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FORSCHUNG/004: Tatort Reagenzglas - Die Schlafkrankheit im Visier der Biochemie (RUBIN)


RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Sonderheft 10/2010 - Junge Forschung Ruhr-Universität Bochum

Die Schlafkrankheit im Visier der Biochemie
Tatort: Reagenzglas

Von Janina Wolf


Die Afrikanische Schlafkrankheit gehört zu den "vernachlässigten" Tropenkrankheiten, fordert jedoch jährlich viele tausend Opfer. Forscher an der Ruhr-Universität Bochum haben eine Strategie entwickelt, die krankheitsauslösenden Parasiten zu bekämpfen. Dabei nutzen sie eine Reihe von biochemischen Methoden.


Die Schlafkrankheit: Jährlich fordert sie 40.000 Opfer, zehn Millionen Menschen leben im ständigen Risiko einer Ansteckung. Betroffen ist vor allem die arme Bevölkerung Afrikas. Die wenigen Medikamente, die bisher verfügbar sind, bergen große gesundheitliche Risiken wie z.B. Leberschäden oder sind zu teuer. Es stehen weder eine medikamentöse Prophylaxe noch ein Impfstoff zur Verfügung. Nach Meinung der pharmazeutischen Industrie lohnt eine Investition in Entwicklungsländer nicht. Nach zwei Epidemien zwischen den Jahren 1896 und 1920 dauert die dritte seit 1970 bis heute an.

Ausgelöst wird die Krankheit durch Trypanosoma brucei, einen einzelligen Parasiten (s. Abb. 4). Wird der Mensch von einer infizierten Tsetse-Fliege gestochen, werden mehrere tausend Parasiten ins Blut übertragen. Dort vermehren sie sich und dringen nach einiger Zeit in das zentrale Nervensystem ein. Anfangs leiden Betroffene unter Kopfschmerzen, Fieber und Hautausschlag. Beginnt nach einigen Monaten das zweite Stadium, so führt die Krankheit über Koordinations- und Schlafstörungen sowie Krampfanfälle unweigerlich zum Tod.

Eine Möglichkeit, die Trypanosomen zu bekämpfen, ist die Unterbrechung ihrer Energieversorgung. Die Parasiten erhalten ihre Energie aus dem Glukose-Abbau, einem Stoffwechselschritt, der in speziellen Organellen - den Glykosomen - stattfindet. Dabei ist der korrekte Import der dafür benötigten Enzyme in die Glykosomen nötig.

Ein Schlüssel zur Unterbrechung der Energieversorgung und somit unser Ziel ist die Blockade des Proteinimports in Glykosomen (Info 1). Für den Import ist eine Reihe von Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Proteinen essentiell. Diese Proteine gehören zu den Peroxinen (Pex). Eine bereits gut charakterisierte und sehr wichtige Wechselwirkung ist die Interaktion zwischen Pex5 und Pex14 an der Membran der Glykosomen. Nur, wenn diese Interaktion einwandfrei von statten geht, ist der Proteinimport möglich. Gelingt es, sie zu blockieren, kann die Glykolyse in den Glykosomen nicht mehr ablaufen, was zum Tod des Parasiten führt.

Um die Wechselwirkung zwischen Pex5 und Pex14 gezielt zu unterbinden, arbeiten wir mit verschiedenen Methoden. Ein erster Schritt war die Entwicklung eines Tests (Assay), der die Interaktion zwischen Pex5 und Pex14 sichtbar machen kann. Dafür haben wir zunächst die nötigen Proteine in Bakterien produziert und gereinigt (s. Abb. 3 und 5). Das theoretische Prinzip des Assays (Abb. 2A): Mittels einer speziellen Bindung wird der für die Interaktion wichtige Abschnitt des trypanosomalen Pex14 (Pex14N) fest an Testplatten gekoppelt. Daraufhin wird der Bindepartner - ein kleines Eiweiß (Peptid) aus dem trypanosomalen Pex5 - zugegeben und sollte mit Pex14N interagieren. Das Pex5-Peptid ist mit einem wasserlöslichen Vitamin (Vitamin B7, Biotin) markiert. Biotin hat die Eigenschaft, mit dem Protein Streptavidin sehr stark zu interagieren. Nun können wir Streptavidin einsetzen, das durch Kopplung an ein Protein gleichzeitig ein chemisches Substrat zu einem gelben Farbstoff umsetzt. Wenn dieses Prinzip funktioniert, sollte ein Farbumschlag von farblos nach gelb zu beobachten sein. Mittels eines optischen Messgeräts (Photometer) kann die Signalstärke der gelben Farbe gemessen werden. Sie sollte nach Zugabe von Komponenten, die die Bindung zwischen Pex5 und Pex14 stören, abnehmen. Somit können wir verschiedene Substanzen als mögliche Hemmstoffe (Inhibitoren) testen.

