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HINTERGRUND/167: Rap für Demokratie (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 4/2010

Rap für Demokratie
Eva Kimminich untersucht einen für Afrika wichtigen Musikstil

Von Andreas Peter


Der Musikstil des Rap gilt gemeinhin als Ausdruck einer durch und durch pessimistischen Lebenseinstellung von Jugendlichen. In den Texten werde überwiegend Hass gepredigt, Vorurteile und Aggressionen gegenüber Frauen, Homosexuellen, jeden, der die merkwürdigen "Ehr"-vorstellungen der Rapper verletze. Prof. Dr. Eva Kimminich vom Institut für Romanistik hat ganz andere Erfahrungen gemacht.


Die Expertin für die Kulturen romanischer Länder pflegt seit Jahren intensive Kontakte in ehemalige französische Kolonien in Afrika, vor allem nach Mali. Die dortige Jugendmusikszene faszinierte sie und lässt sie nicht mehr los. Denn Rapper in Mali, aber auch im Senegal nehmen eine vollkommen andere Rolle mit ihrer Kunst ein, erzählt die Wissenschaftlerin. Rapper in den beiden Staaten würden mit Hasstexten überhaupt keinen Erfolg haben. Ganz im Gegenteil. Sie seien vielmehr so etwas wie Demokratielehrer. Bei einer ungeheuren Analphabetenrate fungiert malischer oder senegalesischer Rap als eine Art Übersetzer und Aufklärer. In den Texten werden Begriffe, wird Politik erklärt. "Dabei ist das auffälligste Kriterium", so Eva Kimminich, "dass die Sprache ausgesprochen gewählt klingt". Zoten oder Vulgarismen würden schlichtweg in Mali oder dem Senegal nicht akzeptiert, weil auch das Verhältnis zwischen Alt und Jung ein grundsätzlich anderes sei als zum Beispiel im Rap Frankreichs oder des frankophonen Belgiens. Eine Generationenspaltung wie in westlichen Industriestaaten gebe es dort noch nicht. "Rapper in Mali wollen vermitteln, nicht spalten", betont Eva Kimminich die besondere Situation im ehemaligen französischen Kolonialreich. Und noch etwas hat die Romanistin festgestellt. Rapper in frankophonen afrikanischen Staaten sind zumeist entweder Künstler mit einem Studienabschluss oder aber mit einem abgebrochenen Studienhintergrund. Das erklärt wohl auch die deutlich unterschiedliche Qualität der Texte zwischen afrikanischen Rappern französischer Zunge und ihren Kollegen im ehemaligen Mutterland. Ganz generell hätten Rapper in Mali eine Allgemeinbildung und einen Bildungshunger, den man sich für viele deutsche Jugendliche wünschen würde, konstatiert die Romanistin etwas nachdenklich.

Eines allerdings eint französischsprachige Rapper: Ist Sexismus im Rap Frankreichs eine eher unbedeutende Größe, ist sie in Mali oder dem Senegal schlicht undenkbar und würde die gesellschaftliche Ächtung der Betreffenden bedeuten. Das gilt indes nicht für Homophobie. Die sei sowohl in der Rapperszene Frankreichs als auch seiner ehemaligen afrikanischen Kolonien ein echtes Problem. Indes haben die afrikanischen Künstler den Mut, dieses Tabuthema anzusprechen und immer besser zu problematisieren.

Eva Kimminich erforscht den Rap im frankophonen Afrika seit Jahren und ist mit einigen der bedeutendsten Vertreter dieser Musikrichtung befreundet. Sie mag vor allem die Musikalität des afrikanischen französischen Rap. "Weil sich hier modernes westliches Musikverständnis mit uralten musikalischen Traditionen Afrikas verbindet". Die Wissenschaftlerin hat inzwischen mehrere DVDs mit Rap-Bands aus Mali und dem Senegal produziert. Selbst ihre Kollegen von der Universität in Bamako, der Hauptstadt Malis, zeigten sich daraufhin überrascht, wie vielfältig und kreativ die Musikszene ihres Heimatlandes ist. Mit den Einnahmen aus ihren DVD-Produktionen finanzierte sie übrigens auch Forschungsarbeit afrikanischer Kollegen in Deutschland. Das will sie unbedingt fortsetzen.

Um zukünftig weiter erfolgreich wirken zu können, hofft die Uni-Professorin auf Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und den Deutschen Akademischen Austauschdienst. In jedem Falle aber werden ihre Forschungen zu Abschlussarbeiten ihrer Studenten führen. "Denn", so erklärt sie, "nach wie vor existiert wenig Literatur zu dieser hochinteressanten und für den Demokratieprozess in Afrika ungeahnt wichtigen Kunstgattung".


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 4/2010, S. 44
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2011