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INTERVIEW/021: Das System e-Card - Elke Steven zu bürgerrechtlichen Fragen der eGK (SB)


Informationelle Selbstbestimmung durch "Gesundheitswirtschaft" bedroht

Interview am 28. Juni 2012 in Düsseldorf

Elke Steven ist Mitglied im Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., das an der Kampagne gegen die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) beteiligt ist. Im Anschluß an die erstinstanzliche Verhandlung vor dem Sozialgericht Düsseldorf am 28. Juni 2012 zu der Klage von Sven S. gegen die zwangsweise Verordnung der e-Card beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen.

Im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Elke Steven
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Frau Steven, inwiefern ist das Komitee für Grundrechte und Demokratie mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) befaßt?

Elke Steven: Als wir Mitte 2005 gehört haben, daß man die elektronische Gesundheitskarte einführen will, waren wir sehr erschrocken, weil sensible Daten wie die Gesundheitsdaten auf zentralen Rechnern gespeichert werden sollen. Daher haben wir im Herbst 2005 eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich seitdem mit dieser Frage beschäftigt und sowohl theoretisch zu verstehen versucht, wie dieses Gesundheitssystem damit verändert werden soll, als auch Handlungsmöglichkeiten schaffen will, um diesem Protest Ausdruck zu verleihen.

SB: Darüber hinaus hat das Grundrechtekomitee ein Taschenbuch unter dem Titel "Digitalisierte Patienten - verkaufte Krankheiten" [1] zum Thema eGK herausgegeben.

ES: Wir haben damals zuerst ein kleines Heftchen im DIN-A-6-Format zur Gesundheitskarte herausgegeben, um die Bürger mit der Materie überhaupt vertraut zu machen. Bereits 2008 hatten wir dann dem Gesundheitsministerium eine Unterschriftensammlung gegen die eGK übergeben und dies mit dem Aufruf verbunden, die Fotos nicht abzugeben. Schließlich haben wir unsere Argumente in einem Reader noch einmal zusammengefaßt, denn es geht nicht nur um den Datenschutz, sondern darum, daß mit der elektronischen Karte das Gesundheitssystem völlig umstrukturiert und marktwirtschaftlich ausgerichtet werden soll. In den Krankenhäusern ist das schon jetzt von zentraler Bedeutung. Auf diese Weise werden nicht mehr der Mensch und das Verhältnis zwischen Arzt und Patient im Vordergrund stehen, sondern finanzielle Entscheidungen darüber, was noch von den Kassen leistbar ist. Der Druck wird größer werden, daß die Patienten sich gemäß bestimmten Konzepten zu verhalten haben.

SB: Wie beurteilen Sie angesichts dessen die Möglichkeit, das Projekt auf rechtlichem Wege zu stoppen?

ES: Ich bin hinsichtlich des Rechtsweges ein wenig skeptisch, aber ich finde, es lohnt sich, das zu probieren. Eine Menge Gründe sprechen gegen die Einführung der eGK, die Jan Kuhlmann in der Verhandlung so gut vorgebracht hat, daß sie vom Verfassungsgericht zumindest bewertbar sein müßten wie zum Beispiel die Entscheidung zur informationellen Selbstbestimmung, für die auch das Verfassungsgericht eintritt. So werden im Gesetz zur eGK Rechtschutz und Freiwilligkeit betont werden. In den letzten Jahren ist aber deutlich geworden, in welchem Maße das Gesetz verändert wird, ohne daß eine öffentliche Diskussion darüber stattfindet. Von daher glaube ich, daß der Gerichtsweg nur dann Erfolg haben wird, wenn gleichzeitig ein breiter Protest von Bürgerinnen und Bürgern sowie Versicherten mobilisiert wird. Uns erreichen ständig Anrufe von Leuten, die sich dem Protest anschließen und die Einführung der Gesundheitskarte verhindern wollen. Je mehr Menschen mit dem Gesundheitssystem in Berührung kommen, um so mehr wächst die Empörung oder sie kriegen schlicht Angst vor dem, was dort alles passiert.

SB: Wie beurteilen Sie das Argument Herrn Kuhlmanns, daß sein Mandant sich mit der eGK auf etwas einlassen muß, auf das er später keinen Einfluß mehr nehmen kann? Es wurde seitens des Gerichts und der Krankenkasse geäußert, daß die eGK nichts weiter als die Krankenversicherungskarte auf dem derzeitigen Stand repräsentiert und alles weitere in Zukunft kommt.

