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INITIATIVE/059: Ärzte gegen den Krieg - Ein Blick in die Geschichte, Teil 3 (IPPNWforum)


IPPNWforum | 123 | 10
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Ärzte gegen den Krieg
- Ein Blick in die Geschichte - (Teil 3)

Von Christian Jenssen


"Zur Zeit haben wir die Wahl zwischen zwei Risiken. Das eine besteht in der Fortsetzung des unsinnigen Wettrüstens in Atomwaffen, das andere in dem Verzicht auf Atomwaffen und in dem Hoffen, dass (...) die Völker es fertigbringen werden, in Frieden nebeneinander zu leben. Das erste enthält keine Möglichkeit einer gedeihlichen Zukunft. Das zweite tut es. Wir müssen das zweite wagen."

Albert Schweitzer, 1958


Im ersten Weltkrieg erreichte die Einbeziehung von Ärzten und medizinischem Personal in die Kriegsführung eine neue Qualität. Etwa 38.000 Ärzte, Apotheker und Zahnärzte unterstützten auf deutscher Seite den Militärsanitätsdienst, 1325 von ihnen starben auf den Schlachtfeldern. Die Sterblichkeit der deutschen Verwundeten wurde auf etwa 3% reduziert (1866: 8,6%; 1870/71: 4,5%), viele konnten erneut in den Fronteinsatz geschickt werden. Die Bewertung dieser neuen Rolle der Ärzte für die Kriegsführung war kontrovers. Wilhelm His sprach stolz von einer "zweiten Front" der Ärzte, die nicht zerstöre, sondern Leben bewahre, Sigmund Freud dagegen polemisch von "Maschinengewehren hinter der Front", Karl Kassowitz neutral von einer "dualistischen Rolle" der Ärzte, die ein "wichtiger Teil der Kriegsmaschinerie" geworden seien.


Zwischen den Weltkriegen

Als in den 30er Jahren die Kriegsgefahr zunahm, thematisierten in Europa verschiedene Initiativen erstmals spezifische Beiträge der Ärzteschaft zur Kriegsprävention. In den Niederlanden wurde ein Komitee für Kriegsprophylaxe gegründet. In internationaler Zusammenarbeit wollte man psychologische Ursachen und medizinische Folgen moderner Kriege wissenschaftlich untersuchen, die breite Öffentlichkeit und die Regierungen darüber informieren und andere Berufsgruppen zur kritischen Reflexion ermutigen. 1935 warnte das Komitee in einem "Brief an die Staatsmänner" vor einer kollektiven "Kriegs-Psychose", der von Psychiatern aus 39 Nationen unterzeichnet und in 21 medizinischen Journalen kommentiert wurde. 1932 appellierte der Berliner Internist Felix Boenheim an die Ärzte der Welt, die Initiative für einen internationalen Antikriegskongress zu unterstützen. Hunderte Ärzte aus 29 Ländern unterzeichneten diesen Appell und diskutierten auf dem Amsterdamer Weltkongress gegen Krieg und Faschismus im gleichen Jahr die Folgen des Einsatzes chemischer Waffen, die Möglichkeiten ärztlicher Verweigerung zur Teilnahme an Kriegsvorbereitungen und den Ressourcentransfer aus der Rüstung in die Gesundheitsfürsorge. Auf diesem Kongress wurde die Internationale Gesellschaft der Ärzte gegen den Krieg gegründet, die in 45 Ländern 268 Mitglieder hatte. Ihre Berliner Zentrale zerschlugen die Nationalsozialisten aber bereits unmittelbar nach der Machtergreifung.

Ein zweiter internationaler Friedenskongress fand 1936 in Brüssel statt und hatte im Vergleich zum kommunistisch dominierten Amsterdamer Kongress eine breitere politische Basis. Verschiedene Berufsgruppen wurden im Vorfeld vom Initiator und Präsidenten der International Peace Campaign Lord R. Cecil aufgefordert, sich mit spezifischen Beiträgen einzubringen. Nachdem Initiativen innerhalb der British Medical Association gescheitert waren, gründete eine Gruppe britischer Ärzte schließlich im August 1936 die Medical Peace Campaign (MPC). Auf dem Brüsseler Kongress organisierte sie zusammen mit dem niederländischen Komitee eine Ärztekonferenz, deren inhaltliche Schwerpunkte psychologische Kriegsursachen und medizinische Kriegsfolgen waren. Erneut wurde eine International Medical Association for the Prevention of War gegründet, die in einem Memorandum die Bewahrung des Friedens als "prophylaktische Aufgabe ersten Ranges" bezeichnete. Stimuliert durch den Briefwechsel zwischen Albert Einstein und Sigmund Freud "Warum Krieg?" (1933) entstand das Buch "Medical Opinions on War" (1939), in dem 15 vorwiegend britische und niederländische Autoren die Möglichkeiten der Kriegsprävention diskutierten. Einen inhaltlich wesentlich breiteren Ansatz hatte dagegen das von der britischen MPC initiierte Buch "The Doctors View of War" (1938), das medizinische Kriegsfolgen darstellt, sozialdarwinistische Versuche der Kriegslegitimation analysiert, die dualistische Rolle der Ärzteschaft in Kriegsvorbereitung und Krieg thematisiert und um die Unterstützung der internationalen Ärztegemeinschaft für ein System der kollektiven Sicherheit wirbt. Im Vorwort wird die Vision skizziert, dass Ärzte in einer international abgestimmten Initiative Kriege undurchführbar machen könnten, indem sie ihrer Teilnahme verweigerten.


