Schattenblick →INFOPOOL →MUSIK → REPORT

INTERVIEW/030: Musikstil- und Kindertrip - mutig, arglos, fortbeginnen ... Rolf Zuckowski im Gespräch (SB)


Rolf Zuckowski - Pate der "Eule findet den Beat"

Interview am 1. Juni 2014 im Abaton Kino in Hamburg



Rolf Zuckowski, Sänger, Musiker, Produzent und Deutschlands bekanntester Kinderliedermacher, hat die Patenschaft für das Musik-Hörspiel "Eule findet den Beat" übernommen. Am 1. Juni 2014 fand im Abaton Kino in Hamburg die Premiere statt. Im Anschluß hatte der Schattenblick die Gelegenheit, mit Rolf Zuckowski zu sprechen und erfuhr, wie es zu der Patenschaft kam, was sie für das "Eule-Projekt" bedeutet und was ihn an diesem Musik-Hörspiel begeistert. Außerdem gab er einen Einblick in seine Zusammenarbeit mit Kindern, wie Themen, die Kinder bewegen, zu Liedern werden, was er mit seiner Musik bewirken kann oder manchmal auch nicht und wie wichtig es ihm ist, daß das Miteinander stets im Vordergrund steht.

SB: Herr Zuckowski, in dem eben erlebten Hörspiel lernten kleine und große Hörer etwas über verschiedene Musikstile. Sind die hier präsentierten auch in Ihrer eigenen Musik zu finden?

RZ: Es gibt bei mir einen Titel, der heißt, "Ich wollte ein Lied schreiben", das ist ein ganz sanfter Hip Hop-Song, den ich schon früh geschrieben habe, als in Deutschland noch kaum jemand Hip Hop gemacht hat. Aber ich habe dann dieses Genre nicht weiter gepflegt, es paßte nur so gut zu dem Lied. "Alle wissen alles, keiner weiß Bescheid" ist reinster Elektro-Pop. "Wir sind Kinder, der Stoff, aus dem die Zukunft ist" ist Rock. Und Pop findet man in meinen Liedern sowieso öfter. Mit der Oper habe ich mich viel beschäftigt. "Die Vogelhochzeit" gibt es auch in einer Semi-Klassik-Version. In dem Sinne fehlt in meinem Repertoire nur dieses total ausgehärtete Punk-Genre, das ist gar nicht meine Welt.

SB: Die Resonanz des Publikums auf den Punk-Song war erstaunlich lebhaft. Trifft diese Musik einen Nerv der heutigen, ganz jungen Generation?

RZ: Wenn sie kraftvolle Musik machen und die Musiker gut sind, und das sind sie, dann haben sie das Publikum immer. Aber es differenziert sich später dann doch heraus, was die Leute besonders gern mögen und was Kinder auch einfach mal so cool finden.

SB: Wie sind Sie überhaupt auf das Eule-Projekt gestoßen?

RZ: Das war wirklich der pure Zufall oder eine Fügung, wenn man so will. Wir haben eine Schallplattenfirma in Berlin, die meine Musik veröffentlicht, Universal Music. Nina Grätz, die die Netzwerkerin im Eule-Projekt ist, hat dort ihr Praktikum im Rahmen ihres Studiums begonnen. Da habe ich sie im Aufzug getroffen und ganz kurz mit ihr gesprochen: "Was machst du denn hier", und sie sagte: "Ich bin in der Abteilung für Kinder- und Familienmusik, da habe ich auch viel mit dir zu tun, und ich mache gerade was für Kinder mit meinen Freundinnen." - "Das macht mich jetzt neugierig, darüber sollten wir noch mal in Ruhe reden", sagte ich. Dann hat sie angerufen und wir haben uns getroffen. Ich war sehr schnell begeistert von dem Projekt, weil es wirklich was ganz Ungewöhnliches und Neuartiges ist. Aber ohne die Begegnung in diesem Aufzug, ich weiß nicht, ob all das jemals etwas mit mir zu tun gehabt hätte.

Rolf Zuckowski im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Ich war sehr schnell begeistert von dem Projekt ..."
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Was hat Sie daran so fasziniert, daß Sie auch noch die Patenschaft übernommen haben?