Erste Ergebnisse sind vielversprechend. So konnten wir bestätigen, dass der Assay sehr gut als Analysewerkzeug der Bindung zwischen Pex5 und Pex14 geeignet ist. Auch eine Inhibierung dieser Bindung konnten wir bereits nachweisen: Gibt man zusätzlich zum Pex5-Peptid ein anderes Peptid hinzu, so wird die Signalstärke reduziert (Abb. 2A). Dies bedeutet, dass das hemmende Peptid die Bindungsstellen an Pex14N besetzt und die ursprüngliche Interaktion mit Pex5 blockiert.

Unser nächster Schritt besteht nun darin, das inhibierende Peptid in direkter Wirkung auf Trypanosomen zu testen. Noch ist uns dies in unserem Labor nicht möglich. Die Einrichtung einer trypanosomalen Zellkultur ist jedoch bereits in Planung und wird weitere Versuchsreihen erleichtern.

Wenn man ein Peptid gefunden hat, das die Bindung zwischen Pex5 und Pex14 in Trypanosomen zum Teil inhibiert, gibt es Möglichkeiten, es in seiner Wirkung noch zu verbessern. Dazu bieten sich kombinatorische Peptidbibliotheken an. Dabei werden Peptide auf einer Membran hergestellt und fest daran gebunden. Als Ausgangspunkt wählen wir eine Peptidsequenz, die als Interaktionssequenz des Proteins bekannt ist.

Die einzelnen Bausteine des Peptids, die Aminosäuren, werden an allen Positionen gegen andere ersetzt. Insgesamt gibt es 20 verschiedene Aminosäuren, und jede wird an jeder Position des Peptids eingesetzt. So entsteht eine Fülle verschiedener Peptide, die dann mit dem zuvor entwickelten Assay getestet werden können. Anhand der Ergebnisse können wir Sequenzen bestimmen, die eine stärkere Bindung zum Zielprotein besitzen als die ursprüngliche. In unserem Fall haben wir eine Sequenz aus dem trypanosomalen Pex5 für die Peptidbibliothek gewählt und auf eine Interaktion mit Pex14N getestet, um Peptide zu finden, die mit Pex14N noch besser interagieren als das Original-Peptid.

Auf der Basis des Peptids haben wir uns ein erstes "optimiertes" Peptid überlegt, das wiederum als Ausgangspunkt für eine Peptidbibliothek gedient hat (Abb. 2B). Es ist zu erkennen, dass es einige Sequenzen gibt, die mit Pex14N stärker interagieren als das Peptid mit der ursprünglichen Sequenz. Diese könnten eine Basis für weitere Peptide oder einen Hemmstoff darstellen, der die Interaktion zwischen Pex5 und Pex14 stört und den glykosomalen Proteinimport hemmt.

Der Hemmstoff sollte lediglich den Proteinimport in Glykosomen, nicht aber in menschlichen Peroxisomen blockieren, welche den Glykosomen nah verwandt sind. Die Aufklärung der Struktur des trypanosomalen Pex14 spielt dabei eine wichtige Rolle. Da die Struktur des menschlichen Pex14 bereits bekannt ist, könnte ein direkter Vergleich beider Proteine einen Ansatzpunkt für einen strukturbasierten Hemmstoff ergeben. Dabei versuchen wir, Stellen im trypanosomalen Protein zu finden, an denen ein Hemmstoff strukturell exakt passt, während er am menschlichen Protein nicht binden kann. Die Lösung der trypanosomalen Pex14-Struktur ist bereits in Kooperation mit einem Lehrstuhl der Technischen Universität München in Arbeit. Dafür wird die Kernspinresonanzspekroskopie (NMR) angewendet, bei der Probenlösungen in ein starkes Magnetfeld gebracht werden. Zusätzlich eingestrahlte Radiofrequenzen regen die einzelnen Atome des Proteins zu Schwingungen an und sie senden ihrerseits messbare Radiofrequenzwellen aus, die charakteristisch für ihre chemische Umgebung im Protein sind. Messungen mit unterschiedlichen Frequenzprogrammen ermöglichen Rückschlüsse auf Distanzen zwischen Atomen und damit die Berechnung der dreidimensionalen Struktur des Proteins.

