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HINTERGRUND/156: HipHop - Was von der Subversion geblieben ist (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 110, 4/09

HipHop
Was von der Subversion geblieben ist

Von Isabella Klausegger


Inwiefern kann HipHop als Aufbegehren gelesen werden, inwiefern unterstützt er das Establishment? Im folgenden Beitrag beschäftigt sich Isabella Klausegger(1) mit der Kommerzialisierung des HipHop und seinem Verhältnis zu Klassismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie.


Anfang der 1970er Jahre entwickelte sich die South Bronx, einst ein adrettes Wohnviertel in New York, zu einer heruntergekommenen, verwahrlosten Gegend, in der nur jene marginalisierten Menschen wohnen blieben, die es sich nicht leisten konnten wegzuziehen - zumeist AfroamerikanerInnen, Hispanics und White Trash. Parallel zur damals aktuellen Disco-Welle entwickelte sich dort eine Szene, in der diese Menschen auf Block Parties mit den Stilmitteln ihres kulturellen Backgrounds Musik machten, feierten und tanzten. So wurde zu Schwarzer Musik, vorwiegend Funk und mit Betonung der Breaks, mit Rückgriff auf Elemente traditionell afro- und südamerikanischer Tanzstile wie Capoiera, getanzt - angefeuert und unterhalten durch MCs(2). Graffitis bildeten die Hintergrundkulisse.


Die Anfänge

HipHop entstand also, um den Auswirkungen eines vielfach rassistischen, kapitalistischen Systems auszuweichen, nicht um dagegen aufzubegehren. Diese "Inhaltslosigkeit" ermöglichte es, dass HipHop für alles vereinnahmt werden konnte, nicht nur für die Ideologie, die die politische Situation der HipHopperInnen der Anfangszeit am treffendsten reflektierte, wenngleich die erste ideologische Vereinnahmung aus dieser Ecke kam. Denn sehr bald wurde HipHop von Szene-InsiderInnen mit dem Gedankengut von afroamerikanischen bzw. schwarznationalistischen Widerstands- und Befreiungsbewegungen wie der Bürgerrechtsbewegung und der Nation of Islam verbunden. Auf Grund der fehlenden Breitenwirkung war dies eher als eine Form von Empowerment gedacht, um das Selbstbewusstsein der People of Color zu stärken. Erst durch die Kommerzialisierung Anfang der 1980er Jahre konnte HipHop zum offenen Widerstand gegen das Establishment werden, wenngleich dies nicht sofort der Fall war. Im Gegenteil...


Mainstream und Wende

Beim ersten Boom waren die HipHopperInnen primär am kommerziellen Erfolg interessiert, daran, "fett Kohle zu machen" und reich zu werden. Das kapitalistische System wurde nicht angeprangert, vielmehr wurde es unhinterfragt als Rahmenbedingung akzeptiert, sie - die AfroamerikanerInnen, Hispanics und White Trash - wollten in diesem Spiel nur die gleichen Chancen. Wenn HipHopperInnen, damals wie heute, teure Ledermäntel tragen, große Autos fahren und gebückt gehen unter dem Gewicht ihrer Goldketten, dann sind diese Symbole ganz simpel als das zu lesen, was sie gemeinhin sind: Ausdruck finanziellen Erfolgs. Insofern zählen die HipHopperInnen, was den Kapitalismus und die daraus resultierende Ungleichheit betrifft, zwar nicht zu jener Elite, die die Richtung weist, dennoch gehören sie zu den systemstützenden Massen, durch die ein Strom entsteht, dem nur schwer zu widerstehen ist.

Die für alle offensichtliche Wende von HipHop hin zum Widerstandsmedium gegen das hegemoniale Weiße Amerika kam erst Ende der 1980er Jahre mit Public Enemy, einer New Yorker HipHop-Crew, die die Missstände und die dafür Verantwortlichen in einer Form anprangerte, wie es dies seit der Nation of Islam und den wortgewaltigen Reden von Malcolm X in den 1960er Jahren nicht mehr gab. Doch nicht nur Public Enemy, das Gros der HipHop-Szene der US-amerikanischen East Coast war geprägt von diesem bewusstseinsbildenden HipHop, dem so genannten Conscious Rap. Anders der Gangsta Rap, der die West Coast dominierte. Auch dieser thematisiert die widrigen Umstände des Ghettoalltags, allerdings werden diese weder analysiert noch mit politischen Forderungen verbunden, sondern sie werden lediglich beschrieben. Und selbst dies geschieht nicht in der Art, als ob die Protagonisten Schwierigkeiten damit hätten, vielmehr stilisieren sie sich als die Könige der Straße. So avancierte auch der Sticker "Parental Advisory: Explicit Lyrics" - ursprünglich als Warnung vor vermeintlich jugendgefährdendem Inhalt und Ausdruck - sehr bald zum Gütesiegel für wirklich harten HipHop. Als Aufbegehren kann dieser HipHop kaum mehr gelesen werden.


