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PERSONALIEN/063: Interview mit dem Nobelpreisträger für Medizin Harald zur Hausen (Spektrum)


Spektrum der Wissenschaft 12/08 - Dezember 2008

»Den Impfstoff hätte es schon Jahre früher geben können«
Harald zur Hausen, der diesjährige Nobelpreisträger für Medizin, im Gespräch mit »Spektrum der Wissenschaft«

Von Claudia Eberhard-Metzger


Im Büro von Harald zur Hausen stapelt sich der Ruhm kiloweise. Auf dem Schreibtisch, den Stühlen und Schränken - auf jedem freien Platz liegen Mappen und Ordner mit Glückwunschbriefen, dazwischen Listen mit den Namen von Anrufern. »Und im Computer warten wohl noch mal so rund 2000 E-Mails«, sagt zur Hausen. Gerade noch hat er in die Kamera eines Fotografen gelächelt, davor ein Interview für die Lokalpresse gegeben, jetzt folgt schon das nächste. Und auch dieses Gespräch wird heute noch lange nicht das letzte sein: ein Wissenschaftler im Nobelpreis-Stress.

Der Virologe Harald zur Hausen ist einer der drei frisch gekürten diesjährigen Nobelpreisträger für Medizin (siehe S. 19). Er habe »herrschende Dogmen« in Frage gestellt und die »Richtigkeit einer brillanten Idee mit beharrlicher Arbeit bewiesen«. So lobt ein Mitglied des Nobelkomitees die Leistung des Forschers. Dessen brillante Idee war, dass es Viren gebe, die Krebs erzeugen - und dass davor womöglich eine Impfung schützen könne. Solche Gedanken galten noch vor zwei Jahrzehnten als eher abwegig. Doch 2006 war es so weit: Der erste Impfstoff gegen eine Krebsart, Gebärmutterhalskrebs, kam auf den Markt. Dass er entwickelt werden konnte, ist den grundlegenden Arbeiten von Harald zur Hausen und seinen Mitarbeitern in den 1970er und 1980er Jahren zu verdanken.


Spektrum der Wissenschaft: Herr Professor zur Hausen, wie geht es Ihnen?

Prof. Dr. Harald zur Hausen: Gut. Sehr gut. Vielleicht ein wenig müde.

Spektrum: Hat sich seit vergangener Woche viel für Sie verändert?

zur Hausen: Doch, einiges. In jedem Fall ist mein Zeitplan komplett durcheinandergeraten. Ich habe tagelang Interviews gegeben, Telefonate geführt, und ich bin unentwegt gefilmt und fotografiert worden. Ich wünschte mir oft, ich wäre Gerhard Schröder und könnte wie er so schön auf Kommando in die Kameras lächeln. Aber so langsam lerne ich das auch. Im Augenblick stehe ich vor der großen Schwierigkeit, die mir vorliegende Korrespondenz auch nur einigermaßen angemessen zu erledigen.

Spektrum: Was hätten Sie getan, wenn der Anruf aus Stockholm nicht gekommen wäre?

zur Hausen: Normal weitergearbeitet. Ich habe ja auch im Ruhestand immer noch die Möglichkeit, mich hier im Labor in der Tumorvirologie ein wenig zu betätigen. Zudem beschäftige ich mich intensiv mit dem »International Journal of Cancer«, dessen Chefredakteur ich bin. Daran habe ich auch gesessen, als ich angerufen wurde.

Spektrum: Und der Anruf hat Sie überrascht?

zur Hausen: Ja, er hat mich wirklich überrascht. Ich habe letztes Jahr damit gerechnet, ein bisschen zumindest, weil ich aus dem Umfeld einige Zeichen bekommen hatte. Als ich am Tag der Bekanntgabe frühmorgens in mein Büro hier im Krebsforschungszentrum fuhr und im Radio hörte, dass heute der Preisträger genannt wird, habe ich schon mit einer gewissen Spannung daran gedacht. Im Lauf des Morgens habe ich es dann jedoch wieder vergessen. Ich weiß auch nicht, irgendwie hatte ich anderes zu tun.