RZ: An erster Stelle, daß hier drei junge Frauen etwas machen, ohne selber im Vordergrund zu stehen. Das hat mich wirklich begeistert. Man muß eben nicht unbedingt immer der Frontmann oder die Frontfrau sein, sondern kann auch etwas aus dem Hintergrund aufbauen. Man sucht sich die Musiker, die die Songs eben am besten interpretieren können. Die drei haben sich mit ihren Talenten wirklich unglaublich glücklich gefügt. Nina Grätz, die ich zuerst kennengelernt habe, hat die Vernetzung des ganzen Projektes geleitet, die Studios und Musiker gesucht. Charlotte, die die Grafiken kreierte, hat ein ganz großes Talent. In dieser Reduzierung so lebendig zu sein und so sicher in den Farben und Formen - das ist wirklich großartig. Christina ist eine sehr gute Texterin. Die Hörspiel- und Liedtexte sind eigentlich weitestgehend von ihr und von besonderer Qualität. Das habe ich sehr schnell gespürt. "Ich glaube, ihr seid da an etwas sehr Besonderem dran. Dafür finden wir einen Platz auf meinem Label 'noch mal!!!'," sagte ich ihnen. Auf diesem Label wurde auch das Hip Hop-Trio "Deine Freunde" veröffentlicht. Das ist ebenfalls etwas ganz Neuartiges für Kinder.

SB: Und was genau bedeutete es, die Patenschaft zu übernehmen? Haben Sie in irgendeiner Weise aktiv mitgewirkt?

RZ: Man sucht für so eine Zusammenarbeit immer ein Wort. Ich bin einerseits derjenige, der ermöglicht hat, daß es überhaupt eine Platte gibt, und ich habe die drei in mancher Hinsicht beraten, damit es eine CD wird, die hoffentlich auch Erfolgschancen hat. Zum Beispiel, daß es diesen letzten Song, der so eine Art Zusammenfassung ist, und einen Opener-Song gibt, sind Anregungen von mir. Natürlich habe ich sie auch bei der Frage beraten, in welcher Form, wann und wie man das rausbringt. Es ist ja jetzt ein Doppelalbum geworden, weil ich vorgeschlagen habe, daß es die Lieder auch als CD geben muß. Um hineinzutauchen in die Geschichte, ist die Hörspiel-Version unverzichtbar. Man wird sie vielleicht auch gern öfter hören, aber irgendwann vielleicht auch nur mal die Songs. Das sind so meine Hilfestellungen. Ich habe meiner Schallplattenfirma, bei der ich dieses Label betreibe, gesagt, mit den Mädchen solltet ihr so verhandeln, daß das wirklich ein ganz fairer Deal wird, denn so etwas kriegt ihr nur selten ins Haus. Sie sind ja nun relative Neulinge und daß jemand wie ich ein bißchen Hilfestellung leistet, damit auch ein ordentlicher Schallplattenvertrag zustande kommt, gehörte so zu meinen Aufgaben. Wir haben versucht, ein Wort zu finden, das dieser Eule und den Mädchen gerecht wird und fanden, als eine Art Patenschaft könnte man es am ehesten sehen. Schirmherr fand ich nicht nahe genug am Herzen und auch nicht nahe genug am Kind. Denn man ist ja Pate für Kinder. Die "Eule" ist ihr Kind und in dem Sinne auch unser gemeinsames Kind.

SB: Sie machen nun schon seit ca. 50 Jahren Musik, zuerst als Mitglied der Schulband des Albrecht-Thaer-Gymnasiums in Hamburg "the beAthovens" und später dann mit dem Trio "Peter, Sue & Marc". Irgendwann haben Sie sich für Kinderlieder entschieden. Wie kam es dazu?

