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AUSLAND/1525: Obamas Gesundheitsgipfel - Windelweiche Kompromißlinie (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 9 vom 5. März 2010
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Scheitern vor laufenden Kameras
Obamas Gesundheitsgipfel: Windelweiche Kompromisslinie

Von Hans-Peter Brenner


"Making America work", "Amerika wieder ans Laufen bringen" - dies ist nach dem Zauberwort "Change" wohl die Parole, mit der die von Barack Obama versprochene Neuausrichtung der Wirtschafts- und Sozialpolitik sich am ehesten zusammenfassen lässt. Es war das Versprechen, das die von der achtjährigen Bush-Regierung frustrierten Massen der "hard working people" und der zig Millionen armer US-Bürger vor einem Jahr für ihn stimmen ließ. Damit scheint es vorbei zu sein. Das belegt der "Gesundheitsgipfel", zu dem der Präsident führende Vertreter der eigenen, aber auch seine Gegner aus der Republikanischen Partei an einen Tisch holte. In einer mehr als siebenstündigen, im Fernsehen übertragenen Debatte wurden Obamas Appelle zu einem überparteilichen Konsens von den Republikanern kühl abgewiesen. Obama hat nach dem Verlust des Sitzes im früheren "Stammland" des Kennedy-Clans, Massachusetts, keine Mehrheit mehr im Senat. Er ist auf einen Kompromiss angewiesen. Bereits vor Beginn der Beratungen hatte der republikanische Abgeordnete Paul Ryanaer klar erklärt: "Wir denken nicht, dass die Regierung die Kontrolle haben sollte." Dabei geht es schon lange nicht mehr um eine staatliche oder öffentlich-rechtliche Struktur für das marode und überteuerte US-Gesundheitswesen. Davon sind die Demokraten im Zuge der bisherigen Verhandlungen längst abgerückt. Obama hatte kurz vor dem Gipfel dazu eigene Vorschläge vorgelegt, die die eigentlich unvereinbaren Positionen von Demokraten und Republikanern zu einem Kompromiss zusammenschmelzen sollte. Sie sehen eine Versicherung für 31 Millionen US-Bürger vor, die mit einem Kostenaufwand von 950 Milliarden Dollar für das nächste Jahrzehnt veranschlagt wurde. Sie waren gekoppelt mit Maßnahmen zur Dämpfung der explodierenden Pharma- und Gesundheitskosten. Eine mit Europa vergleichbare allgemeine Krankenversicherung ist nicht mehr das Ziel, die soll es höchstens noch als freiwillige Option neben den Privatversicherungen geben. In erster Linie geht es um die Höhe staatlicher Zuschüsse für die vielen armen Privatversicherten. Faktisch ist das Ganze eine riesige Subvention für die Privatkassen.

Die Partei des Präsidenten hat sich mit dieser windelweichen Kompromisslinie keinen Gefallen getan. Die Umfrageergebnisse für Obama sind in den Keller gefallen und sein wichtigstes innenpolitisches Projekt steht vor dem endgültigen Aus. Nach Umfragen von USA Today lehnen 49 % der Befragten die Pläne der Demokraten ab und nur 43 % sind dafür. Eine Mehrheit von 52 % ist außerdem dagegen, dass sich Obama eines Verfahrenstricks bedient, über den derzeit öffentlich spekuliert wird. Im Prinzip müssen Gesetzesentwürfe von beiden Kammern angenommen werden. Im Repräsentantenhaus würde dafür die einfache Mehrheit reichen, diese besitzen die Demokraten. Im 100 Mitglieder starken Senat wird aber eine qualifizierte Mehrheit von 60 Stimmen gebraucht, die die Demokraten nicht mehr haben. Mit einem Schlichtungsverfahren könnten zumindest Teile der Reform durch den Senat geschleust werden. Dabei werden (theoretisch) nur noch Budgetfragen mit einfacher Mehrheit abgestimmt. Die Demokraten könnten im Senat ihren Gesetzesentwurf mit modifizierten Berechnungsgrundlagen einbringen und endgültig abstimmen lassen. Dazu benötigen sie nur 51 statt 60 Stimmen. Im "Schlichtungsverfahren" müsste dann jeder Finanzposten in einem ermüdenden Abstimmungsmarathon Posten für Posten abgestimmt werden. Mit diesem Trick hatte schon die Bush-Regierung 2001 trotz fehlender Mehrheit umfassende Steuersenkungen für die Reichen und für Großkonzerne durchgedrückt.

Auf Grund der bestehenden Verfahrensregeln würden die Demokraten aber nur Bruchstücke der ursprünglichen Reform durchsetzen können.

Die Verwirrung ist nahezu komplett. Denn gleichzeitig belegen neueste Umfragen in einigen US-Staaten, dass die Forderung nach einer öffentlich finanzierten Krankenversicherung sich prinzipiell einer "extremen Popularität" erfreut. Die ganze Auseinandersetzung und die Verunsicherung, die mittlerweile bei diesem so wichtigen Thema besteht, wird nur dann einigermaßen nachvollziehbar, wenn man sich vergegenwärtigt mit welch unglaublicher Wucht die Reichen und ihre konservativen Interessengruppen sich gegen jede staatliche Kontrolle über die Privatkassen, die privaten Klinikketten und die Pharmaindustrie zur Wehr setzen.

Die Hetze, die seit Monaten vor allem durch ultrakonservative Fernseh- und Radiomoderatoren gegen die Reform betrieben wird, sprengt unsere Vorstellungen von regierungskritischer Berichterstattung. Einer der einflussreichsten dieser fundamentalistischen Moderatoren, Glenn Beck, betreibt die Kampagne gegen die Gesundheitsreform wie einen Kreuzzug. Angeblich habe Gott ihn beauftragt, "Amerika zu befreien von den Faschisten und Sozialisten, den Umweltschützern und Gesundheitsreformern, die 2008 die Macht an sich gerissen haben, um das Vaterland auszuplündern."

Wie die keineswegs Obama-freundliche "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" am 7. Februar zu berichten wusste, gehört zu seiner "apokalyptischen Weltsicht" die These, Barack Obama sei ein "kommunistischer Nazi". Der "Beweis" dafür wurde bei laufenden Kameras vor einem Millionenpublikum per einfachem Klick auf die "Google"-Suchmaschine erbracht. "Hier steht's. Die Nazis waren eigentlich Nationalsozialisten, und jeder weiß, dass Obama ein Sozialist ist." Offenbar fehlt es nicht nur der Demokratischen Partei, sondern auch der vor einem Jahr noch so erfolgreichen außerparlamentarischen Anti-Bush-Bewegung an Kraft und Mitteln, um dieser fundamentalistischen Welle etwas entgegenzusetzen.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 42. Jahrgang, Nr. 9,
5. März 2010, Seite 10
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2010