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MEINUNG/055: Plädoyer für ein freiheitlich-solidarisches Gesundheitssystem (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1/2010

Gesundheitssystem auf dem Prüfstand
Plädoyer für ein freiheitlichsolidarisches Gesundheitssystem

Von Dr. Christian Sellschopp


Wie sollte Deutschland auf die Fortschrittsfalle Medizin reagieren?
Dr. Christian Sellschopp will zu einer öffentlichen Diskussion anregen.


Die paradiesischen Zeiten, in denen wir gesund, kinderreich und in intakter Alterspyramide lebten, sind vorbei. Allenfalls vielleicht an den Oberläufen des Amazonas mag es noch Stämme geben, lebend in Ehrfurcht vor ihren Göttern, versorgt von einem Medizinmann, Stämme mit zahlreichen Kindern, vielen Heranwachsenden, schon weniger Mitgliedern in der Blüte der Zeugungsfähigkeit und einigen weisen und zahnlosen Älteren, die noch listig genug sind, trotz nachlassender Behändigkeit den Krokodilen zu entkommen. Wer sich also sehnt nach einem Leben in intakter Umwelt, eingebettet in feste soziale Strukturen, mit naturheilkundlicher Rundum-Betreuung, ohne Furcht vor elektronischer Überwachung und sicher bewahrt vor unerwünschten lebensverlängernden Maßnahmen, der besorge sich ein Kanu und paddele tapfer stromauf.

Wir aber, die wir befreit von Pest und Cholera immer älter werden und auch mit weit über siebzig Jahren noch feste zubeißen können, wie bewältigen wir die demografische Schieflage, in die uns die moderne Medizin gebracht hat? Wie bewältigen wir das demografische Dilemma, das die Kosten von immer mehr und immer aufwändigeren Behandlungsmöglichkeiten auf immer weniger zahlungsfähige Schultern verteilt? Wie bewältigen wir das Paradoxon, dass die moderne Medizin zwar den Einzelnen häufig heilt, dies aber um den Preis einer immer kränker werdenden Bevölkerung? Denn reichte früher eine ernsthafte Krankheit zum Tode, so bringen wir es heute auf deutlich mehr. Wer gestern kostenlos tot war, ist heute teuer krank. Das ist der Preis medizinischen Fortschritts. Der Bedarf zivilisierter Gesellschaften an medizinischer Behandlung steigt unaufhaltsam an. Diese Erkenntnis ist nicht neu, schon vor mehr als 100 Jahren, 1872, schrieb der Chirurg Theodor Billroth in einem Brief an Johannes Brahms: "Ich habe übrigens seit vielen Jahren das Paradoxon aufgestellt, dass die steigende Vervollkommnung der ärztlichen Kunst wohl dem Individuum zugutekommt, die menschliche Gesellschaft aber ruinieren muss." Heute, das belegen demografische und medizin-ökonomische Daten, sind wir mitten drin in der vor mehr als 20 Jahren vom Wirtschafts- und Sozialstatistiker Walter Krämer beschriebenen "Fortschrittsfalle Medizin".

Nun kann man ja hoffen, eines Tages werde die Medizin all das, was wir heute Krankheit nennen, besiegt haben. Aber selbst wenn diese Hoffnung nicht trügt, werden wir dann alle im Alter von 120 bis 130 Jahren friedlich abtreten wollen? Werden wir nicht auch dann vielleicht doch nach Frischzellen fragen, die weitere - na ja - erst mal nur zwei drei Jährchen ermöglichen, jedenfalls so lange, bis der Lieblings-Ur-Ur-Enkel, den wir nur einmal noch sehen möchten, vom Mars zurück ist? Man kann auch hoffen, der Fortschritt der Medizin werde alle notwendige und ausreichende Behandlung zu bezahlbaren Bedingungen ermöglichen, wir müssten nur das jeweils richtige Pilzchen finden. In der Tat, das kann man hoffen. Aber reicht Hoffnung aus als Grundlage für eine rationale gesundheitspolitische Diskussion?


