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POLITIK/267: "Die Impfstoff-Apartheid der EU" (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 6. Juli 2021
german-foreign-policy.com

"Die Impfstoff-Apartheid der EU"

Die EU erkennt in Asien hergestellte Vakzine nicht für die Einreise an. Das löst heftige Proteste in Afrika aus, wo die EU diese Impfstoffe verteilen lässt.


BRÜSSEL - Die Weigerung der EU, Impfungen mit außerhalb der Union produzierten Vakzinen als gültig für die Einreise anzuerkennen, führt zu wütenden Protesten auf dem afrikanischen Kontinent. Auslöser ist insbesondere, dass die EU und ihre zuständige Behörde EMA (European Medicines Agency) den AstraZeneca-Impfstoff bislang nur dann als wirksam gegen Covid-19 einstufen, wenn er in Fabriken auf dem europäischen Kontinent hergestellt wurde, nicht aber, wenn er aus der Produktion des Serum Institute of India (SII) stammt. Letzteres Vakzin ist, da der Ausstoß der europäischen Fabriken bisher ausschließlich in reichen Ländern verimpft wurde, von der internationalen Covax-Initiative verteilt worden - auch an Länder in Afrika. Nach empörten Reaktionen der Afrikanischen Union (AU) melden sich nun Politiker und Medien aus verschiedenen Staaten des Kontinents zu Wort. Madagaskars Gesundheitsminister erklärt, es stelle sich die Frage, ob es "einen Impfstoff für Afrikaner gibt und einen anderen für Europäer". Eine weithin rezipierte ostafrikanische Wochenzeitung wirft der EU "Impfstoff-Apartheid" vor.

"Die nächste Runde der Covid-Diplomatie"

Experten warnen bereits seit Wochen, die Einführung des digitalen EU-Impfpasses könne, sollte Brüssel auf seinen Vorschriften für ihn beharren, außenpolitisch zu erheblichen Schwierigkeiten führen. In einer Stellungnahme aus dem European Council on Foreign Relations (ECFR) etwa hieß es schon Mitte Mai, die Union stehe in Sachen "Covid-Diplomatie" bisher schlecht da. Im Frühjahr 2020 habe sie Gesichtsmasken gehortet, während vor allem China anderen Ländern medizinische Schutzausrüstung für den Kampf gegen die Pandemie geliefert habe.[1] Die EU-Impfkampagne sei nur schleppend in Gang gekommen; Länder wie Israel, Großbritannien "und sogar Serbien" seien damit erheblich schneller gewesen. Nicht nur bei Impfstoffspenden an ärmere Länder seien die europäischen Staaten mittlerweile von den USA abgehängt worden; es komme vor allem auch nicht gut an, dass die EU immer noch die zeitweise Freigabe von Impfstoffpatenten blockiere, während die Vereinigten Staaten ihr - wenn auch mit unübersehbaren Einschränkungen [2] - zugestimmt hätten. "Auf der Landkarte der Impfstoffdiplomatie" sei die EU "weniger präsent als andere Mächte", hieß es weiter beim ECFR. Nun gebe es allerdings eine Chance, "die nächste Runde der Covid-Diplomatie zu gewinnen". Das habe auch mit den Impfpässen zu tun.

"Das Ansehen der EU"

Wie der ECFR im Mai vor allem mit Blick auf die östlichen und die südöstlichen Nachbarstaaten der EU festhielt, gelte es nicht nur eine formale Kompatibilität der dortigen Impfnachweise mit den Impfpässen der EU herzustellen, um Hindernisse etwa bei der Einreise in die EU aus dem Weg zu räumen. Man müsse auch eine Lösung für die Tatsache finden, dass in den Nachbarstaaten viele Einwohner mit russischen oder chinesischen Vakzinen geimpft seien, die jedoch die zuständige EU-Behörde EMA (European Medicines Agency) nicht oder noch nicht zugelassen habe.[3] Weil aber bislang laut offiziellen EU-Regeln die Berechtigung zur Einreise in die EU an die Immunisierung mit einem EMA-zugelassenen Vakzin gekoppelt sei, könnten nach aktuellem Stand beispielsweise nur Albanier EU-Mitgliedstaaten besuchen, die mit dem BioNTech/Pfizer-Vakzin geimpft seien, nicht jedoch ihre Mitbürger, die einen chinesischen oder einen russischen Impfstoff erhalten hätten. Bleibe es dabei, dann sei mit "diplomatischen Verwicklungen" zu rechnen, die "das Ansehen der EU in diesen Ländern wohl kaum verbessern" würden, warnte der ECFR: Wie Brüssel damit umgehe, werde "tiefgreifende Auswirkungen auf das Ansehen der EU in den nächsten Jahren" haben. Afrikas Impfstoffmangel