RZ: Entschieden habe ich mich eigentlich nicht. Kinder kamen in unser Leben, überraschend und sehr früh. Meine Frau war 21, ich 24. Als Musiker - meine Frau singt übrigens auch sehr gerne, ist aber nie auf der Bühne gewesen - singt man dann viel mit den Kindern, freut sich, wenn sie selber singen. Und dann kommt der Tag, an dem man merkt, da fehlt vielleicht doch etwas in den Liedern, das mit ihrem heutigen Leben zu tun hat. Denn als meine Tochter 1971 geboren wurde, da gab es eigentlich immer noch die Kinderlieder, die auch ich gesungen habe, wie "Es klappert die Mühle am rauschenden Bach". Sie sind hübsch und auch wertvoll, aber sie haben mit dem Leben der Kinder von damals oder auch von heute wenig zu tun. Wir haben dann gemeinsam, ehrlich gesagt, Hand in Hand auf den Wegen durch unseren Stadtteil, auf der Fahrt zum Kindergarten begonnen, Fragmente zu singen. Zuerst entstanden zum Beispiel die Lieder der Schulweghitparade, "Mein Platz im Auto ist hinten" oder "Zebrastreifen, Zebrastreifen, mancher wird dich nie begreifen". Es gab dann noch ein glückliches Miteinander mit meinem Freund Peter Meetz, dem Schlagzeuger unserer Schülerband. Er hat Grafikdesign studiert und sollte eine Arbeit schreiben über ornamentale Gestaltung. Dafür hatte er sich die Geschichte einer Vogelfamilie ausgedacht, vom ersten Kennenlernen über das Heiraten, Nestbauen, Kind kriegen und Kind freilassen. Diese Geschichte habe ich vertont, als meine Frau mit unserem zweiten Kind schwanger war, mit unserem Alexander. Die Idee ist durch die Bilder von Peter Meetz entstanden und dann war ich eigentlich schon mittendrin. Ich hatte Lieder und eines ergab sich aus dem anderen - das Musizieren im Kindergarten, Einladungen von anderen Kindergärten, später auch in Schulen und auf Dorf- und Stadtfesten.

SB: Waren Sie schon als Kind musikbegeistert? Hat es ein besonderes Erlebnis gegeben, das Sie zur Musik geführt hat?

RZ: Ein bißchen schon. Gesungen wurde in unserem Haus rund um die Uhr. Meine Mutter hat sehr viel und sehr gerne gesungen, aus Leidenschaft. Fröhliches, Trauriges, Erbauliches und auch Melancholisches. Das Leben war musikdurchdrungen. Mein Opa hat es immer gern gehabt, daß wir ihm vorgesungen haben, er war Leiter eines Männergesangvereins. Mein Vater war Seemann und wenn er mal zu Hause war, das war ja nicht so oft der Fall, hat er Mundharmonika gespielt. In dem Sinne war Musik selbstverständlich in unserer Familie. Auf meiner ersten richtigen Ferienreise, die ich machen durfte, 1961, da war ich 14, war ich mit Pfadfindern auf einer Verschickung in Fleckeby an der Schlei. Und die haben abends immer Musik gemacht mit Gitarren am Lagerfeuer, ganz romantisch. Das hat mich so begeistert, daß ich hinterher zu Hause immer wieder davon geschwärmt habe und mein Vater mir relativ bald danach eine Gitarre geschenkt hat. Ich war dann eigentlich fast wie ein Besessener an diesem Instrument zugange und habe sofort Lieder gemacht mit den ersten zwei, drei Griffen. Die Lieder gibt es heute alle nicht mehr. Die waren wohl sehr flüchtig.

SB: In dem Lied "Mein Platz im Auto ist hinten" vermitteln Sie eindeutig und klar, daß Kinder auf den Rücksitz und angeschnallt gehören. Aber man hat dabei nicht den Eindruck einer Anweisung. Versuchen Sie, den erhobenen Zeigefinger zu vermeiden?

RZ: Dieser Zeigefinger beschäftigt mich, seitdem ich diese Lieder für Kinder schreibe. Ich komme mit dem Wort nicht klar. Kinder möchten etwas lernen und sie möchten manchmal auch ganz klar wissen, worum es geht. Der Zeigefinger hat da natürlich was von pädagogischer Härte. Aber der innere Zeigefinger, wo man sagt, ich hebe ihn jetzt nicht, aber du sollst spüren, es gibt Dinge, die mußt du wissen, diesen inneren Zeigefinger brauchen Kinder. Sie brauchen auch Freiräume und die Chance, sich selbst zu entscheiden. Sie müssen Fehler machen dürfen, aber auch merken, was es bedeutet, wenn man Grenzen überschreitet. Das Pädagogische kommt bei mir ehrlich gesagt nur aus der Verantwortung, die ich als Vater gespürt habe. Ich wollte gern, daß meine Kinder heil nach Hause kommen, wenn sie zur Schule gehen. Ich habe nie Pädagogik studiert, aber instinktiv gespürt, wie ich das Kind wirklich erreiche. Die Lieder sind fast alle in der Ich-Form gesungen. In keinem heißt es "Du sollst", "Du darfst", sondern "An meinem Fahrrad ist alles dran", "Zebrastreifen, Zebrastreifen, mancher wird dich nie begreifen - doch ich weiß Bescheid", "Wo kein Gehweg ist, da geh ich links". Ich habe mich in das Kind hineinversetzt, und denke, diese Art von Pädagogik wird angenommen. Die besten Lehrer sind die, vor denen Kinder einerseits Respekt haben, sie aber auch ein bißchen lieben oder bewundern. Ich glaube, das beides geht zusammen.

