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POLITIK/1891: Interview mit Schleswig-Holsteins neuem Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 9/2017

Interview
"Meine Tür steht immer offen"

Dirk Schnack sprach mit Heiner Garg


Schleswig-Holsteins neuer Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg sucht den Dialog: Lösungen sollen mit den Akteuren besprochen werden.


Seine erste Amtszeit bezeichnet Dr. rer. pol. Heiner Garg als "unvollendete". Ganze drei Jahre hatte Garg als Minister von 2009 bis 2012, nun richtet er sich auf "mindestens fünf Jahre" ein, wie er im Gespräch mit dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt sagte. Diese Zeit will er nutzen, um die Versorgungsstrukturen auf die künftigen Bedingungen einzustellen - "im Zusammenspiel mit allen Beteiligten", wie er betont.

SHÄ: Sie waren fünf Jahre weg - was hat sich seitdem verändert im Ministerium?

Dr. Heiner Garg: Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich nur kurz weg gewesen; viele bekannte Gesichter sind zum Glück noch da. Sicher nicht zum Besseren verändert hat sich die Personalausstattung. Um allen Herausforderungen gerecht zu werden, sind qualifizierte Mitarbeiter in den Ministerien die Voraussetzung. Verändert hat sich zum Glück auch die finanzielle Situation des Landes, und zwar fundamental. Das gibt Hoffnung, dass wir mit einer verantwortungsvollen Politik positive Impulse für die Gesundheitsversorgung in Schleswig-Holstein setzen können.

Warum war es für Sie erstrebenswert, ausgerechnet dieses Amt erneut und kein anderes Ressort anzustreben? 2012 waren Sie sich ja keineswegs sicher, ob Sie in der Politik bleiben würden. Europa fanden Sie spannender als Berlin. Nun ist es doch wieder Kiel geworden - warum?

Garg: Weil ich mir kein schöneres Ressort wünschen könnte. Die Arbeit mit und für Menschen liegt mir in der DNA. Und die erste Amtsperiode ist nach meiner Wahrnehmung mit nur drei Jahren eine unvollendete, manches konnte man in dieser Zeit nicht zu Ende bringen. Gesundheitspolitik erscheint vielen eher als sperriges Thema - mir nicht, ich werde sie im Ministerium wieder zur Chefsache machen.

Was unterscheidet den Gesundheitsminister Garg 2017 von dem 2009? Was werden Sie anders machen?

Garg: Ich glaube, dass ich deutlich ruhiger bin als damals, aber hoffentlich nicht weniger umtriebig. Ich weiß heute besser, wie die Behörde funktioniert und dass nicht alles innerhalb von 14 Tagen umgesetzt werden kann und muss. Und ich habe gelernt, dass die Mitarbeiter die wertvollste Ressource sind, um Ziele zu erreichen. Hier sitzen die Experten mit dem notwendigen Fachwissen, das Politik bei der Gestaltung nutzen sollte - neben dem der Selbstverwaltung.

Stichwort Selbstverwaltung: Zum Ende Ihrer ersten Amtsperiode haben Sie den Akteuren im Gesundheitswesen empfohlen, nicht auf die Politik zu warten, um etwas zu verändern, sondern selbst etwas anzuschieben. Ist das gelungen in den vergangenen fünf Jahren?

Garg: Nur zum Teil. Ich bin immer für eine Stärkung der Selbstverwaltung eingetreten und bin immer noch fasziniert von diesem Modell. Selbstverwaltung kann Probleme lösen, ohne dass Politik eingreifen müsste. Ich habe aber das Gefühl, dass im Dialog noch mehr erreicht werden könnte. Das heißt nicht, dass wir nicht auch mal anderer Meinung sein dürfen wie etwa bei der Landarztquote. Aber es gilt: Meine Tür ist immer offen. Ohne Ärztekammer, Kassenärztliche Vereinigung, Krankenkassen und andere Institutionen im Gesundheitswesen funktioniert die Versorgung nicht. Ich will den Austausch mit ihnen intensivieren.

