 12 Umweltuntersuchungen an Schießplätzen, im Südirak, in Balkanländern, teils von der italienischen Umweltschutzorganisation ANPA durchgeführt, gingen den Fragen nach, wie schnell DU wie tief in den Boden eindringt, ob Trink- und Grundwasser betroffen sind, ob und wie ausgeprägt Pflanzen und Bodentiere DU aufnehmen und schließlich, wie schnell DU im Freien korrodiert. Besonders interessant erschien mir eine Arbeit von Ian W. Oliver (2008), in der er Untersuchungen im Bereich eines Schießplatzes in Schottland durchgeführt hat. Er fand, dass DU im Vergleich mit Natururan besser löslich, im Boden beweglich und bioverfügbar ist. So enthielten Regenwürmer mehr DU als der umgebende Boden.

Alles in allem ergibt sich aus der Vielzahl dieser Arbeiten, dass DU ein starkes Gift für fast alle Organe und Organsysteme ist. Der Radiotoxizität können in erster Linie die mutagenen, teratogenen und carcinogenen Wirkungen des Urans zugeschrieben werden, während die chemische Schwermetallwirkung zytotoxisch, neuro- und nephrotoxisch ist; allerdings überlappen beide Wirkungen, wie eingangs schon gesagt, so dass es nicht immer möglich ist, die Effekte der Alphateilchen von jenen des Schwermetalls zu unterscheiden. Ohne Zweifel potenzieren sich beide Schadwirkungen synergistisch.


Die beschriebenen DU-Schädigungen auf lebende Zellen, Tiere und Menschen legen für mich den Schluss nahe, dass die Symptome des Golfkriegs- und des Balkansyndroms mit Kontakt und Einatmung von DU logisch erklärt werden können. Als Hauptsymptome werden Müdigkeit, Erschöpfung, Gelenk- und Muskelschmerzen, Gedächtnisschwäche, Störungen der kognitiven Fähigkeiten und der Emotionalität, Sehstörungen, Schwindel, Erbrechen und Diarrhö, Lähmungen, Haarausfall, Drüsenschwellungen, später Leukämie und andere Tumore sowie eine hohe Fehlbildungsrate bei evtl. noch gezeugten Kindern beschrieben. Mit allen Mitteln wurde versucht, den Verdacht von DU abzulenken. Man diskutierte diverse denkbare Ursachen wie Impfungen und Impfstoffzusätze, Rauch von brennendem Öl, Medikamente gegen Giftgas, das gar nicht eingesetzt wurde, noch unbekannte Infektionen usw.. Mir kommt das alles wie "an den Haaren herbeigezogen" vor in der Absicht, DU weiter verwenden zu können.

Dazu kommt, dass in den Balkanländern alle diese anderen Erklärungsversuche nicht greifen; das einzig Gemeinsame ist DU; und ich möchte ein weiteres Argument anfügen: das "Quirra-Syndrom". Quirra ist ein winziges Dorf in unmittelbarer Nähe des größten NATO-Truppenübungs- und Schießplatzes Pedasdefogu/Capo San Lorenzo, ein abgesperrtes gebirgiges Gelände mit einer Ausdehnung von ca. 12.000 Hektar auf dem dünn besiedelten Bergrücken "Salto di Quirra" im Südosten Sardiniens. Seit 1956 werden hier die jeweils neuen Typen von Geschossen und Raketen getestet; nicht nur die italienische Luftwaffe, sondern auch Einheiten anderer NATO-Staaten üben dort. Zweifellos ist dort auch reichlich Uranmunition verschossen worden.

