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HINTERGRUND/177: Pakistan - Ensemble Sachal, asiatischer Jazz trifft Bossa Nova (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. April 2012

Pakistan: Asiatischer Jazz trifft Bossa Nova - Ensemble Sachal international erfolgreich

von Zofeen Ebrahim

Das Studio der Gruppe Sachal in Lahore - Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Das Studio der Gruppe Sachal in Lahore
Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS


Lahore, 12. April (IPS) - Als die Islamisten in Pakistan die Musik verboten, gab Pappu das Cellospiel auf und verkaufte fortan Tee. Gemeinsam mit anderen Musikern überlebte er das Regime von Diktator Zia ul-Haq ebenso wie die jüngsten Repressalien der Taliban und spielt inzwischen in einem der erstaunlichsten Jazz-Ensembles des Landes.

In ihrer Heimatstadt Lahore ist die Gruppe kaum bekannt. Das Studio liegt in einer Straße, in der sich ein Autogeschäft an das andere reiht. In der internationalen Musikszene hat Sachal dagegen mit einer Aufnahme des Jazz-Klassikers 'Take Five' des Dave-Brubeck-Quartetts von 1959 für Furore gesorgt. Die neue Version des einstigen Erfolgstitels von Paul Desmond stürmte die Charts von ITune in Großbritannien und in den USA.

Die Pakistaner wollten der Jazzlegende Brubeck zum 90. Geburtstag eine Hommage erweisen. "Wenn ich mir diese exotische Version anhöre, kommen wundervolle Erinnerungen an Pakistan zurück, wo mein Quartett 1958 spielte", schrieb Brubeck begeistert. Die Neuaufnahme des Stücks fand er "außerordentlich interessant und andersartig".


Konzert in London am 17. April

Nicht nur ein Cello und Geigen, sondern auch traditionelle Instrumente aus dem Süden Asiens wie Tabla und Dholak kommen bei Sachal zum Einsatz. Das besondere Gefühl für Jazz und andere Musikstile in der Region wird dabei deutlich spürbar. Die Musiker werden nun am 17. April in London bei einem Konzert im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele auftreten. Und die Nachfrage nach Tickets ist sehr groß.

Izzat Majeed ist ein erfolgreicher Geschäftsmann und zugleich ein Idealist, der sein Vermögen in das Liebhaberprojekt investiert hat. Der Musik, die in den Sachal-Studios in Lahore produziert wird, möchte er kein Etikett verpassen. Er sieht sich auch nicht als 'Kreuzritter', der Rhythmen aus vergangenen Epochen wiederbeleben will.

"Diese Musik würde ich als zeitgenössisch bezeichnen", sagt Majeed. Gerade wird ein brasilianischer Bossa Nova geprobt, bei dem Sambarhythmen mit Jazz zusammentreffen. Dem 60-Jährigen und dem mit ihm befreundeten Lyriker Mushtaq Soofi gehört das mit modernster Technik ausgestattete Studio. Soofi arbeitete für das staatliche pakistanische Fernsehen, bevor er in den Ruhestand ging.


Cello trifft auf Tabla und Dholak

Ein Gitarrist schlägt die Saiten seines Instruments an, bevor ihm der Cellist folgt. Hinzu kommt ein auf dem Boden sitzendes Schlagzeuger-Trio, die mit ihren Fingern und Handflächen komplizierte Rhythmen auf Tabla, Dholak und Mridangam erzeugen. Als ihm der Einsatz gegeben wird, beginnt auch der Solo-Flötist zu spielen.

Das Ensemble gehört zu den derzeit besten pakistanischen Musikgruppen. "Bessere Musiker kann man nicht unter einem Dach zusammenbringen. Sachal hat es geschafft", sagt der Aufnahmetechniker Munir Kaubab.

Die Gruppe führt ein faszinierendes Stück auf, in dem Brasilien auf Pakistan trifft. "Wir machen das, was uns gefällt", erklärt Majid. Auch wenn nur wenige Leute zuhören, lässt er sich nicht unter Druck setzen. "In Pakistan hat Jazz ohnehin nur einen kleinen Markt."

Inspiriert von den berühmten Abbey Road Studios in London will Sachal "alte Musikformen wiederbeleben, indem ihnen eine Farbe der Gegenwart gegeben wird", so der Kritiker Sarwat Ali.


"Wir arbeiten für niemanden"

Eine Kommerzialisierung ihrer Musik lehnt Sachal ab. "Wir arbeiten für niemanden und müssen das Studio auch nicht an andere vermieten", sagt Soofi. "Jeder, der hier arbeitet, kann dies auch anderswo tun." Kaubab ist aber überzeugt, dass die Musiker die Ausstattung und die Qualität der Sachal-Studios nicht missen wollten.

Innerhalb der großen Bandbreite an Musik, die die Gruppe produziert, nimmt Jazz eine herausragende Stellung ein. "Sachal hat ein neues Format geschaffen, indem Jazz mit östlichen Instrumenten kombiniert wurde, die ihren Traditionen verhaftet bleiben", sagt der 37-jährige Flötist Baqir Abbas. Er musiziert, seit er zwölf ist.

Seit den Anfängen 2003 habe sich die Tradition der Studioaufnahmen, die immer mehr an Bedeutung verloren hatte, neu etabliert, berichtet Abbas. "Sachal hat das einzige Studio in Pakistan, in dem Musik in ihrer reinen Form ohne Computertechnologie aufgenommen wird."

Die Gruppe ist offen für Musiker aus anderen Ländern. An dem Konzert in London sind neben den Pakistanern auch zehn bis zwölf Kollegen aus England, Italien und Indien beteiligt. Sie werden vor allem Jazz und ihre eigene Version brasilianischer Kompositionen spielen, außerdem traditionelle indische und pakistanische Raga-Stücke. "Wir haben schon 13‍ ‍Stücke vorbereitet", sagt Soofi.

Die Sachal-Studios sind zu einer neuen Heimat für all die klassischen Instrumentalisten geworden, die sich in dem Getöse der elektronischen und digital produzierten Musik nicht wiederfinden. In Lahore können sie genau die Musik machen, die ihnen gefällt, und auch davon leben.


Kollaps der Filmindustrie traf Musiker hart

Musiker wie Pappu wurden von dem Zusammenbruch der pakistanischen Filmindustrie in den achtziger Jahren besonders hart getroffen. Klassische Streicher wurden vom Rock und Pop verdrängt. Als Sachal die Szene betrat, waren in Lahore nur noch zehn Geiger ausfindig zu machen. In den folgenden neun Jahren haben die Musiker mehr als 30 neue Kollegen bekommen.

In den Sachal-Studios wurden bereits mehr als 30 Alben aufgenommen. Von pakistanischer Volksmusik bis Jazz ist alles darauf vertreten. Die Gruppe müsse nun auf den Markt achtgeben und ihre Musik den Menschen zugänglich machen, meint Sarwat Ali.

Mehrere Regisseure aus dem Ausland haben sich inzwischen bei Sachal gemeldet, um einen Film über das Studio und die Wiederbelebung der Musik in Pakistan zu drehen. Soofi will noch keine Details verraten, nur so viel, dass die Musiker "offen für diese Ideen" sind. (Ende/IPS/ck/2012)

Links:
http://www.sachal-music.com/
http://www.youtube.com/watch?v=1-lRV7qLD08&feature=related
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107373

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2012