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ARTIKEL/1233: Interview mit dem Schleswig-Holsteinischen Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2011

INTERVIEW
"Perspektiven für eine bessere Versorgung sind vorhanden"

von Dirk Schnack


Dr. Heiner Garg sieht einige Verbesserungen bereits erreicht. Engere Zusammenarbeit mit der Pflege erforderlich. Mehr Mut von Krankenkassen erwünscht.

Wenn das Gesundheitswesen den Weg in die Medien findet, wird es häufig auf seine Herausforderungen reduziert: Wartezeiten, begrenzte Mittel, die Suche nach Fachkräften und mangelnde Kooperation der Akteure. Für Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg sind diese Herausforderungen täglich Brot. Ebenso wie die Entwicklung von Lösungsansätzen und Perspektiven. Im Interview mit Dirk Schnack skizziert der Minister, welche Voraussetzungen dazu nötig wären.

Herr Minister, über das Gesundheitswesen wird fast täglich in den Medien berichtet. Obwohl ständig über Reformen diskutiert wird, scheint sich nicht allzu viel zu verändern. Was hat sich denn aus Ihrer Sicht im abgelaufenen Jahr konkret verbessert in der Versorgung in Schleswig-Holstein?

Garg: Die Antwort fällt mir für den stationären Sektor leicht: In Schleswig-Holstein haben wir mit der dauerhaften Sicherung der Investitionskostenfinanzierung für die Kliniken viel erreicht und Planungssicherheit geschaffen. Das ist wichtig für die stationäre Versorgung der Menschen, aber auch für den Wettbewerb mit Kliniken in anderen Ländern.

Können Sie mit einem Beispiel erläutern, was das konkret für die Versorgung der Patienten bedeutet?

Garg: Die Patientenversorgung mit qualitativ hochwertigen stationären Leistungen konnte gesichert und teilweise auch verbessert werden. Ein Beispiel: Für das Krankenhaus auf Fehmarn konnte vor kurzem der Grundstein gelegt werden. Das ist nicht selbstverständlich, es gab im Vorwege eine Diskussion über den Standort, an dem ja wegen Baumängeln das alte Gebäude geschlossen werden musste. Im Flächenland tragen wir Verantwortung auch für die Versorgung auf unseren Inseln und Halligen, da können wir nicht ausschließlich auf betriebswirtschaftliche Kennzahlen schielen. Und wenn dann noch so vorbildlich zwischen ambulant und stationär kooperiert wird wie auf Fehmarn, halte ich die Investition für gerechtfertigt.

Stichwort Versorgungsverbesserungen: Was hat sich im ambulanten Bereich verbessert?

Garg: Für die Akteure hat sich etwas verbessert: nämlich die Bereitschaft, stärker miteinander, statt übereinander zu sprechen. Das gilt nicht länger nur für die ambulanten Leistungserbringer, sondern auch für ihr Verhältnis zu den Akteuren in den anderen Sektoren. Insofern kann man festhalten, dass die Perspektive für eine bessere Versorgung vorhanden ist. Um diese insbesondere im ländlichen Raum mit ärztlichem Nachwuchs zu sichern, haben wir gemeinsam mit den anderen Akteuren ein Informationsportal für junge Mediziner entwickelt.

Betrachten wir diese Kooperationen mal etwas genauer. Schleswig-Holstein war Vorreiter bei den Ärztenetzen. In keinem Land haben sich Ärzte so früh und so zahlreich in Netzen zusammengeschlossen. Die Ärztenetze in Rendsburg und in Kiel waren wegweisend. Heute sind andere Bundesländer aber längst weiter als die Pioniere im Norden, obwohl es in unserem Land immerhin 27 Ärztenetze gibt - woran hakt es?

Garg: Sicher nicht an der Bereitschaft der Akteure, zu kooperieren. Ob andere Länder wirklich weiter sind, weiß ich nicht. Positiv ist zunächst einmal, dass wir Vorbild für andere Bundesländer waren. Für mich ist aber auch entscheidend, wie kooperiert wird. Dazu gehört eben nicht nur die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Arztpraxen, sondern auch die Kooperation zwischen den einzelnen Sektoren - und da schließe ich neben dem ambulanten und stationären Sektor ausdrücklich auch die Reha und die Pflege mit ein. Wir müssen zu einer sehr viel selbstverständlicheren Abstimmung über alle Sektorengrenzen hinweg kommen. Es stünde Schleswig-Holstein gut zu Gesicht, wenn wir auch in diesem Bereich zum Vorbild oder auch guten Beispiel einer sektorenübergreifenden Kooperation werden, die insbesondere den Pflegesektor voll einschließt.

Lassen Sie uns zunächst noch bei den Ärztenetzen bleiben. Jeder vierte Arzt ist in einem solchen Netz organisiert und arbeitet mit an Ansätzen, wie die Versorgung zu verbessern ist. Immer wieder aber hört man, dass die Ideen aus den Netzen nicht umgesetzt werden können, weil sie bei den Krankenkassen keine Resonanz finden.

