Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN


AUSLAND/2605: Waffen gegen den Tod - Kubas "Armee der weißen Kittel" ... Das "Kontingent Henry Reeve" (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 21 vom 22. Mai 2020
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Waffen gegen den Tod
Kubas "Armee der weißen Kittel": Das "Kontingent Henry Reeve"

von Volker Hermsdorf


Mehr als 1.500 medizinische Fachkräfte aus Kuba unterstützen derzeit ihre Kolleginnen und Kollegen in rund zwei Dutzend Ländern der Welt bei der Behandlung von Covid-19-Erkrankten. Während Patienten, Politiker und Regierungen der betroffenen Regionen den Einsatz der Brigaden des "Kontingent Henry Reeve" anerkennend würdigen, versucht Washington, die Hilfe aus Kuba zu sabotieren. Das US-Außenministerium hat neue Millionen-Programme aufgelegt, um die internationalistischen Missionen der Insel zu diskreditieren. Zugleich schlagen französische Aktivisten - wie fünf Jahre zuvor bereits norwegische Gewerkschaften - die kubanischen Mediziner für den Friedensnobelpreis vor. In der Coronakrise macht die Bewertung des auf den Einsatz in Katastrophensituationen und schwerwiegenden Epidemien spezialisierten "Kontingent Henry Reeve" die gegensätzlichen Konzepte der wirtschaftlichen und politischen Systeme und deren Folgen für die Menschen so deutlich wie selten zuvor. Im Gegensatz zu den USA, deren Soldaten weiterhin in zahlreichen Ländern der Welt Menschen töten, rettet Kubas "Armee der weißen Kittel" Leben.

Organisation ohne Präzedenzfall in der Welt

Das "Internationale Ärztekontingent Henry Reeve" war am 19. September 2005 auf Initiative Fidel Castros gegründet worden. Diese Spezialeinheit zur Verstärkung der bis dahin bereits in vielen Teilen der Welt erfolgten kubanischen Hilfseinsätze besteht aus Fachkräften, die für Einsätze bei Naturkatastrophen und Epidemien besonders ausgebildet sind. Kuba wolle der Welt damit die Hilfe zur Verfügung stellen, zu der die wohlhabenden Länder des Westens nicht fähig sind, begründete Castro den Aufbau der Ärzte-Brigade. Aus derselben Überlegung war in Havanna bereits im November 1999 - ebenfalls auf Anregung Fidel Castros - die "Lateinamerikanische Schule für Medizin", eine speziell zur Ausbildung ausländischer Studenten eingerichtete Hochschule, gegründet worden.

Nachdem im Jahr 1998 durch die Hurrikane "George" und "Mitch" in Zentralamerika und der Karibik mehr als 10.000 Menschen ihr Leben verloren hatten, hatte Castro angekündigt, dass sein Land die armen Länder des globalen Südens auch durch die Ausbildung von Medizinern unterstützen werde. Als der Hurrikan "Katrina" Ende August 2005 die Südostküste der USA traf und in der Folge allein in New Orleans über 1.800 Einwohner ums Leben kamen, bot Kuba dann auch den USA umgehend Hilfe an. Am 4. September 2005 standen in Havanna 1.586 Fachkräfte mit gepackten Rucksäcken zum sofortigen Abflug in das Katastrophengebiet bereit. Das kubanische Gesundheitsministerium hatte zudem 36 Tonnen Arzneimittel zur Verfügung gestellt. Doch die Regierung von Präsident George W. Bush ignorierte das Hilfsangebot. "Vielleicht hätten einige jener verzweifelten, vom Wasser belagerten und dem Tode nahen Menschen gerettet werden können", bedauerte Fidel Castro die Haltung Washingtons.

