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ARTIKEL/1141: Klinische Forschung - Wo die Ärzte wirklich fehlen (DFG)


forschung 2/2010 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Wo die Ärzte wirklich fehlen

Von Jürgen Schölmerich


Der Klinischen Forschung in Deutschland geht der Nachwuchs aus. Nur bessere Ausbildungs- und Karrierewege können bleibende Schäden für Wissenschaft und Patienten verhindern. In der Pflicht sind die Medizinischen Fakultäten und die Politik.

Ein Gespenst geht um in Deutschland - das Gespenst des Ärztemangels. Glaubt man den Medien und manchen Standesvertretern und Gesundheitspolitikern, so gehen unserem Land die Ärzte aus. Das lässt sich mit Fug und Recht bezweifeln. Setzt man zum Beispiel die Zahl der niedergelassenen Mediziner in Bezug zur Bevölkerungszahl, so haben wir gewiss keinen Ärztemangel. Wir haben eher ein Verteilungsproblem: zwischen einzelnen Regionen, zwischen Ballungsräumen und der Fläche, wohl auch zwischen diesem und jenem Feld der ärztlichen Profession und Kunst.

Auf einem Gebiet aber fehlen tatsächlich immer mehr Ärzte in Deutschland: in der Klinischen Forschung, an der so wichtigen Schnittstelle von Wissenschaft und Medizin. Dieser Ärztemangel ist schon jetzt akut. Und wird immer bedrohlicher.

Der Mangel hat viele Gesichter. Allen voran fehlt es am Nachwuchs. Die Klinische Forschung benötigt zwingend immer neue forschende Ärztinnen und Ärzte. Tatsächlich jedoch entscheiden sich immer weniger junge Medizinerinnen und Mediziner für die Wissenschaft. Auch die Zahl der Förderanträge für Projekte in der Klinischen Forschung geht beständig zurück, und auf wissenschaftlichen Fachkongressen ist immer seltener etwas aus diesem Bereich zu sehen und zu hören.

Besonders deutlich zeigen sich die Probleme bei den medizinischen Dissertationen. Sie werden überwiegend studienbegleitend durchgeführt, eine systematische wissenschaftliche Ausbildung vor oder parallel zur Promotion findet nur in den wenigsten Fällen statt, eine strukturierte Promotionskultur in den Medizinischen Fakultäten gibt es kaum. Die Folge: Viele medizinische Dissertationen sind wissenschaftlich wenig ergiebig und werden nicht publiziert.

Erschwerend hinzu kommen die immer einseitigere Ausrichtung des Medizinstudiums auf die berufliche Praxis und die neue Approbationsordnung für Ärzte. Beides hat längst eine "Deprofessionalisierung" und "Entakademisierung" der medizinischen Ausbildung in Gang gesetzt. Und künftig dürften noch weniger Studierende der Medizin sich zur Promotion entschließen, erst recht nicht zu wissenschaftlich anspruchsvollen und somit zeitaufwendigen Arbeiten.

Doch auch nach der Promotion hören die Probleme nicht auf: Viele promovierte Mediziner üben in ihrer Weiterbildungszeit in der Klinik neben ihrer klinischen auch eine wissenschaftliche Tätigkeit aus - jedoch ohne systematische Weiterqualifikation. Wer diese im Ausland absolviert, kann danach oft nur mit Mühen an eine deutsche Klinik zurückkehren. Und wem an seiner Facharztanerkennung gelegen ist, der enthält sich der wissenschaftlichen Tätigkeit am besten ganz - diese wird nämlich für die Facharztweiterbildung nicht anerkannt, was in jeder Hinsicht ein Unding ist.

Auf viele dieser traurigen Befunde hat die DFG bereits 1999 in ihrer Denkschrift "Klinische Forschung" hingewiesen. Einiges hat sich seitdem tatsächlich zum Positiven entwickelt. Die Wurzel allen Übels aber besteht fort: Dem medizinischen Nachwuchs fehlt es noch immer an systematischen, verlässlichen und transparenten Ausbildungsstrukturen und an frühzeitiger Beratung über die möglichen Karrierewege und Perspektiven in der akademischen Medizin.

