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POLITIK/2004: Terminservicestellen - Berufsverbände befürchten unzufriedene Patienten (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2019

TSVG und TSS
Offene Sprechstunde macht unzufrieden

von Dirk Schnack


KVSH und die Berufsverbände der Augenärzte und der Nervenärzte befürchten unzufriedene Patienten, weil die von der Politik mit der offenen Sprechstunde geschürte Erwartungshaltung zu hoch ist. Terminservicestelle in ihrer bisherigen Form wird selten genutzt.


Terminservicestellen (TSS) waren unter niedergelassenen Ärzten von Beginn an umstritten und die zur Umsetzung verpflichteten KVen waren unglücklich mit der neuen Aufgabe. Die bisherigen Erfahrungen mit den TSS zeigen, dass die Vorbehalte nicht unbegründet waren. Nun wird an einer neuen Perspektive gearbeitet - ab 2020 werden die TSS zu einem Instrument der Patientensteuerung.

Eine Bilanz der TSS in Bad Segeberg zeigt für Schleswig-Holstein, dass seit dem Start im Jahr 2016 bis Sommer 2019 rund 87.000 Patienten bei der Vermittlungsstelle angerufen hatten, eine im Vergleich zu den in den Praxen behandelten Patienten geringe Zahl. Schon während der Bandansage mit den üblichen Hinweisen etwa zum Datenschutz hatten rund 23.000 Anrufer wieder aufgelegt. Von den persönlich angenommenen rund 64.000 Anrufen erfüllten weniger als 40.000 die gesetzlichen Vorgaben zur Nutzung der TSS; ihnen wurde eine Arztpraxis zur Terminvereinbarung genannt. Am häufigsten wurden Psychotherapeuten (41 Prozent aller Termine), Ärzte für Nervenheilkunde und Neurologie, Psychiater, Kardiologen und Rheumatologen nachgefragt.

Anders als in anderen Bundesländern wird der Termin in Schleswig-Holstein nicht von der TSS vergeben, sondern in der vermittelten Praxis. Die KV will damit erreichen, dass so wenig wie möglich in die Praxisorganisation eingegriffen wird und die Terminvereinbarung innerhalb der vierwöchigen Frist direkt zwischen Patient und Praxis stattfinden kann.

Die Auswertung zeigt, dass rund elf Prozent der vereinbarten Termine von den Patienten nicht eingehalten wurden, teils ohne, teils nach sehr kurzfristiger Absage. "Dass Patienten Termine einfach nicht wahrnehmen und damit für andere Versicherte blockieren, ist nicht nur ärgerlich, sondern geht auch zulasten der Ärzte. Bei Fachärzten, die für Untersuchungen längere Behandlungszeiten reservieren müssen, entsteht ein wirtschaftlicher Schaden, auf dem die Praxen sitzen bleiben", sagte KV-Pressesprecher Marco Dethlefsen hierzu.

Die Terminvermittlungen durch die TSS waren zunächst auf fachärztliche Praxen beschränkt und seit 2017 auf psychotherapeutische Praxen ausgeweitet worden. Seit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) können sich Versicherte auch Termine bei Hausärzten, für Vorsorgeuntersuchungen bei Pädiatern sowie bei beiden Fachgruppen einen Arzt für eine kontinuierliche Betreuung vermitteln lassen. Damit hatte der Gesetzgeber auf eine öffentliche Diskussion über vermeintlich zu lange Wartezeiten und überfüllte Praxen reagiert. Die Zahlen zeigen, dass die Versicherten zumindest über die TSS kaum Abhilfe suchen. Termine bei Hausärzten haben sich in den vier Monaten seit Inkrafttreten des Gesetzes in Schleswig-Holstein nur 20 Patienten vermitteln lassen, nach einer langfristigen Hausarztbeziehung haben 82 Menschen gesucht. Vorsorgeuntersuchungen bei Pädiatern haben sich sechs Eltern vermitteln lassen, eine kontinuierliche Betreuung durch eine pädiatrische Praxis haben drei über diesen Weg gesucht.

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6 Eltern aus Schleswig-Holstein haben sich bislang über die Terminservicestelle eine pädiatrische Praxis für eine Vorsorgeuntersuchung ihres Kindes vermitteln lassen. 20 Anrufer haben sich an eine Hausarztpraxis vermitteln lassen. Im Vergleich zu den Behandlungszahlen in diesen Fachgruppen ist die Inanspruchnahme der TSS äußerst gering.
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Bei vielen Ärzten bleibt das Gefühl, dass die TSS nur zusätzliche Erschwernisse bringt. Dr. Frank Ingwersen, Facharzt für Psychiatrie in Ahrenviöl zwischen Schleswig und Husum, berichtet von einer Zunahme an Patienten, die durch die TSS vermittelt wurden - bei ohnehin ausgelasteter Sprechstunde. Er befürchtet mittelfristig einen Zuwachs in einer Größenordnung von 25 bis 30 Prozent an Patienten in der laufenden Praxisversorgung, was für ihn nicht zu bewältigen ist. "Weil mein Budget sowieso nie reicht, kann ich so nicht weiterarbeiten", verweist Ingwersen auf die finanziellen Folgen. Das Problem für die TSS: In der Region gibt es kaum Kollegen, an die sie Patienten verweisen könnte. Die KVSH sieht damit bestätigt, worauf die Körperschaften frühzeitig hingewiesen hatten: Die Terminvergabe schafft keine zusätzlichen Arztkapazitäten. Manchmal verknappt sie dagegen sogar die Ressourcen, wie eine Auswertung des Rheumazentrums Schleswig-Holstein Mitte (Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 9/2019) gezeigt hat. Grund: Die Patienten haben Beschwerdebilder, die gar nicht in die zum Teil hoch spezialisierten Praxen gehören. Damit blockieren sie wertvolle Sprechstundenzeiten für andere Patienten.