Am 19. September 2005 erklärte der Revolutionsführer: "Da die Tragödie, die die Welt erlebt, immer offensichtlicher ist, ratifizieren wir heute den Beschluss, das 'Kontingent Henry Reeve' zu schaffen." Castro kündigte den Aufbau einer Organisation an, für die es "bis jetzt keinen Präzedenzfall in der Welt" gebe. "Obwohl jeder Mensch und jedes Volk ein Recht auf Gesundheit hat und das Privileg eines langen Lebens genießen sollte, haben die reichsten und am weitesten entwickelten Gesellschaften, beherrscht vom Gewinn und dem Konsumdenken, die ärztlichen Dienstleistungen in eine vulgäre Ware verwandelt, die so für die ärmsten Schichten der Bevölkerung unerreichbar sind", sagte er auf der Gründungsveranstaltung. Während damals noch AIDS als eines der größten medizinischen Probleme galt, ging Castros Beschreibung künftiger Herausforderungen bereits darüber hinaus. "Wenn die entwickelten, sehr reichen Nationen sich entschließen, mit (...) anderen Ländern (...) zusammen zu arbeiten, werden sie Fachkräfte wie die des Kontingents Henry Reeve benötigen. Dann wird man den Wert dieses Schritts in seiner ganzen Größe verstehen", so Castro. "Die entwickelten und reichen Staaten haben Finanzkapital zur Verfügung, aber keine menschlichen Ressourcen. (...) Sogar in den unwahrscheinlich reichen Ländern wie den Vereinigten Staaten fehlen (...) Programme zur Gesundheitsversorgung und medizinischen Betreuung." Nach Schilderung der Defizite westlicher Gesundheitssysteme erklärte Kubas Staats- und Regierungschef: "Wir bieten an, Fachkräfte auszubilden, die bereit sind, gegen den Tod zu kämpfen. Wir werden beweisen, dass es Antworten auf viele Tragödien des Planeten gibt. ... Wir werden den Wert des Bewusstseins und der Ethik beweisen. Wir bieten Leben."

Geld für Gesundheit statt für Rüstung

Die Gründung des Ärzte-Kontingents erwies sich schon wenige Jahre später für tausende Menschen als segensreich. Während die US-Regierung beim Cholera-Ausbruch nach einem schweren Erdbeben im Jahr 2010 schwer bewaffnete Soldaten nach Haiti schickte, entsandte Havanna Mediziner, die in den Elendsvierteln gegen die bakterielle Infektionskrankheit vorgingen. Als sich Anfang 2014 in Westafrika mehr als 22.000 Menschen mit dem tödlichen Ebolavirus infiziert hatten und die westlichen Staaten noch ratlos diskutierten, was zu tun sei, hatte Kuba bereits 165 freiwillige Helfer des "Kontingents Henry Reeve" nach Sierra Leone, Liberia und Guinea in Marsch gesetzt. Viele der insgesamt mehr als 250 kubanischen Spezialisten, die vor sechs Jahren in Afrika ihr Leben riskierten, kämpfen heute in Italien und zwei Dutzend anderen Ländern gegen die weitere Ausbreitung der Corona-Pandemie.

"Die Arbeit der kubanischen Mediziner nützt den weltweiten Anstrengungen und sollte deswegen anerkannt werden", schrieb die "New York Times" im Oktober 2014 in einem Leitartikel. Der britische "Guardian" bezeichnete Kuba als "Weltführer im Kampf gegen das Ebolavirus" und forderte die USA zur Beendigung der Blockade auf. "Die USA und Großbritannien haben tausende Soldaten geschickt" und hätten Hilfe versprochen, die nie eingetroffen sei, schrieb Guardian-Mitherausgeber Seumas Milne am 3. Dezember 2014. Dagegen hätten Havannas Ärzte - von den Ebola- bis Erdbebenopfern - Millionen Menschenleben gerettet. Der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki Moon würdigte Ende 2014 den Einsatz der Experten von der Karibikinsel mit den Worten: "Sie sind immer die ersten, die ankommen, und die letzten, die abziehen. Kuba hat der ganzen Welt eine Menge zu zeigen." Bis Anfang 2017 gehörten dem "Kontingent Henry Reeve" bereits rund 7.300 medizinische Fachkräfte an, die 3,5 Millionen Menschen in 19 Ländern betreut und 80.000 Patienten das Leben gerettet hatten.

