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INTERVIEW/006: Hommage an Mikis Theodorakis - Griechenlandkenner Eberhard Rondholz im Gespräch (SB)


"Mikis Theodorakis war und ist auch heute noch eine politische Persönlichkeit"

Interview im Deutschen Schauspielhaus Hamburg am 1. April 2012

Eberhard Rondholz - Foto: © 2012 by Schattenblick

Eberhard Rondholz
Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Hommage "Du bist Griechenland" im Hamburger Schauspielhaus würdigte Mikis Theodorakis als herausragenden Repräsentanten jenes anderen Griechenlands, das niemals den Stiefel in seinem Genick duldete. Im Rahmen der Matinee, die ausdrücklich Wert auf den aktuellen Bezug legte und als Beitrag zur Solidarität mit dem griechischen Volk konzipiert war, präsentierten der Komponist, Konzertpianist und Theodorakis-Kenner Gerhard Folkerts, der Theater- und Filmschauspieler wie auch Rezitator Rolf Becker und die vielseitige Mezzosopranistin Julia Schilinski ein beeindruckendes Theodorakis-Programm. Der Autor und Griechenlandkenner Eberhard Rondholz war mit zwei Wortbeiträgen vertreten, in denen er der Bezichtigung der Griechen als Faulenzer, Diebe und Betrüger gekonnt in die Parade fuhr. [1]

Eberhard Rondholz hat Geschichte, Politische Wissenschaft und Neugriechische Philologie in Bonn, Köln und Athen studiert. Er war von 1973‍ ‍bis zum Frühjahr 2000 als Rundfunkredakteur beim WDR in Köln tätig und hat u.a. zur Geschichte und Politik der Balkanländer publiziert. Herr Rondholz ist Autor von Rundfunk- und Fernsehfeatures sowie Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträgen über Politik und Kultur in Griechenland. Eines seiner Spezialgebiete sind Fragen der deutschen Okkupationspolitik in Griechenland. Das Buch "Griechenland. Ein Länderporträt" erschien im Mai 2011. [2] Eberhard Rondholz hielt sich mehrfach über einen längeren Zeitraum in Griechenland auf. Er ist "ein Unsriger", wie es Georgios Tsiakalos anläßlich der Überreichung des Kulturpreises der Vereinigung der Deutsch-Griechischen Gesellschaften am 27. März 2009 in Kiel formulierte. [3] Im Anschluß an die Veranstaltung im Schauspielhaus beantwortete Herr Rondholz dem Schattenblick einige Fragen.

Schattenblick: Wie kam es dazu, daß Sie die heutige Veranstaltung mitgestaltet haben?

Eberhard Rondholz: Herr Folkerts hat Kontakt mit mir aufgenommen. Er hatte mein Buch "Griechenland. Ein Länderportrait" gelesen und fand dessen Inhalt interessant. Er war der Meinung, daß das gut in eine Veranstaltung zu Ehren von Mikis Theodorakis paßt.

SB: Sie hätten heute allgemein über Land und Leute sprechen können, haben sich aber für einen dezidiert politischen Wortbeitrag entschieden. Was hat Sie dazu bewogen?

ER: Mikis Theodorakis war und ist auch heute noch eine politische Persönlichkeit. Man muß nicht mit allem einverstanden sein, was er sagt und tut. Ich bin das auch nicht. Aber ein großer Teil seines musikalischen Schaffens ist politisch und war dem Widerstand gewidmet, auch in der Junta-Zeit von 1967 bis 1974, als er inhaftiert wurde. Auch später im Exil hat er für die Niederringung der Militärdiktatur gekämpft. Er war sein Leben lang ein Politikum. In einem solchen Zusammenhang kann man nicht über Orchideen oder Land und Leute sprechen.

SB: Wie beurteilen Sie die Rolle des 86jährigen Künstlers in der griechischen Gesellschaft? Hat seine Stimme immer noch Gewicht, obwohl viele junge Leute nachgewachsen sind, die die Zeit des politischen Widerstands nicht miterlebt haben?

ER: Seine Stimme hat nicht für alle Gewicht, und auch nicht alle seines Jahrgangs sind seiner Meinung. Da gibt es verschiedene Auffassungen. Es gibt auch Leute, die ihm raten, sich allein seinem musikalischen Schaffen zu widmen, aber das kann so einer wie er nun einmal nicht. Er muß sich immer einmischen, und ein Teil der Athener schätzt das, was er macht, während andere sagen, Mikis, du bist verrückt.

SB: Er ist in der Zeit der Obristendiktatur im Lager gewesen und wurde drangsaliert. Was zählt eine solche Biographie im heutigen Griechenland 40 oder 50 Jahre nach der Zeit des Widerstands? Welche Bedeutung hat das, was er damals erlebt hat, für die jetzige Gesellschaft?

