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INTERVIEW/029: Der Entnahmediskurs - Existentia sophistica, Gespräch mit Prof. Dr. Reinhard Merkel (SB)


Interview am 12. September 2013 im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) in Bielefeld



Prof. Dr. jur. Reinhard Merkel ist Ordinarius für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg. Er studierte Rechtswissenschaften in Bochum und Rechtswissenschaft, Philosophie und Literaturwissenschaft in München, wo er auch sein Juristisches Staatsexamen ablegte. Seine Forschungsgebiete sind Dogmatik des Strafrechts, Rechtsphilosophische Grundlagenforschung, Rechtsethik, Theorien der Gerechtigkeit, normative Probleme der Philosophie des Geistes, Recht und Ethik in der Medizin und in den Neurowissenschaften sowie Politische Philosophie und Völkerstrafrecht. Auf Vorschlag der Bundesregierung ist er seit April 2012 für die Periode bis 2016 Mitglied im Deutschen Ethikrat.

Im Gespräch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Prof. Dr. Reinhard Merkel
Foto: © 2013 by Schattenblick

Auf der Tagung "The Importance of Being Dead - The Dead Donor Rule and the Ethics of Transplantation Medicine" in Bielefeld hielt Reinhard Merkel aus organisatorischen Gründen nicht wie ursprünglich geplant einen eigenen Vortrag. Er brachte jedoch seine Auffassung zu den verschiedenen Aspekten der Thematik in zahlreichen Diskussionsbeiträgen ein. Wie er argumentierte, habe schon Kant überzeugend dargelegt, daß das generelle Tötungsverbot eine grundlegende Norm und konstitutiv für jede legale Ordnung ist. Es müsse jedoch Ausnahmen geben, die Töten in ganz spezifischen Situationen rechtfertigen, wobei diese Ausnahmen ihrerseits auf grundlegenden Normen basieren: Selbstverteidigung zweifelsfrei, Töten im Krieg bereits umstritten, doch können diese Ausnahmen nicht Töten in anderen Zusammenhängen rechtfertigen. Beim Recht auf Leben mache man für gewöhnlich keinen Unterschied zwischen Menschen, die bei Bewußtsein, bewußtlos oder Sterbende sind. Wenngleich das Recht auf Leben nicht auf dem Spiel steht, wenn jemand sterben möchte, müsse Töten auf Verlangen weiterhin verboten sein. Wollte man der zunehmenden Erosion dieser sozialen Norm dennoch stattgeben, indem man Töten auf Verlangen in einer bestimmten Situation gestattet, bedürfte dies einer spezifischen Norm und Gesetzesänderung.

Die grundlegende Norm, keinen Schaden zuzufügen, sei in keinem Sinn willkürlich. Es gelte jedoch, schädigen und zerstören zu unterscheiden. Schaden bedeute, einem Lebewesen etwas zuzufügen, was für dieses einen Unterschied macht. Beispielsweise könne man im ethischen Sinn einem Grashalm keinen Schaden zufügen, weil er keinerlei Bewußtsein habe und es für ihn folglich keinen Unterschied mache. Das Prinzip, niemandem Schaden zuzufügen, gelte hingegen für ein Individuum, dem man schaden kann. Bei einer mentalen Nullinie sei das jedoch nicht der Fall. Diesem Menschen könne man im ethisch relevanten Sinn keinen Schaden mehr zufügen. Man könne ihn zerstören, aber ihm nicht als Subjekt Schaden zufügen. Davon zu unterscheiden sei der organische Tod, für den keine grundlegende ethischen Norm, jedoch eine kulturelle Norm maßgeblich sei, die für den Common sense plausibel sein müsse. Diese zweite Norm könne man an verschiedenen Stellen des sterbenden Organismus ansiedeln, um in Einklang mit dem allgemeinen Verständnis zu begründen, wann ein Mensch in diesem Sinne tot ist.

Die vielfach geäußerte Furcht vor einem Dualismus in der Charakterisierung eines menschlichen Wesens sei nicht nachvollziehbar. Man habe es mit zwei Aspekten menschlichen Lebens zu tun, nämlich einem organismischen und einem mentalen Aspekt. Der Tod eines Menschen bedürfe eines Konzepts, das beides berücksichtigen muß. Beide Aspekte seien idealerweise mit je eigenen fundamentalen Normen verknüpft.

Könne man sagen, daß der Hirntod das Ende eines menschlichen Wesens als Person ist, so sei dies im Zusammenhang einer Art kollektiven Zustands der Notwendigkeit relevant, daß Tausende Patienten sterben, weil sie keine Organe bekommen. Das sei keine utilitaristische Erwägung, denn man müsse anerkennen, daß eine solche Notwendigkeit existiert und unsere Entscheidungen leiten sollte.

Am Rande der Tagung beantwortete Reinhard Merkel dem Schattenblick einige Fragen.

Schattenblick: Herr Merkel, Sie haben in der vorangegangenen Diskussion die Frage nach dem Autopiloten gestellt. Worauf zielte diese Frage ab?

Reinhard Merkel: Diese Frage zielt vor allem darauf, ein plausibles Kriterium zu finden, nach dem man entscheiden kann und darf, daß ein Organismus für tot erklärt wird. Denn wann ein Organismus, ein so komplexer wie der menschliche Körper - und ich rede jetzt nur vom Körper des Menschen -, tot ist, so ist das etwas, was uns die Biologie dieses Organismus nicht sagt. Der Tod ist das Ende eines Gesamtprozesses des Sterbens, der lange dauern kann, bis hin zur Total-Nekrose aller Zellen. Irgendwo zwischendrin legen wir einen Schnitt und sagen "hier". Und dafür brauchen wir Gründe, die das plausibel machen. Ich habe gesagt, daß das keine genuinen ethisch verpflichtenden Gründe, sondern eher solche sind, die ich anthropologisch nennen würde. Das ist etwas, was der Common sense der Bürger mit einem Kopfnicken akzeptieren kann, ja, ab dann kann man sagen, dieser Organismus ist tot. Der Organismustod des Menschen ist die eine Hälfte.

Die andere ist der mentale Tod des Menschen, der Bewußtseinstod, Bewußtsein im minimalen Sinn. Jeder Mensch, der noch einen Rest an Subjektivität im Sinne von Empfindungsfähigkeit hat, ist nicht tot und darf nicht für tot erklärt werden. Dieser Umstand beruht auf einer genuin verpflichtenden moralischen Norm, nämlich niemanden zu schädigen. Subjektiv geschädigt werden kann jemand nur, wenn er Bewußtsein hat, einen Rest, ein minimales Bewußtsein. Um das zu illustrieren, möchte ich anführen, daß auch eine Fliege subjektiv verletzt werden kann. Man muß nur einmal beobachten, wie sich Fliegen verhalten, die zu nahe an offene Kerzen gekommen sind. Dieses Streichen über den Kopf, dieses offensichtliche Schmerzbenehmen, zeigt an, daß der Fliege etwas zugestoßen ist, was für sie unangenehm ist. Wenn man so etwas Menschen zufügt - von Fliegen will ich jetzt gar nicht weiter reden, wiewohl das auch nicht uninteressant wäre -, so handelt es sich um eine Verletzung ihrer Interessen. Deswegen ist der mentale Tod des Menschen das ethisch entscheidende Kriterium. Es ist also unbedingt ein notwendiges, aber für sich allein noch kein hinreichendes Kriterium zu sagen, der Mensch ist tot. Um für tot erklärt zu werden, muß der Mensch eine subjektiv mentale Nullinie des Erlebens haben, die nachweisbar ist. Sie ist nachweisbar mit dem Totalausfall sämtlicher Gehirnfunktionen, und der Mensch muß außerdem als Organismus - und jetzt verwende ich noch einmal den Ausdruck von vorhin - halbwegs plausibel für tot erklärt werden können.

Nach diesem langen Bogen, den ich geschlagen habe, komme ich jetzt zu Ihrer Frage zurück. Ich sage, wenn wir eine komplexe Maschinerie haben, als die wir den biologischen Organismus des Menschen betrachten können, dann haben wir durchaus moralisch das Recht zu sagen, wir entscheiden, was das steuernde Primärorgan ist. Und das ist nach allem, was wir wissen, das Gehirn. Alan Shewmon hat uns jetzt einmal mehr gezeigt, daß das nicht bedeuten muß, daß die Desintegration aller Systeme dieses gigantischen Zellverbundes "as a whole", wie die Amerikaner sagen, durch den irreversiblen Ausfall des Gehirns schon eingetreten wäre. Denn die Subsysteme wie die Nieren, die Leber, der Kreislauf, die Hormonsteuerung, alles das hat eine gewisse Autofunktion. Ich sage trotzdem, daß der irreversible Ausfall des Hirnstamms sehr wohl der Ausfall dessen ist, was ich in meinem Bild als den Autopiloten bezeichnet habe.

Gegen die Annahme, daß das der zwingende Tod des Organismus sei, können allerlei Einwände vorgebracht werden, aber nur im Hinblick darauf, daß das eine Kulturnorm ist, zu der wir hier verpflichtet sind. Wir müssen es dem Common sense plausibel machen können, daß wir jemanden für tot erklären. Und das können wir nicht allein damit begründen, daß dessen Bewußtsein absolut und irreversibel erloschen ist. Denn es gibt Patienten, bei denen wir, obwohl sie noch nicht hirntot sind, das auch annehmen müssen. Das sind die Patienten mit vollständigem irreversiblen apallischen Syndrom, deren Hirnstamm aber noch funktioniert. Solche Menschen können mitunter lange überleben, der Weltrekord liegt bei über 40 Jahren. Dabei handelte es sich um ein siebenjähriges Mädchen, das nach einem schweren Unfall ins apallische Syndrom fiel und als 48jährige Frau gestorben ist. Es ist ganz und gar unplausibel zu sagen, daß sie in diesen 41 Jahren subjektiv nichts mehr erlebt hat. Aber zu sagen, sie sei als Tote durch die Stufen der Adoleszenz, der Jugend, des Erwachsenenalters und der postmenopausalen Frau hindurchgegangen, ist ganz und gar unplausibel, das könnten wir nicht vermitteln.

Deswegen brauchen wir beide Kriterien, den mentalen Tod und den organismischen Tod, wobei der organismische ethisch nicht so bedeutsam ist, wohl aber als Kulturnorm. Das betrifft die Vermittlung an die breite Öffentlichkeit, wofür ebenfalls der Hirntod das Plausibelste ist. Das heißt nicht, daß nicht jede Menge Einwände dagegen erhoben werden könnten, wenn wir nur den Organismus anschauen würden. Etwas muß ich noch hinzufügen zu dieser langen Antwort, die ich jetzt gegeben habe. Ich bin fest überzeugt, daß es kein Todeskonzept mehr gibt, das vollkommen ohne die Möglichkeit schlüssiger Einwände konsistent zu Ende formuliert werden könnte. Das gibt es einfach nicht mehr, jedes rationale Todeskonzept muß bestimmte Konzessionen machen. Deswegen würde ich mir nicht anmaßen zu sagen, der Hirntod ist das vollständig beglaubigte richtige Todeskriterium, sondern ich würde sagen, der Hirntod ist das von allen verfügbaren bestgeeignete.

Mit lebhafter Geste im Halbprofil - Foto: © 2013 by Schattenblick

Engagiert im Diskurs
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Nun könnte man einwenden, daß der Mensch, solange auch nur ein Restzweifel an seinem Zustand besteht, mit allen medizinisch möglichen Mitteln am Leben gehalten werden sollte.

RM: Das ist ein wichtiger Einwand. Wenn es nur darum ginge, den Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem wir trauern, ab dem wir an die Beerdigung denken oder die Beerdigung vornehmen, dann sollte man einen breiten zeitlichen Sicherheitsabstand zu dem Ereignis, das uns diese Vermutung nahelegt, haben, bevor wir sie zur Gewißheit erklären, daß dieser Mensch tot ist. Es geht aber nicht nur darum, es geht um die Organtransplantation. Da wir lebenswichtige Organe wie Herz, Leber, Lungen nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Möglichkeiten nur mit hinreichender Aussicht auf Erfolg entnehmen können, wenn sie von Hirntoten stammen, die noch von ihrem eigenen Blutkreislauf vegetativ am Leben erhalten worden sind, steht die Möglichkeit der Transplantationsmedizin auf dem Spiel.

