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SOZIALES/047: Medizinische Fachangestellte - Berufsgruppe unter Druck (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 11, November 2021

Berufsgruppe unter Druck

von Stephan Göhrmann


MFA. Als erste Kontaktpersonen zu den Patienten sehen sich die Medizinischen Fachangestellten (MFA) ungefiltert dem Unmut der Patienten ausgesetzt. Die Pandemie hat den Ton am Tresen verschärft. Gerade junge Menschen schreckt das ab, sodass manche bereits während der Ausbildung mit dem Beruf abschließen. Abwanderung in andere Gesundheitsberufe oder der Ausstieg aus dem Gesundheitswesen sind die Folge und führen zunehmend zu Personalnot.


Terminorganisation, Praxisverwaltung und Erstkontakt mit den Patienten - damit die Praxis läuft, sind niedergelassene Ärzte auf ein eingespieltes und gut funktionierendes Team von medizinischen Fachangestellten (MFA) angewiesen. Eine hohe Arbeitsdichte, der Erstkontakt zu fordernden Patienten am Praxistresen und eine geringe Wertschätzung setzten MFA vielerorts schon vor der Corona-Pandemie unter Druck. Kein Job wie jeder andere, der nicht für jeden etwas ist? Was muss man für den Beruf mitbringen und welche Auswirkung hat die Pandemie auf den Praxisalltag der MFA? Die Entscheidung, als MFA in der Praxis zu arbeiten, geht oft mit dem altruistischen Grundgedanken einher, Menschen helfen zu wollen. Viele angehende MFA haben zudem ein grundsätzliches Interesse für medizinische Themen. Ebenso überzeugt sie die Vielfältigkeit des Arbeitsalltags, auch langfristig als MFA tätig zu bleiben. Ob sie tatsächlich eine Zukunft als MFA haben, hängt von weiteren Faktoren ab. Dr. Olav Schaefer, Facharzt für Allgemeinmedizin, ist Mitglied des MFA-Prüfungsausschusses der Akademie der Ärztekammer Schleswig-Holstein. Er beobachtet, dass manche den Arbeitsplatz in der Praxis gegen das Krankenhaus tauschen oder im Anschluss an die Ausbildung Medizin studieren möchten. "Es lässt sich ein Wandel des Bildungshintergrundes feststellen. Hatten vor einigen Jahren noch 80 Prozent der angehenden MFA keine allgemeine Hochschulreife, sind es heute etwa 60 Prozent. Die jungen Menschen mit Abitur wollen häufig nach der Ausbildung weiter lernen und entscheiden sich für ein Studium", so Schaefer. Wieder andere merken schnell nach Ausbildungsbeginn, dass die Arbeit mit und am Patienten doch nichts für sie ist, sodass ein Jobwechsel in den Bereich der Verwaltung angestrebt wird. Hat der Beruf ein Attraktivitätsproblem?

Für Mette Krug (zweites Ausbildungsjahr zur MFA) sowie ihre MFA-Kolleginnen Shirin Ditewig und Svea Daudert ist ihr Beruf genau das richtige. Sie arbeiten im MVZ Blücherplatz in Kiel, in dem auch Dr. Schaefer praktiziert. Mit zehn MFA (Praxismanagement, Auszubildende, Empfang und MFA zusammengerechnet) hält Schaefer das MVZ zwar personell für gut aufgestellt, weiß jedoch auch um das hohe Arbeitspensum im Team: "Oft müssen die MFA mit vier oder fünf Aufgaben gleichzeitig zurechtkommen."

Nicht jede angehende MFA kommt damit zurecht. "Vielen ist die Arbeit zu stressig. Auch die Praxisstruktur hat manche abgeschreckt. Schon zu Beginn haben viele in der Klasse mit dem Gedanken gespielt, nicht weiter als MFA tätig zu bleiben. Nach drei Jahren Ausbildung war die Klasse nur noch halb so groß wie zu Ausbildungsbeginn", berichtet Ditewig aus ihrem ehemaligen schulischen Umfeld.

Nicht allein das Arbeitspensum führt zu einer Unzufriedenheit der MFA. Im Kontakt mit den Patienten nehmen sie eine Geringschätzung ihres Berufsbildes wahr. "Gerade ältere Menschen haben oft noch die Arzthelferin im Kopf ", erzählt Daudert. Die Ansagen der MFA fallen nicht ins Gewicht. "Wir werden nur als kleines Licht wahrgenommen", beschreibt sie die mangelnde Anerkennung. Im Gespräch am Tresen merkt sie, dass man als MFA häufig länger diskutieren muss, um den Patienten von bestimmten Abläufen zu überzeugen. Das kostet Zeit und Kraft. "Abends ist unser sozialer Akku leer", meint auch Ditewig.

