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INITIATIVE/136: "Das Thema bessere Verhütung ist keine Eintagsfliege" - Interview mit Jana Pfenning von "Better Birth Control" (pro familia)


pro familia magazin 4/2021
pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e.V.

VERHÜTUNG:
"Das Thema bessere Verhütung ist keine Eintagsfliege"

Interview mit Jana Pfenning von "Better Birth Control" von Regine Wlassitschau


Jana Pfenning studiert Master in Economics am Trinity College in Dublin. Zusammen mit Rita Maglio, die Politikwissenschaften an der Universität Potsdam studiert, hat sie die Initiative "Better Birth Control" gegründet. Sie setzen sich für eine bessere und gleichberechtigte Verhütung ein und starteten eine Petition. Die Redaktion hat Jana Pfenning gefragt, was ihrer Ansicht nach in Bezug auf das Thema Verhütung getan werden sollte und wie die Initiative dazu beitragen will.
Weitere Informationen: www.betterbirthcontrol.org


pro familia magazin: Sie und Rita Maglio setzen sich für eine bessere und gleichberechtigte Verhütung ein. Wie kam es dazu?

Jana Pfenning: Rita und ich haben uns Anfang 2020 im Europäischen Parlament kennengelernt. Abends haben wir uns mit Kolleg*innen unterschiedlicher Parteien getroffen: Also, von CDU bis Grüne waren alle dabei. Wir kamen auf das Thema Verhütung und haben festgestellt, dass wir uns alle einig waren und unzufrieden mit dem Status quo sind: Die männlichen Kollegen haben sich beschwert, dass es neben dem Kondom keine Alternative zum Verhüten gebe. Die weiblichen Kolleginnen haben insbesondere die starken Nebenwirkungen kritisiert und auch die Kosten, die entstehen. Ich habe dann den Abend lang darüber nachgedacht, dass es ja interessant ist, dass die Angehörigen aller demokratischer Parteien ein Problem mit dem Status quo haben, aber sich nichts ändert und es irgendwie keine Partei oder bislang keine Organisationen gibt, die das priorisiert in ihrer Zielsetzung haben. Da dachte ich mir, dann müsste man doch eigentlich etwas gründen. Rita und ich haben das dann gemeinsam im Januar dieses Jahres gestartet.


pro familia magazin: Worin sehen Sie Defizite beim Thema Verhütung?

Jana Pfenning: Die wichtigsten Defizite sehen wir darin, dass Verhütung sehr einseitig ist. Also, sehr ungleich im Sinne von, dass es für Frauen sehr viele Optionen zum Verhüten gibt und es für Männer eigentlich nur das Kondom als einzig reversible Option gibt. Es gibt natürlich noch die Vasektomie, aber die ist für Menschen, die die Familienplanung noch nicht abgeschlossen haben, ja kein zu empfehlendes Verhütungsmittel. Und Verhütung ist unterforscht. Auch an bereits bestehenden Verhütungsmitteln für Frauen wird nur noch ganz wenig geforscht, und es werden kaum Forschungsgelder investiert, um diese Verhütungsmittel besser zu machen. Verhütung ist außerdem ein großer Kostenfaktor. Verhütung kostet Geld, teilweise auch viel Geld. Das sind Kosten, die insbesondere allein von Frauen getragen werden, weil es für Frauen eben so viele Optionen gibt und sie dadurch häufig die alleinige Verantwortung tragen. Das ist ungerecht, und all das wollen wir ändern.


pro familia magazin: Und wie wollen Sie eine Verbesserung erreichen?

Jana Pfenning: Wir haben eine Petition gestartet, die mittlerweile über 125.000 Unterschriften zählt. Unsere Petition konnten wir in den vergangenen Monaten gegenüber der Politik nutzen, um Politiker*innen zu vermitteln, dass es ein sehr großes Interesse daran gibt, dass Verhütung endlich besser, gleichberechtigter und kostenlos wird. Wir haben die vergangenen Monate, insbesondere jetzt in der Zeit vor der Bundestagswahl, damit verbracht, ganz klassisches Lobbying zu betreiben. Haben mit allen demokratischen Parteien geredet und haben es bei allen Parteien, außer bei der CDU, geschafft, gleichberechtigte und kostenlose Verhütung in die Wahlprogramme zu integrieren. Jetzt monitoren wir die Koalitionsverhandlungen und hoffen, dass sich bessere Verhütung auch im nächsten Koalitionsvertrag widerspiegelt.


pro familia magazin: Das heißt, die nächsten Schritte sind Lobbying zum Thema, zum Beispiel die Forderung nach kostenlosen Verhütungsmitteln?

