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POLITIK/1882: Kammerversammlung - Kommunikation zwischen niedergelassenen und Klinikärzten verbessern (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 12/2016

Kammerversammlung
"Grandiose Idee" künftig als Prolog

von Dirk Schnack


Kommunikation zwischen niedergelassenen und Klinikärzten soll verbessert werden. Anregungen dazu wollen die Abgeordneten liefern.


Wohl jeder Klinikarzt hat solche Situation schon einmal erlebt: Er muss aus der Klinik für einen Patienten schnell etwas abklären, erreicht den Kollegen in der Praxis aber nach der Sprechstunde nicht mehr. Umgekehrt versuchen niedergelassene Ärzte mitunter vergebens, Klinikkollegen zu erreichen, weil auf der Station einfach keine Zeit ist.

Die Kommunikation zwischen Ärzten im Krankenhaus und in der Praxis ist ohne Zweifel optimierbar, auch wenn es viele funktionierende Beispiele gibt. Die Abgeordnete Dr. Waltraud Anemüller und Vorstandsmitglied Petra Imme - eine Klinikärztin und eine niedergelassene Kollegin - warben in der Kammerversammlung für eine bessere Kommunikation untereinander - nicht über digitale Wege, sondern im persönlichen Austausch. Nicht jedes Angebot wird angenommen, wie Anemüller deutlich machte. So erhalten manche Kliniken kaum Anrufe aus den Praxen, obwohl die Telefonnummern der diensthabenden Ärzte auf jedem Entlassungsbrief angegeben werden.

In der Kammerversammlung stieß die Initiative auf breite Resonanz. Petra Struve war sich zwar nicht sicher, ob die Kammerversammlung für die Erarbeitung solcher Lösungsvorschläge das richtige Gremium ist und plädierte für regionale Lösungen. Matthias Seusing wiederum sah schon die vielen Wortmeldungen als Indiz dafür, dass auf die Anregung reagiert werden muss. So sah es auch Kammerpräsident Dr. Franz Bartmann, der von einer "grandiosen Idee" sprach. Die Mehrheit der Kammerversammlungsmitglieder sah es ebenfalls positiv. Bei wenigen Gegenstimmen wurde beschlossen, dass auf der nächsten Versammlung am 22. März konkret über mögliche Verbesserungen in der Kommunikation gesprochen werden soll. Ob künftig regelhaft in der Kammerversammlung über mögliche Lösungen für Defizite im täglichen Arbeitsalltag diskutiert wird, steht noch nicht fest. Bartmann könnte sich zumindest vorstellen, solche Themen künftig als "Prolog vor den Pflichtaufgaben" zu diskutieren. Die Entscheidung über die weitere Vorgehensweise wird auch von der Premiere in der nächsten Kammerversammlung abhängen.

In seinem Bericht ging der Präsident auf ein Thema ein, das in den vorangegangenen Monaten nicht nur Ärzte und Krankenkassen, sondern die gesamte Öffentlichkeit beschäftigt hatte: Das richtige Codieren. Dass es dabei um ein Right- und nicht um ein Up-Coding geht, war nach Bartmanns Wahrnehmung in der öffentlichen Debatte auch nicht jedem Arzt klar. Tatsächlich ist es so: Wenn nicht richtig codiert wird, hat dies Auswirkungen auf die Finanzströme zwischen den Krankenkassen, außerdem werden die Daten für Versorgungsforschung und Epidemiologie verfälscht. Bundesländer, in denen Ärzte nachlässig mit der Codierung umgehen, laufen Gefahr, dass Versorgungsmittel an ihrer Region vorbei fließen. Ob Krankenkassen diese Daten für die Erfüllung ihrer Aufgaben wirklich benötigen, "darüber kann man trefflich streiten", so Bartmann. Fest steht: Seit 2004 haben die Krankenkassen diese Daten und nutzen sie auch. Bartmann erinnerte in diesem Zusammenhang an das Projekt elektronische Behandlungsinformation (eBI) der Knappschaft, die mit Zustimmung des Patienten dem nachfragenden Arzt oder Krankenhaus ein komplettes Krankendossier zur Verfügung stellt. Die Techniker Krankenkasse (TK) - deren Vorstandschef Dr. Jens Baas die oben erwähnte Diskussion um das Codieren mit seinen Äußerungen in den Medien losgetreten hatte - geht inzwischen noch einen Schritt weiter. Sie hatte vor einigen Wochen die Entwicklung einer elektronischen Patientenakte ausgeschrieben und "dies auch publizistisch ausgeweitet", wie Bartmann sagte - "mit dem Hinweis, dass die Ärzte dies niemals zustande bringen würden, weil eine Zusammenführung aller verfügbaren Krankheitsdaten, nichts anderes ist eine elektronische Patientenakte, nicht erwünscht sei". Die Kasse wiederum könne dies ihren Versicherten und den interessierten Ärzten nicht länger vorenthalten, so die Argumentation des TK-Chefs. Nun stehe zu erwarten, dass die elektronische Patientenakte der TK wohl der Prototyp außerhalb bereits verfügbarer Akten von Apple, Microsoft und Google in Deutschland werde.