"Zwei-Klassen-Medizin ist erträglich allenfalls für diejenigen, die in der richtigen Klasse sitzen."

Nein, wir werden uns wohl abfinden müssen mit dem Lemma von der Fortschrittsfalle. Und daraus folgt unmittelbar das Dilemma: Es ist nicht mehr alles Machbare auch für alle bezahlbar. Wir stehen vor dem destruktiven Dilemma, aus Gründen der Humanität jedem Individuum jede nur denkbare Hilfe gewähren zu wollen, wohl wissend, dass dies nicht mehr für alle möglich ist. Diese Botschaft hört niemand gern. Nicht Politiker und schon gar nicht Wähler. Denn Zwei-Klassen-Medizin ist erträglich allenfalls für diejenigen, die in der richtigen Klasse sitzen. Und das ist die Minderheit. Ganz abgesehen von mitmenschlichen Erwägungen ist schon deshalb ein demokratisch zustande kommender gesellschaftlicher Konsens in dem Sinne, jeder erhalte die medizinischen Leistungen, die er sich leisten kann, nicht zu erwarten.

Auch nicht konsensfähig - das zeigt die aktuelle Diskussion um die Gesundheitsprämie - sind subsidiäre Modelle der Finanzierung von Gesundheitsleistungen. Nicht einmal in der bürgerlichsten aller derzeit im Bundestag denkbaren Konstellationen ist dafür eine Mehrheit in Sicht. Im Spannungsfeld Rechtsstaatsprinzip versus Sozialstaatsprinzip machen die Einen zwar geltend, Umverteilung, also Wegnahme von Eigentum auf der einen Seite, sei erst dann zu rechtfertigen, wenn auf der Empfängerseite wirklicher Bedarf zur Hilfe bestehe. Im Vordergrund stehe zunächst die Eigenverantwortung für das eigene Schicksal. Andere aber verweisen auf das Gebot der Solidarität nicht erst in Notlagen, sondern schon in der grundsätzlichen Bereitstellung von Mitteln für ein allen gleichermaßen zugängliches Gesundheitswesen. Und tatsächlich ist es auch aus ärztlicher Sicht fraglich, wieweit der Einzelne wirklich in der Lage ist, sein gesundheitliches Schicksal selbst zu beeinflussen. Denn ganz abgesehen von genetischen Prädispositionen, die sich keiner selbst ausgesucht hat, fragen auch Umweltgifte, Viren und Bakterien weder nach Vermögen noch nach Charakter oder Intellekt.

Nun kann man sich ja fragen, ob in der Befriedigung des Grundbedürfnisses Gesundheit Vater Staat nicht tatsächlich die beste Adresse ist. Ist nicht tatsächlich die Gesundheit ein so hohes Gut, dass sich damit keiner auf Kosten Anderer eine goldene Nase verdienen können sollte? Sind nicht angesichts unaufhaltsam steigender Kosten staatliche Systeme am besten geeignet, den Mangel zu verwalten, also Rationierung und Priorisierung am unparteiischsten - vor dem Gesetz sind alle gleich - zu exekutieren? Die Realität staatlicher Systeme sieht anders aus. Die krasseste Zwei-Klassen-Medizin mit luxuriösesten Privatpraxen und versteckten Regierungs-/Nomenklatura-Krankenhäusern findet man gerade dort. Nach den Auswüchsen staatlicher Versorgung frage man unsere in der DDR sozialisierten Kollegen. Man schaue sich aber auch um in Norwegen, Schweden, England, Holland. Patiententourismus gibt es nicht von uns dorthin, sondern umgekehrt.

