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POLITIK/100: Umsetzung von Partizipation in der Sozial- und Gemeindepsychiatrie ...   Elke Hilgenböcker im Gespräch (Soziale Psychiatrie)


Soziale Psychiatrie Nr. 175 - Heft 1/22, Januar 2022
Rundbrief der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.

Für eine Grundhaltung, in der Partizipation selbstverständlich ist

Interview mit Elke Hilgenböcker (*) über Möglichkeiten und Praxis der Umsetzung von Partizipation in der Sozial- und Gemeindepsychiatrie

Von Thomas R. Müller


Thomas Müller: Liebe Elke, zusammen mit Andreas Bethmann beschäftigst du dich seit vielen Jahren mit dem Thema Partizipation. Vor dem Hintergrund der Umsetzung des BTHG sind Partizipation und Teilhabe in aller Munde. Wie würdest du die Begriffe voneinander abgrenzen?

Elke Hilgenböcker: Mit dem Begriff der Teilhabe verbinde ich die Möglichkeit, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Eine Politik, die ihr Augenmerk auf Inklusion legt, kann hier die entsprechenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen. Beim Begriff der Partizipation geht es um die Schaffung der individuellen Möglichkeiten, selbstbestimmt zu leben und sich in soziale und politische Prozesse, eben das, was Gesellschaft ausmacht, einbringen zu können. Im Kern geht es also um Selbstbestimmung und Entscheidungsmacht, die jede einzelne Person oder eine Personengruppe in einem bestimmten Zusammenhang hat.

Thomas Müller: Also Empowerment durch Partizipation?

Elke Hilgenböcker: Ja, genau! Aufgabe der sozialen Arbeit ist es ja, herauszufinden, was die Adressaten jeweils für sich selbst erreichen wollen und wie ich als Mitarbeiterin sie dabei unterstützen kann. Es geht also in erster Linie um Empowermentprozesse. Das kann ich nicht erreichen, indem ich für mein Gegenüber etwas tue, sondern ich muss es mit ihm tun. Und dafür benötige ich von Anfang an eine partizipative Grundhaltung, in der das Erfahrungswissen der Nutzerinnen und Nutzer den gleichen Stellenwert hat wie das Fachwissen, was ich mir durch Studium und Arbeitserfahrung erworben habe. Werden die Lebensweltexpertise, die Wünsche und Interessen der Adressaten ernst genommen, dann steht die Selbst- und Mitbestimmung von Anfang an im Zentrum der gemeinsamen Arbeit, und dadurch wird natürlich ganz erheblich die Erfahrung der Selbstwirksamkeit gestärkt.

Thomas Müller: Was verbirgt sich hinter der »Partizipativen Qualitätsentwicklung«?

Elke Hilgenböcker: Die »Partizipative Qualitätsentwicklung« ist ein Anwendungskonzept für systemische Partizipation im Bereich des Sozial- und Gesundheitswesens. Sie ist in den Nullerjahren im Wissenschaftszentrum Berlin mit der Aidshilfe und anderen konzipiert und seither ständig weiterentwickelt worden. Das Konzept beinhaltet die stetige Verbesserung von Maßnahmen, Projekten oder Einrichtungen durch die zuvor definierte, dann aber gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren. In einer sozialpsychiatrischen Einrichtung werden auf diese Weise die Interessen und die Lebensweltexpertise der Klientinnen mit einbezogen, die Institution kann nicht mehr an ihnen vorbei handeln. Dadurch wird das Gefühl der Selbstwirksamkeit gestärkt, die Qualität der Arbeit verbessert und die Zufriedenheit aller erhöht.

Thomas Müller: Lässt sich Partizipation dadurch auch nachhaltig sichern?

Elke Hilgenböcker: Auf jeden Fall. Damit die Zusammenarbeit auf Dauer funktioniert, braucht es einerseits Klarheit und Transparenz bezüglich der Machtverhältnisse, da Partizipation ja auch immer etwas mit dem Abgeben von Macht zu tun hat. Und andererseits müssen die Möglichkeiten der Einflussnahme strukturell verankert sein, sonst kann jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin je nach Lust und Laune mal mehr, mal weniger Mitbestimmung zulassen. Es braucht also verlässliche, klare Regelungen, die dann für alle Beteiligten Gültigkeit haben. Und diese müssen in einem längeren Prozess erarbeitet werden. Dabei bezieht sich das Recht auf Partizipation natürlich nicht nur auf die Adressatinnen der Einrichtung, sondern genauso auf die Mitarbeitenden.

