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ARTIKEL/1498: Interview zum Kongress Vernetzte Gesundheit - Versorgung ist Teamleistung (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1/2019

Kongress
"Versorgung ist Teamleistung"

Markus Knöfler im Gespräch mit Dirk Schnack über sektorenübergreifende Kooperation.


Was sind die größten Hürden für eine sektorenübergreifende Versorgung?

Markus Knöfler: Mit Blick auf das Herzogtum Lauenburg und Schleswig-Holstein sind es zunächst einmal Fragen von Organisation, Koordination und Informationsaustausch, die einer sektorenübergreifenden Versorgung im Weg stehen. Wir haben weder in unseren Praxen, den MVZ oder den Krankenhäusern, in der Pflege oder bei Therapeuten integrierte IT-Systeme, die durchgängige Informations- und Kommunikationsflüsse erlauben. Wir faxen, mailen, telefonieren und kommunizieren über diese Wege meist Versatzstücke.

Uns stehen natürlich auch die Vergütungssysteme, die ambulant wie stationär Fehlanreize setzen, im Wege. Und last, but not least machen es uns die unterschiedlichen Sozialgesetzbücher auch nicht einfacher.

Wer sind die Bremser?

Knöfler: Da könnte ich groß ausholen und Systemphilosophie betreiben. Es ist ein Problem, wenn Politik sich scheut, eine adäquate Patientensteuerung ins Gesetz zu schreiben. In keinem der oft als Vorbilder für Deutschland bemühten skandinavischen Länder darf ein Patient ohne jede Steuerung über die Inanspruchnahme des Systems entscheiden. Über 17 Arzttermine im Jahr ist doch ein dramatischer Befund. Oder nehmen Sie das Thema Krankenhausplanung: Ist es fair, die Häuser indirekt durch das Vergütungssystem in einen Mengenwettbewerb zu schicken? Es ist ja auch kein Geheimnis, dass im Gesundheitswesen angebotsinduzierte Nachfrage herrscht.

Aus der Mikroperspektive des Praxisnetzes bremst uns, dass Kostenträger keine Anreize für die Gestaltung regionaler Versorgung haben und die Angst vor dem Bundesversicherungsamt jeden innovativen Ansatz im Keim erstickt. Da hilft auch der Innovationsfonds nur ein wenig, ist er doch eine zeitlich sehr begrenzte wissenschaftliche Feldforschung mit massiven bürokratischen Hürden.

Kann es eine sektorenübergreifende Versorgung ohne einheitliches Vergütungssystem geben?

Knöfler: Ja, das kann es. Denn sektorenübergreifend heißt ja zunächst einmal, dass jeder das macht, was er am besten kann und alle gemeinsam die Gesundheitsziele für ihre Patienten zu erreichen versuchen. Das setzt aber voraus, dass wir den Mengenanreizen im System begegnen und den Gesundheitsnutzen in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellen.

Was halten Sie von ersten Ansätzen wie den Hybrid-DRGs in Thüringen?

Knöfler: Hybrid-DRGs sind keine Lösung zur Verbesserung der Zusammenarbeit über Sektorengrenzen hinweg. Sie sind nur eine Pauschale, die das Krankenhaus dazu bringt, den ambulant erbrachten OP-Anteil zu vergrößern, damit es dennoch in der Gesamtsumme daran verdienen kann. De facto setzt aber auch das Anreize, bestimmte Patientengruppen eher nicht mehr aufzunehmen und dafür alle gut und einfach ambulant zu operierenden Patienten den niedergelassenen Kollegen abzunehmen.

Das ganze Thema hat mit sektorenübergreifend nichts zu tun. Hier soll das Verhältnis aus ambulanten und stationären OPs innerhalb eines Hauses gesteuert werden.

Welche Erfahrungen gibt es mit diesem Thema im Praxisnetz Lauenburg?

Knöfler: Im PNHL sind acht Krankenhäuser des Kreises und angrenzender Regionen Mitglied, zwei davon stellen Vorstände. Wir sind zumindest mit der Hälfte im ständigen Dialog und arbeiten an vielen Stellen an unseren Prozessen, insbesondere in der Überleitung, im Case Management und der Nachversorgung von Patienten. Die Krankenhäuser Ratzeburg und Reinbek haben KV Safe-Mail und KV SafeNet erfolgreich implementiert und stellen Informationen elektronisch zur Verfügung.

Wir wissen aber auch, dass wir in unserem Mikrokosmos das deutsche Gesundheitswesen nicht lenken werden, wir diskutieren also keine Vergütungssysteme. Wir arbeiten eher daran, durch Exzellenz und Innovation in der ambulanten Versorgung stationäre Behandlungsbedürftigkeit zu verringern. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir zukünftig Leistungen der Koordination aller notwendigen Versorgungsebenen mit und für Patienten ausgestalten und finanzieren. Nehmen Sie unser Innovationsfonds-Projekt "RubiN" (www.rubin-netzwerk.de), hier haben wir vier Case-Managerinnen, die gemeinsam mit den Patienten und den Versorgern teils auch präventiv arbeiten. Oberstes Ziel ist die Vermeidung stationärer Behandlungs- und Pflegebedürftigkeit. Hier werden wir darüber sprechen müssen, dass ambulante Vergütung künftig nicht ausschließlich am niedergelassenen Arzt und seiner Qualifikation hängt. Versorgung wird zunehmend zur Teamleistung, da muss dann auch die Struktur- und Prozessqualität eines Teams, einer Region oder eines ganzen Netzes bewertet und vergütet werden. Auch und gerade vor dem Hintergrund knapper werdender Personalressourcen.

Was versprechen Sie sich vom Kongress, speziell von Ihrem Panel?

Knöfler: Ich freue mich zu sehen, dass in den letzten beiden Jahren die ambulanten und vernetzten Strukturen wieder mehr Raum auf dem Kongress erhalten. Ich bin der Meinung, dass wir es schaffen müssen, die Partikularinteressen der einzelnen Praxis oder Klinik so zu kanalisieren, dass wir den Patientennutzen in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen. Deshalb ist eine Diskussion zu Vergütungssystemen und deren Weiterentwicklung wichtig. Wie eingangs erwähnt, brauchen wir meines Erachtens deutlichere Impulse durch den Gesetzgeber. Hierfür ist der Kongress der richtige Rahmen.

Ich persönlich freue mich wieder über anregende Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen und wünsche mir, den ein oder anderen Netzmanager mehr auf dem Kongress zu treffen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 1/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201901/h19014a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Januar 2019, Seite 11
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2019

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