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ENTWICKLUNG/574: Die Freiburger Brain-Machine-Interface-Initiative (Freiburger Uni-Magazin)


Freiburger Uni-Magazin - 6/Dezember 2008

Eine Wellenlänge voraus
Die Freiburger Brain-Machine-Interface-Initiative

Von Amina Iwischütz


Die Idee klingt futuristisch: Gelähmte Patienten sollen mithilfe einer computergesteuerten motorischen Neuroprothese wieder ihre ursprüngliche Bewegungsfähigkeit zurückerlangen. Zur Umsetzung dieser Vision arbeiten in Freiburg das Bernstein Center for Computational Neuroscience (BCCN), die Neurobiologie, das Institut für Mikrosystemtechnologie und das Epilepsiezentrum des Universitätsklinikums Freiburg gemeinsam an einem interdisziplinären Kooperationsprojekt: der Entwicklung eines Brain-Machine-Interface (BMI) für schwerstgelähmte Patienten.


Bei dieser "Mensch-Maschine-Schnittstelle" wird neuronale Gehirnaktivität mittels lernfähiger Software in entsprechende Kontrollsignale übersetzt, die eine Bewegung ermöglichen sollen. Bei Querschnittsgelähmten ist die Route von der motorischen Großhirnrinde über das Rückenmark bis hin zum jeweiligen Muskel unterbrochen. Könnte sie durch eine "Umgehungsstraße" ersetzt werden, wäre über eine Elektrostimulation der Muskulatur die Bewegung gelähmter Gliedmaßen wieder möglich. Doch noch bevor mit dieser Gehirn-Computer-Schnittstelle irgendeine Bewegung ausgeführt wird, muss der Forscher dem Computer als Vermittler zwischen dem Patienten und seiner zukünftigen Bewegungsfreiheit eine große Menge an Daten über Aktivierungsmuster des Gehirns zur Verfügung stellen.

An der Interpretation und Charakterisierung dieser Daten tüftelt Dr. Tonio Ball vom Epilepsiezentrum Freiburg. In dem von Prof. Andreas Schulze-Bonhage geleiteten Epilepsiezentrum wird mittels invasiv gemessenem Elektroenzephalogramm (EEG) die Gehirnaktivität bei bestimmten Epilepsiepatienten aufgezeichnet. "So wird ermittelt, ob der Anfallsursprung der Epilepsie einem bestimmten Gehirnareal zuzuordnen ist und der Patient deshalb für eine Operation in Frage kommt oder nicht", erläutert Ball. Durch einen neurochirurgischen Eingriff kann dann eine dauerhafte Besserung der Anfallssituation, bis hin zur Beseitigung der epileptischen Anfälle, erreicht werden.


Dem Signal auf der Spur

Eine wichtige Rolle bei dieser prächirurgischen Diagnostik spielt das Elektrokortikogramm (ECoG). Dessen Aufzeichnung erfolgt mittels implantierter Elektroden direkt von der Gehirnoberfläche aus. Es unterscheidet sich vom klassischen nichtinvasiven Elektroenzephalogramm (EEG) vor allem durch seine bessere räumliche Signalauflösung. Beim EEG wird die elektrische Gehirnaktivität von Elektroden aufgezeichnet, die direkt an der Kopfoberfläche befestigt sind. "Doch jede Art von Bewegung führt zu einer Interferenz mit dem Gehirnsignal, so dass entstehende Artefakte eine Auswertung des EEGs erschweren", sagt Ball. Im Gegensatz dazu sind bei dem invasiven Vorgehen typischerweise 64 Elektroden in einem netzförmigen Gitter auf einer Fläche von acht mal acht Zentimeter angeordnet, das der Gehirnoberfläche unmittelbar aufliegt. Dies resultiert in einer erhöhten Qualität und Transferrate von Signalen. "Hier sind wir so nahe wie möglich am Gehirn dran, ohne Elektroden in das Gehirn selbst einzustechen", erklärt der Mediziner. Zwar kann das Potenzial von nichtinvasiven Ansätzen (EEG) abschließend noch nicht beurteilt werden, doch steht bei dem Freiburger Forscherteam die Auswertung der intrakraniell gemessenen Daten per epikortikalen Elektroden (ECoG) im Vordergrund. "Schließlich muss man eine sehr große Menge von Informationen übertragen, damit letztendlich auch komplizierte Bewegungen flüssig ausgeführt werden können", sagt Ball. Von der Vorgehensweise amerikanischer Arbeitsgruppen, Elektroden direkt im Kortex zu verankern, distanziert sich der Freiburger Forscher. "Wenn es gelingt, auf andere Weise genauso viele Informationen zu gewinnen, wieso sollte man da in die Tiefen der Gehirnwindungen vordringen?" Zudem würde man unter Umständen durch die dortige Elektrodenimplantation einen irreversiblen Verlust von Nervengewebe riskieren.