Die Lösung liegt auch nicht im Zusammenführen von Budgetverantwortung und Leistungserbringung in nichtstaatlicher Hand, denn die Tendenz, von einem Budget soviel Gewinn wie möglich übrig zu behalten, führt ebenfalls zu inadäquater Einschränkung der Versorgung spätestens dann, wenn anfänglich vielleicht vorhandene Einsparpotenziale ausgeschöpft sind. Wer dies bezweifelt, steckt den Kopf in den Sand vor der 'Fortschrittsfalle Medizin'. Nein, der Patient braucht Schutz vor zu wenig und zu teurer, aber auch vor zu viel und zu ineffizienter Medizin. Es gilt deshalb, den Ausgleich zu finden zwischen Agonisten, also denen, die ein Interesse haben, möglichst viele und gut honorierte Leistungen zu erbringen (Ärzte, Krankenhäuser etc. und deren Organisationen) und Antagonisten, also denen, die ein Interesse daran haben, für möglichst effiziente Leistungen so wenig wie möglich auszugeben (Patienten und deren Organisationen, z. B. Krankenkassen). Es gilt, einen geregelten Antagonismus zu organisieren im Sinne einer zielgerichteten Bewegung hin zu möglichst kostengünstiger und effizienter Medizin für alle.

Das Stichwort dafür heißt Wettbewerb, Wettbewerb, dessen Auswüchse der Staat regeln muss, in dem er aber nicht selbst als Player auftaucht. Die Summe pragmatischen Sachverstandes Einzelner in kleinen Einheiten ist immer größer als zentralistisch zusammengefasster Sachverstand in Behörden oder auch Großunternehmen. Deshalb, auch das gilt es zu regeln, dürfen weder Agonisten, noch Antagonisten zu groß werden. Erst Trägervielfalt aufseiten der Leistungserbringer und aufseiten der Kassen garantiert den phantasievollen Wettbewerb unterschiedlicher Lösungsansätze. Trotz aller 'Neoliberalismus' rufenden Unken: Sozial-marktwirtschaftlich geregelter Wettbewerb ist das am besten geeignete Instrument, um die Effizienz der medizinischen Leistungserbringung zu optimieren. Erst Wettbewerb garantiert, dass 'Reserven im System' wirklich ausgemacht und gehoben werden. Wettbewerb von Krankenkassen untereinander um Mitglieder und um möglichst effiziente Leistungserbringer, Wettbewerb von niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern untereinander um Patienten.

Die Aufforderung zum Wettbewerb führt bei Medizinern leicht zu Unbehagen. So gilt auch Werbung in der Medizin schnell als unseriös. Woran liegt das? Ist es Standesdünkel, wenn Ärzte sich nicht als reine Dienstleister fühlen? Eher im Gegenteil, aber tatsächlich ist Nicht-Medizinern das peinigende Gefühl der eigenen Unvollkommenheit, das selbst bei so standardisiert-technischen Verrichtungen, wie der Operation eines banalen Leistenbruches spätestens dann aufkommen kann, wenn es unvermutet heftig dunkel aus der Tiefe blutet, nur schwer zu vermitteln. In der Erkenntnis, wie wenig die Wissenschaft wirklich vom Menschen weiß (und wie wenig man selbst als Arzt, der auch nur ein Mensch ist, wirklich von der Wissenschaft weiß), lebt und arbeitet man eigentlich in der ständigen Besorgnis, dass es trotz aller Sorgfalt eben auch mal fürchterlich daneben gehen kann, potenziell mit schrecklichen Folgen. Diese ständige Besorgnis, von der die Patienten meist keine Ahnung haben (müssen sie auch nicht, denn zu deren Heilung ist auch Zuversicht und Vertrauen nötig) ist dem Bäcker, der Brötchen verkauft, eher fremd. Die Beziehung Arzt-Patient ist deshalb etwas anderes als ein reiner Dienstvertrag, bei dessen Erfüllung Geld zu fließen hat. Sie ist auch so etwas wie eine Schicksalsgemeinschaft mit der Bereitschaft auf beiden, auch auf Arztseite, prinzipiell unkalkulierbare Risiken einzugehen. Und das ist eigentlich mit Geld nicht zu bezahlen. Deshalb schreiben Ärzte keine Rechnungen, sondern Liquidationen. Deshalb erwarten sie auch nicht schnöden Mammon, sondern die wertschätzende Ehre eines Honorars. Deshalb, der prinzipiellen Unschärfe der Abbildung ärztlichen Handelns wegen, sind ihnen auch Ansätze zur Messung der Behandlungsqualität mit der Intention eines 'pay for performance' eher suspekt.