ER: Viel wichtiger ist eigentlich, was er in den Jahren oder Jahrzehnten davor im Widerstand getan hat, als er gefoltert und schwer mißhandelt wurde. In der Junta-Zeit ist es ihm im Vergleich zu anderen weniger schlimm ergangen. Er war verbannt, durfte keinen Kontakt zu anderen aufnehmen und mußte Kompositionen und Schriften aus seinem Verbannungsort herausschmuggeln, bis er daraus befreit worden ist und dann im Exil weiterkämpfen konnte. Die schlimmsten Jahre seines Lebens hat er jedoch in der Zeit des Bürgerkrieges auf der Insel Makronisos durchgemacht. Aus dieser Zeit hat Rolf Becker vorhin einige Dinge vorgelesen.

SB: Sind die Kämpfe der damaligen Zeit in der heutigen Gesellschaft noch präsent?

ER: Aber selbstverständlich! Seine Biographie kennt jeder. Wo immer er auftritt, ist er nicht nur der Komponist von "Alexis Sorbas" und Sirtaki. Das spielt in Griechenland eigentlich keine so große Rolle wie außerhalb des Landes, wo man ihn mit einem Volkstanz identifiziert, der gar keiner ist. Der Tanz Sirtaki ist erfunden worden, als der Film "Alexis Sorbas" gedreht wurde, weil die griechischen Tänze für den Schauspieler Anthony Quinn zu schwierig waren. Also hat ein Ballettmeister extra einen Tanz für ihn geschaffen, und Mikis Theodorakis hat die Musik zum berühmten Sorbas-Tanz gemacht, den heute alle Touristen kennen und wovon es ich weiß nicht wie viele Millionen Schallplatten gibt.

SB: Aus deutscher Sicht fällt an Griechenland immer wieder auf, daß dort andere politische Parameter gelten. Beispielsweise war Griechenland beim Jugoslawienkrieg das einzige NATO-Land, dessen Bevölkerung sich zu rund 90 Prozent gegen das militärische Eingreifen aussprach. Würden Sie sagen, daß die Griechen insgesamt eine andere Tradition haben?

ER: Das hat natürlich historische Gründe. Jugoslawien und Griechenland waren beide von der Wehrmacht besetzt, Kroatien wohlgemerkt nicht, denn die Kroaten waren Bündnispartner der Nazis. Diese Art der Solidarität spielt bis heute eine Rolle, und man darf nicht vergessen, daß beide Länder orthodoxen Glaubens sind. Es ist einfach so, daß in Deutschland kaum Kenntnis darüber bestand, was in Jugoslawien während des Zweiten Weltkriegs passiert ist, nämlich die Aufteilung und Zerschlagung durch Hitler. Das hat sich dann nach Titos Tod mit Hilfe der Bundesrepublik Deutschland wiederholt. All das ergibt eine Gemengelage, aus der heraus man verstehen kann, warum die Griechen auf Seiten der Serben standen und nicht auf Seiten der Kroaten und Bosniaken.

SB: Wenn, wie es vor einiger Zeit der Fall war, in den Medien berichtet wird, daß in Griechenland deutsche Flaggen auf Demonstrationen verbrannt werden, dann erheben sich hier Stimmen und klagen, wie undankbar die Griechen doch sind, obwohl wir ihnen helfen. Wie beurteilen Sie das aus griechischer Sicht auch in Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg und die Besetzung Griechenlands durch die deutsche Wehrmacht? Wie ist der griechische Blick auf Deutschland?

ER: Für die Griechen ist die Geschichte der geleisteten Hilfe eine etwas kompliziertere Angelegenheit. Dabei geht es im wesentlichen ja um Kredite, von denen ein großer Teil der Bevölkerung gar nichts hat. Breite Bevölkerungsschichten sind verelendet. Was in Griechenland zur Zeit als Reformprogramm durchgesetzt wird, nützt einem Teil der Griechen, dem anderen schadet es. Es gibt so viele Arbeitslose wie nie zuvor in Griechenland. Das Massenelend kann man inzwischen überall auf der Straße sehen. Nutznießer all dieser Programme sind Teile der Bevölkerung, die anderen gehen auf die Straße und demonstrieren ihre Wut, denn sie sehen nur Arbeitslosigkeit, Gehalts- und Rentenkürzungen in einem horrenden Ausmaß. Wenn es dies in Deutschland gäbe, käme es hier zur Revolution.

SB: Es wird aus griechischer Sicht viel zu wenig darüber aufgeklärt, wie hart und radikal die vorgenommenen Kürzungen tatsächlich sind. Gibt es dazu irgendwelche historischen Vergleichsmaßstäbe, wo ein solcher Rückgang der allgemeinen Lebensqualität schon einmal stattgefunden hat?

ER: Ja, diese Parallele hat es während der deutschen Besatzungszeit und dann während des Bürgerkrieges gegeben. Da gab es auch öffentliche Suppenküchen mit langen Schlangen davor. Während der Besatzungszeit sind einige 100.000 Menschen verhungert, aber auch danach, als diese Hungerkrise vorbei war, gab es bis in die frühen 50er Jahre hinein ein Massenelend in Griechenland. Deshalb ist das zumindest für die älteren Griechen, die sich noch an die Hungerjahre unter der Besatzung erinnern können, nichts Neues. Und für die ist es nichts Ungewöhnliches, dann hier und da einmal ein Hakenkreuz zu zeigen. Das ist ungerecht, mag man sagen, aber ich kann es verstehen.

