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ARTIKEL/1122: Dr. Heiner Garg - der Schleswig-Holsteinische Gesundheitsminister im Interview (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 12/2009

"In Schleswig-Holstein geht vieles, was woanders nicht geht."

Dirk Schnack im Gespräch mit dem neuen Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg


Dr. rer. pol. Heiner Garg wirbt für ein neues Klima zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen in Schleswig-Holstein.

Dr. Heiner Garg hat hohe Ziele: Der FDP-Gesundheitsminister strebt umfassende Veränderungen in der Gesundheits- und Sozialpolitik an. Er will beweisen, dass seine Partei mehr kann als nur Wirtschaftspolitik. Vor allem aber: Er will erreichen, dass Ärzte sich künftig wieder stärker auf ihren Beruf konzentrieren können, sich besser untereinander und mit anderen Akteuren im Gesundheitswesen vernetzen. Wie der 43-Jährige diese selbst gesteckten Aufgaben bewältigen will, verriet Garg im Interview mit Dirk Schnack.

Herr Dr. Garg, Sie wollen das Klima zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen verbessern. Ist das in Schleswig-Holstein nötig?

Dr. Heiner Garg: Ich habe auf vielen Terminen in den vergangenen Monaten den Eindruck gewonnen, dass kaum noch miteinander, aber viel übereinander gesprochen wurde. Das betrifft das Verhältnis zwischen Haus- und Fachärzten, zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten und die Beziehungen zwischen anderen Gruppen im Gesundheitswesen. Diese Entwicklung war politisch gewollt. Die Entscheidungsträger in der Politik haben die Rahmenbedingungen so gesetzt, dass sich die Akteure im Gesundheitswesen wechselseitig mit sich selbst beschäftigen. Das müssen wir wieder ändern.

Wie wollen Sie das erreichen?

Dr. Heiner Garg: Zunächst durch Zuhören. Es ist wichtig, dass Politik wieder ein offenes Ohr für die Probleme derjenigen hat, die die Gesundheitsversorgung sicherstellen und sich bei ihnen auch außerhalb des Wahlkampfes sehen lassen. Dabei müssen wir vermitteln, dass es ein Miteinander aller Beteiligten auf Augenhöhe gibt. Nach meiner Ansicht ist das eine Grundvoraussetzung, um mit den durch die Rahmenbedingungen gesetzten Belastungen überhaupt fertig zu werden. Eine weitere Voraussetzung ist, dass Ärzte sich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe widmen können. Ärzte ergreifen ihren Beruf doch nicht, um 56.000 gelbe Karten vor den Türen des Landeshauses abzuladen, sondern um den Menschen zu helfen. Und es ist unsere Aufgabe, sie in die Lage zu versetzen, dass sie dies ohne Existenzängste tun können.

Die KV Schleswig-Holstein hat einen konkreten Vorschlag gemacht, wie dies erreicht werden könnte. Sie will eine Modellregion für die Einzelleistungsvergütung ins Leben rufen. Bekommt sie dafür Ihre Unterstützung?

Dr. Heiner Garg: In Schleswig-Holstein geht vieles, was woanders nicht geht. Deshalb sehe ich gute Chancen für das Projekt und stehe ihm grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Bedingung ist, dass es einer rechtlichen Prüfung standhält, für eine gerechtere und transparentere Bezahlung sorgt und die flächendeckende Versorgung sicherstellt. Das gilt auch für Überlegungen über eine kleinteiligere Bedarfsplanung. Bei allen Überlegungen über Modellprojekte muss aber bedacht werden, dass die Rahmenbedingungen im Bund gemacht werden und wir uns an diese Bedingungen halten müssen.

Damit sprechen Sie die begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten auf Landesebene an. Ist der Spielraum für einen Landesgesundheitsminister unbefriedigend?

Dr. Heiner Garg: Wir haben die Möglichkeit, in der Partei und über den Bundesrat bundesweit Einfluss zu nehmen. Ich will vermitteln, dass man nicht immer nur reagieren muss, sondern selbst aktiv werden und sich mit Vorschlägen einbringen kann. Das gilt nicht nur für die Politik, sondern für alle Beteiligten in der Gesundheits- und Sozialpolitik. Dieses Gebiet erfährt nach meiner Einschätzung viel zu wenig Beachtung in der öffentlichen Wahrnehmung. Sozialpolitik ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält.

