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PFLEGE/423: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Altenpflege im (Aus-) Bildungsnotstand (idw)


Evangelische Fachhochschule Berlin - 22.02.2010

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Altenpflege im (Aus-)Bildungsnotstand

Fachkräftemangel in der Pflege und eine wachsende Zahl von Pflegebedürftigen stellen Gesellschaft und Politik vor neue Herausforderungen.


Ergebnisse der Tagung des 8. Berlin Brandenburger Pflegetag:

Unter großer Beteiligung von Absolventen und Studierenden der Evangelischen Fachhochschule Berlin fand am 11. Februar der 8. Berlin-Brandenburger Pflegetag statt. Rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Pflege und Ausbildung, Politik und Wissenschaft trafen sich zum Austausch und Workshops an der Hochschule. Intensiv diskutiert wurden die derzeitige Vielzahl der unterschiedlichen Ausbildungsangebote im Pflegebereich und die Notwendigkeit von einheitlichen Qualitätsstandards und Transparenz des Berufsbildes. Die Teilnehmer forderten mehr politische Unterstützung ihrer Interessen und die Einrichtung einer eigenen Pflegkammer. Konsens herrschte auch im Hinblick auf die Schaffung verbindlicher Qualitätsstandards in der Ausbildung und die Notwendigkeit zu mehr Selbstbewusstsein der Pflegenden. Dazu gehört auch die Verbesserung der Berufsimages und der Stellung der Pflegenden in der Gesellschaft.

In ihrer Eröffnungsrede verwies Prof. Dr. Angelika Thol-Hauke, Rektorin der Hochschule, auf das Bibelzitat "Du sollst Vater und Mutter ehren", und damit auf das frühchristlich verbürgte Gebot, Alte und Schwache zu unterstützen. Dies sei ein Plädoyer an die Gesellschaft, sich ihrer Schutzbedürftigen anzunehmen und den Generationenvertrag einzuhalten. Das Grußwort zur Tagung hielt Rainer-Maria Fritsch, Staatssekretär bei der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales und ehemaliger Absolvent der EFB. Fritsch unterstrich die politische Notwendigkeit, dem eklatanten Fachkräftemangel entgegenzuwirken und plädierte für die Zusammenlegung von Alten- und Krankenpflege zu einem Berufsbild. Darüber hinaus betonte er, dass die akademische Ausbildung unabdingbar für die Qualitätssicherung ist. Jedoch dürfe man nicht davor zurückschrecken, niederschwellige Helferberufe für Berufsgruppen mit einfachem Schulabschluss zu öffnen. Weiterer Kernpunkt seiner Rede war die finanzielle Absicherung. "Wir wollen, dass man von guter Arbeit auch gut leben kann", so sein Fazit.

Demgegenüber machte sich Referentin Gisela Bahr-Gäbel, Mitglied des Präsidiums des Deutschen Pflegerats, für mehr politisches Engagement der Pflegenden stark. Nur so könnte die anstehende Problematik des Fachkräftemangels und der Anstieg der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren bewältigt werden. Die Gesellschaft stünde vor neuen pflegerischen Herausforderungen z.B. durch Patientengruppen, wie Obdachlose und Wohnungslose sowie sozial schwache Familien, alte Behinderte und Migranten. Bahr-Gäbel verwies auf die Bildungsproblematik und die Notwenigkeit, auch jungen Menschen aus Migranten- und bildungsfernen Familien den Zugang zu Pflegeberufen zu erschließen. Ihre Forderung: Alle müssen sich beteiligen; allein der Ruf nach der Politik reicht nicht aus. Pflegende sollten sich engagieren, um das Image des Berufs zu stärken. Nur so könnten Nachfrage und Kapazitäten in der Pflege gedeckt werden. Eine eigenständige Pflegekammer z.B. bedeute die Möglichkeit zur Selbstverwaltung. "Wir brauchen eine Marke "Pflege", so das Fazit, um die Attraktivität des Berufsbildes zu steigern.

Im Anschluss referierte Prof Dr. Hermann Brandenburg, Professor an der Katholischen Fachhochschule Freiburg und Universität Vallendar, zu Qualität und Qualifizierung in der Altenpflege. Er forderte u. a. einen Paradigmenwechsel in der Pflege, vor allem im Umgang mit Demenzkranken, und eine stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft, als dritten Sektor neben Staat und Markt. Seine These: Professionelle Pflege und Institutionen alleine könnten die pflegerischen Herausforderungen der kommenden Jahre nicht lösen. Neben den Kernfragen Konzeptentwicklung, Profilstärkung und Entwicklung qualifizierter Profile in der Pflegeausbildung, sprach sich Brandenburg auch für die Öffnung des stationären Sektors und die interdisziplinäre Teamarbeit und Kooperation von Pflege und Sozialer Arbeit aus.


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Ergebnisse der Fachforen des 8. B.B.-Pflegetags

Forum 1: Attraktivitätssteigerung des Berufsbildes der Altenpflege: Chancen für Schulabgänger?

In Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Gesundheit wird gerade ein dreijähriges Berufsbildungsgesetz für Altenpflege, Kranken- und Gesundheitspflege und Kinderkrankenpflege erarbeitet. Dies ist Gegenstand des Koalitionsvertrages der 17. Legislaturperiode. In dem gemeinsamen Papier der Schwarz-Gelben Koalition ist die Zusammenführung der genannten Berufsbilder im Sinne eines generalisierten Pflegeberufes geplant. Die Attraktivität der pflegerischen Berufsbilder soll durch die Aufhebung des bisherigen Sackgassencharakters gesteigert werden.

Fazit: Einerseits können neue Chancen von Spezialisierung und Karrierewegen ermöglicht werden, andererseits werden tradierte Berufsbilder aufgelöst und etablierte Arbeitsfeldabgrenzungen in Frage gestellt. Darüber hinaus ist der Effekt positiv, dass der "Wildwuchs" von "Schmalspurausbildungen" auf diese Weise eingedämmt werden kann.


Forum 2: Ausdifferenzierung des Berufsbildes Altenpflege - Neue Assistenzberufe

Das Problem der niedrigschwelligen Qualifizierungen im Feld der Altenpflege hat Auswirkungen auf die Versorgungsqualität. Fazit: Einerseits gibt es einen steigenden Bedarf an Assistenzleistungen und Zusatzqualifikationen in diesem Bereich, andererseits gibt es keine Kontrolle und Steuerung von Qualifikationsniveaus, entsprechend den vermittelten Kompetenzen, im Sinne des Verbraucherschutzes. Darüber hinaus führt das Lohndumping in diesem Bereich zur Frustration der Absolventinnen und Absolventen dieser Qualifikationen.


Forum 3: Neue Abschlüsse im Gesundheitswesen

Die Akademisierung der Pflege führt in Deutschland seit 15 Jahren zu einer Vielfalt von Studiengangsoptionen. Neu sind die dualen Studiengänge, die eine Integration von Pflegeausbildung und Studium vorsehen. Die Besonderheiten dieser Studiengänge und deren Rahmenvorgaben (Länderhoheit) wurden an den folgenden Beispielen deutlich:

Dualer BA-Studiengang Pflegewissenschaft/Pflegemanagement der Hochschule Neubrandenburg. Nach 9 Semestern erwerben die Absolventen den Berufsabschluss in Gesundheits-/Krankenpflege oder Altenpflege und einen akademischen BA-Grad of Science.
Der Studiengang BA of Nursing an der EFB ist ein ausbildungsintegrierender dualer Studiengang. Die Studierenden erhalten nach 6 Semestern den Berufsabschluss Gesundheits-/Krankenpflege aufgrund des Krankenpflegegesetzes und nach 8 Semestern den akademischen Grad 'BA of Science'.

Fazit: Die länderspezifische Rahmenbedingungen verursachen die unterschiedliche Ausgestaltung der Kooperationsmodelle der Studiengänge. Unterschiede gibt es bezüglich der Lernorte und der Handhabung des Berufsbildungsgesetzes. Hier wurden sowohl Chancen als auch Hürden für den Lernort Praxis erkannt. Dass auch ein Lernen in der Praxis durch diese Modelle initiiert wird und damit eine erfolgreiche Berufseinmündung der Studierenden stattfindet, bestätigen die positiven Bilanzen der Verbleibstudien beider Studiengänge. Im Rahmen der VET-LSA Machbarkeitsstudie (Janika Grunau, Universität Osnabrück) hat sich der Altenpflegeberuf als international kompatibel herauskristallisiert, was einerseits auf die Besonderheit dieser EU-Studie zurückzuführen ist und andererseits eine Chance der Vergleichbarkeit des Berufsbildes darstellt.



Forum 4: Ausbildungskultur: Was kann das Management leisten?

Das informelle Lernen in der Pflege trägt zur Kompetenzsteigerung bei und bedarf einer organisierten Begleitung im Arbeitsalltag (Dr. Steffen Kirchhoff). Ohne Unternehmenskultur findet keine Ausbildungskultur statt. Aus-, Fort und Weiterbildung von Pflegekräften muss Teil des strategischen Managements sein. Insofern müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen 'gepflegt werden' durch z.B. Coaching oder Supervision.



Forum 5: Qualifizierung von Migrantinnen und Migranten

Aufgrund des Vergleichs des Lotsenmodells, eine durch das Bezirksamt entwickelte Fortbildung für niedrigschwellige Leistungen u. a. im Altenhilfebereich und der berufsvorbereitenden Qualifikationsmaßnahme im Pflegebereich des Zentrums für Flüchtlingshilfen und Migrationsdienste (6 Mo Ausbildungsdauer), wurden folgende grundlegende Fragen im Fachforum zu Zugang zu Migrantinnen und Migranten, Sprache, Dokumentation, Finanzierung, Anerkennung von Berufsabschlüssen, und Handlungsanleitung im interkulturellen Feld diskutiert.

Die Vielfalt der Themen macht den hohen Informationsbedarf seitens der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Fachforums bezüglich des interkulturellen Arbeitsfeldes deutlich.


Weitere Informationen zur Veranstaltung:
AP: Prof. Dr. Olivia Dibelius
Studiengangsleitung Pflegemanagement
Email: dibelius@evfh-berlin.de

Weitere Informationen finden Sie unter
- http://www.berlin-brandenburger-pflegetage.de
- http://www.evfh-berlin.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution734


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Evangelische Fachhochschule Berlin, Sibylle Baluschek M.A., 22.02.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2010