"Unser Land wirft weder Bomben gegen andere Völker, noch schickt es tausende Flugzeuge, um Städte zu bombardieren; unser Land besitzt weder Nuklear-, noch chemische, noch biologische Waffen. Die Dutzenden von tausenden Wissenschaftler und Ärzte, die unser Land hat, wurden in der Idee erzogen, Menschenleben zu retten. (...) Waffen, um den Tod zu bekämpfen, um Krankheiten zu bekämpfen, um Krebs zu bekämpfen, dem widmen wir unsere Ressourcen", hatte Fidel Castro schon am 26. Mai 2003 in einer Rede in Buenos Aires die Prioritäten der kubanischen Forschung und des auf dem Solidaritätsprinzip basierenden Gesundheitswesens beschrieben. Ähnlich Visionär hatte Castro im Juni 1992 auf der UN-Konferenz für Umwelt und Ernährung in Rio de Janeiro auch vor der ökologischen Zerstörung des Planeten gewarnt. "Eine bedeutende biologische Gattung ist aufgrund der schnellen und progressiven Beseitigung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen vom Aussterben bedroht: der Mensch." Castro hielt den "Konsumgesellschaften" vor, drei Viertel der Energie zu verbrauchen, die auf der Welt erzeugt wird, obwohl nur 20 Prozent der Weltbevölkerung in ihnen leben. "Sie haben die Meere und Flüsse vergiftet, die Luft verschmutzt, die Ozonschicht geschwächt ..., haben die Atmosphäre mit Gasen angereichert, die die klimatischen Bedingungen beeinträchtigen, was katastrophale Auswirkungen hat, die wir schon zu spüren beginnen", versuchte er vor rund 40 Jahren die Staats- und Regierungschefs der 170 teilnehmenden Staaten aufzurütteln. Fidel Castro appellierte an die Welt, den Luxus und die Verschwendung in einigen wenigen Ländern einzuschränken, "damit weniger Armut und weniger Hunger in großen Teilen der Erde herrschen". Es müsse "der Hunger verschwinden und nicht der Mensch", schloss er an seinen Ausgangssatz an. Schließlich forderte Castro, die Mittel für Militärausgaben einzusetzen, "um die Gefahr der ökologischen Zerstörung des Planeten zu bekämpfen". Castros frühzeitige Warnungen vor den Folgen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung für Umwelt und Gesundheit erweisen sich heute als hochaktuell.

US-Millionenprogramme gegen die Helfer

Während die "New York Times" und sogar der damalige US-Präsident Barack Obama das Solidaritätsprinzip der Henry-Reeve-Brigaden im Jahr 2014 zumindest verbal anerkannten, setzt die heutige US-Regierung seit dem Amtsantritt von Donald Trump wieder ausschließlich darauf, die kubanische Hilfe zu diskreditieren. Da mit den Geldzahlungen der wohlhabenden Länder für den Einsatz der Ärzte auch das kubanische Gesundheitssystem und die Missionen in armen Regionen der Welt unterstützt werden, forderte US-Außenminister Mike Pompeo am 29. April dazu auf, den Ärzten der Henry-Reeve-Brigaden den gesamten Betrag direkt auszuzahlen. Sein Appell entspringt der egoistischen "Leistung-nur-für-Cash-Ideologie" der Multimillionäre in der US-Führung, in deren Welt Begriffe wie Teilen und Solidarität nicht vorkommen. Pompeo forderte alle Länder auf, die medizinischen Kooperationen mit Kuba zu beenden und bezeichnete die rechten Regime Brasiliens, Boliviens und Ecuadors als Vorbilder, die er bewundere. Zeitgleich mit den jüngsten Angriffen Pompeos legte das von ihm geleitete State Department ein neues Zwei-Millionen-Dollar-Programm gegen die kubanischen Hilfseinsätze auf. Noch bis zum 1. Juni können sich "NGOs, Hochschulen, gemeinnützige Einrichtungen sowie gewinnorientierte Unternehmen", die Informationen über "Menschenrechtsverletzungen und Zwangsarbeit" beim Einsatz von kubanischen Medizinern auf Auslandseinsätzen "sammeln, untersuchen und analysieren", um die Finanzierung derartiger "Projekte" bei der US-Behörde bewerben.

Anfang Texteinschub
Symbol des Internationalismus

Henry Reeve, dessen Name durch die Einsätze kubanischer Ärztebrigaden in aller Welt bekannt wurde, starb am 4. August 1876 im Alter von 26 Jahren im Einsatz für die Befreiung Kubas von der spanischen Kolonialherrschaft.

Der im New Yorker Stadtteil Brooklyn geborene Reeve hatte sich mit 19 Jahren freiwillig gemeldet, um in dem am 10. Oktober 1868 von Carlos Manuel de Céspedes begonnenen und zehn Jahre dauernden ersten Unabhängigkeitskrieg unter den Generälen Máximo Gómez und Antonio Maceo für Kubas Souveränität zu kämpfen. Auf der Insel gilt Henry Reeve, der den Kubanern nicht von außen ungebetene Ratschläge erteilte, sondern sich den "Mambises" genannten Freiheitskämpfern unter Einsatz des eigenen Lebens anschloss, als Beispiel für selbstlosen Internationalismus.