Trotz dieser Bedeutung wurde in der Presse darüber spekuliert, ob Sie persönlich nicht auch lieber Wirtschaftsminister geworden wären - schließlich sind Sie Volkswirt.

Dr. Heiner Garg: Das ist auch darauf zurückzuführen, dass unsere Partei in der Öffentlichkeit fast ausschließlich mit diesem Thema in Zusammenhang gebracht wird. Deshalb begrüße ich es, dass wir in Bund und Land gleichzeitig Verantwortung für die Gesundheits- und Sozialpolitik übernehmen konnten. Wir können endlich aufräumen mit dem Vorurteil, die FDP verstehe ausschließlich etwas von Wirtschaftspolitik. Wir haben sehr viel mehr zu bieten. In der Sozialpolitik können wir beweisen, dass präventive Arbeit mit passgenauen Angeboten für Betroffene sinnvoller ist, als gesellschaflichen Fehlentwicklungen immer nur hinterher zu laufen. Gesundheit und Soziales ist nichts für Sozialromantiker und auch keine Reparaturpolitik für soziale Verwerfungen, sondern ein Bereich, in dem man vorbeugend handeln muss.

Zurück zur aktuellen Gesundheitspolitik, die in diesen Wochen vor allem von der Diskussion über die Schweinegrippe beherrscht wird. Sie haben sich selbst schon zu einem frühen Zeitpunkt impfen lassen und damit eindeutig Stellung bezogen. Die Bevölkerung aber war stark verunsichert.

Dr. Heiner Garg: Das ist nachvollziehbar, mich hat dieses Durcheinander gewaltig gestört. Wie soll man als Laie beurteilen, ob eine Impfung sinnvoll ist oder nicht, wenn vermeintliche und echte Experten täglich wechselnde Auffassungen zum Thema in der Öffentlichkeit zum Besten geben. Auch die Kommunikation über den anderen, angeblich besseren Impfstoff für Bundestagspolitiker war nicht gerade ein Meisterstück. Froh bin ich, dass die Ärzteschaft in Schleswig-Holstein die Impfungen flächendeckend anbietet und damit den Menschen die Möglichkeit verschafft, zum Arzt ihres Vertrauens zu gehen. Das trägt zur Beruhigung bei.

Der Koalitionsvertrag auf Bundesebene hat Ihnen gleich zu Beginn der Amtszeit ein schwieriges Problem beschert: Er sieht vor, dass auch künftig von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Landesbasisfallwerte herrschen. Für Schleswig-Holsteins Krankenhäuser bedeutet das, dass sie auch weiterhin bundesweit mit den niedrigsten Preisen für gleiche Leistungen arbeiten müssen - ein eklatanter Wettbewerbsnachteil zum Beispiel gegenüber den Kliniken in Hamburg, die darüberhinaus auch noch von vergleichsweise hohen Investitionszuschüssen der öffentlichen Hand profitieren.

Dr. Heiner Garg: Ich gehe davon aus, dass die beschlossene Angleichung kommt. Wie stark diese Angleichung erfolgt, kann ich heute nicht sagen. Aber wir können nicht dauerhaft akzeptieren, dass die Kliniken in unserem Bundesland dafür bestraft werden, dass sie von jeher wirtschaftlich gut aufgestellt waren.

Der neue Krankenhausplan im Land sieht keine Standortschließungen vor. Ist der Konzentrationsprozess abgeschlossen?

Dr. Heiner Garg: Nein, dieser Prozess wird sich fortsetzen. Ich glaube aber, dass sich die vorhandenen Standorte mit ihren Schwerpunkten bewähren. Wir werden darauf achten, dass es bei der Schwerpunktsetzung zu keiner Rosinenpickerei kommt. Die Zusammenarbeit in Verbünden zeigt, dass die Klinikverantwortlichen bei uns längst erkannt haben, dass auch intrasektoral kooperiert werden muss. Ein gutes Beispiel ist für mich die Zusammenarbeit der Kliniken im 5K-Verbund. Ich habe den Eindruck, dass Schleswig-Holsteins Krankenhäuser bei diesem Thema weit vorn sind.