Auf ein Detail des TSVG gingen KVSH und die Berufsverbände der Augenärzte und der Nervenärzte in einer gemeinsamen Pressekonferenz in Kiel ein: die offene Sprechstunde. KV-Vorstand Dr. rer. nat. Ralph Ennenbach und die Landesvorsitzenden Dr. Bernhard Bambas (Augenärzte) und Dr. Klaus Gehring (Nervenärzte) machten darin deutlich, dass sie die fünf offenen Stunden pro Woche, die Fachärzte laut Gesetz nun anbieten müssen, für einen Rückschritt halten. Das Ziel einer schnelleren und zugleich besseren Versorgung wird der Gesetzgeber aus ihrer Sicht verfehlen. Grund ist die ungesteuerte Inanspruchnahme von Sprechzeiten durch die Patienten. Die von Ennenbach aufgezeigten drei theoretischen Optionen, mit denen Praxen auf den Patientenandrang in offenen Sprechstunden reagieren könnten, zeigen das Dilemma, in das der Gesetzgeber die niedergelassenen Fachärzte damit bringt:

  • Schneller und damit weniger sorgfältig arbeiten.
  • Weiterhin sorgfältig arbeiten und die zusätzliche Zeit bei den Patienten außerhalb der offenen Sprechstunden einsparen.
  • Mit einem "Quick Check" Patienten im Schnelldurchgang während der offenen Sprechstunde sortieren und nur die dringendsten Fälle sofort behandeln.

Für Ennenbach steht fest, dass alle drei Optionen für Ärzte und Patienten nachteilig sind. Er setzt deshalb darauf, dass Patienten die offene Sprechstunde selten nutzen und an der bewährten Mischung aus Termin- und offener Sprechstunde festhalten.

Gehring machte deutlich, dass die Fachärzte auch schon vor der offenen Sprechstunde darauf geachtet haben, dass akute Fälle möglichst zeitnah behandelt werden. Der hohe Andrang an Patienten konnte nach seiner Darstellung bislang bewältigt werden, weil Praxen gut organisiert waren; dies werde mit der offenen Sprechstunde deutlich erschwert.

Auch Bambas hält eine Ausweitung der Sprechzeiten bei den Augenärzten für nicht möglich, weil die überwiegende Zahl der Ärzte seiner Fachgruppe ohnehin schon weit mehr als die künftig vorgeschriebenen 25 Stunden Sprechstunden abhält. "Die neue, offene Sprechstunde geht dann zulasten der Terminsprechstunde", sagte Bambas. Er erwartet, dass Patienten, die die offene Sprechstunde nutzen, eher unzufrieden sein werden. Denn: "In einer offenen Sprechstunde lässt sich nicht garantieren, dass für jeden Patienten genau der spezialisierte Ansprechpartner oder das in seinem Fall benötigte Untersuchungsgerät verfügbar ist." Die Folge: Es müssen weitere Termine verabredet werden und der Patient ist vergebens in die offene Sprechstunde gekommen. Für diesen Termin wiederum steht wegen der offenen Sprechstunde weniger Zeit zur Verfügung.

Bis Redaktionsschluss hatten rund 70 Prozent der betroffenen Facharztgruppen die offenen Sprechstunden an die KVSH gemeldet. Mit Verweigerern rechnen KV und Berufsverbände nur sehr begrenzt. Sie setzen vielmehr auf ein "innerärztliches Korrektiv", das für eine vollständige Meldung sorgt. Ansonsten müsse die KV mahnen und "weitere Maßnahmen" ergreifen. Welche das sein könnten, verriet Ennenbach nicht.

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5 Stunden pro Woche müssen bestimmte Facharztgruppen seit dem 1. September als offene Sprechstunde anbieten. Dazu gehören Augenärzte, Chirurgen, Gynäkologen, HNO-Ärzte, Hautärzte, Kinder- und Jugendpsychiater, Nervenärzte, Neurologen, Neurochirurgen, Orthopäden, Psychiater und Urologen. Die KVSH und die Berufsverbände sehen darin trotz der finanziellen Anreize einen Rückschritt, weil die ungesteuerte Inanspruchnahme ärztlicher Kapazitäten die Zeit einengt.
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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201910/h19104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Oktober 2019, Seite 12 - 13
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2019

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