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SUCHT/703: Neues Curriculum für medizinische Fachangestellte bietet Unterstützung bei der Arbeit mit Suchtpatienten (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 9/2018

Suchterkrankungen
Auf einem Bein kann man nicht stehen ...


Ein neues Curriculum für medizinische Fachangestellte (MFA) bietet Unterstützung bei der Arbeit mit Suchtpatienten. Ziel: Schnelle Hilfe für Patienten und Entlastung für Ärzte.


An einem kühlen Herbsttag, die Praxis platzt aus allen Nähten. Die Stühle im Wartebereich reichen nicht mehr aus. Einige Patienten warten schon im Stehen. Unter ihnen Herr M., der im letzten Quartal mehrfach insbesondere nach dem Wochenende mit kleinen Unpässlichkeiten in die Sprechstunde kam und um das Ausstellen einer AU-Bescheinigung bat. Natürlich wissen Sie längst, dass Herr M. eine Alkoholabhängigkeit hat, die erhöhten Leberwerte sind nur ein Indiz in der Reihe von Hinweisen und Vorkommnissen der letzten Zeit.

Erste vorsichtige Interventionen Ihrerseits, die Suchterkrankung zu thematisieren, perlten vom scheinbar unbeeindruckten Herrn M. ab. Doch nur scheinbar, denn heute ist alles anders. Herr M. zeigt sich nach einem heftigen Konflikt mit seiner Ehefrau am Wochenende zunächst zerknirscht, dann in hohem Maße emotional betroffen und unter Leidensdruck. "Ich kann nicht mehr, es geht so nicht weiter. Ich muss mit dem Saufen aufhören. Was soll ich nur machen?", klagt der Patient.

Welche Entzugsklinik hat ein Bett frei? Gibt es Wartezeiten? Welches Rehabilitationssetting ist das richtige? Ambulante Reha, Tages-Reha oder doch vollstationär? In welche Beratungsstelle schicke ich den Patienten am besten? Haben wir Flyer in der Praxis? Fragen, die Ihnen durch den Kopf schießen, während Ihnen das brechend volle Wartezimmer im Nacken sitzt. In dieser Situation kompetente Unterstützung durch eine Medizinische Fachangestellte zu haben, erweist sich als äußerst entlastend. Geschult durch das Curriculum "Suchtmedizinische Versorgung" der Bundesärztekammer, weiß sie genau, was zu tun ist. Der Erwerb von Kenntnissen im Bereich der Suchtmedizin sowie das Wissen über das lokale suchttherapeutische Netzwerk ermöglicht es dem behandelnden Arzt, zeitaufwendige Arbeiten zu delegieren. Entwickelt von der Ärztekammer Sachsen-Anhalt und dem Ostdeutschen Arbeitskreis Suchtmedizin, vermittelt das 60-stündige Curriculum Grundlagenwissen zu Suchtmittelerkrankungen sowie Handlungskompetenzen im Bereich der diagnostischen Maßnahmen und therapeutischen Interventionen. Insbesondere zeitintensive Verwaltungstätigkeiten (z.B. Vorbereitung des ärztlichen Befundberichts für den Reha-Antrag) sowie Dokumentationstätigkeiten unter Berücksichtigung betäubungsmittelrechtlicher Vorgaben können von der ausgebildeten medizinischen Fachkraft geleistet werden und damit in hohem Maße für Entlastung sorgen. Weil die Medizinischen Fachangestellten häufig die ersten Ansprechpartner für die Patienten sind, entsteht in der Regel ein besonderes Vertrauensverhältnis, das von der MFA auch für kurze motviationsfördernde Interventionen genutzt werden kann.

Der Motivationsprozess, sich einer suchtmedizinischen Behandlung zu unterziehen, kann bei Patienten zuweilen lange Zeit in Anspruch nehmen. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) schätzt diesen Zeitraum auf im Durchschnitt zwölf Jahre. Tatsächlich tauchen 75-80 Prozent der Suchtpatienten in den Arztpraxen auf (Wienberg, 2000). Doch nur drei Prozent der in Sucht-Rehabilitation befindlichen Teilnehmer werden durch die Zuweisung vom Hausarzt aufgenommen. Dies liegt vermutlich zum einen an der nach wie vor geringen Akzeptanz der Erkrankung aufseiten der Patienten, verbunden mit Schuld- und Schamgefühlen und massivem Vermeidungsverhalten. Zum anderen lassen die zeitlichen Ressourcen in der ärztlichen Praxis kaum eine Thematisierung dieses für den Patienten sehr sensiblen Themas zu.

Unterstützung durch medizinisches Fachpersonal erscheint vor diesem Hintergrund sinnvoll und zielführend. Eine fundierte Ausbildung, die neben der Stoffkunde auch Kompetenzen in Gesprächsführung und Dokumentation sowie Grundlagenwissen über das Suchthilfesystem vermittelt, ist Grundlage für eine gut funktionierende Zusammenarbeit von Arzt und Medizinischer Fachangestellter. Dabei richtet sich das Curriculum, das an der Fortbildungsakademie der Ärztekammer in Kooperation mit dem Edmund-Christiani-Seminar in Form von drei Wochenendseminaren ab Oktober 2018 angeboten wird, nicht ausschließlich an Medizinische Fachangestellte in Hausarztpraxen, sondern selbstverständlich auch an Fachangestellte in Institutsambulanzen, Suchtkliniken und somatischen Kliniken.

"Mit dem nun vorliegenden Curriculum, kann eine wichtige Lücke in der Fortbildungslandschaft für Medizinische Fachangestellte geschlossen werden", sagt Dr. Jakob Koch. Zusammen mit Dipl.-Psychologin Marina Soltau führt er bereits seit 2010 als wissenschaftlicher Leiter und Referent das Curriculum Suchtmedizinische Grundversorgung für Ärzte durch. Soltau, die in diesem Zusammenhang koordinierende Tätigkeiten übernimmt, unterstreicht: "Die Notwendigkeit eines solchen Fortbildungsangebotes sehen wir schon seit längerer Zeit. Umso erfreulicher, dass die Akademie dieses Angebot realisiert. Wir können auf ein erfahrenes Referententeam zurückgreifen."
(PM/ RED)


Info

Seminarort:
Akademie der Ärztekammer Schleswig-Holstein
Esmarchstraße 2 & 4, 23795 Bad Segeberg.
Termine: 26.10. bis 15.12.2018
Ansprechpartnerin: Bärbel Dargel-Mikkelsem
Tel.: 04551 80 3754


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 9/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201809/h18094a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, September 2018, Seite 28
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2018

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