Seit 2002, als eine Dokumentation des Journalisten Sigfrido Ranucci über Kriegsführung mit DU ausgestrahlt wurde, ist bekannt, dass in den Dörfern Quirra, Pedasdefogu und Escalaplano, alle in unmittelbarer Nähe des Truppenübungsplatzes, ungewöhnlich viele Einwohner an Symptomen erkrankt sind, die jenen des Golfkriegs- bzw. Balkansyndroms sehr ähnlich sind. Leukämie, Lymphome, Missbildungen bei Neugeborenen sind an der Tagesordnung. Auch die Schafherden sind betroffen: Lämmer mit 6 Beinen, ohne Augen und mit anderen grotesken Missbildungen werden immer wieder geboren. Auch viele der dort jeweils für ein Jahr stationierten Soldaten sind an Leukämie erkrankt. Im Januar 2011 hat der liberale sardische Europa-Abgeordnete Giommaria Uggias eine parlamentarische Anfrage zur Tumor- und Missbildungs-Inzidenz in der Nähe des gemeinsamen Truppenübungsplatzes Quirra an die Europäische Kommission gerichtet. Er beschreibt, dass alle "Aktivitäten" auf dem abgesperrten Gelände der militärischen Geheimhaltung unterliegen und dass bisher durchgeführte "offizielle" Untersuchungen vom Verteidigungsministerium kontrolliert wurden, das an der objektiven Aufklärung offenkundig kein Interesse hat.

Jetzt ist eine Wissenschaftler-Kommission unter der Leitung der Feinstaub-Expertin Antonietta Morena Gatti eingesetzt worden, die im Juni Ergebnisse vorlegen soll. Es ist zu hoffen, dass nun endlich die Wahrheit über die Ursache des Quirra-Syndroms ans Licht kommt.

Bezüglich Irak und Balkan muss noch erwähnt werden, dass nicht nur Soldaten aller Seiten am Golfkriegs- oder Balkansyndrom erkrankt sind, sondern dass auch die einheimische Bevölkerung stark betroffen ist. Wenn auch manche epidemiologische Studien wegen nicht genügend abgesicherter Vergleichsdaten umstritten sind, ergibt sich doch bei Durchsicht zahlreicher Arbeiten, dass insbesondere in der Region um Basrah Leukämie und andere Krebsarten besonders bei Kindern sowie angeborene Fehlbildungen dramatisch angestiegen sind. Mehrere ganz neue Studien von Samira Alaani, Christopher Busby und anderen, auf die mich Herr Kollege Westberg aus Schweden kürzlich hinwies, dokumentieren für die Jahre von 2004 - 2010 geradezu beängstigende Anstiege der Säuglingssterblichkeit, angeborener Fehlbildungen und von Krebserkrankungen bei Kindern in Fallujah; diese Stadt war 2004 von USTruppen tagelang beschossen worden. In Bodenproben und in den Haaren betroffener Eltern wurde neben anderen Substanzen auch Uran gefunden. Die Aufschlüsselung der Isotope ergab überraschenderweise nicht die typische DU-Konstellation, sondern Hinweise auf ein leicht angereichertes Uran.Wie das zu erklären ist, wissen wir nicht. Ein Erklärungsversuch: Zur Herstellung von AKW-Brennstäben wird ja auch hoch angereichertes Uran aus abgerüsteten Bombensprengköpfen verwendet.

Möglicherweise wird solches Uran nur bis zur für Brennstäbe erforderlichen U 235-Konzentration abgereichert, aber nicht weit genug, um die Isotop-Relation von "normalem" DU zu erreichen.


Abschließend muss ich noch einmal "politisch" werden. Wenn man die von innen ausgebrannten Panzer in Libyen sieht und sich mit den Effekten von DU-Munition befasst hat, kann kein Zweifel daran bestehen, dass dort DU-Geschosse eingesetzt werden. Die libysche Zivilbevölkerung, deren Schutz angeblich der einzige Grund für den Militäreinsatz ist, wird dann wie die Menschen im Irak und in den Balkanländern die langfristigen Auswirkungen des tödlichen Staubs über viele Generationen zu tragen haben.

Vielen Dank!

Winfrid Eisenberg, 6.4.2011


*


Quelle:
IPPNW-Kongress, Berlin, Urania, 8.-10. April 2011
"25 Jahre Tschernobyl - Zeitbombe Atomenergie - Atomausstieg jetzt!"
Workshop 8 - mit freundlicher Genehmigung des Referenten
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges /
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.
IPPNW-Geschäftsstelle, Körtestr. 10, 10967 Berlin
Telefon: 030 / 69 80 74-0, Fax: 030 / 69 38 166
E-Mail: ippnw@ippnw.de
Internet: www.ippnw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2011