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STELLUNGNAHME/001: Kritik an den Aussagen der Kanzlerin beim UN-Armutsgipfel (Aktionsbündnis gegen AIDS)


Aktionsbündnis gegen AIDS - 23. September 2010

Mit diesen Einlassungen wird Deutschland seiner internationalen Verantwortung nicht gerecht (oder: dilettantische Krämerseelen auf der Weltbühne)

Ein Kommentar zu der Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am Dienstag, 21.09.2010, in New York. [1]

Von Joachim Rüppel


Heftige Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der Würzburger Soziologe Joachim Rüppel vom Missionsärztlichen Institut Würzburg geübt. Merkels Rede beim Armutsgipfel der Vereinten Nationen in New York sei eine herbe Enttäuschung für alle, die auf eine weitsichtige und solidarische Weltpolitik der Regierung gehofft hätten, sagte Rüppel nach dem Treffen, das am Mittwoch zu Ende ging.


Eine Regierung, die im eigenen Land den eigensüchtigen und rücksichtslosen Interessen der wirtschaftlich Mächtigen Tür und Tor geöffnet hat - hinter dem Rücken und gegen die Mehrheit der Bevölkerung und ungeachtet der damit verbundenen unabsehbaren Gefahren für künftige Generationen - maßt sich an, im Plenum der Vereinten Nationen von Anderen gute Regierungsführung zu fordern.

Angesichts der schreienden Ungerechtigkeiten, der inhumanen Ausbeutung billiger Arbeitskräfte, der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen und schließlich des Zusammenbruchs der verselbständigten Finanzmärkte infolge des Spekulationsirrsinns mit dem nachfolgenden Verlust von Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten für die Benachteiligten, die das neoliberale System hervorgebracht hat, will sie den Entwicklungsländern die Marktwirtschaft verordnen, ohne Regeln, politische Steuerung und soziale oder ökologische Standards auch nur zu erwähnen.

Foto: Protestdemo in New York zum Armutsgipfel der Vereinten Nationen - © Nicci Stein

Proteste in New York zum Armutsgipfel der Vereinten Nationen
© Nicci Stein

Als Hauptverantwortliche der Regierung eines Landes, das seinen vor jetzt vierzig Jahren eingegangenen Verpflichtungen zur Steigerung der öffentlichen Entwicklungshilfe zu keiner Zeit nachgekommen ist, das durch die Verweigerung weiterer Aufstockungen die Erfüllung des gemeinschaftlichen Versprechens der Europäischen Union zur Entwicklungsfinanzierung gefährdet und dessen wirkliche Transferleistungen weit unter der Hälfte des Richtwerts verharren, erklärt sie den Armen und Ausgeschlossenen dieser Welt, dass sie nicht ewig Unterstützung erwarten sollen.

Denen, die gar nicht über die notwendigen Mittel verfügen, um einen Weg aus dem Elend zu finden, geschweige denn zu beschreiten, erklärt sie, dass es zuallererst auf ihre Anstrengungen ankomme. Dann folgt die Schuldzuweisung für alle denkbaren Fehlschläge auf dem Fuß, wenn sie meint, dass die Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit einzig und allein in der Verantwortung der Regierungen der Empfängerländer liege. Damit lenkt sie in unzulässiger Weise von den eigenen Defiziten ab, als da sind: mangelnde Vorhersagbarkeit der Leistungen, ungenügende Transparenz und Information über die unterstützten Projekte, immer noch existierende Lieferbindungen bei der Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen, unzureichende Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den übrigen Beteiligten und schließlich die Setzung von Schwerpunkten, die mehr den eigenen Nutzen mehren als sie den realen Bedürfnissen entsprechen.

Unverfroren gibt sie die Stagnation der Leistungen für die Entwicklungszusammenarbeit seit Antritt der jetzigen Regierung als Zeichen dafür aus, dass sie ihrer Verantwortung nachkommen will, ohne die ethischen und politischen Leitmotive für eine echte Partnerschaft mit den benachteiligten Mehrheit der Weltbevölkerung auch nur anzudeuten, also bar jeder Einsicht, dass diese zugleich eine aus der Geschichte der Ausplünderung dieser Weltregionen begründete Bringschuld, eine Frage der menschlichen Solidarität sowie ein Grundelement einer zukunftsweisenden Politik darstellt.

Nachdem ihr Ressortminister wider alle Vernunft und Menschlichkeit den Ausstieg Deutschlands aus der Unterstützung für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria betreibt, eine der im Wortsinne lebenswichtigsten und erfolgreichsten Initiativen der internationalen Gemeinschaft, kündigt Frau Merkel nun immerhin an, sich für eine weitere Förderung einsetzen zu wollen, ohne allerdings eine verbindliche Zusage zu machen und ohne eine konkrete Summe zu nennen, die den dringlichen Finanzierungsbedarf im Auge hätte und im angemessenen Verhältnis zur Wirtschaftskapazität Deutschlands stünde.