ES: Das ist tatsächlich ein ganz zentrales Argument, denn die Millionen, die schon in das Projekt investiert worden sind, machen überhaupt keinen Sinn, wenn nicht auch die anderen Anwendungen eingeführt werden. Dieses Schleichen um das Projekt herum macht es schwierig, die Konsequenzen zu begreifen, denn jetzt stimmen die Leute einfach zu, aber nach und nach werden neue Möglichkeiten geschaffen, Daten zu speichern, die der einzelne gar nicht mehr mitbekommt. Es ist zu befürchten, daß die Freiwilligkeit abgeschafft wird, wenn die Patienten sich nicht beteiligen. In den letzten Jahren wurde dieses Gesetz mehrfach verändert, weil das, was vorgesehen war, nicht praktikabel ist wie zum Beispiel das elektronische Rezept. Auf der anderen Seite haben die Krankenkassen aber ein Interesse daran, ihre Daten mit der Arztpraxis abzugleichen oder Zugriff nicht nur auf Verwaltungsdaten, sondern auch auf inhaltliche Daten zu bekommen. Dies gilt etwa für den Fall, daß die Bereitschaft zur Organspende auf der Karte gespeichert wird. Jetzt wird noch geltend gemacht, daß die Kassen lediglich Verwaltungsdaten speichern.

SB: Die Verfechter der eGK würden wahrscheinlich argumentieren, daß immer noch geklagt werden könnte, wenn ein solcher Fall von Datenschutzverletzung auftritt oder eine technische Innovation eingeführt wird, die man vorher nicht absehen konnte?

ES: Ja, aber das wäre dann sehr schwierig, weil es ein schleichender Prozeß sein wird. Es ist immer von Mehrwertanwendungen die Rede, die mit der Karte möglich werden sollen. Aber eigentlich weiß noch niemand, was das sein soll. Wenn sie erst einmal eingeführt sind, wird es immer schwieriger werden, dagegen zu klagen.

SB: Für die Mehrwertdienste werden bereits Aussichten darauf eröffnet, der pharmazeutischen oder medizinischen Forschung Daten weiterzugeben. Ein anderes Problem ist, daß im Rahmen von Chronikerprogrammen Patienten zur Weitergabe ihrer Daten aufgefordert werden, wobei zu fragen ist, inwiefern Freiwilligkeit tatsächlich gegeben wäre?

ES: Bei diesen Managed-Care-Programmen ist das immer schon gemacht worden, daß die Patienten viele Anreize bekamen. Über solche Anreize werden Patienten natürlich auch geködert. Der einzelne Patient kann gar nicht mehr entscheiden, welche Behandlung die richtige ist und ob der Arzt ihn besser behandelt, wenn er sich jetzt einschreibt. Wenn der Arzt darauf drängt, wird der Patient mitmachen. Die Freiwilligkeit ist eher eine Idee, als daß sie für den einzelnen tatsächlich machbar wäre.

SB: In der Rechtsprechung wird die materielle Ungleichheit in der Gesellschaft kaum berücksichtigt. Wie versuchen sie auf derartige Faktoren im Rahmen bürokratischer Prozesse einzugehen, jetzt einmal bezogen auf die eGK, bei deren Etablierung formalrechtliche Kriterien weit wichtiger erscheinen als etwa die kritische Infragestellung der Ökonomisierung des Gesundheitswesens?

ES: Weil wir auf diese Prozesse relativ wenig Einflußmöglichkeiten haben und sich unser Engagement eher darauf bezieht, die Bürger zu informieren und mit ihnen ins Gespräch zu kommen, hatten wir erst das Heftchen und jetzt das Buch herausgegeben. Mit einem Flugblatt hatten wir seinerzeit kurz über die eGK informiert und die Leute auch schon aufgefordert, das Foto nicht abzugeben. Das Problem ist, daß wir damit im wesentlichen nur diejenigen erreichen, die sich auch informieren können. Diejenigen, die tatsächlich auf Informationen von ihrem Arzt angewiesen sind oder sich in einem schwierigen Arzt-Patientenverhältnis befinden, lassen sich viel schwerer erreichen. Im Krankheitsfall sind sie erst einmal daran interessiert, gesund zu werden, und haben wenig Möglichkeiten, freiwillige Entscheidungen zu treffen, weil sie in Abhängigkeitsverhältnissen zu Ärzten stehen. Von der Schule an müßten die Bürger erst einmal lernen, selber Entscheidungen in diesem System zu treffen, um über Gesundheit mehr Informationen zu bekommen und wirklich entscheiden zu können, was sie jeweils brauchen.

