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AIDS/902: Indien - Forscher entdecken neue HIV-Stämme, weitere Ausbreitung von AIDS befürchtet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Dezember 2012

Indien: Forscher entdecken neue HIV-Stämme - Weitere Ausbreitung von AIDS befürchtet

von Ranjit Devraj



Neu-Delhi, 6. Dezember (IPS) - Indien hat in den vergangenen zehn Jahren die Verbreitung des HI-Virus zwar drastisch eindämmen können. Dennoch sind Wissenschaftler des südasiatischen Landes besorgt über das Auftreten neuer Virenstämme, die die Immunschwächekrankheit AIDS auslösen können.

Das Gemeinsame Programm der Vereinten Nationen zu HIV/AIDS (UNAIDS) lobt Indien in seinem Bericht 2012 dafür, dass sich die Zahl der neuinfizierten Erwachsenen zwischen 2000 und 2009 halbiert hat. Derzeit sind 2,4 Millionen Inder HIV-infiziert. Eine Million hat Zugang zu anti-retroviralen Therapien (ART).

Der Subkontinent sieht sich jedoch mit der Tatsache konfrontiert, dass sich der am häufigsten vorkommende HI-Virus vom Typ I (HIV-1) rasch weiterentwickelt. Der HIV-1-Untertyp C führt in Indien zu fast 99 Prozent aller Aidsinfektionen. Er ist auch in China, Südafrika und Brasilien verbreitet. Wissenschaftler am Jawaharlal-Nehru-Zentrum (JNCASR) in Bangalore haben kürzlich fünf neue Stämme des HIV-1-Untertyps C gefunden, von denen zwei infektiöser zu sein scheinen als der herkömmliche Stamm.

"Die Studie ist die erste dieser Art, die festgestellt hat, dass eine wichtige HIV-1-Familie evolutionsbedingte Veränderungen durchmacht", erklärte der Mediziner Ranga Udaya Kumar, der als Professor in der Abteilung für Molekularbiologie des Zentrums arbeitet. Obwohl die Studien des Zentrums bisher nicht beweisen konnten, dass die neuen Stämme besonders pathogen sind, gibt es dem Forscher zufolge doch allen Grund zu der Annahme, dass sie leichter Infektionen auslösten.

Die Ergebnisse der JNCASR-Untersuchung wurden von der 'American Society for Biochemistry and Molecular Biology' in der November-Ausgabe des Fachmagazins 'Journal of Biological Chemistry' veröffentlicht.


Neue Stämme produzieren mehr 'Tochter-Viren'

"Die neuen Virenstämme scheinen einen stärkeren Katalysator zu enthalten", sagte Mahesh Bachu, der das Forscherteam des Zentrums bei der Studie leitete. Ein Virus mit einem stärkeren Katalysator in der DNA produziert offensichtlich mehr 'Tochter-Viren' und verbreitet sich schneller. "Bei den Laborversuchen hat sich gezeigt, dass die neuen HIV-Stämme mehr Tochter-Viren hervorbringen als normale Stämme", erklärte Bachu.

Retroviren, die AIDS verursachen, vermehren sich, indem ihre Ribonukleinsäure (RNA) durch ein Enzym namens 'reverse Transkriptase' in die DNA übertragen wird, die in die Wirtszelle eindringt und zusammen mit der Zelle und ihren Töchtern reproduziert wird.

"Mit den neuen HIV-Stämmen infizierte Personen produzieren nicht nur mehr Tochterviren, sondern sie scheinen auch an sich mehr Viren in sich zu tragen", sagte Bachu. Die Studie stützt sich auf die Auswertung von 163 Blutproben, die aus Krankenhäusern in mehreren Teilen Indiens kamen.

An der Studie beteiligten sich außerdem Mitarbeiter des YRG Zentrums für Aidsforschung und -erziehung in Chennai, der St. John Akademie für Gesundheitswissenschaften in Bangalore, des Nationalen Instituts für mentale Gesundheit und Neurowissenschaften in Bangalore und des Medizininstituts AIIMS in Neu-Delhi.

Die klinischen Ergebnisse seien durch Laborversuche erhärtet worden, bei denen virale, immune und molekulare Strategien eingesetzt wurden, erklärte Bachu. "Ein ähnlicher Prozess viraler Evolution wurde außerdem in Südafrika, China und im Süden Brasiliens beobachtet. In diesen Ländern kommt die gleiche HIV-1-Familie vor."

Bezeichnenderweise kamen diese neuen Stämme noch nicht häufig vor, als Bachu und sein Team sie zuerst bei Studien in den Jahren 2000 bis 2003 beobachteten. Sie machten damals nur ein bis zwei Prozent bei jeder der fünf Varianten aus.


Auftreten hat sich binnen weniger Jahre verstärkt

Ein Jahrzehnt später hat sich das Auftreten von drei der fünf neuen HIV-1-Gruppen multipliziert. Bachu hebt hervor, dass die mit dem neueren Stamm 4-kappaB infizierten Patienten mehr Plasmaviren im Blut haben als diejenigen, die sich mit dem bereits existierenden 3-kappaB- Stamm angesteckt hatten.

"Es ist möglich, dass eine höhere Viruslast es den 4-kappaB-Stämmen ermöglicht, rascher übertragen zu werden. Somit verbreiten sich die neuen Viren rascher." Nach Ansicht von Kumar haben die Erkenntnisse neue Fragen bezüglich der Widerstandsfähigkeit von Viren und der Krankheitskontrolle aufgeworfen. In Indien sorge man sich vor allem darum, ob die neuen HIV-Stämme das Krankheitsbild von HIV-Infektionen im Land verändern können. (Ende/IPS/ck/2012)


Link:

http://www.unaids.org/en/
http://www.jncasr.ac.in/
http://www.jbc.org/
http://www.ipsnews.net/2012/11/evolving-hiv-strains-worry-indian-scientists/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2012