In den USA hatte Henry Mike Reeve Carroll, wie sein vollständiger Name lautete, sich bereits als Jugendlicher der Bewegung gegen die Sklaverei angeschlossen und sich im Bürgerkrieg auf Seiten der Nordstaaten engagiert. Der Mord an Präsident Abraham Lincoln im Jahr 1865 verstärkte seine Abscheu gegen die Sklavenhalter. Als der Gutsbesitzer Carlos Manuel de Céspedes, der mit Beginn des Unabhängigkeitskrieges auch die Abschaffung der Sklaverei in Kuba zu dessen Ziel erklärt hatte, am 10. April 1869 zum Präsidenten der im Untergrund gebildeten "Republik in Waffen" gewählt wurde, suchte Reeve den Kontakt zu revolutionären Exilkubanern in New York. Gut einen Monat später landete er mit anderen Freiwilligen auf der Insel, wurde aber bereits zwei Wochen später von Soldaten der Kolonialmacht ergriffen. Die Spanier ließen alle Gefangenen erschießen und zogen weiter. Henry Reeve, der von dem Exekutionskommando nur verwundet worden war, wurde von "Mambises" gefunden und in deren Truppen integriert.

Von General Ignacio Agramonte erhielt Reeve den Spitznamen "Enrique al Americano", wurde später aber unter dem Namen "El Inglesito" (der kleine Engländer) überall auf der Insel bekannt. Unter den Generälen Máximo Gómez, Antonio Maceo und anderen Offizieren der Unabhängigkeitskämpfer beteiligte Reeve sich an mehr als 400 Kommandoaktionen und wurde - nachdem er verschiedene militärische Ränge durchlaufen hatte - am 10. Dezember 1873 selbst zum Brigadegeneral befördert. "Reeve vereint Mut, Rechtschaffenheit und Ernsthaftigkeit. Deshalb haben seine Soldaten einen tiefen Respekt vor ihm", charakterisierte Máximo Gómez den noch jungen Mitstreiter. Als Henry Reeve am 4. August 1876 in der Schlacht von Yaguaramas in der heutigen Provinz Cienfuegos mit seinen Leuten in einen Hinterhalt der Spanier geriet und dabei mehrfach schwer verwundet wurde, erschoss er sich mit der letzten Kugel aus seinem Revolver, um den Feinden nicht lebend in die Hände zu fallen. "Er wurde nur 26 Jahre alt. Sieben davon hatte er in der Befreiungsarmee verbracht", würdigte das Zentralorgan der Kubanischen Kommunistischen Partei "Granma" am 4. August 2001 den Einsatz des US-amerikanischen Internationalisten aus Anlass seines 125. Todestages.

Nach Henry Reeves Tod schrieb eine Gruppe kubanischer Patrioten an dessen Mutter Maddie Carroll: "Er kam als junger Kämpfer der Freiheit in unser Land, mit keinem anderen Ziel, als uneigennützig für die Unabhängigkeit Kubas zu kämpfen, das er seither als sein Heimatland angenommen und geliebt hat." Henry Reeve wurde zu einem Symbol für Internationalismus und Uneigennützigkeit und deshalb zum Namensgeber der auf weltweite Einsätze gegen die Folgen von Katastrophen und Epidemien spezialisierten medizinischen Brigaden Kubas. (VH)
Ende Texteinschub

*

Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 52. Jahrgang,
Nr. 21 vom 22. Mai 2020, Seite 13
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon: 0201 / 177889-90
E-Mail: redaktion@unsere-zeit.de
Internet: www.unsere-zeit.de
Die UZ erscheint wöchentlich.
Einzelausgabe: 2,80 Euro
6 Wochen Probeabo - Zeitung und Online-Ausgabe: gratis
3-Monats-Abo - Zeitung und Online-Ausgabe: 10,- EUR
Reguläres Abo: 13,- EUR / Monat
Ermäßigtes Abo: 6,50 EUR / Monat
Förderabo: 20,- EUR / Monat
Online-Abo
Reguläres Abo: 9,- EUR / Monat
Ermäßigtes Abo: 4,50,- EUR / Monat
Förderabo: 14,- EUR / Monat
Kombi-Abo (Online-Ausgabe plus Wochenzeitung)
Reguläres Abo: 15,- EUR / Monat
Ermäßigtes Abo: 7,50 EUR / Monat
Förderabo: 23,- EUR / Monat


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2020

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang