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FORSCHUNG/116: Roter Naturfarbstoff macht giftige Ablagerungen bei Alzheimer unschädlich (idw)


Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch - 20.11.2011

Roter Naturfarbstoff macht giftige Ablagerungen bei Alzheimer unschädlich


Ein Farbstoff der Flechte Roccella tinctoria macht offenbar die giftigen Ablagerungen der Alzheimer Krankheit unschädlich. Der rote Naturfarbstoff Orcein und der mit ihm eng verwandte blaue Farbstoff O4 binden an die bei dem Ablagerungsprozess entstehenden Zwischenstufen, die für Nervenzellen besonders giftig sind. Dabei beschleunigen sie die Bildung großer Ablagerungen, die als unschädlich gelten. Ob der von Forschern des Max-Delbrück-Centrums (MDC) und der Charité in Berlin in Zellversuchen und im Reagenzglas entwickelte neuartige Ansatz für eine Therapie geeignet ist, müssen zunächst Untersuchungen mit Tieren zeigen (Nature Chemical Biology, doi: http://dx.doi.org/10.1038/NCHEMBIO.719)*.

Proteinfehlfaltung gilt als Ursache der Alzheimer Krankheit, der Parkinsonschen Krankheit und auch von Chorea Huntington. In einem mehrstufigen Prozess falten sich körpereigene Proteine in eine unnatürliche Form und bilden über verschiedene Vorstufen große Ablagerungen (Plaques). Dr. Jan Bieschke (MDC), Dr. Martin Herbst (Charité) und Prof. Erich Wanker (MDC) gehen davon aus, dass die Vorstufen dieser fehlgefalteten Eiweißablagerungen für die Nervenzellen giftig sind und deren Untergang verursachen.

Farbstoff von den Kanaren seit Jahrhunderten genutzt

Der Farbstoff Orcein stammt aus Flechten, die unter anderem auf den Kanarischen Inseln vorkommen, und die seit Jahrhunderten für die Färbung von Stoffen und Lebensmitteln genutzt werden. Auf die Spur dieses Farbstoffs kam Prof. Wanker, als er vor rund acht Jahren hunderte von Naturstoffen durchforstete, um zu sehen, ob es darunter potentielle Wirkstoffe für die Behandlung von Nervenerkrankungen gibt. Da Orcein aus etwa 14 kleinen Molekülen besteht, die möglicherweise unterschiedliche biologische Wirkungen haben, suchten er und seine Mitarbeiter nach einem reinen Stoff und stießen dabei auf den blauen Farbstoff O4, der einem der 14 Moleküle des Orceins strukturell sehr ähnlich ist.

"Neuer Wirkmechanismus"

Vor einigen Jahren hatten Prof. Wanker und seine Mitarbeiter entdeckt, dass die Substanz EGCG (Epigallocatechin-3-gallate) in grünem Tee die giftigen Eiweißablagerungen in nichttoxische Ablagerungen umwandelt. Am Beispiel von Orcein und O4 zeigen die Forscher einen weiteren Mechanismus zur Entgiftung von Eiweißablagerungen. Diese Farbstoffe verringern die Bildung der gefährlichen Vorstufen indem sie die Ablagerung großer Plaques beschleunigen, wie die Forscher in Berlin jetzt im Reagenzglas und in Zellkulturen zeigen konnten.

"Das ist ein neuer Wirkmechanismus", erklärt Prof. Wanker. "Bisher galt es als sehr schwer, die Bildung der gefährlichen Vorstufen zu stoppen. Wenn unsere Theorie stimmt, wonach die Vorstufen der Eiweißplaques für die Nervenzellen tödlich sind, so hätten wir mit O4 einen neuen Mechanismus, um dort anzugreifen." Der künstliche Farbstoff Methylenblau, der sich derzeit in klinischer Erprobung befindet, scheint in ähnlicher Weise die Bildung großer Ablagerungen zu verstärken. Andere Therapiestrategien, die auf die Beseitigung der Eiweißplaques zielen, hatten in klinischen Studien bislang zu keiner eindeutigen Verbesserung des Krankheitsverlaufs von Alzheimer-Patienten geführt.

Noch ist unklar, ob der Farbstoff O4 auch bei kleinen Mengen fehlgefalteter Proteine wirkt, wie sie sich im Hirn von Alzheimer-Patienten finden, und ob die verstärkte Bildung großer Ablagerungen tatsächlich die Krankheitssymptome beim Menschen verringern kann. Weitere Studien müssen klären, ob die Beschleunigung der Plaquebildung als therapeutischer Ansatz in Frage kommt. "Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse die Forschungsaktivität in diese Richtung besonders in der Wirkstoffforschung stimulieren", so Prof. Wanker.


Barbara Bachtler
Pressestelle
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch
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http://www.mdc-berlin.de/


* Small-molecule conversion of toxic oligomers to nontoxic b-sheet-rich amyloid fibrils
Jan Bieschke 1,12; Martin Herbst 1,2;12; Thomas Wiglenda 1; Ralf P Friedrich 1; Annett Boeddrich1; Franziska Schiele 1; Daniela Kleckers 1; Juan Miguel Lopez del Amo 3; Björn Grüning 4; Qinwen Wang 5,11; Michael R Schmidt 1; Rudi Lurz 6; Roger Anwyl 5; Sigrid Schnoegl 1; Marcus Fändrich 7; Ronald F Frank 8; Bernd Reif 3,9; Stefan Günther 4; Dominic M Walsh 10 & Erich E Wanker 1.

1 Neuroproteomics, Max Delbrück Center for Molecular Medicine, Berlin, Germany.
2 Department of Neurology, Charité-Universitätsmedizin Berlin, Germany.
3 Leibniz Institute for Molecular Pharmacology, Berlin, Germany.
4 Institute for Pharmaceutical Sciences, University of Freiburg, Germany.
5 Department of Physiology, School of Medicine, Trinity College, Dublin, Republic of Ireland.
6 Max Planck Institute for Molecular Genetics, Berlin, Germany.
7 Max Planck Research Unit for Enzymology of Protein Folding, Halle (Saale), Germany.
8 Department of Chemistry, Helmholtz Center for Infection Research, Braunschweig, Germany.
9 Technical University Munich, Munich, Germany.
10 Laboratory for Neurodegenerative Research, The Conway Institute for Biomolecular and Biomedical Research, University College Dublin, Republic of Ireland.
11 Present address: Department of Physiology and Pharmacology, Medical School, Ningbo University, Ningbo, China.
12 These authors contributed equally to this work.



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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch
Barbara Bachtler, 20.11.2011
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2011