Im Schaubild haben wir die erarbeiteten Regeln, auf die sich letztendlich alle verlassen können, »Verfassung« genannt. Das Recht auf Mitwirkung kann z.B. im Leitbild oder einer Satzung verankert sein, die Wege und Orte der Mitbestimmung können im QM-Handbuch oder anderen Statuten niedergelegt werden. Die Verfassung sichert Partizipation in der Einrichtung langfristig ab, denn sie ist nun nicht mehr von der Willkür Einzelner abhängig, was z.B. bei einem Leitungswechsel relevant werden könnte.


Schaubild: Mitarbeiter*innen und Nutzer*innen entwickeln die Grundhaltung und bestimmen die Verfassung mit, aus denen sich die direkte Partizipation ergibt

Schaubild: Schematische Darstellung der Partizipationsprozesse in Institutionen


Thomas Müller: Was sind aus deiner Sicht Gründe für das Scheitern partizipativer Prozesse?

Elke Hilgenböcker: Neben der partizipativen Grundhaltung und der Festschreibung der ausgehandelten Beteiligungsprozesse ist die Etablierung eines strukturellen Empowerments die dritte ganz wichtige Säule der »Partizipativen Qualitätsentwicklung«. Viele Nutzerinnen und Nutzer einer sozialpsychiatrischen Einrichtung sind in ihrem Leben nur wenig nach ihren Wünschen und Vorstellungen gefragt worden, und sie hatten auch kaum Entscheidungsmacht. Psychiatrieaufenthalte, Verlust von Sozialkontakten, Zukunftsängste - all das trägt weder zu einem guten Selbstwertgefühl noch zu selbstverantwortlichem Handeln bei. Jetzt sollen sie aber selbstbestimmt leben, Wünsche und Bedürfnisse äußern und auch noch über bestimmte Dinge mitentscheiden. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Sie dabei zu unterstützen und mit entsprechenden Maßnahmen zu stärken, ist eine ausdrücklich im BTHG festgeschriebene Aufgabe. Wird dieser Aspekt vernachlässigt, werden wohl nur einige wenige Nutzerinnen an gemeinsamen Vorhaben mitwirken wollen.

Weitere Ursachen fürs Scheitern können Unklarheiten, Intransparenz, unterschiedliche Vorstellungen und viel Unausgesprochenes sein. Kommunikation spielt für das Gelingen von partizipativen Prozessen eine große Rolle, und ihr sollte viel Aufmerksamkeit geschenkt werden. Doch Partizipation kann nicht von heute auf morgen in einer Einrichtung verwirklicht werden, und obwohl es in erster Linie ein Top-down-Prozess ist, kann sie nicht einfach angeordnet werden. Es müssen alle Mitarbeitenden mitgenommen werden. Im Idealfall ist es der gemeinsam erklärte Wille der Einrichtung. Das Reflektieren der eigenen Rollen, die Auseinandersetzung mit der Einrichtungsstruktur, den Verantwortungen und Machtstrukturen, den verschiedenen Erwartungen und Interessen all das ist ein gemeinsamer Prozess, der nicht unterschätzt werden sollte. Er braucht Zeit und muss klug gesteuert werden.

Thomas Müller: Was meinst du denn genau mit strukturellem Empowerment? Kannst du ein Beispiel dafür nennen?

Elke Hilgenböcker: Das sind interne Prozesse, die die Klientinnen stärken. Wichtig ist, dass sie strukturell verankert sind und einfach zum Ablauf dazugehören. Zum Beispiel Peer Counseling und Recoverygruppen, auch Kommunikationstrainings. Wichtig ist auch, die Nutzer von Anfang an zu beteiligen. Das kann schon bei der Aufnahme beginnen, indem die Mitarbeiterin nicht nur die notwendigen Informationen zur Verfügung stellt, sondern sich nach ein paar Tagen erkundigt, ob und wie das Aufnahmeprozedere verbessert werden könnte. Zusätzlich könnten die Neuankömmlinge auch in einer Fokusgruppe zu diesem Thema befragt werden. So wird schon gleich zu Anfang deutlich, dass ihre Meinung wichtig ist, und die Einrichtung hat die Chance, ihren Aufnahmeprozess an die Bedürfnisse anzupassen.

