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AUSLAND/1750: Japan - Strahlenlimit für Kinder gefordert, viele Familien verlassen aus Sorge Fukushima (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Oktober 2011

Japan: Strahlenlimit für Kinder gefordert - Viele Familien verlassen aus Sorge Fukushima

von Suvendrini Kakuchi


Tokio, 11. Oktober (IPS) - Nach der Atomkatastrophe von Fukushima am 11. März sorgen sich die Japaner um die Gesundheit ihrer Kinder, die dem Strahlenrisiko besonders schutzlos ausgesetzt sind. Gruppen von Müttern fordern die Einführung der weltweiten ersten Sicherheitsstandards für Heranwachsende, die in Kontakt mit Radioaktivität kommen.

Bei einem Treffen mit der Vize-Gesundheitsministerin Yoko Komiyama appellierte Emiko Ito von der unabhängigen Organisation 'Kodomo Zenkoku' (Kinder in ganz Japan) an die Regierung, sich mehr für den Schutz von Kindern einzusetzen. "Die Sicherheitsstandards in Ländern, die Atomstrom produzieren, sind auf Erwachsene ausgerichtet", sagte Ito, deren Gruppe ihren Sitz in Fukushima hat. Es sei aber erwiesen, dass Kinder viel anfälliger für radioaktive Strahlung seien.

Der Kinderarzt Makoto Yamada, der sich in dem Netzwerk zum Schutz von Kindern vor Radioaktivität engagiert, sagte IPS, dass die in den einzelnen Ländern geltenden Strahlenrichtwerte ständig in Frage gestellt würden. "Vor diesem Hintergrund ist es fast unmöglich, einen medizinisch akzeptierten Wert für Kinder festzulegen."

Nach Ansicht des Mediziners sollten Kinder bereits vor nuklearer Strahlung in geringer Konzentration bewahrt werden. Seinem Netzwerk gehören Ärzte aus ganz Japan an, die freiwillig nach Fukushima kommen, um besorgte Eltern zu beraten und Strahlentests durchzuführen.


Bevölkerung traut Behörden nicht mehr

Offizielle Untersuchungen ergaben Ende März, dass 45 Prozent von 1.100 getesteten Kindern nach der Havarie des Kernkraftwerks am 11. März einer geringfügigen inneren Strahlung ausgesetzt waren. Diese Minderjährigen wohnen in Gebieten außerhalb der evakuierten Zone. Die Bevölkerung lässt sich aber nicht so leicht beruhigen.

Die innere Strahlung gelangt durch das Einatmen kontaminierter Luft oder durch den Verzehr belasteter Lebensmittel in den menschlichen Organismus. Experten zufolge können die Auswirkungen gravierender sein als die Folgen der externen Strahlung.

Besorgte Eltern in der Region haben bereits durchgesetzt, dass die Sicherheitsvorschriften an Schulen verschärft wurden. Die Kinder müssen langärmelige Kleidung tragen und dürfen nicht nach draußen. Die Behörden ließen außerdem im Umkreis der Schulen Mutterboden abtragen, der viel Radioaktivität speichert.

Amtliche Statistiken vom vergangenen Mai belegen, dass viele Familien ihren Nachwuchs nicht mehr in private Kindergärten schicken. Zahlreiche Organisationen in anderen Teilen des Landes luden Schüler zu Ferienlagern ein, um sie nicht unnötigen Risiken auszusetzen.

Viele Familien leben inzwischen getrennt, da Mütter mit Kindern aus Fukushima weggezogen sind. "Die Väter können ihre Arbeit nicht aufgeben. Das Getrenntleben verursacht jedoch großen Stress", sagte Maya Kobayashi, die ebenfalls weggezogen ist. "In einigen Fällen zerbrachen sogar Ehen, weil sich die Mütter und Väter nicht einig waren, was sie ihren Kindern zumuten konnten."

Seichi Nakate, der Sprecher des Netzwerks für Kinder aus Fukushima, sieht die Sorge der Eltern als großes soziales Problem. Die Nuklearhavarie habe der Bevölkerung einen psychologischen Schock versetzt, meinte er. Vor allem die Einwohner von Fukushima fühlten sich von den Behörden getäuscht, die bisher nur die positiven Seiten der Kernkraft betont hätten.


Eltern und junge Paare wollen keine Risiken eingehen

"Dies ist einer der Hauptgründe für das Misstrauen gegen die Regierung. Das althergebrachte Bild eines Landes mit einer festgefügten sozialen und wirtschaftlichen Ordnung ist zerstört", stellte Nakate fest. "Die Folgen können weitreichend sein."

Kobayashi, die erst seit kurzem verheiratet ist, wollte jedenfalls nicht länger in Fukushima bleiben. "Mein Mann und ich wollen bald eine Familie gründen. Deshalb ist es mir sehr wichtig, vor atomaren Strahlen geschützt zu sein", erklärte die 24-Jährige. Der Regierung, die lediglich eine Zone von 30 Kilometern im Umkreis des Atomkraftwerks als gefährlich einstufte, mochte sie nicht trauen.

Seit Mai lebt das Ehepaar in der benachbarten Präfektur Yamagata. 60 Kilometer trennen sie von der Stadt Fukushima, die wiederum etwa 100 Kilometer von dem Unglücksreaktor entfernt ist. Auch viele andere Menschen aus Fukushima, darunter Tausende Familien mit kleinen Kindern, haben in Yamagata Zuflucht gefunden. (Ende/IPS/ck/2011)


Link:
http://www.appeldefukushima.com/de/nvsi/105-national-network-of-parents-to-protect-children-from-radiation.html
http://kodomozenkoku.com/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105289

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. Oktober 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Oktober 2011