Die von ihr ins Spiel gebrachte ergebnisbasierte Finanzierung ist weder neu, noch ist sie unter allen Umständen sinnvoll, kann sie doch bei schablonenhafter Umsetzung gerade jene Dienste benachteiligen, die unter den schwierigsten Bedingungen arbeiten, ganz davon abgesehen, dass sich nicht alle Ziele quantifizieren und nicht alle Maßnahmen überwachen lassen. Vor allem aber drängt sich der Eindruck auf, dass der Verweis auf den angeblichen Mangel an Effektivität suggerieren soll, die Erhöhung der Transferleistungen auf das zugesagte Niveau sei zweitrangig. In Wirklichkeit setzen die betreffenden Berechnungen des Ressourcenbedarfs natürlich voraus, dass das Richtige getan wird und dass dies so effektiv wie möglich geschieht. Die naive Sympathie für diese Finanzierungsweise scheint mehr der Krämerseele zu entspringen, die meint, dass in dieser Welt alles zu kaufen ist.

Bezeichnend ist schließlich, dass sie in ihrer Aufzählung der von der Millenniumserklärung benannten Handlungsfelder einige Kapitel unterschlägt, wie den Schutz für die besonders bedrohten Bevölkerungsgruppen. Das erinnert fatal an die heimische Sparpolitik auf dem Rücken der Schwächsten, passt aber auch zu der unzureichenden Armutsorientierung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, wie sie z.B. in dem fallenden Anteil der am wenigsten entwickelten und besonders armen Länder an den Finanzierungsbeiträgen für die Gesundheitsförderung zum Ausdruck kommt.

Die Rede der Kanzlerin ist also eine herbe Enttäuschung für alle, die gehofft hatten, dass die deutsche Regierung gewillt ist, eine weitsichtige und solidarische Weltpolitik zu verfolgen und sich an den Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft zur Überwindung von Armut, Hunger und Krankheit in geeigneter Weise zu beteiligen. Stattdessen zeigt sich eine fatale Tendenz, Anderen die Verantwortung aufzubürden und dann auch noch zu meinen, sie in von oben herab belehren zu müssen. Außer der vagen Andeutung, den Globalen Fonds weiter zu unterstützen und damit die entwicklungspolitische Geisterfahrt von Hrn. Niebel hoffentlich zu korrigieren, sind leider keine positiven Ansätze und konkreten Beiträge im Sinne der Entwicklungspartnerschaft zu erkennen, wie sie in der Millenniumserklärung gefordert wird. Aus der Sicht derer, die tagtäglich ums Überleben kämpfen müssen, dürften diese Einlassungen wie eine Bestätigung für die Arroganz der Mächtigen erscheinen.

Foto: Portrait des Autors Joachim Rüppel - &Copy; Missionsärztliches Institut Würzburg

Joachim Rüppel
© Missionsärztliches
Institut Würzburg
Zum Autor:

Der Würzburger Soziologe Joachim Rüppel ist Fachreferent für HIV/Aids im missionsärztlichen Institut Würzburg und Finanzexperte im Aktionsbündnis gegen AIDS. Er war im Auftrag des "Aktionsbündnis gegen AIDS" als Beobachter des MDG-Gipfels[2] in New York.

Das AKTIONSBÜNDNIS GEGEN AIDS ist ein Zusammenschluss von über 100 Organisationen der Aids- und Entwicklungszusammenarbeit sowie mehr als 280 lokalen Gruppen. Der Ausbau der finanziellen Ressourcen zur weltweiten HIV-Prävention sowie der Zugang zur Therapie sind die zentralen Anliegen des Bündnisses. Weitere Information über uns sind unter www.aids-kampagne.de erhältlich.



Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

[1] Die Rede von Angela Merkel beim Armutsgipfel der Vereinten Nationen finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Politik -> Fakten ->
REDE/846: Merkel vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, 21.09.10 (BPA)

[2] MDG steht für die Millennium Development Goals (Millenniums-Entwicklungsziele) der Vereinten Nationen.


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Quelle:
Aktionsbündnis gegen AIDS
Aktionsbündnis gegen AIDS in Tübingen
Paul-Lechler-Str. 24, D-72076 Tübingen
Telefon: 07071/206 503, Fax: 07071-206 510
Aktionsbündnis gegen AIDS in Berlin
Chausseestr. 128/129, 10115 Berlin
Telefon: 030/27 58 24 03, Fax: 030/27 58 24 13
E-Mail: info(at)aids-kampagne(dot)de
Internet: www.aids-kampagne.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2010