SB: Wie beurteilen Sie den Wert eines Rechtsgutes wie dem der informationellen Selbstbestimmung im Kontext einer Gesellschaft, die die Offenlegung von persönlichen Daten aller Art favorisiert und unter Anreizen vorantreibt? Sehen Sie da überhaupt eine Chance für ein Gegensteuern?

ES: Ich denke, daß es um so notwendiger und wichtiger ist. Es wird zwar behauptet, daß die Jugendlichen sehr viel freier mit ihren Daten umgehen und sie sehr viel leichter zur Verfügung stellen. Ich glaube allerdings, daß es längst auch Gegenbewegungen gibt. Da personengebundene Daten inzwischen leicht ausgewertet und miteinander kombiniert werden können, um Schlüsse über ganz individuelle Entscheidungen und Lebenssituationen zu ziehen, ist es sehr wichtig, daß Daten nur in den Grenzen genutzt werden dürfen, für die sie erfaßt und auch gebraucht werden. Natürlich wird es schwieriger, weil Daten so leicht transferiert werden können, aber um so wichtiger sind dann auch rechtliche Grenzen, die überprüft und klar gezogen werden.

Elke Steven - Foto: © 2012 by Schattenblick

Grundrechtekomitee arbeitet Demonstrationsverbot für Blockupy-Proteste auf
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SB: Zum allgemeinen Stand der Bürgerrechte in der Bundesrepublik gefragt - das Grundrechtekomitee hat vor kurzem mit einer eigenen Kundgebung zum Verbot der Blockupy-Proteste in Frankfurt Stellung bezogen. Erst im nachhinein kann festgestellt werden, ob das Verbot überhaupt rechtens war. Wie beurteilen Sie als Vertreterin des Komitees für Grundrechte und Demokratie eine solche Rechtsprechung, auch im Verhältnis dazu, daß der Senat in Hamburg vor kurzem eine Neonazi-Demo gewissermaßen mitorganisiert hat, indem die Neonazis mit Linienbussen und unter Polizeischutz an den Demonstrationsort gebracht wurden?

ES: Ich möchte das erst einmal differenzieren. Es ist erschreckend, wie in Frankfurt mit dem Demonstrationsrecht umgegangen wurde. Immerhin ist die Versammlungsfreiheit ein Grundrecht, das dort über mehrere Tage einfach abgeschafft worden ist. Ausnahmslos alle Versammlungen sind verboten worden. Wir hatten eine Veranstaltung für das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit angemeldet, die mit Blockupy gar nichts zu tun hatte, weil wir nicht Teil dieses Organisationszusammenschlusses waren. Auch unsere Versammlung ist verboten worden, obwohl sie zeitlich begrenzt war und an einem Feiertag stattfinden sollte, die Geschäfte also überhaupt nicht beeinträchtigt waren. Meines Erachtens hat es ein solches Verbot über mehrere Tage für eine ganze Stadt bei allem Streit ums Versammlungsrecht seit Jahrzehnten nicht mehr in der Bundesrepublik gegeben. Im Wendland und beim G-8-Gipfel in Heiligendamm gab es zumindest den Versuch, dieses Grundrecht in Grenzen zu gewährleisten, also demonstrationsfreie Zonen zu definieren, aber ansonsten das Recht zu gewährleisten.

Insofern ist es eine erschreckende Entwicklung in Frankfurt gewesen. Wir klagen jetzt nochmal gegen dieses Verbot unserer Versammlung durch alle Instanzen. Wir hatten schon geklagt, aber das Verwaltungsgericht hatte der Stadt recht gegeben, also das Verbot bestätigt, und der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat gar nicht entschieden, obwohl der Antrag rechtzeitig eingegangen war. Jetzt werden wir noch einmal durch die Instanzen gehen und hoffen, daß wir damit auch das gesamte Verbot rechtlich angreifen können. Wir sind im Prinzip bereit, bis zum Verfassungsgericht zu gehen, weil es das Versammlungsrecht seit dem Brokdorf-Beschluß und auch danach immer wieder hoch ansetzte, eben auch im Verhältnis zu Versammlungen von NPD-Kameradschaften und so weiter.

