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DIABETES/1373: Schlafmangel begünstigt die Entwicklung von Diabetes (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2010

Schlaf und Diabetes
Schlafmangel begünstigt die Entwicklung von Diabetes

Von Uwe Groenewold


Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) zeichnete einen Lübecker Wissenschaftler für seine Arbeit zum Thema mit dem Präventionspreis aus.


Dr. Sebastian Schmid (32) aus der Medizinischen Klinik I des UK S-H, Campus Lübeck, ist mit dem Präventionspreis der DGIM ausgezeichnet worden, weil er in einer Studie zeigen konnte, dass wenig Schlaf körperliche Aktivität vermindert und den Glukosestoffwechsel verändert - und damit das Risiko für Übergewicht und Diabetes deutlich erhöht.

Etwa ein Drittel des Lebens verbringt der Mensch schlafend. Das ist auch zwingend notwendig, denn mit den Belastungen des Alltags steigt der Bedarf für einen kraftschöpfenden Ausgleich. In der Wachphase ist der Mensch mit zahlreichen Stressoren konfrontiert, die schnelle Bewältigung erfordern. Vielfältige und rasch wechselnde Situationen müssen gemeistert werden. Je nach körperlicher Aktivität, Nahrungsaufnahme und Energiereserven muss sich der Stoffwechsel neu einstellen. Zusätzlich wird der Organismus beständig mit Viren, Bakterien und Mikroorganismen konfrontiert, die unmittelbar immunologische Abwehrreaktionen hervorrufen. Auf diese Situationen muss der Körper plötzlich und schnell antworten. Anschließend gilt es, diese neu gewonnenen Reaktionsmuster abzuspeichern, damit sie für ähnlich gelagerte Situationen abrufbereit sind. Für diesen Speicherprozess ist Schlaf notwendig. Die Festigung des Gedächtnisses findet in einem Zustand der Ruhe statt, in dem die Belastung aller körpereigenen Systeme durch Stress auf ein Minimum reduziert ist - dies ist nur während des Schlafs gegeben.

Inwiefern sich ein solches Gedächtnis während des Schlafs verfestigt, untersuchen die Lübecker Forscher auf mehreren Ebenen. Der Schlaf stellt biologisch betrachtet ein bestimmtes Muster neurochemischer und elektrischer Prozesse im Hirn dar, die über das Hormonsystem und das vegetative Nervensystem auch Stoffwechsel- und Immunprozesse im ganzen Körper steuern. So konnte ein immunologisches Gedächtnis identifiziert werden, in dem zum Beispiel der Impferfolg in Zusammenhang mit dem Schlaf kontrolliert wurde. Personen, die nach einer Hepatitis-Impfung ausreichend geschlafen hatten, bildeten in den folgenden Wochen deutlich mehr Antikörper als Testpersonen, die die Nacht nach der Impfung durchwachten. Auch für die psychische Gedächtnisbildung ist ausreichend Schlaf notwendig. Neu erlernte motorische Fähigkeiten verfestigen sich besser, wenn in der Nacht nach dem Üben ausreichend geschlafen wird. Gleiches gilt für die Merkfähigkeit.

Große Auswirkungen hat die Schlafdauer auch auf das metabolische Gedächtnis, wie Schmid in seiner Arbeit(*) zeigen konnte. Schmid und seine Arbeitsgruppe haben dargelegt, dass Probanden sich infolge von Schlafmangel weniger bewegen und dass bei ihnen die Konzentration des Hormons Glukagon sinkt. Glukagon fördert den Fettabbau und erhöht den Blutzuckerspiegel. Dafür wertete der angehende Internist Nahrungsaufnahme und Stoffwechsel von 15 gesunden, normalgewichtigen, im Schnitt 27 Jahre alten Männern aus, die unter Laborbedingungen acht oder nur vier Stunden geschlafen hatten.

"Große epidemiologische Studien, darunter die Nurses Health Study mit über 70.000 Krankenschwestern, haben in den vergangenen Jahren eine klare Assoziation zwischen Schlafdauer und Diabetes mellitus Typ 2 zeigen können", sagte Schmid. Die Menschen schlafen heute zweieinhalb bis drei Stunden weniger als noch vor 60 Jahren. Wer Job und Privatleben in der globalisierten Welt unter einen Hut bringen will, knappst häufig als Erstes am Schlaf. Dass es zwischen verkürzter Schlafdauer und vermehrtem Auftreten von Diabetes einen kausalen Zusammenhang gibt, haben auch die Lübecker Forscher in der Vergangenheit bereits belegt: "Wenn wir junge, gesunde Probanden nicht oder nur wenig schlafen lassen, genügt bereits eine Nacht, um die Insulinresistenz deutlich zu erhöhen", so Schmid. Das Schlafdefizit wirkt sich verheerend auf den Zuckerhaushalt aus. Der Glukosespiegel steigt und auch die Insulinausschüttung wird angekurbelt - trotzdem gelingt es dem Organismus nicht, ausreichend Zucker in die Körperzellen zu schleusen. "Eine solche diabetogene Stoffwechsellage sieht man klassischerweise auch im Frühstadium einer Diabeteserkrankung."