Rollenbilder und Würde

Da das Ghetto und der dort übliche Straßenslang, die dem Rap seine Konturen gaben, traditionell männliche Domänen sind, ist es für Frauen schwierig, sich derart - hart, rau, derb, angeberisch, sexuell ausschweifend ... - zu inszenieren und dabei Frauen zu bleiben, wenngleich in den Anfängen des HipHop, als er noch ein Underground-Phänomen war, bei dem es primär um Partying und nicht um eine medientaugliche Inszenierung ging, auch viele Frauen eine aktive Rolle einnahmen. Das Pendant zu den harten, skrupellosen, hedonistischen Männern der Straße sind die halbnackten, lasziv lächelnden Frauen aus den HipHop-Videos. Der im HipHop vorherrschende Sexismus ist also wesentlich mehr als ein Abklatsch des in der Gesellschaft üblichen - eine Verteidigungsstrategie, die oftmals bemüht wird -, er erweckt den Eindruck, als habe es nie eine Frauenbewegung gegeben. Insofern zählen diese HipHopperInnen in Hinblick auf den Sexismus nicht zu den Massen, die das System stützen, sondern zu jener Elite, die es kreiert. Nur bei den Native Tongues, einer weiteren Strömung des US-amerikanischen HipHop, die Anfang der 1990er Jahre als Antwort auf den Gangsta Rap entstand, haben die Frauen eine gewichtige und würdevolle Rolle. Entsprechend ihres Panafrikanismus und der Rückbesinnung auf ihre afrikanischen Wurzeln werden Frauen als archaisch-weibliche Diven stilisiert.

Nicht nur das Frauenbild, sondern auch die Haltung zur männlichen Homosexualität wird von dem im HipHop vorherrschenden Männlichkeitsbild, in das kein homosexueller Mann passt, geprägt. Homosexualität wird als Verrat an den Idealen afro-amerikanischer Männlichkeit verstanden.

In keiner anderen Musikrichtung sind derartig viele schwulenfeindliche Bemerkungen zu finden. In Österreich und Deutschland war HipHop hinsichtlich Sexismus und Homophobie lange Zeit tatsächlich nur ein Spiegel der restlichen Gesellschaft, derartige Statements fanden dort erst Anfang des dritten Jahrtausends Eingang. Doch beginnen wir am besten wieder von vorne


Anfänge in Deutsch

Spulen wir die Zeit nochmals bis Anfang der 1980er Jahre zurück, als die erste kommerzielle HipHop-Welle über den Atlantik schwappte, die Massen begeisterte und die Menschen begannen, diesen Style zu imitieren. Als dieser Boom wieder abklang, blieben nur wenige übrig, die am HipHop festhielten und im Untergrund eine Community aufbauten. Mit Public Enemy, die lautstark ihre antirassistische Message hinausschrien, bekam diese Entwicklung einen neuen Spin, identifizierten sich doch vor allem die Migrationskids genau mit dieser Botschaft und sahen im HipHop ihr Medium, um ihre Sicht der Dinge zu artikulieren. Anfang der 1990er Jahre nahm diese Geschichte dann eine eigenartige Wendung. Die Musikindustrie stellte der Öffentlichkeit die Fantastischen Vier und ihren Fun-HipHop als die Vertreter des deutschen Sprechgesangs vor, wodurch diese zum Inbegriff von deutschem HipHop wurden. Dabei kam es zu einer eigenartigen Definition von deutsch, nämlich so deutsch wie die Fantastischen Vier: deutsch hinsichtlich Sprache und Nationalität und "mittelstandsdeutsch" hinsichtlich ihrer Erfahrungswelt. Darin kamen aber genau die Migrationskids nicht mehr vor, für die HipHop zu einem Asyl geworden war. Anders als in den meisten anderen europäischen Ländern wurde HipHop deshalb hierzulande von der breiten Öffentlichkeit auch nicht als antirassistische Botschaft wahrgenommen. Zwar konnten sich in den folgenden Kämpfen um die Definition von HipHop auch jene Gehör verschaffen, für die HipHop ein Sprachrohr - im Speziellen gegen Marginalisierung - war, dennoch dominierten bis zur Jahrtausendwende die Party- und Gute-Laune-Parolen. Nur im Untergrund waren die Migrationskids noch stark vertreten, und dort sind auch heute noch viele Frauen zu finden.


Aktuelle Radikalisierung

Seit Anfang des 3. Jahrtausends lässt sich in den Battle-Raps eine Radikalisierung der Formulierungen verzeichnen. Darin sind nicht nur extrem sexistische, sondern auch rassistische, homophobe und Holocaust verharmlosende Statements zu finden. Die Rapper um Aggro Berlin haben diese allseits bekannt gemacht, wenngleich sie damit nicht die einzigen waren. Da das Abwerten von anderen mit Rückgriff auf Metaphern ein wichtiges Mittel im Battle ist, sprechen sich diese diskriminierenden Statements im HipHop so ungeniert aus. Auf Grund dieser Entwicklung wurde in rechtsradikalen Gruppen sogar schon darüber nachgedacht, HipHop mit ihrem Gedankengut zu unterwandern.


Anmerkungen:
(1) Isabella Klausegger ist Autorin des Buches "HipHop als subversive Kraft: Zur Konzeption von Machtverhältnissen und deren Dynamik in den Cultural Studies" (Wien 2009)
(2) MCs: Masters of Ceremonies, eine Art "Moderatorinnen"

Zur Autorin:
Isabella Klausegger studierte Erziehungswissenschaft, Psychologie und Politikwissenschaft in Salzburg, Wien und Fribourg. Ihre Foschungsschwerpunkte sind u.a. Jugendkulturen, Rassismus, Rechtsextremismus und Feminismus. Sie ist in der Jugend-, Frauen- und friedenspolitischen Arbeit tätig.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 110, 4/2009, S. 14-15
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Senseng 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2010