Dennoch müssen Ärzte bereit sein, sich einem Wettbewerb untereinander zu stellen. Die Frage ist nur, wer welche Maßstäbe anlegt. Ist gut, was der Gesellschaft nützt? Sind ökonomische Parameter geeignet, die Qualität ärztlicher Behandlung zu beschreiben? Nein, weder gesellschaftliche, noch ökonomische Interessen haben in der Arzt-Patienten-Beziehung etwas zu suchen. Der Hilfe suchende Kranke muss darauf vertrauen können, dass sein Arzt bestrebt ist, sämtliche Möglichkeiten der Hilfe in seinem, des individuellen Patienten Sinne zu nutzen, ohne von Fremdinteressen beeinflusst zu sein. Darin liegt der Sinn der Freiberuflichkeit. Wer in diesem Sinne ein guter Doktor ist, das können deshalb nur die Betroffenen selbst, die Patienten entscheiden.

Kern einer von Freiheit, Vertrauen und Verantwortung geprägten Arzt-Patienten-Beziehung ist deshalb ein direktes, von Fremdbestimmung unbeeinflusstes Vertragsverhältnis. Ein Vertragsverhältnis mit direkter Honorierung ärztlicher Leistung, also die Abkehr vom Sachleistungsprinzip, ist Voraussetzung auch für Transparenz und für ein dringend erforderliches Kostenbewusstsein bei Patienten. Denn schließlich ist im Sachleistungsprinzip der Patient selbst im Abrufen von Leistungen so gut wie ungebremst. Zwischen IGEL-Leistungen und wirklich Notwendigem gibt es aber eine Reihe von GKV-Leistungen, auf die man mit großer Sicherheit schadlos verzichten könnte und würde, wenn sie etwas kosteten.

Ein immer größerer Teil heute erbrachter medizinischer Leistungen dient nicht der Heilung, sondern der Minderung von Risiken. So verlangt der Hobby-Drachenflieger, der den nächsten Urlaub an den Klippen von Famara bereits gebucht hat, bei der geplanten operativen Versorgung seiner viel zu großen und blutreichen Schilddrüse selbstverständlich die Bereitstellung von Eigenblut. Würde er auch dann danach verlangen, wenn er sich an den Kosten dafür beteiligen müsste und man ihm klarmachte, dass die Wahrscheinlichkeit, bei seinem Hobby zu verunglücken, um mehrere Zehnerpotenzen höher ist, als bei einem Eingriff durch Fremdblut, das vielleicht nicht einmal zum Einsatz kommen müsste, infiziert zu werden?

Angesichts prinzipiell begrenzter Mittel muss man die Frage stellen dürfen, wie viel dem Einzelnen die Minderung von Risiken wert ist. Im Sachleistungsprinzip bleibt nur, Leistungen für alle oder für keinen zur Verfügung zu stellen. Die Entscheidungsfreiheit, eine Leistung im Zweifel dennoch zu bekommen, bleibt nur denjenigen, die sie ggf. auch außerhalb des Systems erlangen und bezahlen können. In einem System der direkten Honorierung mit Kostenerstattung ist eine angemessene Kostenbeteiligung des Einzelnen erheblich einfacher realisierbar. Denn erst wenn es gelingt, die Zumutbarkeit einer Eigenbeteiligung an die individuelle Leistungsfähigkeit anzupassen, bleibt auch für die weniger Betuchten unserer Gesellschaft die Entscheidungsfreiheit für oder gegen Leistungen, die sonst wegfielen, erhalten.