Garg: Ich habe nur begrenztes Verständnis dafür, wenn sinnvolle Investitionen an kurzfristigen Einsparzielen scheitern. Dieses Problem sehe ich bei Krankenkassen genauso wie bei Politikern. Im Klartext: Wenn Versorgungsverbesserungen, die mittelfristig sogar Ressourcen freisetzen könnten, aus Angst vor einem Zusatzbeitrag unterbleiben, ist das nach meiner Einschätzung kurzsichtig und falsch. Natürlich haben Krankenkassen keinen beliebigen finanziellen Spielraum. Aber es gibt keinen Grund, dass Krankenkassen nicht die Chance ergreifen sollten, über einen geringen Zusatzbeitrag eine deutliche Versorgungsverbesserung für ihre Versicherten zu realisieren. Derzeit aber verhalten sich die Manager der Krankenkassen wie beim Mikado-Spiel: Wer sich zuerst bewegt, verliert. Allerdings muss klar gesagt werden, dass am grundsätzlichen Problem nicht die Kostenträger schuld sind, sondern der Gesundheitsfonds der Großen Koalition.

Woran liegt es, dass im deutschen Gesundheitswesen häufig so kurzfristig agiert wird und nicht die mittelfristige Versorgungsverbesserung ins Blickfeld rückt?

Garg: Uns fehlt die ehrliche gesellschaftliche Debatte darüber, was uns die gesundheitliche Versorgung wert ist und wo wir künftig Schwerpunkte setzen wollen. An dieser Stelle, das habe ich mehrfach betont, ist die Politik gefordert, die Diskussion in Gang zu bringen. Andere Länder sind hier weiter als Deutschland. Die Menschen in unserem Land wären möglicherweise bereit dazu, mehr Geld für eine bessere Gesundheitsversorgung auszugeben - immer vorausgesetzt, dass diejenigen, die sich das nicht leisten können, über die Solidargemeinschaft dazu in die Lage versetzt werden. Also: Politik und Standespolitik müssen den Boden dafür bereiten, dass Krankenkassen sinnvolle Investitionen nicht länger scheuen, sondern den Mut für die Umsetzung innovativer Ideen aufbringen.

Zurück zur Kooperation zwischen den Sektoren. Viele Ärzte scheuen die Zusammenarbeit mit Krankenhäusern, weil sie im Verhältnis zu den immer größer werdenden Einheiten unterlegen sind und sich manchmal wie David gegen Goliath fühlen. Eine Kooperation auf Augenhöhe erscheint zwischen Arztpraxen und Krankenhäusern nur schwer möglich.

Garg: Die Befürchtung ist nachvollziehbar, aber sie wurde zum Teil durch positive Beispiele in unserem Bundesland auch widerlegt. Für mich ist unbestritten, dass niedergelassene Ärzte in Schleswig-Holstein flächendeckend grundsätzlich kooperationsbereit sind. Die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit bestreitet heute niemand. Das müssen wir auch nicht verordnen - was übrigens ohnehin keinen Sinn hätte. Dort, wo Kooperationen möglich sind, entstehen sie auch. Das geht nur nicht von heute auf morgen, sondern braucht auch Zeit. Man darf nicht vergessen, dass die Beteiligten viele Jahre gegeneinander um begrenzte Ressourcen streiten mussten. Vor diesem Hintergrund muss man auch Verständnis dafür aufbringen, wenn nicht in jeder Region sofort Kooperationsvereinbarungen geschlossen werden. Wenn es im Einzelfall nicht ohne einen Moderator geht, stehen wir auch dafür bereit. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Akteure vor Ort in aller Regel ganz gut ohne "Aufsicht" und Bevormundung zurechtkommen. Ich setze auf eine starke Selbstverwaltung - diese muss dann aber natürlich auch entsprechend stark handeln.

Liegt es nur an der Größe oder warum fällt es Krankenhäusern häufig leichter als den niedergelassenen Ärzten, ihre Interessen durchzusetzen?

Garg: Die standespolitische Interessenvertretung der niedergelassenen Ärzte hat es auf jeden Fall schwerer, weil viele Fachgruppen unter einen Hut gebracht werden müssen. Kliniken gelingt es häufig besser, ihre Erwartungen und Forderungen "einstimmig" gegenüber der Politik zu artikulieren. Für beide Seiten gilt, dass sie starke Veränderungen berücksichtigen müssen, etwa den immer größer werdenden Anteil an Frauen in der Medizin - darauf stellen sich Kliniken und Organisationen der niedergelassenen Ärzte nach meinem Eindruck gut ein.

Kommen wir zu der von Ihnen angemahnten Vernetzung mit der Pflege. Wenn schon die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und den Krankenhäusern so schwer fällt, wie soll dies mit den Pflegeeinrichtungen gelingen?