Welche Mechanismen hierfür verantwortlich sind, ist noch nicht bis ins Detail geklärt. Ähnlich verhält es sich mit den Hormonen Leptin und Ghrelin, die ganz wesentlich Hunger und Appetit beim Menschen regulieren und deren Konzentration ebenfalls durch die Schlafdauer beeinflusst wird. Das Sättigungshormon Leptin sendet dem Gehirn Signale aus dem Fettgewebe, die anzeigen sollen, wie viele Energiereserven noch gespeichert sind. Gegenspieler Ghrelin ist ein klassisches Hungersignal, das von den Zellen der Magenschleimhaut freigesetzt und sehr kurzfristig ausgeschüttet wird. Schmid: "Verschiedenen Untersuchungen zufolge reagieren die Hormone auf die Schlafdauer. Bisherige Studien aus unseren und anderen Gruppen zeigen, dass sich das hormonelle Gleichgewicht bei zu wenig Schlaf hin zu mehr Hunger und Appetit verschiebt." Ob diese hormonelle Dysbalance nach Schlafzeitverkürzung tatsächlich Einfluss auf das Essverhalten hat, ist nach Angaben von Schmid beim Menschen bislang unzureichend untersucht. Eine solche Analyse haben die Lübecker Forscher nun erstmals vorgenommen. "Unsere Hypothese anhand der bisher bekannten Forschungsergebnisse war, dass die Probanden nach Schlafentzug deutlich mehr essen. Dies hat sich jedoch in keinster Weise bestätigt." Kurz- und Langschläfer, so das Ergebnis der Versuchsreihe, verzehrten beinahe auf die Kilokalorie die gleiche Nahrungsmenge.

Auch konnten die Lübecker Wissenschaftler keinen Unterschied bei den Leptin- und Ghrelinspiegeln der Probanden feststellen - gleich, wie lange sie geschlafen hatten. Dies könnte am Studiendesign liegen, das von bisherigen Untersuchungen entscheidend abwich: In den vorangegangenen Versuchsanordnungen werden die Kurzschläfer nachts um drei Uhr geweckt und müssen sitzend die Zeit bis zum Morgen verbringen. In dieser Situation wird insbesondere die Hormonproduktion angekurbelt - vor allem auch der Stresshormone Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin. In der aktuellen Untersuchung sind die Probanden später ins Bett gegangen und morgens um sieben zeitgleich mit den Langschläfern aufgestanden. Identifiziert haben die Forscher jedoch ein deutlich eingeschränktes Aktivitätsmuster der Kurzschläfer: Nach der ersten Nacht im Schlaflabor konnten die Testschläfer, mit einem Beschleunigungsmesser versehen, nach Hause gehen, bevor sie zur zweiten Nacht wieder im Labor vorstellig werden mussten. "Das aufgezeichnete Bewegungsmuster der Kurzschläfer wich deutlich von dem der Normalschläfer ab", erklärte Schmid. Wer zu wenig geschlafen hatte, bewegte sich insgesamt weniger und auch die Intensität der Bewegungen war bei den müden Probanden eingeschränkt. Die Kurzschläfer fühlten sich körperlich schwächer, weniger konzentrations- und leistungsfähig und hatten eine schlechtere Stimmungslage als die Normalschläfer.

Fazit aus den neuen Untersuchungen: Wer regelmäßig zu wenig schläft, bewegt sich weniger. Da er aber nicht gleichzeitig weniger isst, neigt der Kurzschläfer eher zu Übergewicht und damit auch zur Entwicklung eines Diabetes mellitus. "Es liegt zwar schon eine Reihe von Studienergebnissen zu diesem Themenkomplex vor. Doch es sind noch viele Fragen offen, die den Zusammenhang von Schlaf und Stoffwechsel betreffen." Ausreichend Schlaf, so viel scheint klar, ist für das immunologische, psychische und metabolische Gedächtnis von großer Bedeutung. Voraussetzung hierfür ist laut Schmid 1. ein möglichst ausgeglichenes Schlafmuster - nur seltene Wechsel des zirkadianen Rhythmus; Schichtarbeiter befinden sich ständig in einer Art Jetlag und haben ein deutlich erhöhtes Risiko für metabolische Erkrankungen; und 2. eine dem individuellen Optimum angepasste Schlafdauer, die bei den meisten Menschen zwischen sieben und acht Stunden liegt.


Anmerkung

(*) Am J Clin Nutr 2009: Short-term sleep loss decreases physical activity under free-living conditions but does not increase food intake under time-deprived laboratory conditions in healthy men


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201006/h10064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Dr. Sebastian Schmid (Foto)


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juni 2010
63. Jahrgang, Seite 54 - 55
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2010