Schattenblick → INFOPOOL → MUSIK → REPORT


INTERVIEW/050: Burg Waldeck - Sprachlos ohne Lieder ...    Dieter Klemm im Gespräch (SB)


Floh de Cologne ... radikal und provokant aus Notwendigkeit

Linker Liedersommer auf Burg Waldeck vom 19. bis 21. Juni 2015


Politkabarett, Action-Theatertruppe, Polit-Rockband - das alles war Floh de Cologne. Von Januar 1966 bis Mai 1983 fungierten fünf Herren zum Unmut allzu vieler als weithin hörbares Sprachrohr der Außerparlamentarischen Opposition.

Fünf Studenten der Theaterwissenschaften gründeten im Januar 1966 an der Kölner Universität das Politkabarett Floh de Cologne, das sich schnell zu eines der kritischsten und profiliertesten Kabaretts mauserte und viele Jahre als rüdeste Action-Theatertruppe der Bundesrepublik galt. Der Kölner Stadtanzeiger charakterisierte das Quintett treffend mit "Flöhe üben das Beißen". Attackiert wurden die staatstragenden Parteien, Verbände, Kirchen, Bundeswehr, Wirtschaftswundergläubigkeit und Werberummel. Darüber hinaus engagierten sie sich gegen Schah, Scheinheiligkeit, Vietnamkrieg und Notstandsgesetze. Alles begann in der Hochphase der linksradikalen Opposition der BRD.

Die aus der Kölner APO und dem SDS stammenden fünf Mitglieder von Floh de Cologne - im Jahr 1969 handelte es sich um Gerd Wollschon, Hansi Frank, Markus Schmid, Dick Städtler und Dieter Klemm - vermittelten ihrem Publikum eine dialektisch-marxistische Sichtweise. Sie wollten die alten Denkmuster der Eltern- und Großelterngeneration mit deren Ritterkreuzträgern und Mutterkreuzträgerinnen aufbrechen und die Stimmen erheben gegen den nicht zuletzt vom Klerus und anderen patriarchalen Institutionen befeuerten Antikommunismus, der die Bundesrepublik im Kalten, im globalen Süden allerdings auch blutig ausgetragenen Krieg gegen den Systemgegner DDR und Sowjetunion im ideologischen Griff hielt.

Floh de Cologne suchte neue Wege und kreierte 1968 die Vietnam-Schockrevue. 25 Minuten tanzte das fünfköpfige Ensemble in schwarzen Anzügen und weißen Masken, sie sprangen, krochen und schrien. Danach blieb das Publikum minutenlang still, niemand klatschte. Die Zeiten standen auf Umbruch. Die Notstandsgesetze wurden mit Unterstützung der SPD verabschiedet, Benno Ohnesorg erschossen. Wirtschaftsthemen, Werbung, Verdummung, Pornographie, verklemmte Sexualmoral, all diese Themen wurden von den Flöhen aufgegriffen, um das westdeutsche Bürgertum aufzurütteln.


Fünf Musiker in schwarz-weiß - Foto: By Floh de Cologne (Floh de Cologne) [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons

Pressefoto Floh de Cologne 1969
Foto: By Floh de Cologne (Floh de Cologne) [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons

Die Flöhe begriffen, mit dem herkömmlichen Kabarett kann man beim bürgerlichen Publikum als Sozialist nichts erreichen, auch wenn sie Sozialismus brüllen und das Publikum klatscht, weil es ihnen auf diese Art noch keiner gesagt hat. Der Zuschauer will eine scharfe Kritik hören, sich daran erfreuen und das ganze eine Spur zu einseitig finden. Für Unterhaltung sorgten auch jene Kritiker, die sich auf eine Weise echauffierten, die das ganze Ausmaß des Hasses dokumentiert, mit der das linksradikale Aufbegehren damals häufig quittiert wurde. Der Verfasser eines Berichtes zur Präsentation des siebten Programms der Flöhe im März 1969, abgedruckt im Reutlinger General-Anzeiger, nahm den Auftritt der Flöhe seinerseits zum Anlaß, sich so sehr aller rhetorischen Hemmungen zu entledigen, daß die eigene Weltsicht höchst unvorteilhaft hervortrat. So hieß es unter dem Titel "Schmutz aus Köln" unter anderem:

Unter dem Vorwand, ein kabarettistisches Programm zu bringen, haben fünf Männer aus Köln am Wochenende in der Reutlinger 'Tonne' kübelweise Schmutz und Dreck über das Publikum gegossen. Ihre Ausdrücke, Wortbilder und Vergleiche muten einen wie eine Blütenlese aus Kaschemmen an, in denen der menschliche Abschaum verkehrt. (...)

Hut ab vor denen, die nach den ersten Schweinereien und Unflätigkeiten dieser "Flöhe" (ein treffender Name, denn Flöhe sind Ungeziefer) die Tonne verließen, weil ihnen dieser Schmutz vermutlich einen Brechreiz verursachte. Der Protest des Publikums wurde am Premierenabend auch sonst deutlich: Keine einzige Hand erhob sich, als die letzte Jauche verspritzt war. Kein Beifall.

