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KASSEN/1059: Offene medizinische Rationierung mit Hilfe der e-Card (Aktion "Stoppt die e-Card")


Aktion "Stoppt-die-e-Card" - 24. Juni 2015

Offene medizinische Rationierung mit Hilfe der Elektronischen Gesundheitskarte


Bei einer kürzlich in Berlin durchgeführten Pressekonferenz des Spitzenverbandes Bund der gesetzlichen Krankenkassen wurde erstmals die Katze aus dem Sack gelassen:

Spitzenvertreter der Kassen planen offensichtlich, mit Hilfe von auf der "Gesundheitskarte" gespeicherten genetischen Patientendaten vom Medizinischen Dienst der Kassen entscheiden zu lassen, welcher Patient ein Medikament für seine schwere Erkrankung erhalten soll, und welcher nicht. Es geht dabei um teure Medikamente zum Beispiel für die Behandlung von Hepatitis C oder Krebserkrankungen. Der Ärztenachrichtendienst (ÄND) berichtet am 15.6.2015 aus der Pressekonferenz des Spitzenverbandes Bund der Kassen:

"Vorstellbar wäre, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen auf Grundlage der Patientenakten festlegt, welche Patienten welches Medikament bekommen", sagte dazu Studienautor Busse (*). "Oder es wäre eine Anwendung auf der elektronischen Gesundheitskarte", ergänzte Stackelberg. "Damit könnte es einen verschlüsselten Austausch zwischen Kassen und Ärzten geben."

Wir dokumentieren hier mit Erlaubnis des ÄND den gesamten Bericht im Weiteren. Wir sehen uns hier deutlich in unserer jahrelangen Kritik an dem eGK-Projekt bestätigt. Die Intentionen der Beteiligten drehen sich eben nicht, wie immer wieder vom Gesundheitsministerium konstatiert, um medizinische Verbesserungen für Versicherte und Patienten, sondern es wird ganz deutlich, dass es um Sparmaßnahmen, Rationierung und durch Kassen gesteuerte Versorgung ("Managed-Care Medizin") mit Hilfe von zentralisiert überwachten Medizindaten möglichst der gesamten Bevölkerung geht.

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Arzneimittelerstattung
Kassen wollen nicht mehr für alle Patienten zahlen

Von Thomas Trappe (ÄND) - Berlin, 15.06.2015


Der GKV-Spitzenverband will Subgruppen von Medikamenten, bei denen kein Zusatznutzen bewiesen ist, von der Erstattung ausschließen. Dazu sollen auch Genotypen erhoben - und auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden.

Das Amnog-Verfahren sollte nach europäischem Vorbild verschärft werden, um so die Kassenausgaben für Arzneimittel zu senken. Mit einem weitgehenden Reformvorschlag geht der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) jetzt an die Öffentlichkeit - würde er umgesetzt, bedeutete dies massive Einschnitte für Ärzte, Patienten und vor allem die Pharmaindustrie. In Rede steht unter anderem, nur noch einzelnen Patientengruppen Medikamente zu erstatten, und zwar jenen, bei denen ein Zusatznutzen feststellbar ist. Bisher gilt der Grundsatz, dass Medikamente, bei denen für mindestens eine "Subgruppe" im Amnog-Verfahren (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz) ein Zusatznutzen festgestellt wurde, dann generell allen Patienten erstattet wird.

Das, erklärte nun Spitzenverbands-Vize Johann-Magnus von Stackelberg am Montag in Berlin, sollte sich ändern - und nur noch für Patienten gezahlt werden, die zu der Subgruppe gehören. "In fast allen anderen europäischen Ländern haben wir diese Differenzierung auch." Es seien auch Genotyp-Analysen denkbar, die auf der elektronischen Gesundheitskarte eGK gespeichert werden könnten.

Grundlage des Forderungskatalogs der Kassen ist eine Studie, die der Spitzenverband in Auftrag gab und deren Ergebnisse nun vorgestellt wurden. Prof. Reinhard Busse, Experte für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin, verglich dafür die Arzneimittelversorgung und deren Kosten in 16 europäischen Ländern und deren gesetzlichen Krankenversicherungen. Demnach werden in Deutschland auch nach der Einführung des Amnog-Verfahrens - also der frühen Nutzenbewertung mit anschließender Preisverhandlung zwischen Kassen und Herstellern - Arzneimittel mit am schnellsten auf Zusatznutzen überprüft.

Einher gehe das mit einer deutschen Sondersituation: Dass nahezu alle Medikamente erstattet würden. Anders als zum Beispiel in England, wo laut Busses Erhebungen etwas weniger als jedes fünfte Medikament im Jahr 2012 von den Kassen übernommen wurde, ein anderes Fünftel nicht. Besonderes Augenmerk galt dabei den restlichen 60 Prozent in England: Hier nämlich gab es nur eine "bedingte Erstattung", ganz wie in anderen Ländern auch. Diese bedingte Erstattung kann abhängig sein von der Indikation, der verordnenden Fachgruppe, dem "Verordnungskontext" oder "anderer Patientencharakteristika".