Rolf Zuckowski - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Kinder wollen etwas lernen, sie wollen ganz klar wissen, worum es geht ..."
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Musik gehört schon seit jungen Jahren zu Ihrem Leben. Wie kam es, daß Sie Betriebswirtschaft und nicht Musik studiert haben?

RZ: Rückblickend kann ich froh sein, daß ich es nicht getan habe. Ich glaube, ich wäre niemals den Weg gegangen, den ich gegangen bin. Von Antoine de Saint-Exupéry ist die schöne Aussage überliefert: "Gehe Wege, die noch niemand ging, damit du eigene Spuren hinterlassen kannst." Wenn man Musik studiert, ist man viel zu bewandert in dem, was andere schon vor einem geschaffen haben, da ist es nicht einfach, wirklich Eigenes zu kreieren.

Ohne ständig zu überlegen, bei wem habe ich mich musikalisch gerade angelehnt oder ist das, was ich mache, musiktheoretisch erlaubt, ist es leichter, eigene Musik zu erschaffen. In dem Sinne bin ich froh, es nicht studiert zu haben. Aber ich habe sehr davon profitiert, mit Studierten zusammenzuarbeiten, meinen Arrangeuren, meinen Dirigenten, den Musikern, auf sie hätte ich ja nie verzichten können. Allerdings waren sie auch sehr froh, daß ich nicht immer alles besser wußte.

Die Schule, auf die ich ging, das Albrecht-Thaer-Gymnasium, war eine sehr innovative Reformschule in Hamburg, an der es in der Oberstufe Wirtschafts- und Sozialwissenschaft als Wahlfach gab. Wir hatten mit Herrn Simon auch einen sehr guten Musiklehrer, der hat uns mit dem Song "Michelle" von den Beatles das Musikabitur machen lassen. Aber mich hat tatsächlich diese Wirtschafts- und Soziallehre damals sehr fasziniert und darum habe ich auch gern Betriebswirtschaft studiert. Danach habe ich allerdings in einem Hamburger Musikverlag (Hans Sikorski) gearbeitet und natürlich wieder Blut geleckt. So war das Betriebswirtschaftsstudium nicht unwichtig, aber auch nicht wirklich zielführend. Aber ohne diese kaufmännische und auch organisatorische Ader, die ich wohl auch habe, hätte ich meine beratende Funktion bei dem Eule-Projekt gar nicht übernommen.

SB: Wenn Sie mit Kindern singen, gewinnt man den Eindruck, daß die Kinder sehr viel Spaß dabei haben und sich auch wirklich voll einbringen können. Wie sehen Sie Ihre Rolle dabei. Sind Sie eher Begleiter oder Steuermann?

RZ: Ich muß das rückblickend beantworten, denn heute sind meine Aufgaben andere. Dazu gehört beispielsweise der Aufbau des Chors "Die Jungs", den ich vor fünf Jahren ins Leben gerufen habe. Ich wollte einmal sehen, wie es ist, wenn man mit Jungs keinen Knabenchor, sondern einen offeneren Chor gründet, einen, in dem es mehr um das Miteinander, die Kameradschaft und eine musikalische Vielfalt geht. Aber beides hat eigentlich dieselben Wurzeln, denn ich habe stets versucht, die Kinder wirklich zu begeistern und nicht etwas von ihnen zu verlangen, was sie eigentlich nicht mögen. Ich habe mir immer Zeit genommen und im Studio mit den Kindern auch viel, viel Offenheit behalten, um zu spüren, was sie wirklich gut können und wo ihre Grenzen sind. Vielleicht war es auch mal nötig, den Komponisten zu korrigieren, weil er ein paar Töne so gesetzt hat, daß die Kinder immer wieder daran hängenblieben. Manchmal habe ich aber auch darauf bestanden, daß ein Lied in einer bestimmten Weise gesungen wird. Aber der Spaß im Studio stand immer an erster Stelle. Wir haben nie besonders lange gesungen. Die Kinder waren immer sehr gut vorbereitet, doch nach zwei, drei, vier Stunden ist auch irgendwo die Luft raus.

SB: In einem Ihrer Lieder singen Sie: "Kind sein kann man für ein ganzes Leben...."