Spektrum: Und dann klingelte das Telefon.

zur Hausen: Ja, um 10.45 Uhr, als ich hier am Schreibtisch saß. Ich habe den Hörer abgenommen und hörte eine Stimme mit schwedischem Akzent. Man hat mir zum Preis gratuliert und einige Einzelheiten mitgeteilt.

Spektrum: Zum Thema »Wie verhalte ich mich, wenn ich den Nobelpreis bekomme«?

zur Hausen: Ja. Man bat mich beispielsweise, noch 45 Minuten Stillschweigen zu bewahren, bis die offizielle Bekanntgabe erfolgt sei. Ich muss allerdings gestehen, ich habe das nicht eingehalten und gleich meine Frau angerufen. Sie saß gerade im Flugzeug nach Buenos Aires und hatte ihr Handy noch nicht abgeschaltet. Meine Frau hat das Embargo dann allerdings ebenfalls gebrochen und noch vom Flieger aus die Verwandtschaft informiert. Das waren auch die ersten Gratulanten.

Spektrum: Und wie schnell hat es sich hier im Deutschen Krebsforschungszentrum herumgesprochen?

zur Hausen: Meine Mitarbeiterin im Vorzimmer hat es natürlich gleich mitbekommen. Aber sonst haben wir es niemandem verraten. Um halb zwölf erfolgte dann die offizielle Mitteilung. Und ab dann war der Teufel los. Von dem Moment an gab es keine ruhige Minute mehr, das ging bis abends halb elf. Die Nacht, muss ich gestehen, habe ich schlecht geschlafen. Aber jetzt habe ich mich daran gewöhnt.

Spektrum: In einer Zeitung stand als frühe Reaktion, der diesjährige Medizinnobelpreis sei so etwas wie ein Sieg der Pharmaindustrie.

zur Hausen: Das ist Unsinn. Das könnte man vielleicht so interpretieren, wenn ich Geld von der Pharmaindustrie erhalten würde. Aber das tue ich nicht. Nur das Haus, also das Krebsforschungszentrum, ist in geringem Umfang an den Einnahmen beteiligt, die mit dem Impfstoff erzielt werden. Auch einige Mitarbeiter sind das. Ich war seinerzeit wissenschaftlicher Stiftungsvorstand des Zentrums und bin schon allein aus diesem Grund nicht in die Patente eingeschlossen. Aber manche wollen das nicht einsehen. So sind das hier nicht nur Glückwunschbriefe, in einigen werde ich auch beschimpft.

Spektrum: Den Vorwurf, dass der derzeit von zwei Firmen vertriebene Impfstoff gegen Humane Papillom-Viren, die Verursacher von Gebärmutterhalskrebs, mit rund 450 Euro pro geimpfter Person zu teuer ist, werden Sie schon oft gehört haben.

zur Hausen: Beides ist korrekt.

Spektrum: Und Sie haben immer wieder gesagt, Ihnen sei viel daran gelegen, dass sich der Preis erniedrigt. Eine Idee ist ja, den Herstellungsprozess so zu verändern, dass der Impfstoff kostengünstiger produziert werden kann.