SB: Was die Gerechtigkeit im Zusammenhang dieser Hilfen betrifft, kann man geteilter Meinung sein. Im wesentlichen handelt es sich ja um Kredite.

ER: Man fragt sich, ob nicht in erster Linie die Banken die Profiteure dieser Hilfen sind. Das ist eine komplizierte Situation. Man wird erst in einigen Jahren sehen, ob diese Hilfe wirklich eine solche war. Im Moment sieht die Lage so aus, daß wir schon seit Jahren ein negatives Wirtschaftswachstum haben und es auch noch die nächsten Jahre haben werden. Das bedeutet Massenarbeitslosigkeit, Armut und noch mehr Obdachlosigkeit, viel mehr, als es je in Griechenland gegeben hat.

SB: Ein aus deutscher Sicht sehr wichtiges Thema ist der Tourismus. Griechenland war immer schon ein beliebtes Urlaubsziel, selbst zur Zeit der Militärdiktatur. Deuten sich da Entwicklungen an, daß die Deutschen aufgrund der hier geführten Medienkampagne gegen die sogenannten Pleite-Griechen davon Abstand nehmen, dorthin zu reisen?

ER: Ich glaube, daß es eine Rolle spielt. Im letzten Jahr hat der Tourismus noch leicht zugenommen, was man eventuell darauf zurückführen kann, daß die Touristen, die sonst die südlichen Mittelmeerländer bereist haben und im Sommer zum Beispiel in Tunis Urlaub machten, wegen der Arabellion vermehrt nach Griechenland gekommen sind. In diesem Jahr sieht es mit den Buchungen schlechter aus, zumindest wie es sich auf der internationalen Tourismusbörse abgezeichnet hat. Es mag eine Rolle spielen, daß man Athen nicht mehr anfliegen möchte, weil man nicht weiß, wann da der nächste Streik losgeht. Wer direkt nach Kreta oder Rhodos fliegt, hat da weniger Probleme. Auch könnte es sein, daß die Kampagnen, die die Bild-Zeitung nach wie vor fährt, die Sympathiewerte für Griechenland zerstört haben. Aber inwieweit sich das auswirkt, kann man jetzt noch nicht sagen. Das wird man erst im Mai oder Juni wissen, weil viele Touristen Spätbucher sind. Es wäre für das Land indes eine Katastrophe, wenn der Tourismus abnähme, denn diese Branche ist, wie man gerne sagt, Griechenlands Schwerindustrie.

SB: Es gibt in Griechenland insbesondere seitens der Kommunistischen Partei die Forderung, aus der EU auszutreten. Können Sie sich vorstellen, daß die Neigung unter den Griechen wächst, nicht nur die Euro-Zone, sondern überhaupt die EU zu verlassen?

ER: Bei der Mehrheit der Bevölkerung gibt es so eine Stimmung nicht. Man weiß, daß sich die Katastrophe dadurch noch verschlimmern würde, und deshalb sagt man sich: Wir protestieren gegen die Maßnahmen, die uns aufgezwungen werden, aber in der EU und im Euro wollen wir bleiben. Zurück zur Drachme nützt nur den Reichen.

SB: Sie erwähnten im zweiten Teil ihres Vortrags das Verhältnis zwischen der Türkei und Griechenland und die daraus resultierende Dynamik des Waffenhandels. Was sagen Sie dazu, daß zwei NATO-Staaten als potentiell gegeneinander kriegführende Nationen dargestellt werden, obwohl die NATO angeblich doch ein Friedensbündnis ist?

ER: Böse Zungen behaupten, daß die NATO diesen Konflikt gern sieht, weil NATO-Länder das Hauptgeschäft mit den Waffen machen. Es wäre der NATO ein leichtes zu sagen, wir garantieren die Unversehrtheit des NATO-Staates Griechenland, auch bei einem Angriff durch ein anderes Mitgliedsland. Das geschieht aber nicht. Diese Zusage der NATO fehlt bisher. Mir hat ein griechischer NATO-Stabsoffizier einmal im Vertrauen erzählt, daß er bei einer NATO-Sitzung in Brüssel gefragt wurde, warum die Griechen kaum militärische Hilfe in Afghanistan leisten. Darauf habe er erwidert: Das würden wir gerne tun, wenn ihr solange unsere Grenzen nach Osten garantiert. Daraufhin habe eisiges Schweigen am Tisch geherrscht, und das Thema sei erledigt gewesen.

SB: Herr Rondholz, vielen Dank für dieses Gespräch.

Fußnoten:

[1]‍ ‍BERICHT/005: Hommage an Mikis Theodorakis - "Du bist Griechenland" (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0005.html

[2]‍ ‍BUCHBESPRECHUNG/021: "Griechenland. Ein Länderporträt" von Eberhard Rondholz (Horst Möller)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/meinung/bumeb021.html

[3]‍ ‍Exantas Nr. 10, S. 76, Juni 2009

Eberhard Rondholz mit SB-Redakteur - Foto: © 2012 by Schattenblick

Eberhard Rondholz mit SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

18.‍ ‍April 2012