Im Koalitionsvertrag haben Sie im Abschnitt Gesundheit die Bedeutung der Selbstverwaltung und bei der ambulanten Versorgung die der freiberuflich Tätigen besonders betont. Warum war das aus Ihrer Sicht notwendig?

Garg: Niemand soll mir erzählen, dass Freiberuflichkeit von gestern ist oder dass man gar darauf verzichten könnte. Das Gegenteil ist der Fall: Freiberuflichkeit ist das Rückgrat der Versorgung im Gesundheitswesen und das muss manchmal ausdrücklich gesagt werden.

Zurück zur Landarztquote für Medizinstudenten. Anders als andere Bundesländer und die Vorgängerregierung wollen Sie diese einführen. Der Koalitionsvertrag liest sich, als sei dies schon entschieden - oder ist da das letzte Wort noch nicht gesprochen?

Garg: Es ist sicher kein Geheimnis, dass die Landarztquote keine FDP-Forderung war. Aber wir unterscheiden in der Regierung nicht nach "schwarzer Quote" oder grüner oder gelber. Wir tragen das gemeinsam. Seien Sie sicher, dass wir die Quote nicht überstürzt einführen werden. Die Gesundheitsministerkonferenz hat zu diesem Thema eine Arbeitsgruppe gegründet, deren Ergebnisse warten wir ab. Wir werden nichts unternehmen, was verfassungsrechtlich nicht einwandfrei wäre.

Glauben Sie, dass 18-Jährige beurteilen können, ob die ärztliche Tätigkeit auf dem Land für sie ab dem 30. Lebensjahr das Richtige ist?

Garg: Das ist ein Argument, das wir sehr ernst nehmen. Auch haben wir die kritische Haltung von KV und Ärztekammer zu diesem Thema wahrgenommen und beschäftigen uns damit. Sicherlich wird es auch keine Verpflichtung für Jahrzehnte geben können, sondern nur für einen überschaubaren Zeitraum.

Welche weiteren Maßnahmen könnten aus Ihrer Sicht helfen, die ambulante Versorgung zu stärken? Kommt etwa das Docmobil zurück?

Garg: Der Modellversuch in Niedersachsen hat nicht gerade exzellente Ergebnisse gebracht, also wohl eher nicht. Aber ich finde es weiterhin richtig, Dinge auszuprobieren und neue Versorgungslösungen nicht dem Zufall zu überlassen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir Lösungen testen, bei denen Menschen zum Arzt gebracht werden, wenn sich keine Versorgung vor Ort befindet. Wir wollen schauen, warum das Modell Büsum bislang in anderen Regionen nur zögerlich aufgegriffen wird.

Kommen wir zur stationären Versorgung. Sie haben ein
Landeskrankenhausgesetz angekündigt - zu welchem Zweck?

Garg: Weil wir damit ein klares Regelwerk zur Steuerung der Kliniklandschaft schaffen und den Klinikträgern gesetzlich zusichern, dass Investitionen gefördert werden. Wir werden auch nicht zwischen "guten" und "schlechten" Trägern unterscheiden. Private Träger haben genauso Anspruch auf die Förderung wie öffentliche oder frei-gemeinnützige Träger.

An vielen Standorten gibt es Investitionsstau, auch in Flensburg. Dort gibt es schon zugesagte Fördermittel für beide Kliniken, nun will man doch eine neue bauen. Wie beurteilen Sie das aus Sicht des Ministeriums?

Garg: Das ist eine ausgesprochen interessante Entwicklung. Ich werde mich bei den Beteiligten in Flensburg informieren, wie verbindlich man diese gemeinsame Lösung angehen will und danach entscheiden. Es wird nicht einfach, u. a. weil ja schon Fördermittel geflossen sind. Wenn alle Beteiligten den Zentralneubau wirklich wollen, werden wir alle Möglichkeiten ausloten, wie sich das umsetzen ließe.