Insgesamt sollten Verfahrensabläufe daraufhin überprüft werden, ob die Betroffenen sich wirkungsvoll einbringen können, also ob sie das entsprechende Wissen haben, ob sie informiert wurden, ob die Arbeitsprozesse transparent sind, ob sie auch wirklich gehört und verstanden werden.

Thomas Müller: Ihr überblickt durch eure Beratertätigkeit im Sozial- und Gesundheitssektor ein breites Feld. In welchen Bereichen ist das Bewusstsein für Partizipation besonders ausgeprägt?

Elke Hilgenböcker: Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Einerseits gibt es das große Feld der Gemeinwesenarbeit, die ja schon in ihrer konzeptionellen Ausrichtung partizipativ ist und die Adressatinnen zu Beteiligten macht. Auch in der Kinder- und Jugendarbeit wird viel selbstverständlicher mit dem Thema umgegangen, was nicht verwundert, da seit über 30 Jahren die Partizipation in der UN-Kinderrechtskonvention verankert ist. Und nicht zuletzt in den Sozial- und Gesundheitswissenschaften nimmt die Bedeutung der Partizipation im deutschsprachigen Raum zu. Partizipation spielt aber in hierarchisch organisierten Institutionen bislang eine untergeordnete Rolle. Wobei wir auch da manchmal überrascht werden. Zum Beispiel durften wir einen Veterinärdienst über ein halbes Jahr lang begleiten und bei der Einführung partizipativer Elemente in der Arbeit auf den Schlachthöfen unterstützen. Oder das Friedrich-Loeffler-Institut hat mit einem partizipativen Projekt versucht, die Ausbreitung der afrikanischen Schweinepest einzudämmen. Gegenwärtig unterstützen wir in einem Modellprojekt bundesweit Frauenhäuser bei der partizipativen Entwicklung eines Beschwerdemanagements.

Thomas Müller: Und wo steht die Sozial- und Gemeindepsychiatrie?

Elke Hilgenböcker: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt ganz hervorragende partizipative Beispiele, über die freuen wir uns dann natürlich immer sehr und fragen, ob wir diese Erfahrungen in unseren Kursen weitergeben dürfen. Manchmal wird auch eine ausgeprägte Partizipationskultur gelebt, ohne dass es so benannt wird. Das hat dann meist historische Ursachen, z.B. wenn die Einrichtung aus der Selbsthilfe, früher oft ein sogenannter Patientenclub, hervorgegangen ist. Wir hören sehr mutmachende Geschichten, wo Einrichtungen die Stelle einer Teilhabebeauftragten oder auch eines Empowermentbeauftragten eingerichtet haben. Oder wo Gelder in doch erheblichem Umfang als Anschubfinanzierung für die Umsetzung von partizipativen Elementen wie z.B. der Implementierung eines Nutzerbeirates bereitgestellt werden. Wir wissen nicht, wie viele Leuchttürme dieser Art es gibt, und es wäre sehr spannend, das herauszufinden. Unsere Vermutung ist aber eher, dass eine partizipative Grundhaltung noch nicht so wirklich in der Fläche angekommen ist. Und wir wundern uns schon, dass die vielen Möglichkeiten der Partizipation nicht ausgeschöpft werden. Da scheint noch viel Luft nach oben zu sein. Vielleicht ist das Potenzial, das in der Partizipation schlummert, von der Sozialpsychiatrie noch nicht ganz erkannt worden.

Thomas Müller: Welche Formen der Partizipation gibt es bereits in der Sozialpsychiatrie?