Das hieß es auch in Bezug auf den umstrittenen Paragrafen 116 b zur ambulanten Versorgung ausgewählter Erkrankungen. Für Schleswig-Holstein wurde die Abstimmung zwischen Kliniken und Praxen oft als vorbildlich dargestellt. Das sieht aber nicht jeder Praxisinhaber so.

Dr. Heiner Garg: Es gab sicherlich weniger Konflikte als in anderen Bundesländern. Aber Krankenhäuser sollten sehr genau prüfen, wie weit sie die ambulanten Behandlungen ausdehnen und wo sie den niedergelassenen Ärzten Freiräume lassen. Denn am Ende sind die ambulanten Leistungserbringer die Einweiser für die Krankenhäuser und damit für sie unverzichtbar. Kliniken sollten den Praxen auf Augenhöhe begegnen - ein gutes Verhältnis ist wichtig für beide Seiten. Es ist zwar unstrittig, dass enger verzahnt werden muss. Das muss aber geschehen, ohne dass dabei Praxisinhaber über Bord gehen.

Ärzte beobachten aufmerksam, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Gesundheitsberufe Interesse an Aufgabenbereichen zeigen, die bislang Ärzten vorbehalten waren. Besonders mit den Pflegeberufen kommt es dabei auch zu unterschiedlichen Auffassungen bis hin zu öffentlichen Auseinandersetzungen - wie soll eine sinnvolle Abgrenzung gelingen?

Dr. Heiner Garg: Auch hier gilt: Die Gesundheitsberufe sollten mehr mit- statt übereinander reden. Fest steht, dass die demografische Entwicklung dazu führt, dass die Zahl der Pflegebedürftigen deutlich ansteigt und die unterschiedlichen Berufsgruppen im Gesundheitswesen extrem fordern wird. Deshalb ist es zu begrüßen, dass über neue Versorgungsmodelle und über eine sinnvolle Arbeitsteilung nachgedacht wird. Zugleich sollte aber auch klar sein: Keine Berufsgruppe kann und will den Ärzten auf medizinischem Gebiet das Feld streitig machen. Es kann immer nur darum gehen, Ärzte so zu entlasten, dass sie für ihre Tätigkeit die Freiräume erhalten, die sie benötigen. Ich finde es nachvollziehbar, dass Ärzte angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen manchmal skeptisch reagieren, wenn andere Berufsgruppen öffentlich darüber sprechen, welche Tätigkeiten sie in der Medizin übernehmen wollen. Für mich steht fest, dass jedes Delegationsmodell - ob es nun Schwester Agnes, Verah oder Helver heißt - auf die Akzeptanz von Patienten und Ärzten evaluiert werden muss. Wenn beide Seiten Vorteile darin sehen und dies auch belegt ist, habe ich gegen eine Delegation nichts einzuwenden.

Gargs Ziele für die Gesundheits- und Sozialpolitik in den kommenden Jahren

  • Im schleswig-holsteinischen Gesundheitswesen soll ein neues Klima einkehren, das zu einer konstruktiven Auseinandersetzung der einzelnen Akteure auf Augenhöhe führt. Motto: Mehr mit- als übereinander reden.
  • Der Prävention will er mehr Gewicht einräumen - sowohl in der Gesundheits- als auch in der Sozialpolitik, wo er "passgenaue Angebote" anstrebt.
  • Das Gesundheitsland Schleswig-Holstein soll ein unverwechselbares Profil bekommen, mit dem es sich gegen die zahlreichen Initiativen anderer Bundesländer abgrenzt.
  • Ärzte sollen sich wieder stärker auf ihren Beruf konzentrieren können. Die Rahmenbedingungen dafür muss nach Ansicht Gargs die Gesundheitspolitik schaffen.
  • Delegation ärztlicher Leistungen darf nach Meinung Gargs nur dann erfolgen, wenn Patienten und Ärzte davon profitieren. Entsprechende Modelle müssen evaluiert werden.
  • Mit dem Vorurteil aufräumen, dass die Kompetenz der FDP nur in der Wirtschaftspolitik liegt. Für Garg ist Gesundheits- und Sozialpolitik ein Bereich, der mehr öffentliche Wahrnehmung verdient hat und zunehmend wichtiger für die Gesellschaft wird.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 12/2009 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2009/200912/h09124a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Dezember 2009
62. Jahrgang, Seite 18 - 20
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2010

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