Doch wie sieht sie nun aus, die im Elektrokortikogramm sichtbar gewordene Bewegungsabsicht eines Patienten? "Wer sich jetzt verräterische Zacken und einfache Kurven in einer EEG-Linie vorstellt, der irrt", erläutert der Mediziner. "Vielmehr sind die zugrunde liegenden Phänomene hoch komplex". Der Zeitverlauf und die räumliche Verteilung der elektrischen Aktivität über der Großhirnrinde müssen beachtet werden. Aber auch bestimmte Signalaspekte und informationsreiche Frequenzkomponenten spielen eine Rolle. Wie jedoch diese Signalmuster im Einzelnen interpretiert werden sollten, sei "derzeit noch Gegenstand der Forschung."


Von mathematischen Algorithmen zur ethischen Dimension

Bei der Umsetzung der Bewegungsabsicht in die tatsächliche Aktion hilft ein lernfähiges Softwaresystem. Dessen mathematischer Algorithmus analysiert wiederkehrende Aktivitätsmuster, erstellt daraus Datensammlungen und ist dann in der Lage, einen Zusammenhang aufzustellen zwischen den bereits bekannten Mustern und der zu erwartenden Richtung einer Handbewegung. Die Bewegungsintention des Patienten wird quasi "vorausgeahnt". Dass ein solcher Ansatz auch eine gewisse ethische Brisanz in sich birgt, ist nicht von der Hand zu weisen. Sollte beispielsweise bei einer gesetzeswidrigen Handlung die Person selbst oder die für sie handelnde Software strafrechtlich verfolgt werden? Um solche Szenarien frühzeitig zu diskutieren, suchen die Wissenschaftler bereits das Gespräch mit den Medizinethikern am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin. In gemeinsamen Veranstaltungen und Seminaren gingen sie der Frage nach, was es für das menschliche Selbstverständnis bedeute, wenn ein hoch entwickeltes System Bewegungsabsichten aus dem Gehirn eines Patienten auslesen soll. Auch könnte BMI-Technologie zu militärischen Zwecken genutzt werden, so zum Beispiel zu einer direkten Steuerung eines Kampfjets über Gedankensignale des Piloten.

Doch angesichts des jetzigen Stands der Forschung liegen solche Probleme für den Arzt Dr. Ball noch sehr weit in der Zukunft. Die tatsächliche Herausforderung liegt für ihn momentan in der weiteren medizinischen Entwicklung der BMI-Technik, die gelähmten Patienten zugute kommen soll.


Ziel: klinische Anwendungsreife

Bevor die Mediziner den entscheidenden Schritt in Richtung klinische Anwendung wagen können, muss noch so mancher Stolperstein aus dem Weg geräumt werden: Wie kann es zum Beispiel gelingen, aus dem Elektrokortikogramm genügend Informationen zu destillieren, um eine motorische Steuerung zu realisieren, die schnell und präzise ist, ohne große Anstrengung funktioniert und ohne Implantation einer zu großen Elektrodenanzahl auskommt?

Gefragt nach der persönlichen Motivation, gibt Ball an, dass es das Ziel an für sich sei, welches ihn motiviere. Eine solche Antwort erstaunt nicht, wenn man bedenkt, dass sich der ehemalige Freiburger Medizinstudent schon seit Beginn des ersten Semesters für die Neurowissenschaften interessierte, bis ihn schließlich die Gehirnforschung in ihren Bann zog. Daher rät er medizinischen Erstsemestern, trotz der vielen Vorgaben des Studiums, eigene (Forschungs)interessen zu entwickeln, mehr zu machen als die Stundenpläne vorgeben und einen eigenen Schwerpunkt zu setzen. All dies ist ihm offenbar gelungen, hat er doch mit der Neurologie einen Forschungsbereich gefunden, mit dem er auf gleicher Wellenlänge liegt.


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Quelle:
Freiburger Uni-Magazin Nr. 6/Dezember 2008, Seite 10-11
Herausgeber: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
der Rektor, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer
Redaktion: Eva Opitz (verantwortlich)
Kommunikation und Presse
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2009