Für die Geburtshilfe kündigen Sie im Koalitionsvertrag ein "landesweit gültiges Geburtshilfekonzept" an. Hebammengeleitete Kreißsäle, Übernahme der Haftpflichtprämien, Ausbau der Ausbildungskapazitäten sind genannt. Wird es weitere Schließungen kleinerer Geburtshilfestationen geben in SH?

Garg: Das lässt sich heute nicht beantworten. Ich erwarte, dass sich die Versorgungslandschaft weiter verändert. Wir wollen mit den Akteuren vor Ort Lösungen für die jeweilige Situation diskutieren. Aber wir brauchen das Konzept und den Austausch, damit wir uns nicht weiter von einem Einzelfall zum nächsten treiben lassen.

Wenig Raum nimmt der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) im Koalitionsvertrag ein, obwohl aus diesem Bereich immer wieder zu hören ist, wie prekär die Personallage ist. Viele Gesundheitsämter haben Mühe, die ihnen zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen und suchen händeringend Personal. Wie soll sich das ändern?

Garg: Der ÖGD wurde in allen Bundesländern systematisch ausgetrocknet. Wir brauchen eine Attraktivitätssteigerung, zum Beispiel indem wir interessierten ärztlichen Berufswechslern bessere Besoldungsstrukturen bieten. Ob das möglich ist und wie das im Detail aussehen könnte, muss man gemeinsam mit den Kreisen und Kommunen besprechen.

Zur Pflege: Sie sind ein Kritiker der in Gründung befindlichen Pflegeberufekammer. Dennoch wird die Gründung jetzt fortgeführt. Warum? Wie wollen Sie erreichen, dass es zwischen der Spitze des Ministeriums und der künftigen Kammer zu einer vernünftigen Arbeitsbasis kommt?

Garg: Bekanntlich bildet kein Koalitionsvertrag eins zu eins die Position einer Partei ab. Um die Pflegekammer haben wir sehr sportlich gerungen und uns auf Wunsch der Grünen verständigt, den Errichtungsprozess nicht mehr zu stoppen. Auch wenn sich an meiner Haltung nichts geändert hat, gehe ich von einer professionellen Zusammenarbeit auf beiden Seiten aus. Ich erwarte von der Pflegekammer, dass sie auch die Kritiker innerhalb der Pflegeberufe überzeugt.

Die Chancen der Digitalisierung für die Gesundheitsversorgung werden im Koalitionsvertrag besonders betont. Warum war das notwendig?

Garg: Weil sie helfen wird, die Herausforderungen in der Versorgung zu bewältigen und weil wir ein Klima brauchen, in dem man unter Anerkennung der Realitäten neue Modelle erproben kann. Ich bin sehr froh, dass wir mit Dr. Franz Bartmann jemanden in Schleswig-Holstein haben, der vorbildlich und konstruktiv mit dem Thema umgeht.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Dr. Heiner Garg ist seit kurzem erneut Gesundheits- und Sozialminister in Schleswig-Holstein. Der 51-jährige Volkswirt war bereits von 2009 bis 2012 in dieser Position tätig. Mit Gesundheitspolitik beschäftigt sich der in Freiburg aufgewachsene Garg seit über 20 Jahren. Er startete seine Karriere im Kieler Landeshaus Mitte der 90er Jahre als wissenschaftlicher Referent der FDP-Landtagsfraktion. Ungewöhnlich ist nicht nur seine Rückkehr auf den Ministerposten. Auch in der Zwischenzeit hatte sich Garg in der Opposition um die Gesundheitspolitik gekümmert. Garg ist auch Landesvorsitzender seiner Partei.

- Dr. Heiner Garg in seinem Amtszimmer im Kieler Sozialministerium im Gespräch mit Dirk Schnack vom Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 9/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201709/h17094a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, September 2017, Seite 12 - 13
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2017

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