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KREBS/908: Der Krebsinformationsdienst - Wo guter Rat nicht teuer ist (einblick - DKFZ)


"einblick" - die Zeitschrift des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), Ausgabe 1/2011

Wo guter Rat nicht teuer ist

Von Stefanie Reinberger


Was mit wenigen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen begann, ist heute zu einer zentralen Auskunft für die gesamte Bundesrepublik geworden. Beim Krebsinformationsdienst in Heidelberg können sich die Bürger rund um Tumorerkrankungen informieren - per Telefon, E-Mail oder Internet. Siebzig Mitarbeiter sorgen dafür, dass der Krebsinformationsdienst stets aktuell bleibt.


Die Welt wirkt noch etwas verschlafen draußen, an diesem grauen, nassen Morgen. Doch drinnen herrscht geschäftiges Treiben, von Schläfrigkeit ist nichts zu spüren: Der Raum ist hell erleuchtet und erfüllt vom Murmeln ruhiger Telefonstimmen. Tastaturen klappern unter flinken Händen, Computermäuse surren über die Tischplatten. Seit acht Uhr sitzen die Mitarbeiterinnen des Heidelberger Krebsinformationsdienstes (KID) an den Telefonen und beantworten die Fragen ratsuchender Patienten und ihrer Angehörigen.

Zehn Arbeitsplätze hat der Raum, nebenan sind noch einmal fünf. Dort findet heute eine Schulung für neue Mitarbeiterinnen statt. Die Kolleginnen lernen, wie sie im Gespräch vorgehen müssen und wie sie während des Telefonats rasch an die benötigten Informationen herankommen. "Eine intensive Einarbeitung ist uns außerordentlich wichtig", erklärt Dr. Regine Hagmann, die den KID leitet. "Nur so können wir gewährleisten, dass alle Anfragen mit einheitlich hoher Qualität beantwortet werden."

Wie so ein Gespräch abläuft, demonstriert Telefondienstmitarbeiterin Dr. Christina Offenhäuser anhand von Schulungsmaterial - echte Anfragen sind natürlich streng vertraulich. Das Telefon blinkt und am anderen Ende der Leitung meldet sich eine Dame. Sie möchte wissen, wie die Kinder ihrer Schwester betreut werden können, solange die Schwester im Krankenhaus ist. Aus der eigenen Familie sei aus beruflichen Gründen leider niemand in der Lage, einzuspringen. Offenhäuser hört sich das Anliegen der Frau an und gibt in ihrem Computer das Stichwort "Kinderbetreuung" in die Suchmaske ein. Sofort tauchen auf dem Bildschirm alle relevanten Informationen zum Thema auf, zunächst das Wichtigste knapp zusammengefasst, dann, weiter unten auf der Seite, etwas detaillierter - mit Hinweisen zu weiterführenden Quellen und aktualisierten Passagen, die farbig unterlegt sind und daher sofort ins Auge springen.

Grundsätzlich informieren die Mitarbeiterinnen am Telefon nie aus dem Gedächtnis heraus, sondern immer auf der Grundlage der hauseigenen Datenbank. "Dies gilt auch für Themen, die oft nachgefragt werden und uns daher geläufig sind", erläutert Offenhäuser. Die Ärztin gehört zum Kernteam des Telefondienstes und ist schon seit zwölf Jahren dabei. Sie weiß: Bei einer Auskunft aus dem Gedächtnis heraus wäre das Risiko viel zu groß, etwas Wichtiges zu vergessen oder Fakten zu verwechseln. Und es gibt bei jedem Thema ständig neue Aspekte, die noch nicht allen bekannt sind.

"Wir bemühen uns, sämtliche Anrufe zum Thema Krebs umfassend zu beantworten - egal, ob es sich um Fragen zur Diagnostik oder zur Therapie handelt, ob es um soziale Dinge oder das Leben mit einer Krebserkrankung geht", erklärt Offenhäuser. Manchmal gehen die Fragen so in die Tiefe, dass sie sich nicht sofort am Telefon beantworten lassen. "Wir haben es oft mit gut informierten Patienten zu tun, die mit sehr speziellen Fragen an uns herantreten", sagt Offenhäuser, "dann bitten wir die Anrufer um etwas Geduld und geben einen Rechercheauftrag an die Mitarbeiter in der Datenbankredaktion."


Gute Recherche ist das A und O

Die Datenbankredaktion ist das Herzstück des Krebsinformationsdienstes, sie versorgt die Kollegen im Telefon- und E-Mail-Service mit allen notwendigen Informationen. Angeleitet von Dr. Petra Laibach-Kühner, sind hier fünfzehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter täglich damit beschäftigt, die Datenbank aktuell zu halten. "Dazu gehört, dass wir umgehend reagieren, wenn die Presse über neue Erkenntnisse in der Krebsforschung berichtet", sagt Laibach-Kühner. In solchen Fällen nämlich klingeln die Telefone oft Sturm. "Damit die Kolleginnen auch über topaktuelle Themen sachkundig informieren können, stellen wir alle wichtigen Informationen zusammen - besonders darüber, wie die Neuigkeiten im wissenschaftlichen Zusammenhang zu bewerten sind und welche Bedeutung sie für die Patienten tatsächlich haben."