Was ich nicht akzeptiere, und da argumentiere ich als Rechtstheoretiker, ist, den Ausweg zu wählen, daß Hirntote nicht tot, sondern Sterbende, also Lebende seien, aber der Hirntod dennoch ein legitimierbares Kriterium zur Organentnahme ist. Dann akzeptieren wir, Lebende zugunsten Dritter, die ihre Organe bekommen sollen, zu töten. Das Töten mit Einwilligung des Getöteten ist in Deutschland selbst dann verboten und strafbar, wenn es zugunsten des Einwilligenden erfolgt, weil er sterben will. Selbst dann dürfen wir ihn nicht aktiv töten. Das gilt erst recht, wenn wir ihn zugunsten Dritter aktiv töten sollen. Es gibt eine dritte Möglichkeit, die auch in Deutschland schon vorgeschlagen worden ist, nämlich zu sagen, daß nicht nur der Zustand des Totseins und nicht nur der Zustand des Sterbens, sondern der Tod selber eine gewisse zeitliche Ausdehnung hat. Er markiert einen dritten Zustand, Hirntote sind weder Lebende noch Tote. Doch mit diesem dritten Zustand kommt das Recht ebenfalls nicht zurecht. Was geschieht mit jemandem, der einem Hirntoten, von dem diese Auffassung sagt, weder lebe er noch sei er tot, den Kopf abschlägt oder ihm eine Salve Gewehrkugeln in den Kopf schießt? Hat er einen Totschlag begangen oder nur groben Unfug an einer Leiche? Eigentlich weder noch, müßte man sagen, aber dann müßten wir eine ganz neue Art Gesetzgebung einführen, Schutzrechte zugunsten Hirntoter, die aber kein Grundrecht auf Leben mehr haben. Alles das ist nicht nur rechtspolitisch illusorisch, es ist auch rechtstheoretisch in hohem Grade unerfreulich. Ich glaube nicht, daß wir das müssen, und ich glaube nicht, daß wir es sollten.

SB: Ist eigentlich die rechtliche Lage in Deutschland aus Ihrer Sicht geklärt, da doch die Widerspruchslösung scheinbar vom Tisch ist, aber immer noch diskutiert wird?

RM: In hohem Grade ist die Rechtslage derzeit klar, aber sie steht unter der Attacke von Verfassungsrechtlern, die die gesetzliche Lage nach dem Transplantationsgesetz und nach der jetzt eingeführten Entscheidungslösung für nicht kompatibel mit der Verfassung halten - vor allem deshalb nicht, weil der Hirntod nicht mit der Verfassung vereinbar sei. Ich halte das nicht für richtig, aber es gibt starke und prominente Verfassungsrechtler, die das vertreten. In diesem Sinne ist die Rechtslage in dem Maße unsicher, in dem wir nicht genau wissen, was das Bundesverfassungsgericht entscheiden würde, und das ist die letztauslegende Instanz des Grundgesetzes, wenn jemals ein solches Verfahren nach Karlsruhe käme.

SB: Auch in Reaktion auf die sogenannten Organspendeskandale ist die Spendebereitschaft derzeit rückläufig. Übt diese Situation einen gewissen Druck auf die Politik aus, der im Ethikrat spürbar ist?