zur Hausen: Da gibt es durchaus interessante Ansätze. Einer ist, an Stelle der bislang verwendeten virusähnlichen Partikel nur noch das Hauptstrukturantigen des Virus zu verwenden, das einfacher in Bakterien hergestellt werden kann. Es gibt auch Versuche, den Impfstoff mittels gentechnisch veränderter Pflanzen zu produzieren. Das ist meine Erachtens aber keine wirkliche Alternative, weil die dafür erforderlichen Reinigungsprozesse zu aufwändig sind. Viel versprechend scheint mir dagegen die Verwendung so genannter adenoassoziierter Viren als Vehikel für eine Art Gentherapie. Mit diesen winzigen Viren lässt sich Papillom-Virus-Erbgut gezielt in Zellen der Nasenschleimhaut einbringen. Die infizierten Zellen setzen das virale Erbgut frei und produzieren eigenständig virusähnliche Partikel, die das Immunsystem zur Gegenwehr anregen. Die Teilchen werden langsam freigesetzt, weshalb der Immunschutz etwas später einsetzt, dafür aber stärker ausfällt und länger anhält. Nach Untersuchungen an Tieren könnte eine einzige derart verabreichte Impfdosis ausreichen, um vollen Impfschutz zu erreichen. Das halte ich für den interessantesten Ansatz. Ich hoffe, dass die Industrie daran Interesse finden wird.

Spektrum: Der Impfstoff ist auch wegen zweier Todesfälle in die Kritik geraten, die sich angeblich nach der Impfung ereignet haben. Ein ursächlicher Zusammenhang ließ sich zwar nicht nachweisen. Dennoch hat diese Nachricht zu Verunsicherungen geführt. Für wie sicher halten Sie den Impfstoff?

zur Hausen: Nach meinen Informationen wurden weltweit bislang 14 Millionen Frauen geimpft, in Deutschland sind es über 800. Viele tausend Frauen haben außerdem zuvor an den klinischen Tests teilgenommen. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen halte ich die Sicherheit des Impfstoffs für sehr hoch. Wobei man immer hinzufügen muss, dass es keine Impfung ohne Risiko gibt. So kann man schwere allergische Reaktionen grundsätzlich nie ausschließen. Meines Erachtens ist der HPV-Impfstoff genauso sicher wie jeder andere.

Spektrum: Gebärmutterhalskrebs ist vor allem auch ein Problem in Ländern der dritten Welt, wo es keine flächendeckenden Krebsfrüherkennungsprogramme und schon gar kein Geld für einen der teuersten Impfstoffe aller Zeiten gibt. Was geschieht, um auch die Frauen in armen Ländern zu schützen?

zur Hausen: Weltweit erkranken rund 500.000 Frauen an Gebärmutterhalskrebs, 240.000 bis 270.000 sterben daran - die meisten in den Entwicklungsländern, wo 83 Prozent aller Fälle auftreten. Ein erschwinglicher Impfstoff, den sich auch die Menschen in armen Ländern leisten können, ist dringend erforderlich. Ich hoffe da kurz- und mittelfristig auf die Kräfte des Marktes. Es gibt nämlich mittlerweile eine Reihe von Firmen in Entwicklungsländern, die offenbar bereits damit begonnen haben, den Impfstoff zu produzieren. Wenn ihre Seren erst die klinischen Tests erfolgreich durchlaufen haben und auf den Markt kommen, werden sich die Preise zwangsläufig erniedrigen müssen.

Spektrum: Doch das ist Zukunft. Was geschieht jetzt, um den Impfstoff dort bereitzustellen, wo er am nötigsten ist?

zur Hausen: Es gibt Programme der American Health Organisation und der Weltgesundheitsorganisation sowie eine Initiative der International Union Against Cancer in Genf, an der ich persönlich beteiligt bin. Konkret wird etwa versucht, Politiker zu sensibilisieren und das medizinische Personal vor Ort zu schulen. Auch die Bevölkerung soll aufgeklärt und zur Teilnahme an Impfungen motiviert werden. Die Gates-Stiftung hat es ermöglicht, Impfungen kostenlos zu verabreichen. Ich weiß auch, dass die beiden Hersteller in gewissem Maße bereit sind, den Impfstoff an die eine oder andere Gruppierung nicht nur zum reduzierten Preis, sondern praktisch gratis weiterzugeben. Aber all das ist zugegebenermaßen leider nicht genug.

