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FORSCHUNG/718: Wie Viren chronisch werden (idw)


CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften - 21.12.2017

Wie Viren chronisch werden


Das Lymphozytäre-Choriomeningitis-Virus (LCMV) dient seit mehr als 80 Jahren als Modell für die Erforschung chronischer Virusinfektionen. Zwei Nobelpreise wurden dafür bereits verliehen - dennoch war über die molekularen Interaktionen im Lebenszyklus der Viren bisher nur wenig bekannt. Am CeMM wurden nun erstmals alle Interaktionspartner der viralen Polymerase bestimmt, ein Schlüsselenzym in der Entstehung einer chronischen Infektion. Die Studie, erschienen in PLOS Pathogens, kann einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung antiviraler Therapien darstellen.

(Wien, der 21.12.2017) Chronische Virusinfektionen wie HIV oder Hepatitis gehören weltweit zu den größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit. Während nach überstandenen akuten Viruserkrankungen meist eine vollständige Genesung und Immunisierung eintritt, gelingt es chronischen Viren das Immunsystem zu umgehen und sich permanent einzunisten. Eine Behandlung solcher Erkrankungen gestaltet sich oft als schwierig - noch immer ist relativ wenig über die molekularen Ereignisse, die sich im Laufe einer chronischen Virusinfektion abspielen, bekannt.

Das Forschungsteam um Andreas Bergthaler, Gruppenleiter am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, konnte in seiner jüngsten Studie in Kooperation mit der Universität Basel und dem MRC Laboratory of Molecular Biology Cambridge einen wichtigen Beitrag für das Verständnis chronischer Virusinfektionen leisten. Die in der Zeitschrift PLOS Pathogens veröffentlichte Forschungsarbeit (DOI: 10.1371/journal.ppat.1006758) bietet erstmals einen vollständigen Überblick über die zellulären Wechselwirkungen der viralen LCMV-Polymerase - ein für das Virus entscheidendes Enzym für die Entwicklung einer chronischen Infektion. Mit dieser Interaktionskarte konnten verschiedene virale Strategien entlarvt und potentielle Angriffspunkte für zukünftige antivirale Wirkstoffe identifiziert werden.

Um zu den Ergebnissen zu gelangen, entwickelten die WissenschaftlerInnen - mit CeMM PhD Studentin Kseniya Khamina als Erstautorin - ein neues experimentelles Verfahren, um virale Proteine im lebenden Modellorganismus zu markieren, und ihre Interaktionspartner in der Zelle zu bestimmen. So gelang es ihnen, alle Proteine der Zelle, die an die Polymerase von LCMV binden, zu erfassen und mithilfe bereits verfügbarer Datensätze eine komplette Interaktionskarte für das Enzym zu erstellen. Einige der gefundenen Proteine stellten sich dabei als entscheidend für den viralen Lebenszyklus heraus.

"Wir konnten mit der von uns entwickelten Methode zeigen, dass manche Proteine, wie z.B. DDX3X, einen proviralen Effekt haben - also wichtige Bindungspartner für das Virus sind, um sich einnisten zu können. Andere dagegen, wie das TRIM21-Protein, wirken eher antiviral, dienen also der intrazellulären Virenabwehr", erklärt Kseniya Khamina. "Mäuse, denen das TRIM21-Protein komplett fehlt, konnten sich deshalb schlechter gegen eine chronische LCMV-Infektion verteidigen."

"Die Ergebnisse unserer Studie geben erstmals eine komplette Übersicht über die Bindungspartner der LCMV-Polymerase, und verraten durch deren Kartierung im menschlichen Proteom wichtige Infektionsstrategien chronischer Viren", fasst Andreas Bergthaler die Forschungsarbeit zusammen. "Wir hoffen, dass mit unserer Forschung die Entstehung chronischer viraler Infektionen und die komplexen molekularen Beziehung von Viren mit ihrem Wirt besser verstanden werden, und wir damit zur Entwicklung antiviraler Therapien beitragen."


Die Studie "Characterization of host proteins interacting with 1 the lymphocytic choriomeningitis virus L protein" erschien in der Zeitschrift PLOS Pathogens am 20.12.2017. DOI: 10.1371/journal.ppat.1006758

Autoren:
Kseniya Khamina, Alexander Lercher, Michael Caldera, Christopher Schliehe, Bojan Vilagos, Mehmet Sahin, Lindsay Kosack, Anannya Bhattacharya, Peter Májek, Alexey Stukalov, Roberto Sacco, Leo C. James, Daniel D. Pinschewer, Keiryn L. Bennett, Jörg Menche und Andreas Bergthaler.

Förderung:
Die Studie wurde u.a. von der Stadt Wien (Hochschuljubiläumsstiftung) und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (DOC Fellowships) gefördert.

Andreas Bergthaler hat Veterinärmedizin in Wien studiert. Nach seinem Doktorat bei Hans Hengartner und Nobelpreisträger Rolf Zinkernagel an der Universität Zürich und der ETH Zürich folgten postdoktorale Forschungsaufenthalte bei Daniel Pinschewer an der Universität Genf und bei Alan Aderem am Institute for Systems Biology in Seattle. Seit 2011 ist er Forschungsgruppenleiter am CeMM und ist ERC Start Preisträger.

Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter der wissenschaftlichen Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Instituts befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.at


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CeMM
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1090 Vienna, Austria
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Erstautorin Kseniya Khamina und Studienleiter Andreas Bergthaler

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Mag. Wolfgang Däuble, 21.12.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2017

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