Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → KRANKHEIT

AIDS/733: HIV/Aids - Folge von Gewalt gegen Frauen (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 106, 4/08

Folge von Gewalt gegen Frauen
Weltaidskonferenz 2008

Von Lisa Sterzinger


Die Auswirkungen von HIV/Aids auf die Lebensrealitäten von Frauen sind vielfältig und bedrohend. In der Praxis haben Frauen jedoch wenig Zugang zu Informationen und Ressourcen, um sich vor einer Infizierung zu schützen. Daher ist es wichtig, diese Thematik als einen zentralen Punkt auf die Tagesordnung der Weltaidskonferenz 2010 in Wien zu setzen und auf den Auseinandersetzungen der diesjährigen Konferenz in Mexiko City aufzubauen. Im Folgenden ein Bericht über die Konferenz in Mexiko.


*


Viele Botschaften wurden während der Weltaidskonferenz, die vom 18. bis 23. August in Mexiko City stattfand, in den Äther geschleudert. Ein Thema wurde den rund 24.000 BesucherInnen aber immer wieder bewusst: Aids ist die Folge von Armut und Gewalt an Frauen. Dies lässt sich an unterschiedlichen Beispielen konkretisieren:

Frauen und Mädchen, die von extremer Armut betroffen sind, infizieren sich häufig durch Prostitution und sexuellen Missbrauch.

Die Übertragung des Virus auf ihre neugeborenen Babies bedeutet für HIV-positive Mütter zusätzliches Leid und wäre so einfach zu verhindern.

Frauen tragen die Hauptlast von HIV/Aids. Sie sind in erster Linie für die Versorgung von Aidskranken zuständig und nehmen Aidswaisen in ihre Familien auf.

Frauen können sich selbst nicht aktiv schützen: Die Forschung in Mikrobiozide stagniert, der Zugang zu Femidomen ist marginal.

MigrantInnen, indigene Frauen und SexarbeiterInnen werden diskriminiert, und sie haben ein zusätzlich erhöhtes HIV-Risiko.


Was bleibt vom Megaevent?

Wien ist 2010 Gastgeber für die Weltaidskonferenz, die jedes zweite Jahr von der Internationalen Aidsgesellschaft(1) einberufen wird. Da ist es wichtig, die Ergebnisse von Mexiko im Auge zu behalten und daran weiterzuarbeiten. Dann kann Wien 2010 zu einem großen Schritt nach vorne werden. Denn die Hoffnung lebt, dass die tödliche Logik der Feminisierung von Aids durchbrochen werden kann.

Im Folgenden die Highlights, die für die weitere Diskussion relevant sind(2).


Menschenrechte für HIV-Positive und Angehörige

Das Schicksal der Mony Pen aus Kambodscha steht exemplarisch für Millionen von Frauen. Ihr Mann starb 2003 an den Begleiterkrankungen seiner HIV-Infektion. Darauf verlor sie ihren Job aufgrund des Stigmas, das ihr nun anhaftete. In Kambodscha wie wohl überall auf der Welt werden HIV-Positive und ihre Angehörigen diskriminiert. Frauen geben ihr ganzes Geld aus, um ihrem kranken Mann medizinische Versorgung zu ermöglichen. Nach seinem Tode stehen sie mittellos da und ihre Kinder können aufgrund des Stigmas nicht zur Schule gehen. Mony Pen kämpft dafür, dass sich die Situation für HIV-Positive weltweit ändert. Zugang zu Behandlung und Unterstützung für HIV-Positive bleibt zumeist nur ein leeres Versprechen, der politische Wille fehlt. Mangelnde Ausbildung und schlechte Entlohnung von Gesundheitsberufen nannte Mony Pen als Gründe, welche die Erreichung des G8-Ziels von 2005 verhindern: bis 2010 allen Betroffenen Zugang zur Behandlung zu ermöglichen. Ebenso geißelte sie die Barrieren des Patentrechts, das den Armen den Zugang zu leistbaren Aidsmedikamenten verwehrt.


Männer gegen Gewalt an Frauen

Bafana Khumalo vom südafrikanischen Netzwerk für Gendergerechtigkeit(3) bezeichnete Gewalt gegen Frauen als die dritte Epidemie, von der Südafrika betroffen ist, abgesehen von Armut und HIV/Aids. Er berichtete von einer Umfrage unter 1.000 Männern in Südafrika zum Thema Gewalt gegen Frauen. Es zeigte sich, dass Männer etwas dagegen unternehmen möchten, aber nicht die Fähigkeiten dazu haben. Der gesetzliche Rahmen gegen Gewalt an Frauen ist wohl vorhanden. Es sind aber die kulturellen Barrieren, die Männer daran hindern zu intervenieren, wenn z.B. einer ihrer Freunde seine Frau schlägt. Das Netzwerk entwickelte die Kampagne "One man can" (Ein Mann kann) und arbeitete mit einflussreichen Multiplikatoren, so etwa den traditionellen Stammesführern, zusammen. Das Engagement von Männern für Gender-Gerechtigkeit war auch am vorletzten Konferenztag nochmals Thema. Aktivisten aus Südafrika, Indien und Mexiko, die im weltweiten Netzwerk "Menengage"(4) mitarbeiten, berichteten über die Schwierigkeiten in ihren Gesellschaften, neue Konzepte von Maskulinität zu entwickeln und umzusetzen. Gerade die Aidsprävention sowie Programme der reproduktiven Gesundheit sind Praxisfelder zur Überwindung der Gewalt gegen Frauen im Interesse beider Geschlechter.