Elke Hilgenböcker: Neben den drei Säulen, also der partizipativen Grundhaltung, der Verfassung und dem strukturellen Empowerment, gibt es einige partizipative Elemente, die Einrichtungen nach und nach einführen können, während sie stetig an der Partizipationskultur weiterarbeiten. Ohne viel Aufwand könnten z.B. interessierte Klientinnen an den QM-Audits oder den Qualitätszirkeln und Arbeitsgruppen teilnehmen. Sowieso vorgeschriebene Nutzerbefragungen können sehr gut partizipativ gestaltet werden, indem die Durchführung der Befragung gemeinsam geplant und der Fragebogen zusammen entwickelt werden. Sogar die Auswertung kann nach vorheriger Anonymisierung gemeinsam vorgenommen werden. Es geht also nicht so sehr um die Form eines Elementes, sondern um die dahinterstehende Haltung. Ein Beschwerdemanagement kann z.B. aus einem Briefkasten bestehen, der irgendwo verwaist hängt. Es kann aber auch ein wohlüberlegtes, transparentes Konzept verschiedener Beschwerdewege, Bearbeitungsinstanzen und Rückmeldemöglichkeiten sein. Ein gutes Verbesserungs- und Beschwerdemanagement ist für mich eines der Kernelemente der Partizipation in einer Einrichtung, weil dadurch die Nutzer direkt auf Veränderungen hinwirken können und spüren, dass sie ernst genommen werden. Ein weiteres Kernelement sind demokratisch gewählte Nutzerinnenbeiräte. Sie tragen erheblich zum Demokratisierungsprozess und zum Gefühl der Selbstwirksamkeit bei.

Thomas Müller: Siehst du spezifische Probleme bei der Umsetzung von Partizipation in der Gemeinde- und Sozialpsychiatrie? Was sind die größten Hindernisse?

Elke Hilgenböcker: Oft werden die Vorstufen der Partizipation, wie die Adressatinnen zu informieren oder ihre Meinung einzuholen, mit Partizipation verwechselt. Beides sind zwar auch wichtige Prozesse, aber Partizipation beginnt eben erst da, wo Mitbestimmung möglich ist.

Und dann gibt es natürlich auch noch die Scheinpartizipation. Also, so zu tun, als würde man Mitbestimmung ermöglichen, in der Folge dann aber die eigenen Interessen durchsetzen. Zum Beispiel, wenn die Klienten bereitwillig Auskunft geben, im guten Glauben, sie könnten etwas mitentscheiden, und dann ihre Meinungen oder Wünsche in der konkreten Ausgestaltung des Vorhabens keine Rolle mehr spielen. Oder ein Fall, der zwar schon länger zurückliegt, uns aber immer noch sehr ärgert: Da wurde eine Frau, die zurückgezogen lebte, von der Einrichtungsleitung zum Klientenrat bestimmt. Sie ist nicht gewählt worden, sie bildete mit sich allein den Rat und sie wusste nichts über ihre Funktion, ihre Rechte, ihre Pflichten. Und das i-Tüpfelchen war, dass Mitarbeiter kaum daran Anstoß nahmen.

Der Ruf nach Partizipation wird lauter, und es müssen bestimmte Vorgaben erfüllt werden. Aber ich vermute, dass es damit auch zu einer Häufung von Scheinpartizipation kommen wird.

Oft stehen aber auch Ängste der Mitarbeitenden im Wege: die Angst, dass Partizipation »Anarchie« bedeutet, dass dann ein unbeherrschbares Chaos ausbricht. Aber gerade das passiert nicht, wenn die Mitbestimmungsrechte und Entscheidungswege vorher klar ausgehandelt wurden. Oder auch die gegenteilige Angst, nämlich Klientinnen allein zu lassen, wenn niemand sich fürsorglich um sie kümmert, oder die Angst, dass Partizipation überfordern könnte. Beides kann nicht passieren, wenn der Mitarbeiter im Kontakt mit den Nutzerinnen ist und gemeinsam die Grenzen ausgelotet und diese dann natürlich respektiert und auch immer wieder hinterfragt werden. Partizipation kann nur funktionieren, wenn die verschiedenen Akteure es wollen, also sich freiwillig für mehr Mitbestimmung entscheiden.

Häufig hören wir: »Partizipation? - Das machen wir doch schon längst!« Im Gespräch wird dann aber deutlich, dass Partizipation mit Anwaltschaft verwechselt wird. Jemand ist Fürsprecherin für eine Person, statt sie darin zu unterstützen, selbst zu sprechen. Diese Haltung der Anwaltschaft entspringt der Fürsorgepädagogik, die lange Zeit die vorherrschende Haltung in der sozialen Arbeit war. Natürlich ist es manchmal wichtig, Anwaltschaft zu übernehmen, aber das ist dann eben keine Partizipation.