Die DFG-Senatskommission für Klinische Forschung hat sich daher jetzt des Problems erneut angenommen und weitreichende Empfehlungen zur Strukturierung der wissenschaftlichen Ausbildung für Medizinerinnen und Mediziner formuliert. Diese setzen im Studium an und ziehen sich durch alle Ausbildungsstufen.

Begabte Studierende müssen künftig viel früher für die Klinische Forschung gewonnen werden. Dies erfordert vielfache Freiräume. Die Studiengänge müssen so (re)organisiert werden, dass eine wissenschaftliche Grundausbildung gewährleistet ist, die auch Voraussetzung für eine qualitativ hochwertige Doktorarbeit sein kann. Die Ausbildung darf sich nicht nur auf den "kunsthandwerklichen" Aspekt der Medizin beschränken.

Qualifizierte Promotionen sollten durch "Promotionskollegs" begleitet werden, um eine über die eigentliche Promotion hinausgehende wissenschaftliche Zusatzausbildung zu garantieren. Hierfür ist eine Freistellung für die Promotion von mindestens einem Semester und eine Forschungszeit von mindestens einem Jahr erforderlich. Dabei müssen die Studierenden finanziell gefördert oder unterstützt werden, da die eo ipso bereits lange Ausbildung hierdurch ja weiter verlängert wird.

Nach der Promotion müssen Möglichkeiten der Forschungsweiterbildung geschaffen werden, was nur durch systematische Freistellungs- und Rotationsprogramme sichergestellt werden kann. Hierzu sollten auch und insbesondere die von der DFG bereitgestellten Mittel stärker genutzt werden. Gleiches gilt für die Möglichkeit, bei der DFG Eigene Stellen zu beantragen. Schließlich müssen Forschungszeiten endlich auf die Facharztweiterbildung angerechnet werden, wenn sie krankheits- oder patientenorientiert sind. Hier ist eine Anrechnung von mindestens einem Jahr dringend notwendig.

Zu guter Letzt müssen die Arbeitsbedingungen der Nachwuchsmedizinerinnen und -mediziner in den Universitätskliniken familienfreundlicher gestaltet werden und den geänderten Lebensentwürfen besser entsprechen. Der Arztberuf bringt definitionsgemäß komplizierte Arbeitsabläufe mit sich und erlaubt kein Stechuhrverfahren, sondern braucht Wochenend- und Nachtarbeit anstatt exakt planbarer Überstunden, und das alles bei im Krankenhaus natürlich allgegenwärtigen Notfällen. Umso wichtiger ist es, die übrigen Rahmenbedingungen zu verbessern, nicht zuletzt auch die zur Gleichstellung entsprechend den Standards der DFG. Dann macht Klinische Forschung Spaß und ergänzt die Tätigkeit junger Ärzte in erfreulicher Weise.

Für die Umsetzung dieser Empfehlungen sieht die Senatskommission der DFG vor allem die Medizinischen Fakultäten in der Pflicht. Sie müssen eine institutionelle Verantwortung für ihren Nachwuchs übernehmen. Dabei müssen sie von den zuständigen Ministerien in den Bundesländern in jeder Weise unterstützt und gefördert werden. Auch die Ärztekammern und die Tarifpartner im Gesundheitswesen können das ihre dazu tun, um die Lage des medizinischen Nachwuchses zu bessern.

Schnelles Handeln tut Not! Unterbleibt es, wird der Klinischen Forschung in Deutschland über kurz oder lang der Nachwuchs endgültig ausgehen. Dies hätte schon für die medizinische Wissenschaft bleibende Schäden zur Folge - aber ebenso für die praktische Medizin und damit auch für die Patientinnen und Patienten.

Prof. Dr. Jürgen Schölmerich ist Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

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Quelle:
forschung 2/2010 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 2-3
mit freundlicher Genehmigung der Autorin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2010

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