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SUCHT/668: Sucht auf Rezept - Experten warnen vor einer Verharmlosung des Cannabis-Konsums (Thieme)


Thieme Verlag - FZMedNews - 15.12.2015

Sucht auf Rezept: Experten warnen vor einer Verharmlosung des Cannabis-Konsums


fzm, Stuttgart, Februar 2016 - In Deutschland können Ärzte beispielsweise chronischen Schmerzpatienten Cannabis verordnen. In einigen Staaten der USA ist auch der nicht-medizinische Konsum bereits straffrei. Da kann leicht der Eindruck entstehen, dass Marihuana und Haschisch harmlos sind. Professor Udo Bonnet, der Cannabis-Süchtige behandelt, widerspricht in der Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2016) aufs Heftigste. Gerade bei jungen Menschen kann sich ein regelmäßiger Konsum negativ auf die Hirnentwicklung auswirken.

Cannabis ist in Deutschland verbreiteter denn je. In der Altersgruppe der 18- bis 25-jährigen Erwachsenen konsumieren etwa vier Prozent die Droge regelmäßig. Dabei hat sich die angebotene Ware in den letzten Jahren verändert: Die aus illegalen Marihuana-Züchtungen beschlagnahmten Pflanzen enthalten mehr THC, das für den Rausch aber auch für die psychischen Nebenwirkungen verantwortlich ist. Der Gehalt am "medizinischen" Cannabidiol, dem entkrampfende, entzündungshemmende und angstlösende Wirkungen zugeschrieben werden, hat sich vermindert. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum Fachkliniken wie das Evangelische Krankenhaus Castrop-Rauxel immer häufiger junge Menschen mit Cannabis-Abhängigkeit behandeln. In ganz Deutschland sind es derzeit etwa 25.000 Menschen, die jedes Jahr wegen einer Cannabis bezogenen Störung ambulant behandelt werden. Weitere 3000 Patienten müssen sogar stationär aufgenommen werden.

Gefährdet sind vor allem junge Konsumenten, bei denen sich ein regelmäßiger Cannabis-Konsum ungünstig auf die Hirnentwicklung auswirkt. Die Schäden betreffen nach Erfahrung von Professor Bonnet die Impulskontrolle, Affekte, Aufmerksamkeit und das Gedächtnis, die Motivation und soziale Fähigkeiten, und sie können nach einem Entzug anhalten. Zu den möglichen Spätfolgen des frühen intensiven Cannabis-Konsums zählen laut dem Mediziner Arbeitslosigkeit, der Bezug von Sozialhilfe und Frühverrentung.

Cannabis hat körperliche Auswirkungen. Die Droge beschleunigt den Herzschlag und führt zu Blutdruckschwankungen. Gesunde Konsumenten spüren das nicht, erläutert Professor Bonnet: Menschen mit vorgeschädigten Blutgefäßen riskieren jedoch unter Umständen einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall. Dies seien jedoch Einzelfälle und meist Folge eines exzessiven Cannabis-Konsums. Dahingegen zählt eine chronische Bronchitis zu den häufigen Spätfolgen eines regelmäßigen Cannabis-Konsums. Und wenn die Droge mit Blei, Glas, Lösungsmitteln oder Pestiziden verunreinigt ist, könne es auch zu Schäden an der Mundschleimhaut kommen. Zudem macht Cannabis dick, wobei die Konsumenten zum ungesunden Bauchansatz neigen. Eine zunehmend häufiger von Professor Bonnet beobachtete Komplikation ist die zyklische Hyperemesis: Die Patienten leiden zeitweise unter starker Übelkeit, die sie durch heißes Baden oder Duschen lindern.

Inzwischen bieten viele Kliniken Cannabis-Abhängigen eine Entzugsbehandlung an. Die ersten Entzugssymptome treten innerhalb von zehn Stunden nach dem Konsumende ein und dauern etwa sieben bis 21 Tage an. Die Patienten sind gereizt und aggressiv. Zur Nervosität und Ängstlichkeit kommen Schlafstörungen oder störende Träume. Weitere Folgen des Entzugs sind laut Bonnet eine depressive Stimmung, innere Unruhe sowie Appetitstörungen und Gewichtsverlust. Manchmal komme es auch zu körperlichen Beschwerden wie Bauch- und Kopfschmerzen, Zittern, Schwitzen, Fieber oder Frösteln. Die Kliniken setzen zunächst auf physikalische und pflegerische Maßnahmen. Manchmal werden auch Medikamente notwendig. Eine Akupunktur könne ebenfalls helfen, die Patienten zu beruhigen und die Entzugssymptome zu lindern, schreibt Professor Bonnet.


U. Bonnet, M. Specka und N. Scherbaum:
Häufiger Konsum von nicht-medizinischem Cannabis. Gesundheitliche Folgen und Wirkung der Entzugsbehandlung
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2016; 141 (2); S. 126-131

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Quelle:
FZMedNews - Dienstag, 15. Dezember 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2016

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