RZ: Wenn man Glück hat...

SB: Hilft Ihnen das Singen mit Kindern dabei oder anders gefragt: Was meinen Sie mit "Kind sein"?

RZ: Das weiß ich selber nicht ganz genau, aber ich finde, es klingt gut, weil es meinen Wunsch ausdrückt, das beste am Kind sein nicht zu verlieren. Dazu zähle ich: neugierig sein, vertrauen können, nicht immer skeptisch sein, nicht immer alles zuerst hinterfragen. Diese kindliche Stärke kann auch für einen Erwachsenen segensreich sein, wenn er spürt, da vertraut mir jemand. Sich verzaubern lassen, etwas Neues sehen und wie ein Kind staunen zu können, gehört für mich auch dazu. Viele Erwachsene lassen sich nicht mehr darauf ein. An einigen Formaten von Funk und Fernsehen läßt sich ablesen, daß viele Erwachsene eigentlich innerlich früh ins "Altenheim" gehen. Rundfunksender, die nur noch Oldies spielen, sind für mich unerträglich. Ich bevorzuge vielseitige Sender, bei denen jedes Musikgenre zum Programm gehört. Als Erwachsener sollte man versuchen, diese Offenheit zu behalten, und sich überraschen lassen, sich auf etwas einlassen. Für Kinder ist das selbstverständlich, sie kennen vieles noch nicht. "Kindsein" in diesem Sinne möchte ich nicht verlieren. So ist die Zeile "Kind sein kann man für sein ganzes Leben" zu verstehen, und der Schlüssel dazu liegt in der zweiten: "Man kann sich selbst die Chance geben". Wenn man krank ist oder wenn der Geist langsam nachläßt, dann ist das natürlich ein schöner Traum, den ich da besinge. Aber solange man das noch als Möglichkeit in sich spürt, sollte man es auch leben. Ich habe ein großes Vorbild, leider schon lange verstorben, Peter Ustinov. Er war ein kluger, weltgereister, humanistisch sehr engagierter, aktiver Mann und Ehrenbotschafter von UNICEF. Bis zum Schluß war er albern, gnadenlos lustig und hat sich nie drum geschert, was die Leute von ihm hielten. Zu wissen, daß es solche Menschen gibt, war für mich sehr ermutigend.

Rolf Zuckowski mit einladender Geste - Foto: © 2014 by Schattenblick

Immer offen für Neues
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Viele Ihrer Lieder sind fröhlich, machen Mut, geben gute Beispiele oder sind witzig. Nun ist auch hier in Deutschland für viele Kinder die Lage nicht so rosig. Kinderarmut ist zu einem großen Problem geworden. Ihre Lebensumstände sind miserabel, gezeichnet von Vernachlässigung und Einsamkeit. Die Tatsache, daß viele Eltern nicht mehr für ihre Kinder da sein können, weil beide arbeiten gehen müssen, wirkt sich auch belastend auf die Entwicklung der Kleinen aus. Glauben Sie, daß Musik so eine Art Universalschlüssel ist, mit dem Sie auch diese Kinder erreichen können?

RZ: Viele meiner Lieder haben diese problematischen Lebenssituationen in verschlüsselter Form zum Thema und sind überhaupt erst entstanden, weil ich diese Lebensverhältnisse kenne. Ich bin selbst in einer Familie aufgewachsen, in der nicht immer alles einfach war. Aber ich wuchs in der Nachkriegszeit auf. Man hatte den Blick nach vorn gerichtet. Die Eltern und Großeltern waren optimistisch und sagten: "Für euch wird alles besser". Diesen Optimismus würde ich den Kindern heute wünschen. Vieles wird in unserer Zeit von Erwachsenen sehr düster gemalt. Aber die Kinder haben nur diese eine Zukunft, in die sie hineinwachsen. Wie auch immer die Kinder leben, man muß ihnen die Chance auf ihre eigene Zukunft geben. Je näher man ihnen ist, desto handfester und praktischer kann man dafür sorgen. Aus der Ferne, als Musiker beispielsweise, gelingt es vielleicht mit Liedern, die von einer anderen Welt berichten. Auch wenn sie das zur Zeit vielleicht nur wenig erleben, wissen sie, daß es sie gibt und auch für sie geben kann. Vieles in meinen Liedern hat mit Gemeinschaft zu tun, mit "Nicht-allein-etwas-Machen". Manchmal heißt es aber auch: "Ich schaff das schon, ich schaff das schon, ich schaff das ganz alleine", um Kinder zu ermutigen, sich etwas zuzutrauen. Es gibt Lieder, die von problematischen Verhältnissen zu Erwachsenen erzählen, mit ein bißchen Humor, weil ich das einfach lieber habe. In dem Lied "Glücksminuten" zum Beispiel, da heißt es: "Aber du, aber du, du hörst ja nicht mal richtig zu." Das Kind kommt voller Erlebnisse nach Haus und Mama oder Papa haben etwas Wichtigeres zu tun: "Ja, heute abend höre ich dir zu, aber jetzt habe ich keine Zeit für dich." In Liedern wie "Mein Freund Abdullah" oder "Das eine Kind ist so, das andere Kind ist so", werden die ethnischen Wurzeln spürbar, beziehungsweise die Vielfalt der Kulturen. Aber es liegt mir nicht so sehr, die Problemfelder zu besingen, wie es vielleicht Gerhard Schöne oder Herbert Grönemeyer können.