Jana Pfenning: Genau, kostenlose Verhütungsmittel und die Bereitstellung von Forschungsgeldern. Es ist offensichtlich, dass der Markt Verhütung nicht von sich aus regelt, sonst würde es ja längst nebenwirkungsarme Verhütungsmittel für alle Geschlechter geben. Aber der Markt an sich, also die Pharmaindustrie, hat lange das Interesse unterschätzt, dass Männer tatsächlich auch Verantwortung bei der Verhütung übernehmen wollen. Deswegen gibt es zum Beispiel keine Pille für den Mann oder andere Verhütungsmittel für Männer, weil die Pharmaindustrie lange Zeit dachte, das würde sich nicht lohnen. Aktuelle Studien belegen aber Gegenteiliges: Sie zeigen, dass weltweit die Mehrheit der Männer ein Verhütungsmittel nutzen würden, wenn es eines für sie gäbe. Da der Markt das aber nicht regelt, wollen wir, dass staatliche Forschungsgelder bereitgestellt werden, um die Forschung an neuen Verhütungsmitteln und auch an besseren, nebenwirkungsarmen Verhütungsmitteln, voranzutreiben.


pro familia magazin: Wie ist denn Ihre Resonanz bis jetzt auf Ihre Initiative und auf die Petition?

Jana Pfenning: Sehr positiv! Als wir mit der Petition und mit der Initiative Anfang des Jahres 2021 gestartet sind, kamen so viele Menschen auf uns zu, insbesondere junge Frauen, die gesagt haben: "Meine Verhütungssituation stört mich total. Ich nehme jeden Tag die Pille und werde jeden Tag daran erinnert, dass eigentlich mein Verhütungsmittel nicht optimal für meinen Körper ist. Dennoch habe ich keine andere Option. Es gibt kein anderes Verhütungsmittel, das zu meinem Körper passt." Das ist ein riesiges Problem. Viele Leute, die uns angeschrieben haben, waren einfach super dankbar und haben gesagt: "Hey, danke, dass ihr es endlich ansprecht, danke, dass ihr euch dafür einsetzt, vor der Politik, vor der Pharmaindustrie." Das war, glaube ich, das Hauptfeedback. Aber wir haben von Anfang an auch mit sehr vielen Politiker*innen gesprochen. Da haben wir insbesondere von Expert*innen in der Politik das Feedback erhalten: "Das Thema Verhütung ist interessant, und es ist total wichtig, die Empfängnisverhütung besser zu machen. Aber ich habe noch nie daran gedacht, dass man das ja auch politisch lösen könnte." Jetzt haben wir es geschafft, ganz viele Politiker*innen darauf aufmerksam zu machen, dass es eben auch politische Lösungen gibt.


pro familia magazin: Welche Unterstützung wünschen Sie sich, von den Unterschriften bei der Petition einmal abgesehen?

Jana Pfenning: Demnächst sind wir ein gemeinnütziger Verein und wollen dann unsere Arbeit professionalisieren in dem Sinne, dass wir regelmäßig Gespräche mit Politiker*innen führen und dass wir regelmäßig Veranstaltungen organisieren. Wir wollen in Schulen oder in andere Institutionen gehen und dort Seminare geben. Das ist unser Ziel. Um das nachhaltig und langfristig umzusetzen, brauchen wir Spenden. Bessere Verhütung durchzusetzen, ist keine Eintagsfliege, sondern ein langwieriger Prozess, und ich denke, das wird uns die nächsten Jahre immer wieder begleiten. Wir werden kontinuierlich daran arbeiten, dass Verhütung immer besser wird!


pro familia magazin: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg!

Das Interview führte Regine Wlassitschau.


Weitere Beiträge aus dem pro familia Magazin 4/2021 zum Thema "Verhütung" finden Sie im Schattenblick unter:

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FORSCHUNG/1439: Verhütungsmethoden für den Mann Alles nur Kondom, oder was? (pro familia)
http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/pharma/m5fo1439.html

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Quelle:
pro familia magazin Nr. 04/2021, S. 18-19
Herausgeber und Redaktion:
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 12. Februar 2022

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