Durch diese Methoden und Ideen haben wir bereits einen kleinen Teil des Weges zu unserem Ziel "Hemmstoff" hinter uns gelassen. Für uns erweist sich die Biochemie als wichtiges Werkzeug im Bereich drug design, und eröffnet sich auch in Bezug auf "vernachlässigte" Krankheiten und deren Opfer in armen Regionen eine Chance auf Rettung.


info 1
Parasiten aushungern

Der Proteinimport in Glykosomen ist für Trypanosomen überlebenswichtig, da ohne ihn die Glykolyse nicht ablaufen kann, was zum Tod des Parasiten führt. Im ersten Schritt werden die benötigten Enzyme (rot) von dem Rezeptor Pex5 (blau) im Zytosol gebunden und an die glykosomale Membran transportiert. Dort findet eine Interaktion zwischen dem beladenen Pex5 und Pex14 (grün) statt. Erst jetzt können die Proteine in das Glykosom hineingebracht werden. Eine Blockade dieser Interaktion würde demnach den Proteinimport verhindern und die Parasiten töten. Nachdem die Proteine im Glykosom abgeladen wurden, wird der Rezeptor Pex5 recycled und steht nun für eine weitere Runde des Imports zur Verfügung.


Den gesamten Artikel inkl. allen Bildern finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen:

Abb. 1: Besonders die arme Bevölkerung Afrikas ist von der Schlafkrankheit betroffen, die unweigerlich zum Tod führt.

Abb. 2: A) Hemmung der Interaktion Pex5/Pex14 0,3 Pex5-Peptid
Die Ergebnisse zeigen nach Zugabe eines Hemmstoffs (I) zusätzlich zum Pex5-Peptid (T) eine Abnahme des Signals. Dies ist sowohl direkt im Versuchsansatz (unten) als auch über eine mathematische Auswertung (oben) zu sehen. Im Kasten ist das theoretische Prinzip des Assays aufgezeigt: Pex14 (grün) interagiert mit dem Pex5-Peptid (blau). Durch eine Reihe von biochemischen Interaktionen wird die Bindung mittels eines gelben Signals sichtbar gemacht. Gibt man einen Hemmstoff (rot) hinzu, sollte die Bindung von Pex14 und Pex5 blockiert werden und das gelbe Signal abnehmen oder ganz ausbleiben.
B) Peptidbibliothek
Das Peptid ist auf einer Membran hergestellt und fest gebunden. Nach Einwirkung von Pex14 erkennt man Punkte (roter Rahmen), die ein stärkeres Signal zeigen als die ursprüngliche Sequenz (blauer Rahmen). Dies deutet auf eine stärkere Bindung zum Peptid hin und könnte eine Basis für einen Hemmstoff darstellen.

Abb. 3: Die Aufreinigung der benötigten Proteine muss in gekühlter Umgebung bei 8°C stattfinden. Janina Wolf arbeitet daher im Kühlraum.

Abb. 4: Trypanosoma brucei. Der einzellige Parasit (vorn) überträgt die Afrikanische Schlafkrankheit.

Abb. 5: Die Bakterien, die das gewünschte Protein im Übermaß produzieren sollen, werden im Labor herangezogen. Janina Wolf betrachtet eine Flasche, die das flüssige Medium zur Bakterienanzucht enthält.


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Quelle:
RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Sonderheft 10/2010 - Junge Forschung,
S. 60 - 64
Herausgeber: Ruhr-University Research School (RURS)
in Verbindung mit der Pressesstelle der Ruhr-Universität Bochum
Anschrift: Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum
Telefon: 0234/32-22 133, -22 830, Fax 0234/32-14 136
E-Mail: rubin@presse.ruhr-uni-bochum.de
Internet: www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2010