Sexarbeiterinnen entwickeln eigene Programme

Im Hauptplenum des dritten Konferenztages kam Elena Reynaga, Gründerin von AMMAR(5), der argentinischen Vereinigung für Sexarbeiterinnen, zu Wort. Sie rief zur vollen Anerkennung der Rechte von Sexarbeiterinnen auf. Sexarbeiterinnen sind am Besten in der Lage, Programme gegen HIV/Aids zu entwickeln, die in ihrer Lebensrealität wurzeln. So zeigten Programme in Brasilien Erfolg, die Sexarbeiterinnen zu Beraterinnen ausbildeten und die Rechte von Sexarbeiterinnen förderten. Dabei geht es auch um die Abschaffung von repressiven Gesetzen. In jenen südamerikanischen Ländern, in denen Sexarbeit als Arbeit anerkannt ist und die Organisationen von Sexarbeiterinnen unterstützt werden, ist die HIV-Rate unter den Betroffenen Frauen zurückgegangen. Grundlegend sind die Bekämpfung von Stigma und Diskriminierung durch die Entkriminalisierung der Sexarbeit, ein Ende der Polizeigewalt und die Sensibilisierung der Medien.


Hauskrankenpflege auf den Schultern von Frauen

Prof. Hye-Young Lim von der Universität Pretoria in Südafrika zeigte in einem Workshop die Bedeutung der Hauskrankenpflege zur Versorgung der Aidskranken in den armen Ländern auf. Freiwillige Pflegekräfte - überwiegend Frauen - brauchen ausreichend Training und Unterstützung. Allzu oft sind die Frauen allein gelassen mit ihrer Verantwortung für Schwerstkranke, die sie auch oft noch mit Essen versorgen. Die wenigen Männer, die sich entscheiden, als Hauskrankenpfleger tätig zu werden, steigen rasch zu Teamleitern auf. Ihnen wird ein Gehalt zugestanden, während die Frauen oft nicht einmal das Geld für die Busfahrkarte erhalten, um ihre PatientInnen zu besuchen.


Fortschritte gegen HIV-Übertragung auf Babies

90 % der weltweit 2,3 Millionen HIV-positiven Kinder infizierten sich bei ihren Müttern, während der Geburt oder beim Stillen. Zwischen 2004 und 2006 konnte der Anteil jener HIV-positiven Schwangeren, die zur Vermeidung der Übertragung antiretrovirale Medikamente erhielten, von 10 auf 23 % erhöht werden. Vom Ziel der UNGASS-Erklärung(6), bis 2010 80% der betroffenen Frauen zu erreichen, ist man weit entfernt. Gründe dafür sind die schwachen Gesundheitssysteme in den betroffenen Ländern. Frauen haben keinen Zugang zu Einrichtungen der Schwangerenvorsorge. Testmöglichkeiten für HIV sind bisher nur unzureichend in die Programme für reproduktive Gesundheit integriert. Frauen in den armen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas haben zumeist nicht die Eigenständigkeit und nicht das Geld, um mehrere unterschiedliche Stellen aufzusuchen - größtenteils fehlt ihnen auch die Information, wo sie welche Serviceleistung erhalten können.


Frauenrechte als Schlüssel im Kampf gegen Aids

Beim Abschlussplenum der Konferenz richtete Zonibel Woods von der Ford Foundation einen berührenden Appell gegen die Feminisierung von Aids an das Auditorium: "Zahlreiche Studien machen klar, dass weitere Benachteiligung von Frauen die Ausbreitung von HIV/Aids anheizt. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Wenn eine Frau von ihrem Partner nicht verlangen kann, ein Kondom zu verwenden, hat sie ein erhöhtes Infektionsrisiko. Ebenso ein Mädchen, das sich mit Sex sein Essen und Schulgeld verdienen muss. Frauen, die kein Recht auf Eigentum oder Erbrecht haben, sind abhängig von verantwortungslosen Partnern. Die Lektion, die zu lernen ist, könnte dringender nicht sein: Eine Welt, die den Frauen grundlegende Rechte verweigert, liefert sich der weiteren Verbreitung der Aids-Pandemie aus."


Anmerkungen:

(1) Die IAS (www.iasociety.org) hat mehr als 10.000 Mitglieder in 172 Ländern und ist die weltweit führende Organisation von AidsexpertInnen.

(2) Ein guter Gesamtüberblick über die Konferenz findet sich auf www.kaisernetwork.org/aids2008.

(3) www.genderjustice.org.za/

(4) www.menengage.org

(5) www.ammar.org.ar

(6) United Nations General Assambly Spessial Session on Aids von 2001 www.unaids.org/en/AboutUNAIDS/Goals/UNGASS/5.11.08


Kontakte:

Netzwerk Frauen und Aids in Österreich: Wiltrut Stefanek
(netzwerkfrauenundaids@gmx.at), Tel. 0650/5856560.

Das comunity Forum Austria (CFA) ist ein Netzwerk von national und international tätigen Organisationen, die Einfluss auf Organisation und Programmgestaltung der Wiener Weltaidskonferenz 2010 nehmen. Das nationale Aktionsbündnis gegen HIV/Aids ist Teil des CFA. Kontakt über die Aidshilfe Wien (keplinger@aids.at).


Zur Autorin:

Lisa Sterzinger ist langjährige Menschenrechtsaktivistin und Vorstandsmitglied von FIAN-Österreich. Derzeit ist sie Referentin für Anwaltschaftsarbeit bei World Vision Österreich (www.worldvision.at), Sie lebt in Wien.


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 106, 4/2008, S. 26-27
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Fon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Fax: 0043-(0)1/317 40 20-355,
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.

Einzelpreis: 5,-- Euro.

Jahresabonnement: 20,-- Euro (Österreich und Deutschland),
Ausland 25,-- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2009