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TRANSPLANTATION/416: Wie steht es um die Verteilergerechtigkeit? (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2009

Transplantationsmedizin - wie steht es um die Verteilergerechtigkeit?

Von Werner Loosen


Vorurteile gibt es, wenn Menschen über die Transplantationsmedizin diskutieren. Schuld daran sind, teilweise zu Recht, Berichte um die unverständliche Verteilung oder Zuteilung von Organen. Dass es bei diesem Thema in den allermeisten Fällen um dringend benötigte Hilfsmaßnahmen geht, kommt in solchen Berichten oft zu kurz. Darauf verwies PD Dr. Dr. phil. Jörg-Matthias Pollock, Oberarzt an der Klinik für Hepatobiliäre Chirurgie und Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).

In einer Veranstaltung des Arbeitskreises Interdisziplinäres Ethik-Seminar stellte Jörg-Matthias Pollock fest, schon im 3. Jahrhundert nach der Zeitrechnung habe es offensichtlich die erste Transplantation gegeben, Kosmas und Demian gelten seitdem als Schutzpatrone der Transplantationsmediziner. Dieser frühe Eingriff habe nach einem Kreislaufstillstand stattgefunden, "also ähnlich dem, was wir in Deutschland in den 50er und 60er Jahren gemacht haben". Inzwischen gibt es strenge gesetzliche Auflagen und Vorgaben. Organisiert wird eine Transplantation durch die DSO, die Deutsche Stiftung Organspende, gefolgt von der Allokation bei Eurotransplant. Die eigentliche Transplantation passiert dann in einem der deutschen Zentren. Sodann gibt es Richtlinien, die die Bundesärztekammer (BÄK) regeln muss, etwa für die Organvermittlung. Dafür hat die BÄK entsprechende Kommissionen gebildet. Danach muss der behandelnde Arzt den Patienten, bei dem die Transplantation medizinisch angezeigt ist, mit dessen schriftlicher Einwilligung dem Transplantationszentrum melden. Im Zentrum wird entschieden, ob ein Patient auf die Warteliste gesetzt wird. Dazu gibt es Kriterien wie Indikation, Kontraindikation und anderes. Diese Kriterien müssen erfüllt sein, darüber entscheidet ein interdisziplinär besetztes Gremium, in dem auch Psychologen vertreten sind. Auf die Frage nach dem Alter des jeweiligen Patienten sagte Jörg-Matthias Pollock, es gebe keine rein nummerische Altersgrenze, "wenn auch gelegentlich der Allgemeinzustand des Patienten eine Transplantation ausschließen mag". Apropos Warteliste: Die Wartezeit für eine Niere liegt derzeit bei rund sieben Jahren.


Höchst möglicher Nutzen

Zum immer wieder geäußerten Vorwurf, bei einer Transplantation spiele vor allem das finanzielle Vermögen des Empfängers eine Rolle, sagte Jörg-Matthias Pollock ganz eindeutig: "Erstens ist eine Transplantation heute für keine Klinik mehr ein Profitgeschäft. Zweitens spielt der Versicherungsstatus dabei überhaupt keine Rolle. Und drittens, wenn Sie jetzt auf Empfänger aus Saudi-Arabien anspielen - die haben in den vergangenen Jahren ihre Spender jeweils mitgebracht, davon ist keine Warteliste bei uns belastet worden!" Und wenn nun Alkoholiker und Drogenkranke transplantiert werden, sei das nicht gleichsam rausgeworfenes Geld? Auch an diesem Punkt war Jörg-Matthias Pollock erfrischend klar: "Alkoholismus und Drogenabhängigkeit sind Erkrankungen und nicht etwa ein Fehlverhalten! Und auch bei diesen Patienten gibt es bestimmte Kriterien - sie müssen ein halbes Jahr trocken sein, ehe sie auf die Warteliste kommen, und sie müssen während der Wartezeit trocken und clean bleiben. Und noch ein Hinweis für Skeptiker: Transplantierte Alkoholkranke bleiben nach der Transplantation zu 90 Prozent trocken, es gibt keine einzige Patientengruppe, bei der eine Transplantation einen höheren Nutzen hat!"


Old for old

Ausschlaggebend für die Aufnahme auf die Warteliste sind unter anderem das Überleben des Empfängers und eine längerfristig gesicherte Transplantat-Funktion. Es gibt zahlreiche medizinische und psychologische Gründe, jemanden nicht auf die Warteliste zu setzen. Darum kümmert sich das jeweilige Transplantationszentrum; dazu gehören die Aktualisierung der Liste und Änderungen der Dringlichkeit. Zu den Kontraindikationen gehören beispielsweise nicht kurativ behandelte bösartige Erkrankungen, bestimmte Infektionskrankheiten und eine anhaltend fehlende Compliance, dazu zählen außerdem schwerwiegende zusätzliche Erkrankungen, etwa am Herzen, Gefäß- und Lungenkrankheiten. Der erwähnten Stiftung Eurotransplant gehören Länder an wie Belgien, Niederlande, Luxemburg, Deutschland, Österreich, Slowenien und Kroatien. Allein ein Blick auf die Landkarte zeigt: lange Wege, hohe Kosten, die Organe werden bei lang dauernden Transporten unter Umständen schnell älter. Andererseits gibt es aufgrund dieser internationalen Zusammenarbeit eine hohe Wahrscheinlichkeit, schneller das jeweils benötigte Organ zu bekommen. Eurotransplant verteilt die Transplantate und sorgt für die Qualitätssicherheit. Allokationskriterien sind beispielsweise kompatible oder identische Blutgruppe (heute nicht mehr so wichtig), Größe und Leistungsfähigkeit des Organs, medizinische und soziale Dringlichkeit.

Für ältere Patienten gibt es eine deutlich kürzere Warteliste (etwa zwei Jahre). Vorgegangen wird bevorzugt nach dem Schema old for old, also ältere Organe für ältere Empfänger. Dazu gibt es bei Eurotransplant ein spezielles Programm. Generell ist die Überlebensrate nach einer Transplantation heute höher als noch vor wenigen Jahren. Bei Kindern, so Jörg-Matthias Pollock, liegt sie nach einer Lebertransplantation bei rund 94 Prozent. Gleichfalls besser geworden ist die Lebensqualität nach einer Transtplantation, davon zeugen ausführliche Untersuchungen. Und: "Patienten mit einem akuten Leberversagen sind heute besser dran als die mit einem chronischen Leberschaden, das war vor wenigen Jahren noch genau umgekehrt."

Zu fragen ist, ob es eine gerechte Organverteilung gibt? Grundsätzlich, so Jörg-Matthias Pollock, werden bei jeder Änderung der Allokation Patienten benachteiligt: "Es ist eine schwierige Entscheidung - wer bekommt jetzt die Leber? Wer hat den größten Nutzen? Bedacht werden muss auch, dass heute mehr Menschen nach einer Transplantation sterben als früher. Warum? Sie waren vor dem Eingriff sehr krank." In jedem Fall seien ethische Konflikte bei diesen Fragen vorprogrammiert. Sicher, Kinder werden bei der Vergabe bevorzugt. "Wir könnten uns ja auch fragen, wer die höchste Überlebenschance nach einer Transplantation hat? Doch wir müssen uns nach den Allokationskriterien richten, die Eurotransplant vorgibt."


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2009 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2009/200902/h090204a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
PD Dr. Dr. phil. Jörg-Matthias Pollock


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Februar 2009
62. Jahrgang, Seite 65 - 66
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Karl-Werner Ratschko (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2009