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PARKINSON/171: Suche nach Kausaltherapie (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2019

Parkinson
Suche nach Kausaltherapie

von Uwe Groenewold


Bessere Früherkennung, optimale Versorgung, intensive Forschung: Schwerpunkte auf dem jüngsten Parkinsonkongress in Düsseldorf.


Fortschritte in der Pharmakotherapie, der Botulinumtoxin-Behandlung und der Tiefenhirnstimulation standen im Mittelpunkt des Kongresses. Vorgestellt und diskutiert wurden darüber hinaus aktuelle Entwicklungen neuer Forschungs- und Behandlungsansätze wie etwa die Biomarkerforschung.

Parkinson und das damit verbundene Nachlassen motorischer und geistiger Fähigkeiten hat sich zu einer Volkskrankheit entwickelt. Experten schätzen, dass sich die Zahl der weltweit Erkrankten bis 2040 verdoppeln bis verdreifachen kann; allein in Deutschland ist die Zahl der Patienten nach Angaben der Fachgesellschaft in den vergangenen Jahren auf rund 400.000 gestiegen. Wachsende Bedeutung gewinnt deshalb die Suche nach Kausaltherapien, mit denen die Ursache von Parkinson behandelt werden kann. Einen Schritt in diese Richtung hat Prof. Sarah J. Tabrizi vom University College London mit ihrem Forscherteam getan, wie sie bei dem Kongress in Düsseldorf erläuterte. Bei Patienten mit Corea Huntington - ebenfalls eine neurodegenerative Erkrankung mit Bewegungsstörungen - konnte die renommierte Neurowissenschaftlerin den Zerfall der Hirnzellen mit der sogenannten Antisense-Oligonukleotid-Therapie stoppen.

Im Rahmen kleinerer Studien konnte die Produktion des nervenzerstörenden Proteins deutlich reduziert werden. Bei diesen Untersuchungen der Phasen 1a/2b habe man zwar eigentlich nur die Verträglichkeit der Methode überprüft, so Tabrizi, doch hätten sich dabei deutliche Hinweise auf ihre Wirksamkeit ergeben: Um bis zu 60 Prozent ließ sich das krank machende Eiweiß im Gehirn von Huntington-Patienten senken. Dies ist nach Meinung der Experten deshalb so relevant, weil alle bisher verwendeten Medikamente ausschließlich Symptome linderten, nicht jedoch in die Krankheitsursachen eingriffen. Die Ergebnisse von Tabrizis Forschungen, die sie in Düsseldorf präsentierte, wurden unter anderem in den Fachmagazinen Nature und Lancet veröffentlicht.

Zu den Keynote-Speakern des Kongresses zählten auch Prof. Christine Klein vom UKSH-Campus Lübeck und Prof. Günther Deuschl vom Campus Kiel. Klein ist amtierende Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Sie erläuterte aktuelle Forschungsansätze zur Neurogenetik von Dystonien und beleuchtete deren klinische Relevanz. Deuschl stellte aktuelle Erkenntnisse zur Tiefenhirnstimulation (THS) bei Bewegungsstörungen vor. Die THS ist ein seit Jahren anerkanntes Verfahren vor allem bei den Parkinsonpatienten, bei denen Medikamente nicht oder nicht ausreichend wirken. Bei dem Verfahren werden hauchdünne Elektroden durch die Schädeldecke ins Hirn geführt und mit einer Art Schrittmacher, der unter dem Schlüsselbein eingesetzt wird, verbunden. Dieser sendet feine Stromsignale aus, die das Signalchaos in den Nervenzellen im Gehirn neutralisieren und damit die wesentlichen Parkinsonsymptome (Tremor, Rigor, Akinese) lindern.