RM: Sie übt einen gewissen Druck aus, wiewohl ich - und ich bin nicht der einzige im Ethikrat - nicht glaube, daß wir einen ganz profunden Transplantationsskandal erlebt haben. Dieser Arzt in Göttingen ist wegen versuchten Totschlags angeklagt. Man wirft ihm vor, er habe einige Patienten unzulässigerweise in der Warteliste nach oben befördert, wofür andere nach hinten verschoben wurden. Er mußte also damit rechnen, daß möglicherweise einer der letzteren aufgrund des Verschiebens auf der Warteliste stirbt. Das reicht für einen versuchten Totschlag, dessentwegen er angeklagt ist. Wiewohl es also eine gewisse Logik hat, dies so zu konzipieren, halte ich das für falsch. Es ist deshalb falsch, weil es aus Gründen, die strafrechtsinterne Finessen sind, nicht als Tötungsdelikt zurechenbar ist. Immerhin hat er hochrangige Ziele verfolgt, indem er seine eigenen Patienten, denen gegenüber er Lebenserhaltungsgarant war, zu retten versuchte.

Es gibt aber doch etwas, was als höchst unzulänglich sichtbar geworden ist. Die Insider wußten schon lange, daß die Organverteilung erstens ein ungelöstes Gerechtigkeitsproblem aufwirft, für das zweitens nicht wie in Deutschland die Ärzte zuständig sein können. Die Bundesärztekammer organisiert die Organverteilung, obgleich es kein ärztliches, sondern ein Gerechtigkeitsproblem ist, für das andere intellektuelle Instanzen zuständig sind. Drittens, und das ist der Hauptskandal, haben wir keine zulänglichen und in Wahrheit überhaupt keine relevanten Rechtsschutzmöglichkeiten für denjenigen, der in einer bestimmten Weise verzögert oder gar nicht auf die Warteliste kommt. Das muß überprüfbar sein. Es geht um fundamentale Grundrechte. Es kann nicht sein, daß Ärztegremien darüber befinden und kein ausreichender Rechtsschutz dagegen gewährleistet ist. Das steht aber an, und im Ethikrat wird das deutlich gesehen. Wir werden das wohl, hoffe ich, in unserer nächsten Stellungnahme zu diesem Thema ganz klar aussprechen. Der Gesetzgeber, meine ich, wird reagieren.

SB: Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen einem Gesundheitswesen, das insgesamt gesehen zunehmend unter Druck steht und eine angemessene Versorgung aller Menschen kaum noch gewährleistet, auf der einen und einer Hightech-Medizin wie der Organtransplantation auf der anderen Seite? Ist der enorme Aufwand für letztere überhaupt noch zu rechtfertigen?

RM: Das ist eine ganz und gar schwierige Frage, aber ich glaube, es ist insofern zu rechtfertigen, als die medizinischen Neuentwicklungen immer auch an die Entwicklung der Grundlagenforschung gekoppelt sind, bei der jede Sphäre innerhalb der Medizin ihre eigene autonome Logik hat. Sie können einem, sagen wir, potentiell anwendbare Ergebnisse liefernden Neurowissenschaftler einfach nicht sagen, diese Forschung können wir uns nicht leisten, solange wir Koronarerkrankungen oder Bluthochdruck nicht hinreichend im Griff haben oder das Geld für Präventionsmedizin, pränatale Schwangerschaftsbegleitung et cetera brauchen. Das können Sie nicht, und es sollte auch nicht so sein, weil es tief einschneiden würde in die Wissenschaftsfreiheit, die ein hohes Gut unserer Gesellschaft ist. Hinzu kommt in der Medizin die Komplexität dieser vielfältigen Forschungssysteme, des Übertrags in die Anwendungssphäre und schließlich der unterschiedlichen Anwendungsbereiche von der Geburt bis zum Tod, in der Klinik wie außerhalb der Klinik. Man kann dieses hyperkomplexe Gesamtsystem Gesundheitswesen nicht in der Weise planen, daß man die Mittel kurzerhand von einem zum anderen Bereich verschiebt. Aber damit will ich nicht leugnen, daß ihre Frage auf ein Gerechtigkeitsproblem hinweist, das nicht wirklich gelöst ist und, wie ich meine, nicht wirklich lösbar ist.

SB: Herr Merkel, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnote:


Bisherige Beiträge zum Kongreß "The Importance of Being Dead - The Dead Donor Rule and the Ethics of Transplantation Medicine" im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → MEDIZIN→ REPORT:

http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/ip_medizin_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/ip_medizin_report_interview.shtml

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6. Januar 2014