Die EU, jenseits großspuriger Sonntagsreden weitgehend mit sich selbst und mit Strafmaßnahmen gegen missliebige Staaten beschäftigt, hat die Warnungen ignoriert; sie erntet aktuell einen ersten heftigen Proteststurm vor allem auf dem afrikanischen Kontinent. Dort ist die bisherige Versorgung mit Impfstoffen besonders miserabel. Ursprünglich war geplant, die Staaten Afrikas über die internationale Covax-Initiative zu versorgen, die dazu sämtlichen ärmeren Ländern bis Jahresende die Impfung eines Fünftels ihrer Bevölkerung ermöglichen wollte. Dazu hatte sie vorab rund 2,4 Milliarden Impfdosen bestellt. Die westlichen Staaten, darunter auch Deutschland und die EU, brüsteten sich stolz, Geld dafür zur Verfügung zu stellen. Allerdings sind, weil ebenjene westlichen Staaten die meisten Vakzine für sich reservieren - Auffrischungsimpfungen im Herbst inklusive -, kaum Impfstoffe erhältlich; Covax konnte mit Stand vom 2. Juli gerade einmal 95 Millionen Dosen verteilen.[4] Auf den afrikanischen Kontinent mit einer Bevölkerung von 1,3 Milliarden Menschen waren bis Mai lediglich 18,2 Millionen Dosen über Covax geliefert worden. Aus China, das dem Fachportal Bridge Beijing zufolge inzwischen mehr als 400 Millionen Dosen in Entwicklungs- und Schwellenländer geliefert hat, haben die Länder Afrikas bisher 24 Millionen Dosen erhalten.[5] Nicht anerkannt

Für Protest sorgt nun, dass die EU die in Afrika verabreichten Impfstoffe nicht anerkennt. Dies gilt nicht nur für die chinesischen Vakzine, sondern auch für dasjenige von AstraZeneca, das den Großteil der Covax-Lieferungen bildet. Die Ursache: Covax hat den AstraZeneca-Impfstoff aus der Produktion des Serum Institute of India (SII) erhalten, weil die in Europa produzierten Dosen des Vakzins ausschließlich an reiche Länder geliefert wurden. Während viele Staaten das in Indien hergestellte AstraZeneca-Vakzin ebenso anerkennen wie das in Europa produzierte und es teilweise selbst ihren Bürgern verabreicht haben, lehnen die EU und ihre zuständige Behörde EMA dies bislang kategorisch ab. Auf dem afrikanischen Kontinent hat nun die Erkenntnis, von der EU mit Impfstoffen abgespeist zu werden, denen sie selbst offenkundig misstraut und die deshalb nicht zur Einreise in ihre Mitgliedstaaten berechtigen, in den vergangenen Tagen ungewöhnlich wütende Reaktionen ausgelöst.

"Politische Spiele", "Ethnozentrismus"

Bereits am vergangenen Donnerstag hieß es - noch sehr zurückhaltend - in einer offiziellen Stellungnahme der Afrikanischen Union (AU), das Vorgehen der EU setze "die gleichberechtigte Behandlung" geimpfter Afrikaner aufs Spiel.[6] Der AU-Sondergesandte für die Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen, Strive Masiyiwa, erinnerte empört daran, er sei in der EU mit dem Argument, die europäischen Impfstofffabriken würden für die Versorgung der Europäer benötigt, auf Covax mit seinen in Indien hergestellten Vakzinen verwiesen worden: "Wie kann es sein, dass sie uns jetzt erzählen, diese Impfstoffe seien nicht gültig?"[7] Madagaskars Gesundheitsminister Jean-Louis Rakotovao-Hanitrala erklärte, er sei "überrascht und schockiert": Man frage sich nun, "ob es etwa einen Impfstoff für Afrikaner gibt und einen anderen für Europäer".[8] In einem Kommentar des Radiosenders Capital FM aus Kenia war von einem "Doppelzüngigkeit", einem "diskriminierenden" Vorgehen und "Ethnozentrismus" in Europa die Rede. China fülle derweil mit sein en Exporten "die Lücke, die strukturell von den reichen Ländern geschaffen wurde".[9] Die weithin rezipierte Wochenzeitung The East African stellte trocken fest, in der AU sei man "zutiefst verärgert"; darüber hinaus warf das Blatt der EU "Impfstoff-Apartheid" vor - eine selten deutliche Kritik am Umgang der ehemaligen Kolonialmächte mit dem afrikanischen Kontinent.[10]


Mehr zum Thema:
Impfstoffe für Afrika
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8629/


Anmerkungen:

[1] Joanna Hosa, Tefta Kelmendi, Nicu Popescu: Vaccine passports: How the EU can win the next round of covid diplomacy. ecfr.eu 19.05.2021.

[2] S. dazu Die Welt impfen (III)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8629/

[3] Joanna Hosa, Tefta Kelmendi, Nicu Popescu: Vaccine passports: How the EU can win the next round of covid diplomacy. ecfr.eu 19.05.2021.

[4] T. V. Padma: COVID vaccines to reach poorest countries in 2023 - despite recent pledges. nature.com 05.07.2021.

[5] China Covid-19 Vaccine Tracker. bridgebeijing.com.

[6] African Union warns EU over vaccine certificate 'inequality'. euractiv.com 30.06.2021.

[7] Africa protests EU's vaccine apartheid in Green Pass policy. theeastafrican.co.ke 05.07.2021.

[8] European Union does not recognize Covishield vaccine.
northafricapost.com 24.06.2021.

[9] Adhere Cavince: Discriminatory EU Vaccines Passport Mark of Duplicity. capitalfm.co.ke 05.07.2021.

[10] Africa protests EU's vaccine apartheid in Green Pass policy. theeastafrican.co.ke 05.07.2021.

*

Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 3. August 2021

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