Die Ärzte und die Bombe

Als 1950 der Ausbruch des Koreakriegs die Gefahr eines dritten, mit Atomwaffen geführten Weltkrieges heraufbeschwor, griffen ehemalige Mitglieder der MPC in einem Brief an The Lancet die Initiative der 30er Jahre wieder auf und appellierten an ihre Berufskollegen, sich öffentlich der Vorbereitung eines neuen Krieges in den Weg zu stellen. Im März 1951 entstand die Medical Association for the Prevention of War (MAPW), der ähnliche Gründungen in Dänemark, der DDR und weiteren Europäischen Ländern folgten.

Die Verstrahlung japanischer Fischer und der Einwohner der Marshall-Inseln durch den Fallout des Wasserstoffbombentests auf dem Bikini-Atoll 1954 alarmierte weltweit zunächst Naturwissenschaftler und Ärzte, und führte schließlich zu einer Wende in der öffentlichen Wahrnehmung. Die MAPW, die deutsche Ärztegesellschaft zur Ächtung des Atomkriegs und andere Ärztegruppen publizierten Broschüren und Flugblätter über die medizinischen Risiken der atmosphärischen Nukleartests, mit Konferenzen und Leserbriefen ging man an die Öffentlichkeit und informierte über die von Atomwaffen ausgehende Gefahr. In Deutschland druckten die Zeitschriften Medizinische Klinik und Medizinische Welt Artikel über die Atombombe, biologische Strahlenfolgen und Strahlenschutz. 1957 rief der Deutsche Ärztetag eine wissenschaftliche Kommission zur Untersuchung der Folgen der Strahlenbelastung der Umwelt ins Leben, und schon ein Jahr später verurteilte er den Missbrauch der Atomenergie, forderte das Verbot aller Massenvernichtungswaffen und einen weltweiten nuklearen Teststopp. Starken Einfluss auf die öffentliche Diskussion hatten das bekannte Manifest der Göttinger 18, der weltweit von 9235 Wissenschaftlern unterzeichnete Teststop-Appell von Linus Pauling und nicht zuletzt die Stimme Albert Schweitzers, der sich erstmals am 23. April 1957 über Radio Oslo mit seinem "Appell an die Menschheit" und ein Jahr später mit drei Rundfunkappellen "Friede oder Atomkrieg" für einen sofortigen atomaren Teststopp aussprach. Dies inspirierte Ärzte weltweit zu einem spezifischen Beitrag zu der sich wie eine Kettenreaktion entwickelnden öffentlichen Meinung gegen Atomtests und Atomwaffen. In der Bundesrepublik Deutschland gründete 1956 der Gynäkologe Bodo Manstein den Kampfbund gegen Atomschäden, dem sich mehr als 2000 Mediziner anschlossen und 1958 Fritz Katz die Ärztegesellschaft zur Ächtung des Atomkrieges.

In den USA gründeten schließlich Ende 1961 der Kardiologe Bernard Lown, der Sozialmediziner Vic Sidel und andere namhafte Ärzte der Harvard Medical School Physicians for Social Responsibility (PSR), die im Mai 1962 eine aufsehenerregende Artikelserie über die medizinischen Folgen eines thermonuklearen Angriff auf Boston, Massachusetts und den Stellenwert von Schutzprogrammen und ärztlicher Hilfe im New England Journal of Medicine publizierten. Im darauf folgenden Jahr präsentierte PSR vor Kongress- und Senatsausschüssen für Auswärtige Angelegenheiten diese Studien und eine wissenschaftliche Analyse der medizinischen Folgen des nuklearen Fallout.

Es ist gut belegt, dass die Botschaften und persönlichen Appelle Schweitzers an J.F. Kennedy ebenso wie die Aktivitäten der PSR entscheidenden Einfluss darauf hatten, dass am 5. August 1963 in Moskau der Partial Test Ban Treaty ausgehandelt und schon wenige Monate später in Kraft treten konnte.

Christian Jenssen
c.jenssen@khmol.de


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Quelle:
IPPNWforum | 123 | 10. September 2010, S. 30 - 31
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion: IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2010