Bartmann erinnerte auch an Äußerungen von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) auf der jüngsten Medica, wonach er in nächster Zukunft mit mehreren Gesundheitsakten rechnet, deren Voraussetzung für den offiziellen Gebrauch in der Versorgung gesetzlich Versicherter in erster Linie die Interoperabilität sei. "Das kann man auch als Go von oberster Stelle interpretieren", sagte Bartmann. Er verwies auf die von Anemüller und vielen anderen Ärzten wahrgenommenen Kommunikationsprobleme zwischen Kliniken und Praxen. Der bislang gepflegte Informationsaustausch zeigt nach Ansicht Bartmanns, "dass Baas mit seiner Kritik wohl nicht ganz falsch liegt". Und: "Bevor der Patient in Deutschland, wie es heute nur in Sonn- und Feiertagsreden vorkommt, nicht tatsächlich im Zentrum einer gemeinschaftlichen Behandlung steht, sondern diese als eine Kettung aneinandergereihter individualer dualer Beziehungen verstanden wird, wird sich daran auch nichts Entscheidendes ändern."

Bartmann ging aber auch auf einige landesspezifische Themen der vorangegangenen Wochen ein. Besonders eine Passage aus dem Gesetzentwurf zur Neuordnung der Hochschulmedizin lag Bartmann am Herzen. Im Entwurf hieß es: "Bei der Wahrnehmung von Aufgaben in der Krankenversorgung unterliegen die Mitarbeiter dem Direktionsrecht des Vorstads des Klinikums." Nicht nur Bartmann wertete dies als "Ungeheuerlichkeit". Zuvor hatte schon Vize-Präsident Dr. Henrik Herrmann als Vorsitzender des Marburger Bundes interveniert und öffentlich auf die Folgen hingewiesen, sollte diese Passage nicht verändert werden. Erschwerend kam für die Ärztekammer bei dieser Angelegenheit noch hinzu: Für das Anhörungsverfahren vor dem Gesundheitsausschuss war die Ärztekammer schlicht vergessen worden. Gut, dass die Kammer in regelmäßigem Austausch mit dem Ministerium steht und sich noch einbringen konnte. Bartmann versprach: "Wir werden alles daran setzen, dass dieser Satz nicht zur Abstimmung kommt."

Ein anderes Thema aus dem Land waren die aus Versorgungsdefiziten entstandenen Lösunggsansätze, die in Dithmarschen erarbeitet werden. Bartmann nannte als Beispiele die Umstrukturierung des Krankenhauses in Brunsbüttel zum Integrierten Versorgungszentrum, das bundesweit erste Ärztezentrum in kommunaler Trägerschaft in Büsum und den Modellversuch mit einheitlicher Steuerung der Patienten in der Notfallambulanz des Westküstenklinikums in Heide. Noch steht nicht fest, welche Erfahrungen mit diesen Konzepten gesammelt werden. Aber Bartmann ist froh, dass so intensiv an Lösungen gearbeitet wird: "Dithmarschen entwickelt sich zu einer Modellregion."

Die hierzulande unumstrittenen Vorteile eines weiteren Modells aus Schleswig-Holstein, QuaMaDi, werden bundesweit offensichtlich nicht im gleichen Ausmaß wahrgenommen. Zumindest wird die Digitalisierung des QuaMaDi-Prozesses nicht wie erhofft über den Innovationsfonds gefördert - der Antrag wurde ohne Begründung abgelehnt. "Ein herber Schlag ins Kontor, vor allem für die betroffenen Patientinnen", so Bartmann. Er versicherte aber, dass die Ärztekammer die Bemühungen der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) um eine Fortführung unterstützt: "Wir sollten jede Gelegenheit nutzen, Einfluss zu nehmen. Es wäre nicht mit anzusehen, wenn dieses Programm eingestellt wird."


Anmerkungen

- 9 Delegierte fahren zum 120. Deutschen Ärztetag vom 23. bis 26. Mai in Freiburg. Neben fünf Mitgliedern des Kammervorstands sind dies die beiden Klinikärztinnen Dr. Sabine Reinhold und Birte Leykum und die niedergelassenen Ärzte Dr. Ilka Petersen-Vellmar und Dr. Hans Irmer. Die vier Delegierten wurden von der Kammerversammlung gewählt.

- Lobte die Impulse, die von den Modellprojekten in Dithmarschen ausgehen: Kammerpräsident Dr. Franz Bartmann in der Kammerversammlung in Bad Segeberg.

- Wechsel: Thomas Montag wurde zum neuen stellvertretenden Vorsitzenden im Verwaltungsrat der Versorgungseinrichtung gewählt. Er löst Dr. Holger Andresen ab, der aber weiterhin Mitglied des Gremiums bleibt.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 12/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201612/h16124a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, Dezember 2016, Seite 16 - 17
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2017

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