Ich will das gar nicht anklagen, denn ein Grundrecht ist ein Grundrecht und muß für alle gelten, und das kann nicht von der Gesinnung abhängig gemacht werden. Das Schlimme ist, und das muß man noch einmal viel systematischer angehen, daß die Polizei mit ihren Gefahrenprognosen letztlich den Ausschlag gibt, wie das Verfassungsgericht entscheiden muß. Die Polizei ist in diesem Punkt völlig einseitig und blind auf dem rechten Auge, weil sie die Gefahren und die Gesetzesverletzungen, aber auch die Angriffe, die auf rechten Versammlungen durchaus stattfinden, überhaupt nicht wahrnimmt und erklärt, es liefe alles ruhig, aber im Gegenzug behauptet, daß die Gewalt von der Gegendemonstration oder wie in Frankfurt von so einer Veranstaltung ausginge. Dann heißt es schlicht, es kommen immer 2000 Gewaltbereite, obwohl das überhaupt nicht belegt ist oder konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen. Man behauptet immer eine Gefahr, die von denen ausgeht.

Das Schlimme daran ist, daß diese Prognose Einfluß auf die Gerichte hat, die insofern gerade in Eilentscheidungen tatsächlich kaum Möglichkeiten besitzen, das zu überprüfen. Allerdings hat mich die schnelle Entscheidung, die das Bundesverfassungsgericht in Frankfurt verfügt hat, doch ziemlich erschreckt, weil dadurch das Grundrecht der Geschäftsleute und Bürger, sich dort ungehindert bewegen zu können, ganz lapidar Vorrang vor dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit bekommen hat. Diese Entscheidung des Verfassungsgerichts ist unerträglich, weil das Gericht ansonsten immer abgewogen hat. In Heiligendamm hat es eine umfassende Entscheidung getroffen. Auch wenn es dann das Verbot dieser Zone aufgrund einer Lüge der Polizei, die völlig falsch berichtet hat, bestätigte, hat es das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sehr viel mehr abgewogen, und das ist in Frankfurt völlig weggefallen.

SB: Spätestens seit den Anschlägen des 11. September 2001 ist ein starkes Übergewicht der Exekutive in allen Bereichen der inneren Sicherheit zu verzeichnen, während die Frage des Nachweises von Straftaten zugunsten präventiver Maßnahmen immer mehr entfällt. Es wird immer mehr in Bereichen sanktioniert, in denen Menschen nur als verdächtig bezeichnet werden. Wie bewerten Sie aus bürgerrechtlicher Sicht solche Formen der exekutiven Ermächtigung und einer Art von permanentem Ausnahmezustand?

ES: Sukzessive werden immer mehr Rechte abgebaut und gleichzeitig nimmt diese Idee der Prävention überall überhand. Da gibt es durchaus einen Zusammenhang zum Gesundheitssystem. Auch dort wird die Idee der Prävention so dominant, daß die Patienten zunehmend bezichtigt werden, selbst schuld zu sein, wenn sie krank werden. Im Bereich der inneren Sicherheit verhält es sich letztlich so, daß vor irgendwelchen Gefahren, bevor sie überhaupt greifbar sind, gewarnt wird. Weil der Verfassungsschutz gemeinsam mit BKA und Polizei die Idee, es könnten irgendwelche Gefahren drohen, aufrechterhält, wird frühzeitig in politische Gruppen und Organisationen eingegriffen. Es wird versucht, sie entweder mit Hilfe von Beobachtungen des Verfassungsschutzes oder durch § 129 Strafgesetzbuch unter diesen Verdacht zu stellen, und damit eröffnen sich gravierende Eingriffsmöglichkeiten, um solche Gruppen derart zu bedrängen, daß sie ihre normale politische Arbeit nicht mehr machen können.

Ganz oft hat sich dieser Verdacht nach Jahren als unhaltbar herausgestellt, aber in dieser Zeit wurde ihnen die politische Arbeit erschwert und unmöglich gemacht. Es wird immer behauptet, es gebe einen berechtigten Verdacht, wie die 2000 Gewaltbereiten, die angeblich bei Demonstrationen auftauchen und von denen die Gefahr terroristischer Taten ausgehe, und daß Verfassungsschutz und Geheimdienste irgend etwas darüber wissen. Aber deren Informationen sind nicht überprüfbar, sondern werden einfach in den Raum gestellt. Und kommt es dann doch zu einem Verfahren, bleibt das, was die Geheimdienste angeblich wissen, unüberprüfbar, weil sie dann eben keine Aussagegenehmigung erhalten.

SB: Frau Steven, danke für das Gespräch.

Fußnoten:

[1] http://www.grundrechtekomitee.de/shop

15. Juli 2012