Studien der vergangenen Jahre haben ergeben, dass das Verfahren auch für noch nicht so lange und stark betroffene Patienten geeignet sein kann. Auch kann die THS bei anderen Formen der Bewegungsstörung eingesetzt werden, wie Dr. Steffen Paschen, Neurologe am UKSH Campus Kiel, in einem klinischen Fallbeispiel erläuterte. Ein 49-jähriger Patient mit Morbus Wilson, einer seltenen Erbkrankheit, bei der der Kupferstoffwechsel in der Leber gestört ist und in dessen Folge es zu einer vermehrten Ansammlung von Kupfer in der Leber, den Augen, dem Zentralnervensystem und weiteren Organen kommt, wurde in Kiel mit einer THS behandelt. Üblicherweise sind Leberschäden und neurologische Einschränkungen die häufigsten Konsequenzen der Wilsonkrankheit. Der Patient litt bereits seit 18 Iahren unter einer Dystonie, die vorwiegend seinen Halsbereich betraf. Medikamente waren nicht ausreichend hilfreich, also versuchten es die Ärzte mit der THS. Eine erste Auswertung ergab, dass die maßgeblichen Symptome um 32 Prozent reduziert werden konnten. "Bei ausgewählten Patienten mit Morbus Wilson", so Paschen, "sollte eine Hirnstimulation in Betracht gezogen werden."

Aber, warnte Julia Steinhardt von der Universität Lübeck in Düsseldorf, die THS kann zu einer "bemerkenswerten Körpermassenzunahme" führen, "die den positiven Effekten der motorischen Verbesserung zumindest teilweise entgegenwirkt". In einer Metaanalyse mit 977 Patienten kam es im Schnitt zu einer Gewichtszunahme von 5,7 kg. Die durchschnittlich 59 Jahre alten Patienten wurden bis zu 60 Monate nachbeobachtet. Je länger die THS zurücklag, desto größer war die Gewichtszunahme, so Steinhardt. Mögliche Gründe hierfür können die Symptomverbesserungen sowie Änderungen des Energieverbrauchs und des Essverhaltens sein. "In Anbetracht dieser Ergebnisse und unter Berücksichtigung der negativen Auswirkungen von Fettleibigkeit auf die Gesundheit empfehlen wir die Entwicklung maßgeschneiderter Therapien, um Fettleibigkeit und damit verbundene Stoffwechselstörungen nach einer Tiefenhirnstimulation zu verhindern."

Sportliche Aktivität kann das Gewicht der Patienten gegebenenfalls in Grenzen halten; unzweifelhaft wirkt sie sich positiv auf die Erkrankung aus, wie aktuelle Untersuchungen - etwa die von einem australisch-deutschen Wissenschaftlerteam kürzlich im Journal of Parkinson's Disease (DOI: 10.3233/JPD-181484) - gezeigt haben. Als therapeutische Unterstützung hat die körperliche Aktivität in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Sportwissenschaftlerin Jana Seuthe von der Klinik für Neurologie am UKSH Campus Kiel stellte eine Laufbandtherapie zur Reduzierung von Freezing und Gangdefiziten bei Parkinsonpatienten vor; Neurologin Dr. Eva Schäffer aus Kiel berichtete über den Einfluss von Training auf Kompensation und Plastizität.

Gemessen und überprüft werden die körperlichen Aktivitäten auch von Parkinsonpatienten immer häufiger von kleinen mobilen Computern, die am Körper getragen werden und bestimmte Funktionen dauerhaft messen können. Prof. Walter Maetzler und Dr. rer. nat. Sebastian Heinzel, beide ebenfalls aus der Kieler Klinik für Neurologie, befassen sich intensiv mit diesen sogenannten Wearables. Die Anwendung derartiger Geräte, so Maetzler, ist insbesondere interessant für die Erfassung von motorischen Parkinsonsymptomen, da die Messung motorischer Parameter am weitesten entwickelt ist.

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800 Teilnehmer - darunter zahlreiche Ärzte und Forscher aus Kiel und Lübeck - haben am Deutschen Kongress für Parkinson und Bewegungsstörungen teilgenommen. Kongresspräsidenten waren Prof. Alfons Schnitzler und Prof. Harald Hefter aus Düsseldorf.
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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201904/h19044a.htm

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, April 2019, Seite 38
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2019

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