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SCHMERZ/502: Vorreiterrolle in der Erforschung von Nervenschmerzen (idw)


Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München - 21.10.2009

Vorreiterrolle in der Erforschung von Nervenschmerzen

Deutsches Netzwerk setzt neue Standards


Der Deutsche Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz (DFNS) konnte sich eine weitere dreijährige Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sichern. Mit dieser Anschlussförderung festigt das deutschlandweite Netzwerk seine Vorreiterrolle in der Erforschung neuropathischer Schmerzen. Ziel ist die Etablierung einer dauerhaften nationalen Institution zur besseren Versorgung von Patienten, die an Nervenschmerzen leiden. Mit Kooperationen auf europäischer und internationaler Ebene strebt der DFNS zudem eine weltweite Vernetzung an - und setzt mit Publikationen, die zu den meistzitierten Arbeiten gehören, auch international hohe Standards.

Der heute weltweit anerkannte Deutsche Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz (DFNS) wurde im Jahr 2002 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Fördermaßnahme "Forschungsverbünde für Schmerzforschung" gegründet. Seitdem forscht der Verbund in den Bereichen Pathophysiologie, Prävention und Therapie neuropathischer Schmerzen mit dem Ziel, die medizinische Versorgung von Patienten mit Nervenschmerzen grundlegend zu verbessern.


Weiterförderung bestätigt Vorreiterrolle

Das BMBF unterstützt das Netzwerk nun mit einer weiteren dreijährigen Förderung bis 2012. Die Sprecher des DFNS, Prof. Thomas Tölle, Leiter der Geschäftstelle an der Neurologie der TU München und Prof. Baron, Neurologie Universität Kiel, stellen für alle Verbundteilnehmer mit Freude fest: "Die Weiterförderung stellt eine einmalige Auszeichnung dar, denn Forschungsverbünde dieser Art werden normalerweise maximal sechs Jahre gefördert. Aufgrund unserer erzielten Forschungsaktivitäten und des nationalen und internationalen Renommees unseres Verbundes ermöglicht uns das BMBF jetzt diese außergewöhnliche Förderung und setzt damit gemeinsam mit dem DFNS auf Nachhaltigkeit." Die Einbeziehung aller wichtigen Kräfte und Fachrichtungen in Deutschland, gesichert durch bestehende Kooperationen mit den Forschungszentren aus den ersten beiden Förderperioden sowie den Verbund-Partnern, gewährleistet eine überdauernde Fortführung und Weiterentwicklung der Ziele des DFNS.


Projekte bahnen den Weg zur nationalen Institution

Die Projekte des DFNS sind darauf ausgelegt, die Infrastruktur des Verbundes überdauernd zu sichern und die strategische Koordination weiterer nationaler und internationaler Entwicklungen zu unterstützen. Dazu ist eine Überführung des DFNS in eine dauerhafte, feste Institution in Deutschland in Form einer Stiftung, Akademie oder Vereinstruktur geplant. Eine derartige Plattform soll langfristige Kooperation mit öffentlichen Institutionen wie Universitäten, Stiftungen, BMBF, EU-Schmerzprojekten und insbesondere mit industriellen Sponsoren sichern und so den Fortschritt im Verständnis der Pathophysiologie, Prävention und Therapie neuropathischer Schmerzen festigen.


Weltweit größte Datenbank

Das zentrale Netzwerkprojekt umfasst den Ausbau, die Pflege, die Optimierung und die Auswertung der Datenbank (QUAST) zu neuropathischem Schmerz. Diese Datenbank beinhaltet genaue quantitative Veränderungen der Hautsensibilität sowie psychologische Hintergründe von Patienten mit unterschiedlichen neuropathischen Schmerzbildern. Bislang konnten mehr als 3000 Datensätze von mehr als 2000 Patienten sowie 540 Einträge eines Kollektivs von 180 gesunden Probanden als Kontrollpatienten erhoben werden. Prof. Christoph Maier, Bochum, dessen Forschungsteam die Datenbank verwaltet: "Mit Hilfe der Datenbank werden wir in den nächsten Jahren diagnostische Auswertungs-Tools entwickeln, die über das Netzwerk hinaus eine individualisierte Diagnostik ermöglichen sollen. Solche Tools sind wirtschaftlich und wissenschaftlich wichtige EDV Lösungen zur Erforschung neuer Therapiestrategien sowohl für die forschende Industrie als auch für akademische Partner. Zum anderen stellen sie effiziente Instrumente zur Unterstützung von Kliniken und Praxen dar." Mit dem elektronischen Auswertungsformular "eQuiSTA" hat der Verbund bereits ein Programm entwickelt, mit dem Ärzte eigene Patienten mit den Normkollektiven des DFNS vergleichen können, um auf diesem Wege Aussagen über deren sensorische Dysfunktionen zu machen.


Gene bestimmen den Schmerz

Die Blut- und DNA-Bank des DFNS soll zu einer multipel abfragbaren Ressource für genetische Analysen durch nationale und internationale Forschungskonsortien und Industrie etabliert werden. Dabei soll die Rolle genetischer Aspekte bei Schmerz-Entstehung und -Verarbeitung genau erforscht werden. Im Fokus stehen eine ganze Reihe von Risikogenen, die mit dem Auftreten neuropathischer Schmerzerkrankungen zusammenhängen könnten. Erste Ergebnisse des Verbundes bestätigen bereits den Einfluss verschiedener "Schmerzgene". "Mit dem rasanten Fortschritt in der Genetik in den letzten Jahren und dem zu erwartenden Fortschritt in den kommenden Jahren können diese Gen-Analysen wegbereitend für neue therapeutische Ansätze werden.", erklärt PD Dr. Achim Berthele, TU München, Leiter des zentralen DNA-Labors.