Thomas Müller: Welche Rolle können Genesungsbegleiterinnen und Genesungsbegleiter bei der Umsetzung partizipativer Modelle spielen?

Elke Hilgenböcker: Sie sind sozusagen der Motor im Partizipationsgetriebe, weil sie eine Vorbildfunktion für die Klientinnen und Klienten haben. Aber ich denke, wichtiger ist noch, dass sie da, wo erste Schritte in Richtung Partizipationskultur unternommen werden, mit ihren Lebenswelterfahrungen den Prozess sehr sinnvoll mitgestalten können. Und natürlich spielen sie sowohl bei der Entwicklung des strukturellen Empowerments als auch bei der inhaltlichen Ausgestaltung eine ganz zentrale Rolle, z.B. bei Angeboten wie Recoverygruppen. Allgemein sind sie wahrscheinlich sensibler bei der Schaffung einer Atmosphäre des Miteinanders, und sie können aufgrund ihrer besonderen Rolle auch eher auf Missstände hinweisen.

Thomas Müller: Erinnerst du dich in der Beratung an ein spezielles Partizipationsvorhaben - im positiven wie im negativen Sinne?

Elke Hilgenböcker: Das Thema Klientenrat ist da ein wirklich gutes Beispiel, weil es ein ganz hervorragendes Partizipationselement in einer Einrichtung ist, da sich an der Wahl alle beteiligen können und viele Diskussionen dazu beitragen, den Sinn für demokratische Prozesse zu schärfen. Für die gewählten Vertreterinnen ist die Arbeit in diesem Gremium eine gute Möglichkeit, sich auszuprobieren und daran zu wachsen. Wenn aber vorher die Rechte und Pflichten des Klientinnenrates nicht klar ausgehandelt wurden, kann es zu ganz herben Enttäuschungen führen. Zum Beispiel hören wir ab und zu, dass die Mitglieder eines Rates wie selbstverständlich davon ausgehen, dass sie, genau wie der Personalrat, an Bewerbungsverfahren teilnehmen. Für viele Einrichtungen ist das aber ein No-Go. Wenn das vorher nicht deutlich kommuniziert wurde, kann die Enttäuschung so groß sein, dass der Konflikt eskaliert und der Rat sich auflöst oder aufgelöst wird. Und dann passiert erst mal jahrelang nichts mehr in dieser Richtung. Ein Worst Case, der gar nicht so selten vorkommt und zeigt, wie wichtig klare Kommunikation ist. Aber andererseits ist mir lebhaft ein Gespräch mit Mitgliedern des Klientenrates der Psychiatrischen Hilfsgemeinschaft Viersen in Erinnerung geblieben, obwohl das schon ein paar Jahre her ist. Dort erzählte eine Klientin eindrücklich, wie sehr sich ihr Leben durch die Mitarbeit im Gremium verbessert hat, wie sehr sie dadurch an Stärke gewonnen hat.

Thomas Müller: Was wäre deine Vision hinsichtlich Partizipation in der Gemeindepsychiatrie?

Elke Hilgenböcker: Ich wünsche mir, dass sich eine Grundhaltung durchsetzt, in der Partizipation selbstverständlich ist. So selbstverständlich, dass bestimmte Partizipationselemente, wie zum Beispiel der Nutzerbeirat, partizipativ organisierte Zufriedenheitsbefragungen oder die Einstellung von Genesungsbegleiterinnen gesetzlich verankert werden. Und alle würden ganz selbstverständlich gemeinsam an der Verbesserung der Gemeindepsychiatrie arbeiten.

Thomas Müller: Vielen Dank für das Gespräch.


Hinweis
Das Interview wurde im September 2021 per E-Mail von SP-Redaktionsmitglied Thomas R. Müller geführt.


(*) Elke Hilgenböcker ist Dipl.-Soziologin mit langjähriger Erfahrung in der Psychiatriearbeit. Heute berät sie Unternehmen und Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitswesen und moderiert partizipative Prozesse. Die Autorin freut sich sehr über Beispiele der Umsetzung von Partizipationsprozessen in sozialpsychiatrischen Einrichtungen.

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Quelle:
Soziale Psychiatrie Nr. 175 - Heft 1/22, Januar 2022, Seite 4-7
veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 12. Juli 2022

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