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AUSLAND/2700: Italien - Erschreckendes Elend im Gesundheitswesen (Gerhard Feldbauer)


Italien - Erschreckendes Elend im Gesundheitswesen

Hunderttausende Kranke können Medikamente nicht bezahlen

von Gerhard Feldbauer, 20. November 2024


Die allgemein in Italien herrschende Armut nimmt im Gesundheitswesen erschreckende Ausmaße an. Das geht aus einem Bericht des Observatoriums für Gesundheitsarmut hervor. Der am Mittwoch in der Abgeordnetenkammer vorgestellte Rapport gibt an, dass im vergangenen Jahr 463.000 Menschen Hilfe bei Medikamenten brauchten, da sie die Kosten dafür, die in 7 Jahren um 2,5 Milliarden anstiegen, nicht mehr aufbringen konnten. Mit rund 102.000 ist ein Viertel der Menschen, die in gesundheitlicher Armut leben müssen, minderjährig. Auch die Zahl derer, die angesichts der steigenden Gesundheitskosten die Zahl ihrer Besuche und Kontrollen bei einem Arzt einschränken oder auf einen Teil ihrer Behandlungen verzichten müssen, nimmt zu. Das betraf 2023 insgesamt 3,369 Millionen Familien. Das Phänomen betrifft vor allem arme Familien (jeder Vierte hat mindestens einmal auf Behandlungen oder Arztbesuche verzichten müssen), aber auch zu 12,8 % nicht arme Familien. Fazit ist, dass die Behandlung nicht mehr für jeden Kranken sichergestellt ist.

"Die Daten und Analysen unseres Observatoriums für Gesundheitsarmut zeugen von einem Land, in dem gefährdete Menschen Schwierigkeiten haben, für ihre Gesundheit zu sorgen", betont Sergio Daniotti, Präsident der Stiftung Banco Farmaceutico Ets.

Dieser Zustand ist, wie die CGIL auf ihrer Gewerkschaftsplattform Collettiva enthüllt, ein Ergebnis der unter der Rechtsaußen-Regierung Meloni zugenommenen verheerenden Eingriffe in das öffentliche Gesundheitswesen wie die auch im Haushalt 2025 enthaltenen Kürzungen bei den Mitteln, beim Personal oder bei der Kontrolle des Gesundheitsmarktes, die mittlerweile zu 50 % durch private Unternehmer erfolgt. Während Ministerpräsidentin Meloni behauptet, dass Gesundheitswesen sei eine "unserer Prioritäten" und verspricht, den Gesundheitsfonds zu erhöhen, soll in Wirklichkeit knapp die Hälfte des Budgets eingespart werden, wodurch dem öffentlichen Gesundheitswesen zur Sicherung eines Minimums an Versorgung mindestens 50 Milliarden Euro fehlen, so Collettiva. Mit regionalen Unterschieden gehören Ärzte in Italien mit Gehältern zwischen 60.000 und 90.000 Euro pro Jahr zu den in der EU am schlechtesten bezahlten. Das hat, wie die größte italienische Ärztegewerkschaft Anaao Assomed einschätzte, dazu geführt, dass 2024 40.000 Ärzte fehlten, was für 91 Prozent der Krankenhäuser Personalmangel bedeutete. Nach dem Abbau von über 32.000 Krankenhausbetten in den vergangenen vier Jahren fehlt es in 70,8 Prozent der Fälle an Betten. Zur gleichen Zeit wurden 95 Kliniken geschlossen, haben über 11.000 Ärzte das öffentliche Gesundheitswesen verlassen. Wegen der schlechten Arbeitsbedingungen, Personalmangel und Überbelastung kündigen im Schnitt täglich weiter sieben Ärztinnen oder Ärzte ihren Krankenhausjob.

Vor einer Woche, am 20. November, wiesen 200.000 Ärzte, Gesundheitsmanager, Krankenschwestern und andere Mitarbeiter in Gesundheitsberufen in einen landesweiten 24-Stunden-Streik darauf hin, dass Ärzte gezwungen sind, sogar 24 Stunden zu arbeiten, weil inzwischen 30.000 Ärzte und 300.000 Pflegekräfte fehlen und den Krankenhäusern, auch den privaten, im Haushalt für 2025 "völlig unzureichende Ressourcen zugewiesen werden". Sie forderten neue und bessere Arbeitsverträge, die sofortige Einstellung von mehr Personal, die Nichtbesteuerung eines Teils des Lohnes und die Erhöhung der pflegespezifischen Zuschüsse. Von Klinikmitarbeitern heimlich gemachte Aufnahmen zeigten schockierende Bilder von auf den Fluren in den Betten liegenden unversorgten kranken und verletzten Menschen.

Banco Farmaceutico-Chef Sergio Daniotti warnt vor einer weiteren Zunahme dieser Elendssituation, denn das Armutsreservoir ist scheinbar unerschöpflich. Nach jüngsten Informationen des Statistikamtes ISTAT leben 2,235 Millionen Familien und 5,752 Einzelpersonen in absoluter Armut. Damit hat die Zahl dieser Ärmsten der Gesellschaft gegenüber 2014 um 2,3 bzw. 2,9 % zugenommen. Es sind seit zehn Jahren die höchsten Werte dieser Rate.

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Quelle:
© 2024 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 21. Dezember 2024

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