Spektrum: Mit Ihren Arbeiten über den Gebärmutterhalskrebs haben Sie bewiesen, dass es Viren gibt, die Krebs erzeugen. Anfangs schätzten Sie, dass solche Viren fünf Prozent aller Krebsfälle verursachen; später erhöhten Sie die Zahl auf 15 bis 20 und schließlich sogar auf bis zu 30 Prozent.

zur Hausen: Von 30 Prozent habe ich in dieser scharfen Form hoffentlich nie gesprochen ... Was ich schon immer gesagt habe, ist, dass der Wert gut auf 20 Prozent gehen könnte. Heute lässt sich sehr gut belegen, dass 21 Prozent aller Krebserkrankungen mit Infektionen zusammenhängen.

Spektrum: Das ist eine überraschend genaue Zahl.

zur Hausen: Relativ genau, ja. Sie differiert etwas von der Zahl, die beispielsweise von der International Agency For Research On Cancer in Lyon genannt wird. Ich rechne ein, dass rund zehn Prozent der Magenkrebsfälle heute mit dem Epstein-Barr-Virus in Verbindung gebracht werden. Das sind sehr häufige Tumoren. Außerdem berücksichtige ich, dass etwa 25 bis 30 Prozent aller Mundhöhlen- und Rachenraumkrebse mit Humanen Papillom-Viren - den gleichen wie im Genitalbereich - assoziiert sind. Auch diese Tumoren sind global nicht selten. Insofern kann ich die 21 Prozent mit gutem Gewissen vertreten. Wobei mit infektiösen Ereignissen nicht nur Viren, sondern auch Bakterien und Parasiten gemeint sind.

Spektrum: An welche Bakterien und Parasiten denken Sie?

zur Hausen: Unter den Bakterien ist vor allem Helicobacter als Verursacher von Magenkrebs zu nennen, unter den Parasiten Schistosoma als Auslöser von Blasenkrebs und eine chronische Leberegelinfektion als Ursache für Gallengangtumoren in Thailand und Südchina.

Spektrum: Gibt es Hinweise, dass auch häufigere Krebsarten mit Infektionen einhergehen?

zur Hausen: Kandidaten dafür sind meines Erachtens Krebserkrankungen des Blut bildenden Systems, also Leukämien und Lymphome. Möglicherweise haben jedoch auch andere Tumorarten - darunter so häufige wie Brust- oder Darmkrebs - etwas mit Infektionen zu tun. Ich behaupte das in erster Linie, um junge Menschen zu ermuntern, solche Fragen zu erforschen - nicht, weil ich bereits konkrete Belege dafür hätte. Bei Brust- oder Dickdarmkrebs kennen wir ja bereits viele Gene, die an der Entstehung beteiligt sind. Was man aber weniger weiß, ist, welches davon der Auslöser ist. Meines Erachtens lohnt es sich selbst bei denjenigen Krebsarten, die hinsichtlich ihrer genetischen Modifikationen schon sehr gut analysiert sind, auch noch einmal nach einer infektiösen Komponente zu forschen.

Spektrum: Krebs mit Infektionen in Verbindung zu bringen galt noch vor zwei, drei Jahrzehnten als völlig abwegiger Gedanke.

zur Hausen: Ja. Das Panorama hat sich deutlich gewandelt. Das ist heute kein Tabu mehr.

Spektrum: Sie gehörten schon in den 1970er Jahren zu den wenigen Wissenschaftlern, die dieses Feld intensiv beackerten. Und es heißt - auch in der offiziellen Begründung für den Nobelpreis -, Sie hätten das mit einer erstaunlichen Beharrlichkeit getan.

zur Hausen: Ja. Und es wird auch überall geschrieben, dass ich so fürchterlich hätte um Anerkennung kämpfen müssen. Das mit der Beharrlichkeit stimmt. Ich bin ein westfälischer Dickkopf. Und es ist sicherlich auch wahr, dass ich früher von dem einen oder anderen Kollegen ein spöttisches Lächeln geerntet habe. Aber im Großen und Ganzen fühlte ich mich anerkannt und nicht schlecht behandelt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft beispielsweise hat mich von Anfang an großzügig unterstützt. Und meine Anträge sind ja stets von meinen Fachkollegen beurteilt worden. Mit anderen Worten: Die müssen sich positiv ausgesprochen haben.

Viele Darstellungen, die ich in der Presse lese, sind sicher gut gemeint, aber etwas überzogen. Jedenfalls ist es nicht so, dass ich als Einzelkämpfer einsam in der Gegend stand und trotzig meine Fahne hochhielt. Primär war ich daran interessiert, die Ursachen des Gebärmutterhalskrebses aufzuklären. Die Papillom-Viren haben sich dabei als goldene Spur erwiesen. Und die haben wir in der Tat mit großer Verve verfolgt.

Spektrum: Dennoch war es nicht einfach für Sie, einen finanzstarken Industriepartner zu finden, der Ihre Idee unterstützte, gegen Krebs zu impfen.

zur Hausen: Das war in den 1980er Jahren. Damals wussten wir schon, dass Gebärmutterhalskrebs von Papillom-Viren verursacht wird. Und da habe ich mich an die Industrie gewandt, weil es grundsätzlich naheliegt, einer viralen Erkrankung mit einem Impfstoff vorzubeugen, und weil es illusorisch ist, dass eine Institution wie das Krebsforschungszentrum die Entwicklung eines Impfstoffs finanziell stemmen kann. Ich habe verschiedene Unternehmen angesprochen und von der Firma Behring eine Anforderung erhalten. Eine Marktanalyse erbrachte dann aber, dass sich die Sache nicht lohne, ein Impfstoff würde sich nicht nennenswert verkaufen, und man hat die Sache fallen lassen. Das war eine totale Fehleinschätzung.

Spektrum: Dann hätte es den Impfstoff womöglich schon früher geben können?

zur Hausen: Ja, ich schätze drei, vier Jahre - mindestens.

Spektrum: Nun waren Sie nicht nur Forscher, sondern als Vorstand des Deutschen Krebsforschungszentrums auch 20 Jahre lang Forschungsmanager. In dieser Funktion haben Sie stets versucht, eine engere Bindung zwischen der Grundlagenforschung und der Klinik herzustellen, damit die Erkenntnisse der Forscher den Patienten schneller zugutekommen. Ist das gelungen?

zur Hausen: Hier bei uns in Heidelberg ist die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Klinik sehr gut vorangekommen. Als ich 1983 hierherkam, war noch ein großes Misstrauen zwischen den ansässigen Kliniken und dem Krebsforschungszentrum spürbar. Erfreulicherweise hat sich das über die Jahre hinweg gelegt. Während meiner aktiven Amtszeit hatte ich noch das Glück, das Heidelberger Comprehensive Cancer Center durch die erste Begutachtung zu bringen. Das setzt ja auf eine enge Bindung von Forschung und Klinik und auf große Interdisziplinarität. Ich freue mich, dass es jetzt zu einer gut funktionierenden Einheit zusammenwächst.

Spektrum: Kommen die Vorteile einer engen Kooperation auch krebskranken Menschen außerhalb der Region zugute?

zur Hausen: Die Erkenntnis setzt sich generell durch, dass Forschung und Klinik enger zusammengehören. Bei mir lag der Gedanke vielleicht näher, weil ich von meiner Ausbildung her ja Mediziner bin und in meiner ganz frühen Berufszeit in Krankenhäusern gearbeitet habe. Damals konnte ich sehr gut beobachten, wie zwingend eine enge Verbindung zwischen beiden Bereichen ist.

Spektrum: In welchen Krankenhäusern waren Sie tätig?

zur Hausen: Ich war zwei Jahre als Medizinalassistent in Wimbern im Sauerland, in Isny im Allgäu und in meiner Heimatstadt Gelsenkirchen.

Spektrum: Und warum sind Sie nicht in der Klinik geblieben?

zur Hausen: Ich wollte die Approbation als Arzt haben. Und dafür musste ich die klinische Zeit absolvieren. Tief im Herzen aber wollte ich stets wissenschaftlich arbeiten. Ich muss allerdings sagen, dass ich sehr gerne in der Klinik war. Ich konnte gut mit den Patienten umgehen, und ich kam gut bei den Patienten an. Also vermute ich mal, ich hätte auch Arzt werden können. Als ich danach in die Forschung ging, war ich zunächst enttäuscht. Das waren die ödesten Wochen meines Lebens. Man bekam keine vernünftige Anleitung, stand anfangs etwas hilflos im Labor herum und fragte sich: »Was soll ich hier?«

Spektrum: Aber auch da blieben Sie beharrlich.

zur Hausen: Eigentlich nicht. Ich war damals sogar ziemlich entschlossen, in die Klinik zurückzukehren. Aber dann kamen einige merkwürdige Dinge dazwischen. So hatte ich mich in der Kinderklinik in Freiburg beworben. Der dortige Chef bestellte mich ein. Doch als ich kam, hatte er den Termin vergessen. Ich bin daraufhin gleich weiter nach Basel gefahren, um mich dort unangemeldet vorzustellen. Aber der Chefarzt war an diesem Tag nicht da. Also weiter nach Bern. Dort habe ich mich beim Pförtner vorsichtig erkundigt, wie der Chef heißt, weil ich das nicht wusste. Dieser Chefarzt hat mich tatsächlich empfangen und sehr nett aufgenommen - und mir eine Stelle in Aussicht gestellt. Aus der ist dann aber doch nichts geworden. Unterdessen liefen die Arbeiten im Labor in Düsseldorf allmählich besser - und ich gewann meine Freude an der Forschung zurück.

Spektrum: Sie haben auch Biologie studiert.

zur Hausen: Ja. Sieben Semester lang, dann habe ich es aufgegeben. Ich wollte Biologie und Medizin parallel studieren, aber das war einfach nicht machbar. Vor allem vor dem Physikum hat es sich fast als katastrophal erwiesen, weil ich zu wenig medizinische Vorlesungen gehört hatte. Im fünften Semester, also zum Physikum hin, habe ich gearbeitet wie sonst nie mehr in meinem Leben, um das aufzuholen, was mir fehlte. Hinzu kam, dass der Biologieunterricht zu meiner Zeit an den Universitäten einfach schlecht war. Die junge, aufstrebende Molekularbiologie wurde praktisch überhaupt nicht gelehrt. Stattdessen mussten wir die Mundwerkzeuge von Insekten zeichnen. Nein, ich will mich nicht da rüber lustig machen, auch das hat seine Berechtigung. Aber man ist auf diese Art doch an vielen Entwicklungen vorbeigegangen, die sich junge Wissenschaftler später, nach dem Studium, aneignen mussten.

Spektrum: In Ihrer ersten wissenschaftlichen Untersuchung haben Sie sich überraschenderweise mit Bohnerwachsen beschäftigt, einem Thema, das sich vordergründig weder biologisch noch medizinisch anhört.

zur Hausen: Sie meinen meine Dissertation über Bohnerwachse und inwieweit sie Bakterien abtöten. Oh ja, dazu gibt es ein nette Anekdote. Es kam hier einmal eine Medizinerin zu Besuch, die gerade in Düsseldorf ihre Doktorarbeit machte und mir erzählte, sie sei in den Archiven auf meine Dissertation gestoßen. »Sie haben ja über Bohnerwachs promoviert«, sagte sie erstaunt, »Ich verspreche Ihnen - ich sage es ganz bestimmt niemandem weiter.« Ich antwortete ihr, dass sie das gerne jedem weitersagen könne. Da habe ich gar keine Bedenken. Zu dieser Doktorarbeit bin ich, sagen wir einmal, aus eher skurrilen Gründen gekommen. Auch ich fand das Thema zunächst extrem unattraktiv, aber insgesamt hat es sich dann doch als sehr interessant erwiesen.

Spektrum: Und was haben Sie herausgefunden?

zur Hausen: Dass bestimmte Bohnerwachse, wenn sie in Tuberkuloseheilstätten dem ultravioletten Licht ausgesetzt sind, Tuberkelbakterien abtöten. Es entstehen dann Sauerstoffradikale, die offenkundig die Abtötung bewirken. Also ich schäme mich in keiner Weise für diese Arbeit.

Spektrum: Wie sehen Sie die Zukunft der Krebsforschung und der Krebsmedizin?

zur Hausen: Die Forschung wird, wie bisher schon, langsam, aber stetig vorankommen. Vermutlich werden sich auch in der Therapie bestimmter Krebsarten weiterhin einige Verbesserungen erzielen lassen.

Spektrum: Kleine Fortschritte - kein Durchbruch?

zur Hausen: Also, wenn mich jemand fragen würde, ob ich glaube, dass der Krebs noch zu meinen Lebzeiten ausgerottet wird, kann ich ruhigen Gewissens antworten: mit Sicherheit nicht.


Claudia Eberhard-Metzger, die das Interview führte, ist freie Medizinjournalistin in Maikammer.


ZUR PERSON

Harald zur Hausen wurde 1936 in Gelsenkirchen geboren. Er studierte an den Universitäten Bonn, Hamburg und Düsseldorf Medizin und Biologie. Danach arbeitete er am Institut für medizinische Mikrobio ogie der Universität Düsseldorf. Nach einem dreijährigen Forschungsaufenthalt im Children's Hospital of Philadelphia in den Vereinigten Staaten kehrte er nach Deutschland an das Institut für Virologie der Universität Würzburg zurück; später arbeitete er an den Universitäten von Erlangen-Nürnberg und Freiburg. Von 1983 bis 2003 war er wissenschaftlicher Stiftungsvorstand des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg.


Literatur
Harald zur Hausen: Infections Causing Human Cancer. Viley-VCH, Weinheim 2006.

HPV-Impfung: Gebärmutterhalskrebs vorbeugen. Eine Broschüre der Krebsgesellschaft Nordrhein-Westfalen e.V., Düsseldorf 2007.


Weitere Infos
Weblinks zu diesem Thema finden Sie unter
www.spektrum.de/artikel/972382.
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · DEZEMBER 2008


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 22:
Am Tag der Bekanntgabe des Medizinnobelpreises an Harald zur Hausen herrschte erwartungsgemäß hektische Betriebsamkeit im Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

Abb. S. 23:
Obwohl emeritiert, macht sich der Nobelpreisträger noch gelegentlich in seiner früheren Wirkungsstätte, dem Labor für Tumorvirologie am Krebsforschungszentrum, zu schaffen.

Abb. S. 24:
Das Humane Papillom-Virus (HPV) wird beim Geschlechtsverkehr übertragen und befällt Zellen in der Schleimhaut des Gebärmutterhalses (Cervix). Meist gelingt es dem Immunsystem, den Erreger zu beseitigen. In seltenen Fällen aber integriert er sich in das Erbgut der infizierten Zellen und kann so nach Jahrzehnten schließlich Krebs auslösen.

Abb. S. 25:
Im Humanen Papillom-Virus, hier in einer Falschfarbenaufnahme im Elektronenmikroskop (links) und in einem Modell (rechts) zu sehen, ist das DNA-Erbgut von einem Capsid mit turmartigen Ausstülpungen umgeben.


© 2008 Claudia Eberhard-Metzger, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Spektrum der Wissenschaft 12/08 - Dezember 2008, Seite 21 - 26
Herausgeber: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2009