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POLITIK/2094: AOK Nordwest fordert neue Krankenhausplanung als Konsequenz aus der Pandemie (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 5, Mai 2022

"Nicht jede Klinik muss jede Leistung erbringen"

von Dirk Schnack


KLINIKEN. Die Krankenhäuser in Schleswig-Holstein verzeichneten auch im vergangenen Jahr 12 % weniger somatische Fälle als im Jahr 2019. Dies zeigt der Krankenhaus-Report der AOK Nordwest. Sie fordert als Konsequenz aus der Pandemie eine neue Krankenhausplanung.


Sorge bereitet AOK-Chef Tom Ackermann die Entwicklung in der Notfallversorgung: Beim Herzinfarkt waren 2021 12 % weniger Krankenhaus-Behandlungen festzustellen als vor der Pandemie in 2019. Der Rückgang war damit etwas geringer ausgeprägt als 2020 mit minus 15 %. Die Zahl der Schlaganfall-Behandlungen lag 2021 um 13 % niedriger als im Vergleichsjahr 2019. Im Jahr 2020 betrug der Rückgang minus 12 %. "Die sinkenden Klinikeinweisungen im Zusammenhang mit Notfällen wie bei Schlaganfall oder Herzinfarkt betrachten wir mit Sorge. Wir appellieren dringend an die Bevölkerung, bei Notfallsymptomen auch unter den Bedingungen der Pandemie nicht zu zögern und umgehend den Notruf zu wählen", so Ackermann.

Fallzahlrückgänge waren auch bei den Krebsoperationen im vergangenen Jahr zu verzeichnen. Bei Darmkrebsoperationen lag der Rückgang 2021 im Vergleich zu 2019 bei minus 7 %, während im ersten Pandemiejahr 2020 eine Steigerung der Fallzahlen um 2 % zu verzeichnen war. Außerdem wurden in den Krankenhäusern pandemiebedingt weniger Darmspiegelungen durchgeführt. Allein im ersten Halbjahr 2021 betrug der Rückgang im Vergleich zum Vergleichszeitraum vor der Pandemie 34,3 %. Für das gesamte Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 lag das Minus bei 17,9 %. "Hier steht die Befürchtung im Raum, dass fehlende Diagnostik und spätere Behandlung zu mehr schweren Krebserkrankungen, höheren Tumorstadien bei der Erstdiagnostik und einer Erhöhung der Sterblichkeit führen", sagte Ackermann.

Bei den Brustkrebsoperationen kam es 2021 im Vergleich zu 2019 hingegen zu einem Anstieg der Fallzahlen um 5 %. Im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 war ein Minus von 2 % zu verzeichnen.

Bei planbaren Operationen, wie der Implantation künstlicher Hüftgelenke, lag der Rückgang 2021 im Vergleich zu 2019 bei 13 %. Auffällig ist der hohe Einbruch bei Mandelentfernungen. Hier gab es ein Minus von 47 % im Jahr 2021 im Vergleich zu 2019. "Bei allen genannten Operationen handelt es sich um Eingriffe, die tendenziell zu häufig und teilweise ohne leitliniengerechte Indikationsstellung durchgeführt werden. Insofern gab es im Zuge der Pandemie offenbar auch einen Abbau von Überversorgung bei diesen Eingriffen. Eine vollständige Rückkehr zum Fallzahlniveau vor der Pandemie erscheint keineswegs sinnvoll", betonte Ackermann.

"Es liegt nahe, dass die Erkenntnisse zur Fallzahlentwicklung während der Pandemie helfen können, einen dauerhaften Strukturwandel zu befördern. Jedenfalls sollten sie im Rahmen der aktuell anstehenden Krankenhausreform aufgegriffen werden", forderte Ackermann. In der Pflicht sieht er die Bundesländer: "Die Länder müssen eine steuernde Rolle in der Krankenhausplanung einnehmen und konkrete Strukturen vorgeben. Dazu gehört auch, dass nicht jede Klinik jede Leistung erbringt, sondern durch Spezialisierung und Leistungskonzentration die Behandlungsqualität und der Einsatz wertvoller Ressourcen verbessert wird", so der AOK-Chef.

Wie umstritten solche Eingriffe in die Klinikstruktur in der Bevölkerung sind, zeigt aktuell die Diskussion über die imland Klinik Rendsburg-Eckernförde. Nach der Entscheidung des Kreistags über einen Rückbau der Leistungen am kleineren Standort in Eckernförde hat sich der Widerstand gegen diese Entscheidung formiert und im April ein Bürgerbegehren angekündigt, das auf den Erhalt der jetzigen Versorgungsstruktur abzielt. Ob das überhaupt zulässig ist, hielt der Kreis als Träger der Klinik im April für unwahrscheinlich. Grund: Das Bürgerbegehren sei auf ein Ziel ausgerichtet, dass der Kreis für nicht erreichbar hält.

Die Versorgungsstruktur beizubehalten würde u. a. bedeuten, dass Eckernförde eine Geburtshilfe vorhalten müsste, die schon lange nicht mehr in der erforderlichen Besetzung arbeitet. Sechs ärztliche Vollzeitkräfte wären dafür notwendig. Diese hat es seit Gründung der Hauptabteilung im Jahr 2017 aber nie gegeben. Weil von den wenigen verbliebenen angestellten Ärzten in Eckernförde weitere gekündigt haben und die Einstellung neuer unrealistisch erscheint, kommt ein Gutachten zu dem Schluss, dass die medizinische Leistungsfähigkeit der Abteilung nicht gegeben sei. Landrat Dr. Rolf-Oliver Schwemer (parteilos) betonte in einer Pressekonferenz, dass er auch deshalb keine Perspektive für ein Szenario mit einer Geburtshilfe in Eckernförde sieht. Außer auf fehlendes Personal verwies er auf eine Anweisung des Sozialministeriums als zuständige Krankenhausplanungsbehörde. Diese fordert den Kreis auf, "unverzüglich mit den genehmigten Neustrukturierungsmaßnahmen zu beginnen". Das Ministerium erwähnt im Bescheid ausdrücklich die Verlegung der Geburtshilfe nach Rendsburg.

In Eckernförde hatte es in den Jahren 2020 und 2021 zusammen 838 Geburten gegeben. Bei einigen davon hatte es Auffälligkeiten gegeben. Ein Gutachter hat 79 dieser auffälligen Geburten untersucht und nur bei neun von ihnen keine Auffälligkeiten bestätigt. Dennoch sind viele Menschen in Eckernförde gegen einen Leistungsrückbau. Für ein Bürgerbegehren müssten sie 9.110 Stimmen sammeln, die von der Kommunalaufsicht geprüft werden.

Sollten dies und ein anschließender Bürgerentscheid erfolgreich sein, müsste der Kreis Anträge zu einer Umsetzung stellen, von der er nicht überzeugt wäre und die aus seiner Sicht auch keine realistische Chance hätte. Neben qualitativen und personellen gibt es auch finanzielle Argumente. Von der Leistungskonzentration erhofft sich imland, mittelfristig wieder profitabel arbeiten zu können.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 5, Mai 2022
75. Jahrgang, Seite 16
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 2. Juli 2022

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