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ARTIKEL/1414: Ambulante Versorgung - Sprechstunde auf der Warft (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2015

Ambulante Versorgung
Sprechstunde auf der Warft

Wer auf Hallig Hooge erkrankt, muss in aller Regel auf das Festland. Seit Kurzem gibt es jedoch eine ärztliche Sprechstunde.

von Dirk Schnack


Pellworm hat noch einen Hausarzt, natürlich auch die größeren Inseln Sylt, Föhr und Amrum. Auf den Halligen aber sind es die Menschen gewohnt, dass sie für die ärztliche Versorgung in aller Regel auf das Festland fahren müssen. Dies gilt auch für die rund 100 Bewohner von Hallig Hooge. Seit Sommer kommt nun im 14-tägigem Rhythmus ein Hausarzt zu ihnen: Dr. Gerhard Steinort und Dr. Heinz-Dieter Götzel wechseln sich für ihre Hausbesuche auf der Insel ab, nachdem sie eigentlich schon einige Jahre im Ruhestand waren. Praktiziert haben sie in dem kleinen Ort Langenhorn, nur wenige Autominuten vom Fährhafen Schlüttsiel entfernt. Von hier aus starten die beiden zu ihrem Arbeitstag, wenn sie jeweils an einem Dienstag durch das Wattenmeer zu ihren Patienten fahren.

An diesem Tag ist es Steinort, der sich kurz vor 10 Uhr an der Fähre Hilligenlei einfindet. Er ist einer der wenigen unter den rund 50 Gästen, die auf die Hallig übersetzen und aus beruflichen Gründen auf der Fähre sind; die meisten von ihnen sind an diesem Septembertag Touristen.

Während Steinort während der rund 75-minütigen Fährfahrt noch entspannt lesen kann, steht er mit dem Anlegen auf der Hallig unter Zeitdruck. Denn wenn er seinen Arbeitstag zu Hause beschließen möchte, muss er Punkt 15:45 Uhr wieder am Fähranleger sein - eine weitere Rückfahrt gibt es am gleichen Tag nicht mehr. Steinort wird von Thomas Frank mit dem Auto abgeholt. Der Krankenpfleger ist zusammen mit einer Kollegin Daueransprechpartner der Inselbewohner für gesundheitliche Probleme. Sie besetzen die medizinische Anlaufstelle und bereiten die Arztbesuche sorgfältig vor, damit die Arbeitszeit des Arztes so effektiv wie möglich genutzt werden kann. Bei der Ankunft berichtet Frank von 16 Patienten, die heute auf den Arzt warten, davon vier zu Hause.

Während der Krankenpfleger den Wagen startet, liest sich Steinort in die Patientenakte ein und stellt Frank gezielte Fragen. Nach wenigen Minuten haben sie die erste Warft erreicht und gehen zu einem betagten Patienten hinein. Steinort bleibt wenig Zeit, um über die Vorgeschichte, die ausgerechnet ihn auf die Hallig geführt hat, nachzudenken.

Die KV Schleswig-Holstein hatte Kollegen in Nordfriesland gezielt für diesen Dienst angesprochen. Die verwiesen auf Steinort und seinen Kollegen Götzel, die früher zwei Jahrzehnte lang in einer Einzelpraxis in Langenhorn praktiziert hatten. Aus ihren früheren Einzelpraxen haben Nachfolger inzwischen eine Gemeinschaftspraxis gebildet und auch Steinort und Götzel agieren nun als Team mit einem gemeinsamen Patientenstamm.

Steinort hat aber auch eine ganz persönliche Beziehung zu Hallig Hooge. Seine Mutter lebte früher auf Hooge und sein Großvater war Pastor auf der Hallig. Steinort selbst ist während einer Sturmflut auf der Überfahrt zwischen Hooge und der Insel Föhr geboren. Als Steinort zwei Jahre alt war, zog seine Mutter mit ihm aufs Festland nach Schleswig, später dann nach Süddeutschland. Steinort kam in der 1970er Jahren nach Schleswig-Holstein zurück, um sich in eigener Praxis niederzulassen. Dass er aber einmal auf der Hallig seiner Vorfahren Patienten behandeln würde, war für ihn nie absehbar. "Mit der KV-Anfrage schließt sich für mich am Ende des Berufslebens ein Kreis. Da konnte ich nicht nein sagen", sagt der 70-Jährige.