Dr. Anke Ernst etwa verfasst derzeit neue Datenbank-Einträge zu einer bestimmten Gruppe von Arzneiwirkstoffen. "Hier hat sich in den letzten Monaten sehr viel getan, so dass ich die existierenden Einträge nicht nur überarbeite, sondern gleich neu erstelle", sagt die junge Pharmazeutin. Neben gründlicher Recherche bedeutet das eine Menge Routinearbeit. Ernst schaut konzentriert auf ihren Monitor und prüft sämtliche Verknüpfungen von ihren Einträgen auf andere Informationen in der Datenbank. "Das muss alles fehlerlos funktionieren, damit die Kolleginnen schnell das benötigte Wissen abrufen können."

Die Datenbank-Redakteure erstellen ihre Texte zum Teil so, dass die Kollegen im E-Mail-Dienst einzelne Absätze direkt in ihre Antwortschreiben einfügen können. "Trotzdem bearbeiten wir jede Frage individuell", betont Dr. Ursula Will, die den E-Mail-Service leitet. Er ging vor zehn Jahren zunächst als dreimonatiges Pilotprojekt an den Start. "Der Dienst war von Anfang an enorm gefragt und es war schnell klar, dass uns über das Medium E-Mail Menschen ansprechen, die ein Telefongespräch scheuen oder die mitten in der Nacht oder am Wochenende von einer Frage umgetrieben werden." Immer wieder zeigt sich, wie vorteilhaft es ist, dass beide Dienste Hand in Hand arbeiten. "Wenn unser Maileingang überquillt, fragen wir manchmal, ob wir die Anfrage an den Telefondienst weiterleiten dürfen", sagt Will. Umgekehrt wollen manche Anrufer zusätzlich schriftliche Informationen, die dann der E-Mail-Dienst übermittelt. In der Regel dauert es ein bis zwei Arbeitstage, bis E-Mail-Anfragen beantwortet sind.

Die meisten Mitarbeiterinnen im Telefon- und E-Mail-Dienst - unter 40 Frauen ist derzeit nur ein Mann - sind Ärztinnen, einige kommen aus verwandten Berufen und haben etwa Pharmazie studiert oder Biologie. Doch genauso wichtig wie das Fachwissen ist eine gehörige Portion Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Betroffenen. "Gemeinsam mit einem Trainer haben wir ein System entwickelt, das es den Mitarbeiterinnen des Telefondienstes erlaubt, sich gegenseitig in ihrer Gesprächsführung zu unterstützen und zu verbessern", erklärt Andrea Gaisser. Sie ist Ärztin und kümmert sich um das Qualitätsmanagement im Telefonservice des KID. "Unsere Mitarbeiter geben sich regelmäßig und wechselseitig eine Rückmeldung zu ausgewählten Gesprächen. Wir nennen das kollegiales Coaching."


Aktiv auf allen Kanälen

Bei Gaisser und ihrer Kollegin Monika Preszly, einer KID-Mitarbeiterin der ersten Stunde, laufen viele Fäden zusammen. Das sieht man dem Büro der beiden auch an. Preszly rollt gerade Poster zusammen und verstaut sie neben einem Regal, das bis zum Bersten mit Unterlagen gefüllt ist. Die Poster hatte sie bei einer Tagung dabei, auf der sich Vertreter von verschiedenen europäischen Krebsinformationsdiensten trafen. Gaisser bereitet derweil eine Sitzung vor, die am Abend mit Ärzten, Psychologen und Pflegekräften stattfinden soll. Das Ziel ist es, herauszufinden, wie der KID auch Fachleute bei ihrer Arbeit unterstützen kann.

"Seit 2009 wird der KID vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und zum Nationalen Referenzzentrum für Krebsinformation ausgebaut", sagt Abteilungsleiterin Hagmann. Damit einher geht nun eine dauerhafte und finanzkräftige Förderung des Dienstes, die es dem KID erlaubt, mehr Mitarbeiter einzustellen, um die wachsende Zahl der Anfragen zu beantworten und alle Informationen stets auf dem neuesten Stand zu halten. Gleichzeitig sind aber auch die Ansprüche an den Dienst gewachsen. "Wir haben eine Vorreiterrolle in Europa und sind daher gefordert, Dienste in anderen Ländern mit unserem Wissen zu unterstützen und zu einer Vernetzung der Dienste beizutragen", sagt Hagmann. Bei der Erschließung neuer Zielgruppen sind auch die so genannten bildungsfernen Schichten ein Thema. "Wir müssen uns fragen, wie wir diese Menschen mit unserem Angebot besser erreichen als bisher", meint Hagmann. Zurzeit läuft eine bundesweite Untersuchung dazu.

