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FORSCHUNG/1186: Wenn das Herz "aus dem Takt" gerät (idw)


Universität Wien - 18.07.2017

Wenn das Herz "aus dem Takt" gerät

Humane Stammzellen helfen Mechanismus für Herzrhythmusstörungen


Bei der Entwicklung neuer Arzneistoffe ist es wichtig, toxische Wirkungen auf das Herz auszuschließen. Hemmt eine Substanz bestimmte Kaliumkanäle im Herzmuskel, die so genannten hERG-Kanäle, treten mit hoher Wahrscheinlichkeit Herzrhythmusstörungen auf. Ein Team um den Pharmakologen Steffen Hering von der Universität Wien hat nun herausgefunden, dass diese Rhythmusstörungen nicht zwingend auftreten müssen: Wird gleichzeitig ein Kalziumkanal "blockiert", kann die Schädigung des Herzens verhindert werden. Untersuchungen an Herzzellen aus humanen Stammzellen spielten dabei eine Schlüsselrolle.

Alle Richtlinien für Arzneistoffentwicklungen sehen Untersuchungen an hERG-Kanälen, also den Kaliumkanälen im Herzmuskel, vor. Blockiert eine Substanz diesen Ionenkanal, wird die Arzneistoffentwicklung in der Regel als erfolglos abgebrochen. Für mehr als 20 bereits zugelassene Arzneimittel wurde in den letzten Jahren nachträglich festgestellt, dass sie HERG-Kanäle blockieren und tödliche Herzrhythmusstörungen verursachen. Diese Medikamente mussten vom Markt genommen werden.

Im Gegensatz dazu kommt es aber auch vor, dass einige zugelassene Arzneimittel hERG-Kanäle hemmen und trotzdem keine Herzrhythmusstörungen auslösen. Die Ursachen für diese "Ausnahmen" sind wenig erforscht. Ein Beispiel für einen solchen verträglichen hERG-Blocker ist der Wirkstoff Verapamil, der zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen und Bluthochdruck eingesetzt wird.

Untersuchung an Herzzellen aus humanen Stammzellen

Priyanka Saxena, Studentin des vom FWF geförderten Doktoratskollegs "Ionenkanäle als Molekulare Drug Targets" ("MolTag") an der Universität Wien, untersuchte den Mechanismus, der hERG-Blocker ungefährlich macht. Sie verglich die Hemmung der hERG-Kanäle durch Dofetilid (ein Arzneimittel, das schwere Arrhythmien auslösen kann und deshalb 2004 in Europa vom Markt genommen wurde) mit 20 chemischen Abkömmlingen (Derivaten) dieser Substanz. In Zusammenarbeit mit Godfrey Smith von der Universität von Glasgow untersuchte sie dort die Wirkung dieser Substanzen an Herzzellen, die durch Differenzierung humaner Stammzellen gewonnen wurden. Herzzellen aus humanen Stammzellen haben in den vergangenen Jahren einen hohen Stellenwert für Untersuchungen zur Arzneimittelsicherheit erlangt. Es zeigte sich, dass einige der untersuchten Dofetilid-Derivate ungefährlich sind und keine Arrhythmien verursachen.

Mechanismus mit Mathematik entschlüsselt

Ein mathematisches Modell, entwickelt von Philipp Kügler an der Universität Hohenheim, konnte schließlich den zugrundeliegenden Mechanismus entschlüsseln. "Wird zusätzlich ein Kanal für Kalziumionen blockiert, dann kann die arrhythmogene Wirkung der hERG-Kanalblocker aufgehoben und die toxische Wirkung auf das Herz verhindert werden", erklärt Steffen Hering vom Department für Pharmakologie und Toxikologie und Sprecher des Doktoratskollegs: "Die Untersuchungen an Herzmuskelzellen aus humanen Stammzellen waren dabei von großem Nutzen. Diese Arbeit eröffnet für die Pharmaindustrie neue Wege in der Arzneistoffentwicklung".


Publikation in "British Journal of Pharmacology":
Correlation between hERG channel inhibition and action potential prolongation
Short running title: hERG inhibition and AP prolongation.
Saxena P, Hortigon-Vinagre MP, Beyl S, Baburin I, Andranovits S, Iqbal SM, Costa A, IJzerman A, Kügler P, Timin E, Smith GL, Hering S
British Journal of Pharmacology 2017 Jul 6.
doi: 10.1111/bph.13942 (E-publication ahead of print)

Wissenschaftlicher Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Steffen Hering
Department für Pharmakologie und Toxikologie
Universität Wien
1090 Wien, Althanstraße 14 (UZA II)
steffen.hering@univie.ac.at

Rückfragehinweis
Mag. Alexandra Frey
Pressebüro der Universität Wien
Forschung und Lehre
1010 Wien, Universitätsring 1
alexandra.frey@univie.ac.at


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution84

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Wien, Alexandra Frey, 18.07.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2017

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