SB: Es ist vielleicht auch so, daß gerade diese Kinder etwas Ermutigung brauchen können.

RZ: Die Kinder sollten immer spüren, daß jemand Verständnis für sie hat. Ich weiß aber, daß ich mit meiner Musik nicht alle erreichen kann. Die Kinder von Alleinerziehenden, oder jene, die in sehr schwierigen sozialen Verhältnissen leben, finden sich in meiner Musik vielleicht weniger wieder. Auf der anderen Seite erhalte ich gerade von alleinerziehenden Müttern recht viele Rückmeldungen über meine Musik. Sie finden darin Ansätze zu einem Leben, das sie momentan nicht leben können, das sie aber gut und richtig finden. Viele Alleinerziehende möchten keine neue Partnerschaft, andere aber schon. Für ihre Kinder bedeutet das eine neue Art von Mutter-Vater-Verhältnis. Wie gesagt, viele dieser Problematiken sind in meiner Musik verdeckt vorhanden. Sie tragen aber eben keine "Heile-Welt-", sondern eher eine "Heilere-Welt-Sehnsucht" in sich.

SB: In anderen Ländern dieser Erde leben Kinder in sehr schrecklichen Verhältnissen. Sie wachsen hinein in eine Wirklichkeit von Krieg, Verlust, Vertreibung und voller Angst. Kann das Singen von Liedern hier etwas bewirken?

RZ: Es kann helfen, wenn es Menschen singen, die das ganz authentisch rüberbringen können. Meine Lieder versuche ich so zu schreiben, daß man spürt, ich glaube daran. Ich singe das nicht nur, weil es gerade "in" ist, oder weil es jemand hören will. Aber nehmen Sie zum Beispiel die jüdische Musik. Aus dem Leid heraus sind hier sehr, sehr viele Lieder entstanden, die ganz authentisch einfangen, wie sich auch im Vertriebensein, im Bedrängt- und Bedrücktsein Befreiungswünsche erhalten. Solche Musik muß man dann bei denen suchen, die es wirklich selber erlebt haben und die aus sich heraus so etwas schreiben können. Dafür habe ich jede Bewunderung und Respekt, fühle mich aber nicht berufen, unbedingt in so eine Haut hineinzuschlüpfen.

SB: Was würden Sie Eltern raten, die selber ziemlich unmusikalisch sind, aber trotzdem gern mit ihren Kindern singen möchten?

RZ: Die Kinder singen lassen. Wenn sie vielleicht nicht besonders schön singen, sollte man ihnen eine Entwicklung zutrauen, indem man sie in eine Gruppe hineingibt, wie in einen Chor zum Beispiel. In unserem Jungs Chor können von den 30 Jungen fünf oder sechs kaum einen Ton halten, aber sie wachsen da hinein. Mag sein, daß die Kinder dann musikalischer als die Eltern werden, die selbst vielleicht nie eine Chance dazu hatten. Aber wenn man als Erwachsener mitsingt, muß man ja nicht unbedingt lauter sein als das Kind.

SB: "The Voice-Kids", eine Art Casting-Show für Kinder, wurde jetzt kürzlich wieder auf einem privaten Sender ausgestrahlt. Kinder im Alter von 8 bis 14 Jahren singen vor. Vier erwachsene, prominente Sänger fungieren als "Coaches" und beurteilen die stimmliche Leistung. Bei den Songs, die die Kinder "performen", handelt es sich fast ausnahmslos um solche ihrer Favoriten aus der Pop-Musik-Szene. Was halten Sie von einem derartigen Wettbewerb? Schadet die Teilnahme den Kindern eher oder ist das eine Chance für sie?