Wie aber kann man zu wettbewerblicher Marktwirtschaft der Leistungserbringer und der Kostenträger kommen, ohne die Gesellschaft zu überfordern? Man wird zugeben müssen, dass in unserem gewachsenen System des Nebeneinanders von GKV und PKV die Solidarität an der Pflichtversicherungsgrenze endet, dies auch und obwohl schon jetzt ca. zehn Prozent der Versicherten (PKV) ca. 30 Prozent der Kosten tragen. Wenn wir ein nachhaltiges und solidarisches echtes Versicherungssystem für alle wirklich wollen, werden wir nicht umhinkommen, das zu ändern. Und auch wir als Ärzte können uns nicht vornehm und ausschließlich fordernd aus der Diskussion darüber heraushalten. Der Frage, ob denn unsere Forderungen auch die Chance der Realisierbarkeit haben, müssen auch wir uns stellen.

Im Folgenden soll deshalb ein Modell solidarischer Finanzierung eines wettbewerblichen Systems kurz skizziert werden.

Solidarität in einem wettbewerblich organisierten Gesundheitswesen bedeutet Chancengleichheit des Marktzuganges. Hätten alle gleich viel Geld, wäre das kein Problem. Haben sie aber nicht - also muss man dafür sorgen, dass beim Zugang zum Markt Gesundheitswesen eine virtuelle Währung gilt. Eine Währung, von der alle gleich viel haben müssten. Denn ist nicht eigentlich jeder bereit, wenn es denn ans Leben geht, ein Maximum dessen, was er vermag, einzusetzen? Das Maximum dessen, was jemand einzusetzen vermag, ist sein Gesamteinkommen (all inclusive). Wer doppelt soviel Einkommen hat wie der Durchschnitt, vermag auch das Doppelte des Durchschnitts, wer nur die Hälfte hat, vermag auch nur halb so viel. So kann also jedem Versicherten ein Relativgewicht zugeordnet werden, das sich aus dem Quotienten aus dem individuellen Einkommen und einem gegebenen Referenz-Einkommen (z. B. Durchschnittseinkommen) ergibt. Es gilt Versicherungspflicht für alle Evidenz-basiert sinnvollen medizinischen Leistungen bei freier Wahl der Versicherung. Die Kalkulation des individuell risikoäquivalenten Beitrages in Euro ist Sache der Versicherung; die Versicherungen stehen damit im Wettbewerb um Kunden. Der kostengünstigste Beitrag ist ermittelbar, es steht dem Einzelnen aber frei, sich auch woanders und auch für Luxus-Leistungen zu versichern. Der kostengünstigste Beitrag ist zu multiplizieren mit dem Relativgewicht des Versicherten. Der aus diesem Produkt resultierende Betrag in Euro zuzüglich einer evtl. Differenz zwischen dem Beitrag einer vom Versicherten gewählten teureren Versicherung und dem kostengünstigsten Beitrag wird vom Versicherten in einen AUSGLEICHSFONDS eingezahlt. Die vom Versicherten gewählte Krankenkasse erhält ihren Beitrag, der ausschließlich risikoäquivalent und nicht einkommensabhängig ist, in kalkulierter Höhe in Euro aus diesem AUSGLEICHSFONDS.

In einen solchen AUSGLEICHSFONDS könnten zwar auch steuerfinanzierte, also rein einkommensabhängig aufgebrachte Mittel für z. B. die Versicherung von Kindern fließen, er ist aber doch deutlich zu unterscheiden von einem steuer- oder beitragsfinanzierten Fonds-System, das die Zuordnung des vom Einzelnen aufzubringenden Beitrages in Äquivalenz zu Leistungsfähigkeit und individuellem Risiko nicht erlaubte. Stellgröße für das von den Versicherten aufzubringende Gesamtvolumen im FONDS ist die Höhe des Referenzeinkommens zur Ermittlung der individuellen Einkommens-Relativgewichte.

Für Schubladendenker ist das, wenn man denn will, so etwas wie eine 'Bürgerversicherung', jedenfalls von der Höhe der Beiträge her. Der wesentliche Unterschied aber ist der Verzicht auf einen von einer staatlichen Monsterbehörde auf zweifelhafter Datengrundlage abgewickelten Morbi-RSA zugunsten eines sich im Wettbewerb der Krankenkassen optimierenden Systems der Risikoabschätzung. Es ist die deutliche Abkehr vom Weg zur Einheitskasse hin zu echten Versicherungsunternehmen, die sich auf einem Markt freiberuflich-selbstständiger Leistungserbringung im ambulanten und stationären Sektor anstatt mit stumpfsinniger Budgetierung auf der Grundlage blödsinniger Bedarfs-Mittelwerte mit den Mitteln z.B. des Fallmanagements bewegen können und sollen. (Wie man schon heute ein sinnvolles und wirksames Fallmanagement betreibt, können Sie von den Berufsgenossenschaften lernen, die dies seit Jahrzehnten erfolgreich vormachen.)


