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INTERNATIONAL/001: Kanadische Regierung kappt medizinische Versorgung für Flüchtlinge (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Juli 2012

Menschenrechte: Kanadische Regierung kappt medizinische Versorgung für Flüchtlinge

von Jillian Kestler-D'Amours



Montréal, 5. Juli (IPS) - Von Küste zu Küste protestieren in Kanada Ärzte, Pflegepersonal, Menschenrechtsaktivisten und Provinzpolitiker gegen die am 1. Juli in Kraft getretenen massiven Kürzungen im Gesundheitsbereich. Das so genannte 'Interim Federal Health Program' (IFHP) gewährleistete bisher die begrenzte medizinische Grundversorgung von Flüchtlingen, Asylbewerbern und anderen Gruppen, die Kanadas kostenloses Gesundheitssystem nicht in Anspruch nehmen können. Insgesamt sind knapp 128.000 Personen von den Sparmaßnahmen der konservativen Regierung in Ottawa betroffen, die diese just am Nationalfeiertag beschlossen hat.

Kanadas Einwanderungsminister Jason Kenney begründete die Kürzungen mit Kostenersparnissen, die sich in den nächsten fünf Jahren auf 100 Millionen Dollar belaufen. Sie schützten zudem das kanadische Gesundheitssystem und hielten Gesundheitstouristen davon ab, sich seiner zu bedienen.

Nach Berichten der Zeitung 'Canadian Press' hatte Kenney auf einer Pressekonferenz erklärt: "Wenn nicht einmal unsere eigenen Bürger derlei zusätzliche Vorteile erhalten, warum sollten die Provinzen gezwungen werden, ihre Steuern etwa für abgewiesene Asylbewerber auszugeben? Bei vielen dieser Leute handelt es sich doch um illegale Einwanderer", sagte der Minister.

"Damit verlangt die Regierung, dass wir Ärzte chronisch kranken Menschen und Patienten mit akuten Erkrankungen Medikamente und in vielen Fällen jede Behandlung verweigern", kritisierte der Arzt Philip Berger. Er leitet die Abteilung für Familienmedizin im St. Michael's Hospital in Toronto. "Diese Maßnahme wird das kanadische Gesundheitssystem noch teuer zu stehen kommen", warnte Berger.

Auch seine Kollegin Jane Moloney übte heftige Kritik an den Kürzungen. Die Direktorin des 'North End Community Health Centre' in Halifax, der Provinzhauptstadt von Nova Scotia, erklärte, Ottawa wälze die finanziellen Lasten auf die Provinzen und damit praktisch auf alle kanadischen Steuerzahler ab.

Die Vorsitzende des Verbandes kommunaler Gesundheitszentren sagte IPS: "Man spart doch nichts, wenn man Kranke nicht behandelt, anstatt dafür zu sorgen, dass sie gesund bleiben. Am Ende müssen die Kosten für notwendige Medikamente auf lokaler Ebene gestemmt werden."


Provinzen protestieren

In einem Schreiben an Kenney und an Kanadas Gesundheitsministerin Leona Aglukkaq warf Ontarios Gesundheitsminister Deb Matthews der Bundesregierung vor, sie versage besonders benachteiligten Menschen ihre Hilfe und mache aus dem kanadischen Gesundheitssystem ein Klassensystem.

Die Provinzregierung von Québec hat angekündigt, sie werde vorübergehend die von ihrem Gesundheitsministerium auf fünf Millionen Dollar geschätzten Kosten für die medizinische Versorgung von Flüchtlingen übernehmen, für die das IFHP nicht länger aufkommt.

Unterdessen wird versucht, die Regierung in Ottawa mit landesweiten Unterschriftenaktionen und Demonstrationen zur Rücknahme ihrer gegen Flüchtlinge gerichteten Sparmaßnahmen zu bewegen.

Moloney betonte, alle Kanadier sollten diese Entwicklung mit Besorgnis beobachten. "Vielleicht wird demnächst auch anderen Randgruppen im Land die medizinische Versorgung verweigert", warnte sie.

"Die Kanadier sind sehr stolz darauf, dass ihr Gesundheitssystem sie kostenlos versorgt", sagte die Ärztin. "Wir geraten auf eine schiefe Bahn, wenn wir damit beginnen, diejenigen davon auszuschließen, die ohnehin ausgegrenzt sind und am ehesten auf diese Unterstützung angewiesen sind. Was wird wohl als Nächstes kommen? Die Aussichten sind erschreckend", klagte Moloney. (Ende/IPS/mp/jt/2012)


Links:

http://www.doctorsforrefugeecare.ca/
http://www.cachc.ca/
http://www.ipsnews.net/2012/07/canada-severely-curtails-refugee-health-care/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2012