Rolf Zuckowski und SB-Redakteurin - Foto: © 2014 by Schattenblick

Rolf Zuckowski im Gespräch mit SB-Redakteurin
Foto: © 2014 by Schattenblick

RZ: Grundsätzlich habe ich zu Casting-Shows ein sehr angespanntes Verhältnis. Ich bin überzeugt davon, daß es hier im wesentlichen um quotenträchtige Sendungen geht, um Werbung zu verkaufen, und absolut sekundär um die Menschen, die gerne singen und Musik machen. Zwar mögen die Kinder glücklich sein, daß es solche Sendungen gibt, weil sie die Zeit, die sie in dem Team verbringen, als etwas Einmaliges erleben. Das kann für sich genommen ein wertvolles Erlebnis sein. Aber sie werden auch mit ziemlich vielen Illusionen geimpft, die zerplatzen werden. Darum bin ich gerade bei Kindern sehr skeptisch, ob man ihnen etwas Gutes damit tut. Die wirklichen Talente setzen sich auf leise Art und mit Beständigkeit durch und nicht, weil ein Fernsehsender oder eine Regie-Idee sie hochdramatisch inszeniert. Es gibt aber einzelne Ausnahmen, die mich beeindruckt haben, wie zum Beispiel Mrs. Greenbird aus der Casting-Show X-Factor.

SB: Sie erhielten 2005 von der Bundesvereinigung Lebenshilfe den Medienpreis "Bobby" für besondere Verdienste um die Akzeptanz behinderter Menschen in der Gesellschaft. Im gleichen Jahr wurde Ihnen das Bundesverdienstkreuz verliehen. Es würdigt Sie als einen Menschen, der die musikalische Entwicklung von Kindern fördert. Was bedeutet Ihnen öffentliche Anerkennung?

RZ: Es wäre geheuchelt zu sagen, nichts. Aber man macht sich über solche Preise immer auch Gedanken, warum man sie bekommen hat. Will man damit wirklich sagen: "Rolf, das hast du prima gemacht" oder eine Veranstaltung schmücken? Das ist gar nicht so selten. Der Bambi-Preis wird meines Erachtens vor allem vergeben, damit es diese Fernsehsendung gibt. Diesen Verdacht habe ich beim "Bobby" nicht gehabt und beim Bundesverdienstkreuz schon gar nicht. Mit dem "Bobby" hat es folgendes auf sich: Seit meinem Lied "Guten Morgen Sally", das 1982 in einer Schule für körperbehinderte Kinder entstanden ist, habe ich mich mit behinderten Menschen beschäftigt und bin bei ihnen gewesen. Ein Lied wie "Ich schaff das schon" wäre nie entstanden, wenn ich nicht ein Mädchen, das im Rollstuhl saß, persönlich kennengelernt hätte. Beim Bundesverdienstkreuz ist es so: Ich stehe, was Teile der intellektuellen Presse angeht, eigentlich ständig unter Kritik. Dort gibt es offenbar ein Vorurteil gegen meine Art, Musik zu machen. Da war die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes für mich schon eine ganz schöne Anerkennung.

SB: Sie haben die Patenschaft des Kinderhospizes Bethel für unheilbar erkrankte Kinder übernommen. Auf welche Art unterstützen Sie diese Einrichtung?

RZ: Ich war jetzt gerade dort und habe mit Kindern, die sich in einer sehr, sehr ernsten Lage befinden, und mit ihren Eltern, Geschwistern und Freunden gesungen. Das war sehr bewegend. So habe ich auch schon in mehreren Hospizen gesungen und mache es auch gerne. Nur kann ich das nicht zu oft, weil es mich selber auch sehr fordert. Es gibt drei Hospize, das "Balthasar" in Olpe, die "Sternenbrücke" in Hamburg und den "Sonnenhof" in Berlin, in denen ich ab und zu bin. Diesen Kindern fühle ich mich sehr verbunden. Wenn ich dort hinkomme, dann ist es eigentlich ein Besuch bei einzelnen Kindern, um mit ihnen zu sprechen. Das geht einem schon sehr, sehr ans Herz. Auf der anderen Seite erlebt man auch sehr schöne Stunden, weil man die Frage, was eine Stunde wert ist, hier völlig neu erlebt. Für die Kinder und Eltern im Hospiz ist eine Stunde eine Lebenskostbarkeit. So rückt man die wesentlichen Dinge für sich selber und sein Leben noch mal wieder ein bißchen zurecht. Es ist also nicht nur ein Geben, sondern auch ein Nehmen, wenn ich in solchen Hospizen für Kinder singe.