Als er den ersten Patientenbesuch abgeschlossen hat, drängt die Zeit noch mehr. Durch eine Fährverspätung und ein längeres Patientengespräch liegen er und Frank schon gewaltig im Zeitplan zurück. Steinort lässt sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen und findet auch bei den nächsten Stationen die Zeit, mit den Warftbewohnern noch ein Wort abseits der Erkrankung zu wechseln.

Auch Frank bleibt ganz gelassen. "Letzte Woche hättest Du hier sein sollen: Sieben Hubschraubereinsätze", erzählt er dem Arzt. Zufällig war eine Anästhesistin aus München unter den Urlaubern und konnte helfen. Bis der Helikopter eintraf, waren alle Patienten optimal versorgt. Der Ärztin hat die Herausforderung während des Urlaubs offenbar gefallen: "Die kommt nächstes Jahr wieder", sagt Frank.

Nach rund 90 Minuten haben die beiden ihre Hausbesuche erledigt und beginnen mit der Sprechstunde auf der Hanswarft. Hier liegt das Gemeindezentrum "Uns Halligus", ein kleiner Laden, ein wenig Gastronomie, ein paar Touristenattraktionen. Im Hauptgebäude befindet sich eine Information für Urlauber. Direkt daneben das Sprechzimmer, das sonst von Frank und der Gemeindekrankenschwester Barbara Kirschbaum-Schwalm genutzt wird. Die erste Patientin wartet bereits. Eine Anmeldung oder eine Wartezone gibt es nicht; wer auf Hooge zum Arzt muss, kann auf einem der beiden Besucherstühle vor der Touristeninformation Platz nehmen.

Frank ist bei den Behandlungen dabei und hilft mit seinem Hintergrundwissen über die Patienten. Jeder der Angemeldeten kommt pünktlich, keiner versäumt seinen Termin. Jeder wartet auf dem Flur. Weil auch die öffentliche Toilette in diesem Gebäude untergebracht ist, herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Fast jeder bleibt direkt vor dem jeweils wartenden Patienten stehen, weil über den Stühlen Informationsmaterial über die Hallig angebracht ist. Die Patienten scheint es nicht zu stören. "Wir sind froh, dass hier Sprechstunde ist", sagt einer.

Rund eine Stunde vor Abfahrt der Hilligenlei ist der letzte Patient für heute versorgt. Steinort und Frank können sich aber noch nicht entspannt zurücklehnen - jetzt geht es um die Eingabe aller Daten. Weil ohne Unterstützung einer Medizinischen Fachangestellten (MFA) gearbeitet wird, pflegt Steinort alle Daten im Nachhinein ein. Würde er dies bei jedem Patienten sofort erledigen, käme die Taktung durcheinander und er liefe Gefahr, nicht jeden Patienten sehen zu können. Für Steinort ist das Programm Neuland und die Dateneingabe offensichtlich die unangenehmste Tätigkeit an diesem Arbeitstag. Erst fünf Minuten vor Abfahrt der Fähre schaltet er den Praxiscomputer aus. Frank wartet mit laufendem Motor vor der Tür. Steinort hat gerade noch Zeit, seine Sachen zusammenzupacken. Eine Blutprobe, die er ins Labor bringen will, vergisst er dennoch. Frank setzt zunächst den Arzt vor der Fähre ab, um dann noch die Blutprobe zu holen. Als das gelungen ist, kann Steinort seinen Arbeitstag im Salon der Hilligenlei entspannt ausklingen lassen. Zufrieden zieht er eine Bilanz seines Arbeitstages. Er freut sich auf den nächsten Halligbesuch, aber auch auf die freie Zeit dazwischen.


16 Patienten waren beim dritten Arztbesuch Steinorts Rekordandrang. Weil auch Hausbesuche darunter sind und die Fährzeiten ihm maximal 4,5 Stunden Zeit lassen, ist der Arzt von Beginn an unter Zeitdruck.

100 Menschen leben auf Hallig Hooge - zu wenig für eine Hausarztpraxis vor Ort. Deshalb wechseln sich zwei Ärzte im 14-tägigen Rhythmus mit einer Sprechstunde im Gemeindezentrum der Hallig ab.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
68. Jahrgang, Nr. 10/2015, Oktober 2015, Seite 18-19
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2015

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