Mit den ersten Fällen von SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein haben das Arbeitspensum und die Erwartungen gegenüber medizinischem Personal zugenommen. "Wir erleben einen unglaublichen Personalmangel, der durch die Pandemie noch einmal deutlich verschärft worden ist", beschreibt Dr. Johannes Gerber, Facharzt für Allgemeinmedizin auf Fehmarn, die aktuelle Situation. Die seit nun über eineinhalb Jahren bestehende Belastung durch die Pandemie führe zu einer andauernden körperlichen und seelischen Belastung des Praxispersonals und damit zu einer weiteren Zuspitzung am Arbeitsmarkt.

Die schnelle Anpassung des Praxisbetriebs an die sich verändernden Hygienemaßnahmen hat unweigerlich zu einem gesteigerten Arbeitsaufwand der MFA geführt. Zwar waren die Patientenzahlen mit Beginn der Pandemie aufgrund der Maßnahmen in den Praxisräumen und der zunehmenden telefonischen Abwicklung von Patientenkontakten zeitweise überschaubar, doch war der Aufwand pro Patient durch Hygienemaßnahmen höher. Notwendige Umstrukturierungen der Praxisorganisation wie eine veränderte Terminvergabe führten nicht nur zu einem organisatorischen Mehraufwand. "Oftmals zeigen die Menschen kein Verständnis für Maßnahmen", berichtet Mette Krug. Immer wieder müsse auf die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen hingewiesen werden. "Es gab schon immer schwierige Leute. Aber mit Corona sind es mehr geworden", beschreibt Daudert die gereizte Stimmung. Mit dem Test- und Impfangebot in den letzten Monaten sei diese Gereiztheit auch an einer zunehmend fordernde Haltung gegenüber dem Praxispersonal spürbar gewesen. Wie also mit dem zunehmenden Stress umgehen?

Im Gespräch helfen Schaefer zufolge freundliche, aber bestimmende Ansagen: "Zwischenmenschlich feinfühlige MFA sind wünschenswert, müssen sich aber im Umgang mit schwierigen Patienten ein dickes Fell wachsen lassen. Manche bringen dies schon mit in den Beruf. Anderen wächst dies erst nach drei, vier oder fünf Jahren oder gar nicht." Nicht alles kann in der Ausbildung erlernt werden, vieles ist typabhängig. Kommunikative Fähigkeiten, Freude im Umgang mit Menschen und Herausforderungen des Praxisalltags ist Grundvoraussetzung für eine langjährige Tätigkeit als MFA.

Was allerdings erlernt werden kann, ist der Umgang mit Stress. Wichtig erscheint die Schaffung von Grundlagen strukturierten Arbeitens, um den Überblick über die Aufgaben im Praxisalltag zu behalten und das individuelle Stressempfinden zu verringern. Dies muss früh vermittelt werden - in der Schule, in der Akademie der Ärztekammer und in der Ausbildungsstätte. "Was in der Ausbildung gelernt wird, kann in der Praxis gelebt werden", so Schaefer. In der Praxis helfen Supervisionen und regelmäßige Feedbackrunden im Team. Um den Umgang mit herausfordernden Gesprächssituationen künftig leichter bewältigen zu können, plant das Kieler MVZ Kommunikationstrainings für das Team. Ebenso können auch erfahrene MFA von Fortbildungen zur Stressbewältigung und Resilienztrainings profitieren.

Damit das Team und im Resultat die ganze Praxis von Fortbildungen profitiert, ist auch der Praxisinhaber gefragt. Gerber hat auf Fehmarn Eigeninitiative gezeigt. Mit dem Ziel, seine Angestellten körperlich sowie seelisch gesund durch die Ausnahmesituation der Pandemie zu bekommen, schloss er die Praxis für zwei Tage, mietete Räume und Zimmer zur Übernachtung und ließ sich und das Team im Bereich Resilienz und Achtsamkeit coachen. Mit Atemübungen, Bodyscans, Yogaübungen und Meditation fühlt man sich damit für die Zukunft deutlich besser gerüstet.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 11, November 2021
74. Jahrgang, Seite 20-21
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Internet: www.aeksh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 7. Dezember 2021

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