"Wir müssen uns mit Kostenaspekten der Verschreibungen beschäftigen"

Da es in Deutschland diese Einschränkungen bei der Erstattung nicht gebe, so Busse, hätten sich im Zusammenspiel mit steigenden Medikamentenpreisen in den vergangenen Jahren die deutschen Kassenausgaben aus dem europäischen Mittelfeld an die Spitze geschoben. "Wir haben in Deutschland kein Problem mit dem Zugang zu neuen Medikamenten", lautete sein Fazit. "Wir müssen uns aber mit den Kosten- und Qualitätsaspekten der Verschreibungen beschäftigen." Was zur Forderung des GKV-Spitzenverbands führt, die Busse so formuliert: "Um das Preis-Leistungs-Verhältnis bei neuen Medikamenten zu verbessern, sollte auch in Deutschland eine gezielte Nutzungssteuerung bei neuen Arzneimitteln erwogen werden." Da der Gemeinsame Bundesausschuss die frühe Nutzenbewertung bereits auf Grundlage von Subgruppen durchführe, lägen die erforderlichen Daten auch bereits vor.

Der Verbands-Vize Stackelberg sieht in der Studie zunächst einen Beleg für die generelle Kassenauffassung, dass es auch mit dem Amnog-Verfahren in Deutschland ein gutes Innovationsklima für Arzneimittel gebe. "Innovationen sind direkt nach der amtlichen Zulassung für alle GKV-Patienten verfügbar und damit auch unmittelbar eine Einnahmequelle für den Hersteller - und das auf einem überdurchschnittlichen Preisniveau."

Das seit 2011 geltende Amnog-Verfahren sei ein großer Fortschritt "gegenüber dem früher herrschenden Preisdiktat der Industrie", sagte Stackelberg. Nun aber seien neue Schritte notwendig, die der Gesetzgeber einleiten müsste.

GKV-Spitzenverband beklagt "Teppichhändlereffekt"

Stackelberg thematisierte dabei auch den von vielen Gesundheitspolitikern und Kassenvertretern immer wieder beklagten "Teppichhändlereffekt". Denn nachdem ein neues Arzneimittel zugelassen wurde, kann es der Hersteller zu einem nach seinem Ermessen festgesetzten Preis auf den Markt bringen - die in Verhandlungen nach der Nutzenbewertung festgesetzten Preise gelten erst ab dem zweiten Jahr. Dies führt bisher oft dazu, dass zunächst völlig überhöhte Preise verlangt werden, die die Kassen tragen müssen. Um dies zu ändern, so die Forderung Stackelbergs, "wäre es sinnvoll, den Erstattungspreis rückwirkend gelten zu lassen". Den Herstellern sei diese Preisfindung zuzumuten, da sie auf Erfahrung der eingespielten Amnog-Prozesse zurückgreifen könnten.

Auch bei der umstrittenen Bestandsmarktregelung sieht der Spitzenverband offenbar Handlungsbedarf. Beim Amnog-Verfahren nämlich sind bis jetzt nur Medikamente erfasst, die neu auf den Markt kommen, alle anderen nicht. Stackelberg betonte, "dass wir diese Regelung nicht durch die Hintertür auflösen wollen", will aber auch hier mehr Restriktionen. So sollten neue Indikationen bei bereits eingeführten Medikamenten, anders als bisher, die frühe Nutzenbewertung durchlaufen. Fielen sie durch, dürfte für diese Indikation nur noch die günstigere Vergleichstherapie angeboten werden.

Die umstrittenste der heutigen Forderungen allerdings dürfte die nach einer Subgruppen-Unterteilung sein. "Die Gruppe, die keinen Zusatznutzen hat, sollte von der Erstattung ausgeschlossen werden", fasste Stackelberg zusammen. Dazu könnten offensichtliche Indikatoren wie das Alter oder das Geschlecht herangezogen werden, aber auch Genotypen, sagte er. "Wenn man den Startschuss gibt, kann man auch kompliziertere Unterscheidungsverfahren machen. Dazu brauchen wir aber eine Gesetzesänderung." Vorstellbar wäre, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen auf Grundlage der Patientenakten festlegt, welche Patienten welches Medikament bekommen, sagte dazu Studienautor Busse. "Oder es wäre eine Anwendung auf der elektronischen Gesundheitskarte", ergänzte Stackelberg. Damit könnte es einen verschlüsselten Austausch zwischen Kassen und Ärzten geben.

URL des Artikels: https://www.aend.de/article/158377
© Ärztenachrichtendienst (ÄND) Verlags-AG
https://www.aend.de/articleprint/158377

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Über die Aktion "Stoppt die e-Card"

"Stoppt die e-Card" ist ein breites Bündnis von 54 Bürgerrechtsorganisationen, Datenschützern, Patienten- und Ärzteverbänden. Unter anderem gehören dazu: Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, Digitalcourage, Chaos Computer Club, IPPNW, Freie Ärzteschaft e. V., NAV-Virchowbund, Deutsche AIDS-Hilfe. Das Bündnis lehnt die eGK ab und fordert, das milliardenschwere Projekt einzustampfen. Sprecher der Aktion "Stoppt die e-Card" sind Dr. Silke Lüder, Gabi Thiess, Dr. Manfred Lotze und Kai-Uwe Steffens.

Hier der Link auf unsere Internetseite:
http://www.stoppt-die-e-Card.de/index.php?/archives/312-Offene-medizinische-Rationierung-mit-Hilfe-der-Elektronischen-Gesundheitskarte.html


(*) Reinhard Busse ist Professor für Management im Gesundheitswesen an der Fakultät Wirtschaft und Management der Technischen Universität Berlin und verglich für den GKV-Spitzenverband die Arzneimittelversorgung in 16 europäischen Ländern.

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Quelle:
Bündnis "Stoppt die e-Card"
Freie Ärzteschaft e.V.
Presse: Dr. Silke Lüder
Fachärztin für Allgemeinmedizin
Grachtenplatz 7, 21035 Hamburg
E-Mail: mail@silkelueder.de
Internet: www.stoppt-die-e-card.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2015

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