Auch Kollektivverträge zur ambulanten Versorgung werden noch notwendig und sinnvoll sein.

In einem solchen System sind auch an das individuelle Leistungsvermögen angepasste Eigenbeteiligungen der Versicherten leichter zu realisieren, denn prozentuale Beteiligungen an Realkosten können wie die Beiträge selbst multipliziert mit dem individuellen Einkommens-Relativgewicht in den AUSGLEICHSFONDS hinein und unquotiert hinausfließen. In einem solchen System werden auch Kollektivverträge zur ambulanten Versorgung noch notwendig und sinnvoll sein. Vertragsinhalt von Kollektivverträgen mit KVen, aber auch von Einzelverträgen könnte zum Beispiel die Verpflichtung der teilnehmenden Ärzte sein, ihre Liquidation um einen nennenswerten Betrag/Prozentsatz zu mindern, der dann erst von der Kasse via Arzt-Organisation qualitätsabhängig und mit z. B. Mengenrabatten etc.etc. an ihn zurückfließt.

Es sei dem Autor abschließend nachgesehen, wenn er als in ärztlichen Körperschaften ehrenamtlich Engagierter es weit besser findet, wenn kollektiv gültige Normen und Preise mit Vertretern einer Körperschaft, die von den Betroffenen selbst gewählt werden können, im Sinne des Ausgleichs von Antagonisten verhandelt werden müssen, anstatt von einer Behörde festgesetzt zu werden.

Nachhaltige und grundlegende Änderungen unseres Gesundheitssystems jedenfalls sind unumgänglich, um der Fortschrittsfalle Medizin zu begegnen. Vielleicht ist ja die Hoffnung auf ein junges, noch nicht zu sehr von des Gedankens Blässe angekränkeltes und von Bedenkenträgern beeinflusstes Team im BMG nicht ganz unberechtigt. Weiland Alexander jedenfalls war auch nicht älter, als er den Gordischen Knoten durchschlug.


Fazit
Kern einer von Freiheit, Vertrauen und Verantwortung geprägten Arzt-Patienten-Beziehung ist ein direktes, von Fremdbestimmung unbeeinflusstes Vertragsverhältnis.
Vor dem Hintergrund zwangsläufig steigender Gesundheitskosten ist sozial-marktwirtschaftlicher Wettbewerb der Leistungserbringer und der Krankenkassen untereinander um Patienten bzw. Versicherungskunden das am besten geeignete Instrument, um die Effizienz der medizinischen Versorgung zu optimieren.
Transparenz der Leistungserbringung und durch Eigenbeteiligung geschärftes Kostenbewusstsein bei der Inanspruchnahme erfordern die Abkehr vom Sachleistungsprinzip.
Echter Wettbewerb von Krankenversicherungen untereinander ist nur dann möglich, wenn sie die Höhe ihrer Beiträge selbstbestimmt und aufgrund eigener Kalkulation festlegen können. Denn auch die Methodik der Risikokalkulation selbst bedarf der wettbewerblichen Optimierung.

Dr. Christian Sellschopp - Über Anregungen zum Thema freut sich der Autor unter aerzteblatt@aeksh.org


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 1/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201001/h10014a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

"Wir stehen vor dem destruktiven Dilemma, aus Gründen der Humanität jedem Individuum jede nur denkbare Hilfe gewähren zu wollen, wohl wissend, dass dies nicht mehr für Alle möglich ist."   Dr. Christian Sellschopp


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Januar 2010
63. Jahrgang, Seite 30 - 34
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2010