Wer nutzt überhaupt die Angebote des KID? Das erfahren die Mitarbeiterinnen beispielsweise, indem sie bei den Anfragen einige Fakten zur Person erfassen - etwa Alter und Geschlecht des Fragestellers, Bundesland, ob er selbst betroffen ist und gegebenenfalls die Krebsart, um die es geht. Diese Informationen, die anonymisiert sind, werden von der Arbeitsgruppe für Dokumentation ausgewertet. "So stellte sich zum Beispiel heraus, dass nur sehr wenige Menschen aus den neuen Bundesländern unser Angebot wahrgenommen hatten", berichtet Hagmann, "deshalb regte mein Vorgänger, Dr. Hans-Joachim Gebest, an, eine Zweigstelle des KID am Universitäts KrebsCentrum in Dresden einzurichten. Seit März 2010 beantworten dort drei Mitarbeiterinnen telefonische Anfragen und arbeiten zudem daran, den Dienst in den östlichen Bundesländern bekannt zu machen." Seither habe die Zahl der Anrufer aus dem Osten beträchtlich zugenommen. Hagmann unterbricht sich, schaut auf die Uhr und sagt: "Bitte entschuldigen Sie, ich muss los zu einem Meeting der Internet-Redaktion." So geht das hier den ganzen Tag: Eine Besprechung jagt die nächste, die vielen Aktivitäten des KID müssen schließlich abgestimmt werden.

Dr. Birgit Hiller, die Leiterin der Internet-Redaktion, erzählt später, dass der KID auch sein Online-Angebot stetig verbessert. Lange Jahre hat sie den Webauftritt des KID als Ein-Frau-Unternehmen betreut. "Dank der Finanzierung durch das Bundesforschungsministerium sind wir jetzt zu sechst - eine richtige Redaktion also", sagt Hiller. Aufgabe des Teams ist es, das Wissen über Krebs so aufzuarbeiten und zu vermitteln, dass die Nutzer die Texte ohne große Anstrengung verstehen und möglichst viel Gewinn daraus ziehen. "Wir bieten aber nicht nur eine Informationsplattform mit höchstem Qualitätsanspruch, wir helfen auch dabei, seriöse Internetquellen von unseriösen oder kommerziellen Quellen zu unterscheiden und deren Nutzen besser einzuschätzen."

Der Internetauftritt des KID möchte möglichst viele Menschen erreichen. "Dass in einigen Regionen Deutschlands noch immer keine schnellen Internetverbindungen existieren, können wir nicht ändern, aber wir arbeiten daran, unser Angebot so zu gestalten, dass Menschen mit unterschiedlichster Bildung von den Seiten profitieren", so Hiller. Zudem gäbe es Überlegungen, den Dienst auf andere moderne Medien auszuweiten. Ein Auftritt in der Internetgemeinschaft Facebook steht zur Debatte oder Anwendungen für das iPhone. Spätestens hier wird klar: Der KID ist heute weit mehr als der kleine Telefondienst, als der er vor 25 Jahren angefangen hat. Er ist zu einer multimedialen Auskunftstelle geworden, die sich mit ihren Informationen an unterschiedlichste Zielgruppen richtet.


Der Krebsinformationsdienst kompakt:

Mitarbeiter: 70
Jahresbudget: 3,66 Mio EUR
Seit der Gründung 1986 beantwortete Anfragen: ~420.000

Anfragen 2010
per Telefon: 26.813
per E-Mail: 5.542
schriftlich/persönlich: 358

Telefon: 0800/420 30 40
E-Mail: krebsinformationsdienst@dkfz.de
URL: www.krebsinformationsdienst.de


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Beim Telefondienst des KID gehen pro Jahr etwa 27.000 Anfragen ein. Regine Hagmann (linkes Bild) leitet den Informationsdienst seit 2009.

- Seit 1999 betreut Birgit Hiller (vorn, sitzend) den Webauftritt des KID. Inzwischen verstärken fünf weitere Wissenschaftsjournalisten die Internet-Redaktion (von links: Silke Baumann, Johannes Künzel, Kathrin Lieb, nicht im Bild: Maja Christ, Marcel Bülow).

- Die Rechercheure beim KID versorgen ihre Kollegen im Telefon- und E-Mail-Dienst mit allen notwendigen Informationen.

- Mit Infoständen präsentiert sich der KID auf zahlreichen Veranstaltungen rund um die Gesundheit.


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Quelle:
"einblick" - die Zeitschrift des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ)
Ausgabe 1/2011, Seite 4 - 6
Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft
Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg
Telefon: 06221 / 42 28 54, Fax: 06221 / 42 29 68
E-Mail: einblick@dkfz.de
Internet: www.dkfz.de/einblick

"einblick" erscheint drei- bis viermal pro Jahr
und kann kostenlos abonniert werden


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2011