Nervenschmerzen richtig messen

Entsprechend dem Leitgedanken des DFNS erfordert jeder einzelne Schmerzmechanismus eine spezifische Therapie. Diese Mechanismen-orientierte bzw. Symptom-basierte Therapie bedarf einer genauen Analyse der Schmerzsymptomatik, die als Indikator für die zugrunde liegenden biologischen Mechanismen gilt. Die Quantitativ Sensorische Testung (QST) ermöglicht mit einfachen Mitteln wie Pinsel und Wattebausch eine umfassende Analyse der sensiblen Defizite und der positiven schmerzhaften Symptome des einzelnen Patienten. An der Universität Heidelberg wird zur Sicherstellung einer hoch qualifizierten Diagnostik neuropathischer Schmerzen ein zentrales Qualitätsmanagement-Zentrum unter Leitung von Prof. Rolf-Detlef Treede etabliert: "Das vom DFNS entwickelte standardisierte QST-Protokoll dient als Goldstandard. Mit ständigen Qualitätskontrollen gewährleisten wir, dass jeder Untersucher im Netz zu den gleichen Ergebnissen und Grundlagen der Interpretation gelangt. Über unseren Verbund hinaus ist die Einhaltung des Protokolls jetzt auch Basis der von den Fachgesellschaften initiierten Zertifizierung von QST-Laboren "Quantitative Sensorische Testung nach Profilen des DFNS"." Da die zunehmende Verbreitung der QST eine Standardisierung des Verfahrens erfordert, hat der DFNS zusammen mit der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) Zertifizierungsrichtlinien entwickelt (1).


Studien zentral organisieren und koordinieren

Die Kieler Forschungsgruppe verantwortet Organisation und Koordination klinischer Studien, die im Rahmen des DFNS stattfinden. Dazu Prof. Ralf Baron:" Die Durchführung klinischer Studien bildet die Grundlage für die Entwicklung neuer medikamentöser Therapieoptionen und spielt damit eine zentrale Rolle in einem Forschungsprojekt, das sich mit neuropathischem Schmerz beschäftigt. Wir streben die Etablierung einer individualisierten, am Mechanismus orientierten Therapie an, die in Zukunft vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung und steigender Kosten im Gesundheitssystem entscheidende Vorteile mit sich bringt." Auf die steigende Nachfrage nach klinischen Studien aus der Industrie hin soll durch das Zentrum Kiel eine Analyse und Selektion geeigneter Patienten aus der Datenbank vorgenommen werden. Zudem soll bei der Erstellung und Anpassung der Studienprotokolle mitgearbeitet, die Durchführung der Studien durch Kommunikation mit den anderen teilnehmenden Zentren koordiniert und bei Bedarf auch die zentrale Datenauswertung einschließlich statistischer Analysen abgedeckt werden.


Publikationen setzen internationale Standards

Der DFNS hat durch seine systematische Arbeit zur Analyse neuropathischer Schmerzen, die Entwicklung einer neuen Systematik der Symptom-basierten Klassifikation und die Bereitstellung neuer Diagnosestrategien wie QST eine hohe Akzeptanz in der deutschen und internationalen Ärzteschaft erlangt. Dies schlägt sich auch in den Publikationen des Verbundes nieder. Gleich zwei Arbeiten des DFNS konnten jetzt in den beiden internationalen Fachjournalen "Pain" sowie "European Journal of Pain" die Auszeichnung "Top 10 Cited Paper 2006-2008" erzielen (2,3). Beide Publikationen thematisieren das QST-Protokoll des Verbundes - und die hohe Resonanz lässt hoffen, dass die Standards des DFNS auf dem besten Wege sind, Einzug in die tägliche klinische Praxis zu halten.


Literatur:

(1) Geber C, Scherens A, Pfau D, Nestler N, Zenz M, Tölle T, Baron R, Treede RD, Maier C (2009)
Zertifizierungsrichtlinien für QST-Labore.
Der Schmerz 23(1):65-69.

(2) Rolke R, Baron R, Maier C, Tölle TR, Treede RD, Beyer A, Binder A, Birbaumer N, Birklein F, Bötefür IC, Braune S, Flor H, Huge V, Klug R, Landwehrmeyer GB, Magerl W, Maihöfner C, Rolko C, Schaub C, Scherens A, Sprenger T, Valet M, Wasserka B. (2006)
Quantitative Sensory Testing in the German Research Network on Neuropathic Pain (DFNS): Standardized Protocol and Reference Values.
Pain 123(3):231-243.
Erratum in: Pain (2006) 125(1-2):197

(3) Rolke R, Magerl W, Campbell KA, Schalber C, Caspari S, Birklein F, Treede RD (2006)
Quantitative sensory testing: a comprehensive protocol for clinical trials.
Eur J Pain 10(1):77-88

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Dr. Thomas R. Tölle
Geschäftsstelle des DFNS
Neurologische Klinik und Poliklinik
Klinikum rechts der Isar der TU München
Ismaninger Str. 22, 81675 München
e-mail: dfns@lrz.tu-muenchen.de

Weitere Informationen finden Sie unter
- http://www.neuro.med.tu-muenchen.de/dfns/presse/bilder_PI_QST_102009.html
   Bilder zur QST-Untersuchungsbatterie des DFNS zum Download
- http://www.neuropathischer-schmerz.de
   Weitere Informationen

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution860


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München
Tanja Schmidhofer, 21.10.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2009