SB: Sie haben 2012 Ihren Abschied von der Bühne genommen,...

RZ: ...von den großen Tourneebühnen...

SB: ... um sich der Förderung und Beratung junger Musiker zu widmen. Im gleichen Jahr haben Sie das Label "noch mal!!" gegründet. Sind bei Ihnen jetzt nur Kinderliedermacher unter Vertrag?

RZ: Ja. Ich selber habe ein ziemlich großes Repertoire an Liedern für Erwachsene und habe auch gerade meine CD "Mein Lebensliederbuch" veröffentlicht.[1] Wenn ich Musik für Kinder produziere, dann fördere ich letztendlich auch die Erwachsenen, die diese Lieder singen. Aber ich muß nun nicht unbedingt noch im Bereich Schlager, Pop oder Jazz und Chanson etwas machen. Es gibt aber eine Ausnahme. Zu Weihnachten wird es ein A Cappella-Weihnachtsalbum geben. Hier habe ich sieben Damen aus Lettland, "Latvian Voices", und fünf Herren aus Bayern, "Viva Voce", zu einem 12köpfigen Ensemble zusammengefügt. Das Album heißt "Zeit der Wunder" und es bedeutet mir künstlerisch sehr, sehr viel.

SB: Sie haben großen Einfluß auf die Musik- und Liederwelt in Deutschland genommen. Vermutlich kennt jeder einen Ohrwurm aus Ihrer Feder: "Und ganz doll mich", "Winterkinder", "In der Weihnachtsbäckerei", "Wie schön, daß du geboren bist", "Du da im Radio". Können Sie überhaupt aufhören, Musik zu machen?

RZ: Nein. Ich hatte mich entschieden, nicht mehr auf Tournee zu gehen, und große Fernsehshows lockten mich auch nicht mehr so. Ich glaube, das war genau der Zeitpunkt, wo ich im Inneren merkte, es reizt mich im Moment mehr, Dinge auszuprobieren, die ich noch nie gemacht habe - und das geht besser zusammen mit anderen, wie zum Beispiel mit "Eule findet den Beat", mit dem Hip Hop-Trio "Deine Freunde" oder mit den beiden Gruppen "Viva Voce" und "Latvian Voices", dem A Cappella-Projekt. Es gibt im Hintergrund auch Gespräche über eventuelle Filmideen und das führt mich auf neue Wege, die in diesem jetzigen Lebensabschnitt, glaube ich, die richtigen sind. Wenn mir ein neues Lied einfällt, vielleicht auf dem Heimweg heute, dann werde ich es nicht zurückhalten. Aber ich muß nicht unbedingt neue Lieder schreiben, um kreativ und aktiv zu bleiben. Im Moment kann ich mich auch sehr an meinem Sohn erfreuen, der gerade den Eurovision Song Contest gewonnen hat mit seinem Song für Conchita Wurst aus Österreich. Die Figur Conchita Wurst ist ja nicht ganz unumstritten, aber das Lied "Rise like a Phoenix" ist im Geiste auch ganz stark mit meinem Lied "Ich schaff das schon" verbunden, wo es heißt: "Steh auf, und wenn du in der Asche bist, es gibt den Weg, an den du nur glauben mußt." In dem Sinne bin ich sehr glücklich, daß er gerade mit diesem Lied - in einem Team übrigens, das ist typisch für ihn - diesen großen Song-Wettbewerb gewonnen hat. Ich meine, was will man als Vater mehr? Man hat so viele Lieder in die Welt gesetzt und Kinder, und beides zeigt in die Zukunft.

SB: Ganz vielen Dank für das Gespräch.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Eingang Abaton Kino Hamburg
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnote:

[1] Hinweis auf Rezenzion der CD "Mein Lebensliederbuch"
www.schattenblick.de/infopool/musik/redakt/murrz009.html


Bisherige Beiträge zur Hörspiel-Premiere "Eule findet den Beat" am 1. Juni 2014 im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → MUSIK → REPORT:

BERICHT/021: Musikstil- und Kindertrip - phänospektral und miterlebt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0021.html

13. Juni 2014