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ARTIKEL/1198: Hauptstadtkongress - "Diskussion über Priorisierung wird aktiv unterdrückt!" (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2011

Hauptstadtkongress
"Diskussion über Priorisierung wird aktiv unterdrückt!"

Von Horst Kreussler


Beim Hauptstadtkongress in Berlin wurde in diesem Jahr weniger über Geld, dafür mehr über Priorisierung und die menschlichen Ressourcen diskutiert. Während frühere Hauptstadtkongresse den knappen Faktor Geld im Fokus hatten und vor allem "Gesundheitsreformen" und Sozialpolitik thematisierten, war der 14. Kongress geprägt vom knappen Faktor Mensch, dem Mangel an Ärzten und qualifizierten Funktions- und Pflegekräften. Neben direkten Lösungsversuchen wurde auch ein indirekter Weg diskutiert, die Vermeidung einer übermäßigen, selbstverantworteten Beanspruchung des Gesundheitswesens. Kongressgründer Ulf Fink dazu: "Kein Gesundheitssystem der Welt kann darauf verzichten, dass die Menschen mehr Verantwortung für ihre eigene Gesundheit übernehmen. Dazu müssen jedoch viele ihre Einstellung und ihr Verhalten dauerhaft ändern."

Die naheliegende Frage, ob dies jedoch im Erwachsenenalter überhaupt noch möglich sei und wie wir ein Leben lang dazu lernen können, beantwortete der Hirnforscher Prof. Gerald Hüther (Göttingen und Mannheim/Heidelberg) in seinem mit großem Beifall aufgenommenen Eröffnungsvortrag. Ja, wir können unser Verhalten, einen krank machenden Lebensstil ändern, aber nicht einfach durch Aufklärung, durch Appelle ("Rauchen ist tödlich") oder durch "Kuschelpädagogik". Verhalten lasse sich im Wesentlichen nur ändern durch Änderung der zugrundeliegenden erworbenen (nicht ererbten) Haltungen, die im Hirn eingeprägt seien. Dies gehe nur, wenn der Mensch dies wirklich wolle, wenn er einen Sinn in der Verhaltensänderung sehe und wenn er mit Freude oder Begeisterung Neues lerne und neue Wege beschreite. "Unser Hirn wird so, wie wir es mit Begeisterung benutzen. Wie können uns beispielsweise Ärzte dazu bringen? Durch Einladen, Ermutigen und Inspirieren!"

Er nannte Beispiele, wie die Bildungserfolge von Menschen mit Trisomie 21 ("machen heute Abitur"), die überschüssigen Hirnkapazitäten von Kleinkindern ("bis sie in die Schule kommen") oder den Erfolg von Krankenhäusern mit einem gemeinsamen "guten Geist" vom Hausmeister bis zum Chefarzt. Hüther: "Der Arzt kann dazu beitragen, dass der menschliche Körper die Bedingungen findet, die Selbstorganisationsprozesse in Gang setzen und zur Heilung führen."

In einer anderen Veranstaltung während des Hauptstadtkongresses plädierte Prof. Heiner Raspe (Lübeck) neben anderen Mitstreitern und Diskutanten für eine Intensivierung des Diskurses über die Einführung einer Priorisierung nach skandinavischem Modell. Er kritisierte vor allem, jeder höre gleich "Rationierung", wenn der Begriff (bzw. Prioritätensetzung für so etwas wie Rahmenempfehlungen) genannt werde - ja, die Diskussion werde in Deutschland aktiv unterdrückt.

Zur Erinnerung: Raspe hatte im vergangenen Jahr wie berichtet eine bundesweit beachtete Bürgerkonferenz zur Priorisierung in Lübeck gestartet. Er versuchte in Berlin, eine Reihe von Einwänden als Missverständnisse zu widerlegen. So seien keineswegs (verbindliche) Richtlinien, sondern nur empfehlende Leitlinien gemeint. Ob allerdings an sich fachlich zu einem Zeitpunkt sinnvolle Empfehlungen nicht leicht von der Politik umfunktioniert werden könnten, war eine andere, in Gesprächen im Umfeld gestellte Frage.

Die Versorgungswirklichkeit war ein weiteres wichtiges Thema. Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Dr. rer. pol. Heiner Garg nutzte die Plattform des Hauptstadtkongresses, um die erfolgreichen Ansätze der ambulant-stationären Patientenversorgung aufzuzeigen (vgl. auch Seite 24 in diesem Heft). Auf die Frage, was unser Bundesland im Gesundheitssektor von anderen positiv unterscheide, nannte er gegenüber dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt zusammenfassend drei Punkte: die gute Zusammenarbeit der gesundheitspolitischen Akteure, den hohen Vernetzungsgrad und den hohen Anteil der hier Beschäftigten.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201106/h11064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juni 2011
64. Jahrgang, Seite 61
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2011

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