Garg: Das ist sicherlich eine große Herausforderung. Fest steht aber: Es muss gelingen, wenn wir die begrenzten Ressourcen zielführender im Sinne einer guten Versorgung für die Menschen einsetzen wollen. Ich stelle mir vor, dass diese Vernetzung am Krankenbett in der Klinik beginnt. Dort sollte der Hausarzt eingeschaltet werden, mit dem die weiteren Schritte nach dem Klinikaufenthalt abgestimmt werden. Ob dann die nächste Anlaufstelle eine Arztpraxis, ein ambulanter Pflegedienst oder eine andere Einrichtung sein wird, hängt vom Einzelfall ab. Wichtig ist, dass keine Brüche entstehen und keine Zeit verloren geht. Auch Vergütungssysteme müssen so weiter entwickelt werden, dass sie Kooperationen nicht im Weg stehen.

Also ist wieder einmal der Hausarzt als Koordinator gefragt?

Garg: Das kann, muss aber nicht zwangsläufig der Hausarzt sein. Die Rolle des Koordinators kann z.B. auch ein Pflegedienst oder die Krankenkasse übernehmen. Wichtig ist in erster Linie, dass die Abstimmung für eine schnelle Genesung des Patienten erfolgt und dieser nicht allein gelassen wird bei der Suche nach der geeigneten Anschlussbehandlung. Natürlich kann diese Koordinationsleistung nicht unentgeltlich erbracht werden. Das wäre aber gut angelegtes Geld, wenn man bedenkt, welche Summen eine nicht abgestimmte Versorgung bei den auf uns zukommenden Pflegeleistungen in den nächsten Jahrzehnten verschlingen würde.

Das zentrale Thema der gesundheitspolitischen Diskussion in diesem Jahr ist das Versorgungsstrukturgesetz, das als Gesellenstück Ihres Parteikollegen Daniel Bahr im Amt des Bundesgesundheitsministers gilt. Von Ihnen gab es zwar nicht nur Beifall, unter dem Strich aber Zustimmung ...

Garg: Zurecht, denn das Versorgungsstrukturgesetz bietet einige gute Instrumente, um genau das zu erreichen, was wir uns wünschen: nämlich Vernetzung und Kooperation, und endlich die Dezentralisierung. Die Selbstverwaltung bekommt die Möglichkeit, die flächendeckende ambulante medizinische Versorgung mit neuen Instrumenten sicherzustellen. Nur einige Beispiele: Die Kassenärztliche Vereinigung kann die Niederlassung in unterversorgten Gebieten beispielsweise über Honorarzuschläge attraktiver machen. Ärzte in Medizinischen Versorgungszentren können künftig aus dem Angestelltenverhältnis heraus wieder freiberuflich tätig werden. Diese Rückumwandlungsmöglichkeit war mir immer ein ganz besonderes Anliegen. Die Residenzpflicht wird aufgehoben und mobile Versorgungskonzepte können gefördert werden - damit wird eine breite Palette an Möglichkeiten eröffnet, die die Akteure nun nutzen können und nutzen werden.

Das Gesetz sieht auch die Einrichtung eines sektorenübergreifenden Gremiums zur Bedarfsplanung vor. An Gremien fehlt es im Gesundheitswesen ja nicht - war dieses neue wirklich notwendig?

Garg: Ich finde schon. Wir haben ja bereits über die Defizite in der Zusammenarbeit zwischen den Sektoren gesprochen. Das Gremium macht aber nur Sinn, wenn es nicht als Marktplatz zum Austausch bekannter Positionen genutzt wird, wenn die Beteiligten nicht nur erklären, was nicht geht und wenn es nicht nur um die Wahrung von Besitzständen geht. In diesem Fall wäre dieses Gremium tatsächlich überflüssig. Ich erwarte, dass dieses Gremium genutzt wird, um neue Wege aufzuzeigen, wie die Sektoren abgestimmter zusammenarbeiten können. Dann könnte ich mir vorstellen, dass mittelfristig vielleicht das eine oder andere Gremium, das sich nur mit seinem Sektor beschäftigt, weniger notwendig wird. (...)

Hinweis:
Das Interview ist in voller Länge im aktuellen Gesundheitsland Schleswig-Holstein Jahrbuch erschienen. Neben dem Interview mit dem Gesundheitsminister sind darin zahlreiche weitere Beiträge von Akteuren aus dem Gesundheitswesen in unserem Land enthalten. Kammerpräsident Dr. Franz-Joseph Bartmann beschreibt im Jahrbuch, wie die Gesundheitsversorgung der Menschen dauerhaft sichergestellt werden könnte. Das Jahrbuch können Sie kostenlos bei der Gesundheitsinitiative Schleswig-Holstein beziehen.

Schicken Sie eine E-Mail an thomas.reincke@sozmi.landsh.de.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 11/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201111/h11114a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Dr. rer. pol. Heiner Garg (Foto)

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt November 2011
64. Jahrgang, Seite 18 - 20
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.org
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2011

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