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ARTIKEL/1412: Präventionsgesetz - "Kein großer Wurf, kann man aber mit arbeiten." (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 7/8, Juli/August 2015

Kein großer Wurf
Experten sind sich einig: Das Präventionsgesetz bringt trotzdem Fortschritte.

Von Dirk Schnack


Nach mehreren Anläufen in vergangenen Legislaturperioden hat der Deutsche Bundestag am 18. Juni das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention verabschiedet. Ziel ist eine Stärkung der Gesundheitsförderung im Lebensumfeld wie Kita, Schule, Arbeitsplatz und Pflegeheim. Zugleich sollen die Grundlagen der Zusammenarbeit der Sozialversicherungsträger, der Länder und Kommunen gestärkt werden.

"Prävention und Gesundheitsförderung sollen dort greifen, wo Menschen leben, lernen und arbeiten. Mithilfe des Gesetzes werden außerdem die Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen weiterentwickelt und wichtige Maßnahmen ergriffen, um Impflücken in allen Altersstufen zu schließen", warb das Bundesgesundheitsministerium für das neue Gesetz.

Eine Veranstaltung der Barmer GEK in Hamburg zeigte, dass viele Akteure im Norden das Gesetz überwiegend begrüßen - allerdings fand die Veranstaltung auch kurz vor der Verabschiedung statt, als Änderungen nicht mehr möglich waren. Auch die Krankenkassen haben sich trotz einiger Kritikpunkte damit arrangiert.

"Kein großer Wurf, kann man aber mit arbeiten." So urteilte die Vorsitzende der Hamburgischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung (HAG), Prof. Corinna Petersen-Ewert, über das Präventionsgesetz. Sie betrachtet das Gesetz als "Startpunkt für die Verminderung sozialer und geschlechtsbezogener Ungleichheiten von Gesundheitschancen". Kritisch sieht sie Empfehlungen für Maßnahmen mit ungeklärter Wirksamkeit und die Aufzählung konkreter Gesundheitsziele.

Mit ihrer Einschätzung traf die Präventionsexpertin den Tenor auf der Veranstaltung. Hamburgs Barmer-Chef Frank Liedtke etwa bemängelte, dass die Länder und Kommunen nicht stärker in die Pflicht genommen werden, dass der Etat der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung auf fast das Doppelte aufgestockt werden soll, dass Budgets von Beginn an festgelegt werden, bevor Strukturen für die Gesundheitsförderung überhaupt entstanden sind und dass die Maßnahmen insgesamt die Versichertengemeinschaft stärker belasten. Unter dem Strich aber kann er sich mit dem Präventionsgesetz anfreunden, obwohl die positiven Wirkungen erst in einigen Jahrzehnten zu spüren sein werden.

Positiv sieht Liedtke die Mitsprachemöglichkeiten der Krankenkassen, die stärkeren Bemühungen um Gesundheitsförderung in den Betrieben und den Setting-Ansatz, mit dem die Prävention in die Lebenswelten der Menschen getragen wird. "Man muss den Rahmen so setzen, dass man sich einer gesunden Lebensführung nur schwer entziehen kann", sagte Liedtke dazu.

Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) betonte ebenfalls den Setting-Ansatz, weil nach ihrer Beobachtung die Ansätze für eine individuelle Verhaltensänderung an Grenzen gestoßen sind. Nun ist nach ihrer Ansicht die Zeit gekommen, die Mittel anders einzusetzen. Die Kritik an der damit verbundenen Kostensteigerung wies sie zurück: "Das Geld kommt von den Versicherten und geht zu den Versicherten." Und sie verkniff sich nicht den Seitenhieb auf bislang nicht immer vernünftig eingesetzte Beitragsgelder: "Wir geben den Kassen die Möglichkeit, ihr Geld dort zu investieren, wo es sinnvoll ist." Auch Dr. Klaus Schäfer, Vizepräsident der Ärztekammer Hamburg, hob hierauf ab. Er hält das Präventionsgesetz für erforderlich, damit Krankenkassen Investitionen, deren Wirkung sich erst langfristig zeigt, nicht länger scheuen. Hamburg sehen die Akteure in der Hansestadt schon jetzt in der Prävention gut aufgestellt, andere Bundesländer sind nach ihrer Beobachtung stärker darauf angewiesen, dass das Präventionsgesetz in Kraft tritt. Die in Hamburg bestehenden Strukturen - etwa der Pakt für Prävention - sollten nach Ansicht der Senatorin mit den zusätzlichen Mitteln gestärkt werden. Sie warb für die Einrichtung einer Landespräventionskonferenz, die Empfehlungen für die Hansestadt entwickelt.

Die wichtigsten Punkte des Präventionsgesetzes im Überblick:
  • Zusammenarbeit: Neben der gesetzlichen Krankenversicherung werden auch die gesetzliche Rentenversicherung und die gesetzliche Unfallversicherung, die soziale Pflegeversicherung und die Unternehmen der privaten Krankenversicherung eingebunden. In einer Nationalen Präventionskonferenz legen die Sozialversicherungsträger unter Beteiligung von Bund, Ländern, Kommunen, der Bundesagentur für Arbeit und der Sozialpartner gemeinsame Ziele fest und verständigen sich auf ein gemeinsames Vorgehen.
  • Die Soziale Pflegeversicherung erhält einen neuen Präventionsauftrag, um künftig auch Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen mit gesundheitsfördernden Angeboten erreichen zu können.
  • Impfprävention: Künftig soll der Impfschutz bei allen Routinegesundheitsuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie bei den Jugendarbeitsschutzuntersuchungen überprüft werden. Auch Betriebsärzte sollen allgemeine Schutzimpfungen vornehmen können. Bei der Aufnahme eines Kindes in die Kita muss ein Nachweis über eine ärztliche Impfberatung vorgelegt werden. Beim Auftreten von Masern in einer Gemeinschaftseinrichtung wie Kita, Schule und Hort können die zuständigen Behörden ungeimpfte Kinder vorübergehend ausschließen. Medizinische Einrichtungen dürfen die Einstellung von Beschäftigten vom Bestehen eines erforderlichen Impf- und Immunschutzes abhängig machen. Zudem können Krankenkassen Bonusleistungen für Impfungen vorsehen.
  • Gesundheits- und Früherkennungsuntersuchungen: Die bestehenden Untersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sollen weiterentwickelt werden. Künftig soll ein stärkeres Augenmerk auf die individuellen Belastungen und auf Risikofaktoren für das Entstehen von Krankheiten gelegt werden. Ärzte erhalten die Möglichkeit, Präventionsempfehlungen abzugeben und damit zum Erhalt und zur Verbesserung der Gesundheit ihrer Patienten beizutragen.


INFO

500 Mio. Euro sollen die Kranken- und Pflegekassen künftig für Gesundheitsförderung und Prävention investieren.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7-8/2015 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2015/201507/h15074a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
68. Jahrgang, Nr. 7/8, Juli/August 2015, Seite 20
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2015

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