Weil es jugendgefährdend wäre, gegen Sitte und Anstand verstoßen und unsere Leser anekeln würde; können hier keine Textproben gebracht werden. Die Feststellung muß genügen, daß in der "Tonne" verletzt, beleidigt und beschmutzt wurde, was nur denkbar ist: Der gute Geschmack, jede Moral, die Frauen, die Kirche, der Staat und last not least Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. (...)

Hier hat der Kritiker zu schweigen. Hier haben Staatsanwalt, Richter und Jugendschutzbehörden tätig zu werden, und zwar schnell. Am kommenden Wochenende soll dieser "Floh"-Schmutz nämlich über Tübingen ausgegossen werden. Auch von einer subventionierten, mit Steuergeldern finanzierten Bühne herab!

Dagegen schrieb die Süddeutsche Zeitung über dasselbe Programm ein paar Monate später: "Was der Floh de Cologne bringt, ist wahrscheinlich das zur Zeit beste und stärkste, was in der Bundesrepublik noch irgendwie mit Kabarett zu tun hat."


TV-Bild von Dieter Klemm am Mikro - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Die Luft Gehört Denen Die Sie Atmen" - Floh de Cologne im WDR 1971
Foto: © 2015 by Schattenblick

Die Vorstellungen der Flöhe waren ausverkauft, doch das junge Publikum ließ auf sich warten. Eben dessen Denken wollten sie verändern, nicht das der älteren Menschen, die sich ohnehin durch ihr Programm vortrefflich unterhalten fühlten. Floh de Cologne wollte die Jugend ansprechen, und das konnte nur mit Rockmusik gelingen. Zwar war niemand aus der Truppe ausgebildeter Musiker, doch dieses Problem hatten viele andere Bands vor den Flöhen auch schon gemeistert, so daß die mit der Zeit besser klingende Musik als Transportmittel für politische Texte fungieren konnte. "Fließbandbabys Beat-Show" öffnete der Gruppe 1970 auch den Weg in die Ohren ganz junger Menschen, nicht zuletzt mit aufrührerisch-ironischen Dialogen wie diesen:

"Ich will aber nicht immer nur gehorchen!
Sei ruhig, Fließbandbaby, heiraten.
Ich will aber nicht immer das gleiche tun!
Sei ruhig, Fließbandbaby, Familie gründen!
Ich will aber nicht immer arbeiten gehen und Haushalt machen!
Sei ruhig, Fließbandbaby, Auto kaufen.
Ich will aber nicht total verblöden!
Sei ruhig, Fließbandbaby, Fernsehen.
Ich will aber meine Gesundheit nicht ruinieren!
Sei ruhig, Fließbandbaby, fürs Alter vorsorgen.
Ich will aber nicht immer nur!
Sei ruhig, Fließbandbaby, arbeiten."

1971 schuf Floh de Cologne die erste deutschsprachige Rockoper, "Profitgeier". Zwei Jahre später entstand die unvergessene dreisätzige "Geier-Symphonie" mit Originalausschnitten aus Politikerreden anläßlich des Begräbnisses des deutschen Großindustriellen Friedrich Flick. Es wurde Klartext gesungen von den millionenschweren Spenden an die Nazis, wie sich Heinrich Himmler persönlich die Wahlspende abholte und daß Goebbels zum Geburtstag immer ein Gemälde bekam. Eine Songzeile lautete: "Kaum war der Geier tot, beeilte man sich schon zu versichern, daß er vom Schnabel bis zur Kralle ein Mensch gewesen sei." Das Spektakel war ein gefundenes Fressen für das bürgerliche Feuilleton: "Flöhe stoßen Denkmal vom Sockel", "Der Geier im Fadenkreuz", "Kölner Geier-Symphonie ein böses Tribunal".

1973 hatte Floh de Cologne bei den X. Weltfestspielen der Jugend in Ost-Berlin ihren größten Auftritt auf dem Alexanderplatz vor 60.000 Zuschauern. Und die Flöhe erschienen in der Bestenliste des Showgeschäfts, herausgegeben von Udo-Jürgens-Manager Hans Rudolf Beierlein. Auf dieser stand Floh de Cologne mit "Profitgeier" nach Udo Jürgens auf dem zweiten, mit "Lucky Streik" auf dem dritten Platz. Doch diese hervorragenden Plazierungen spiegelten sich keineswegs in den eher mäßigen Verkaufzahlen ihrer Tonträger.

Mit "Mumien - Kantate für Rockband" setzte die Band 1974 wegen des Putschs in Chile ein Zeichen, unter anderem mit einer Vertonung der letzten Rede des ermordeten Präsidenten Salvador Allende. Den Musikern ging es darum, mit dem Kampf gegen die Militärjunta in Chile zugleich ein Zeichen gegen den Faschismus in Deutschland zu setzen. Sie traten beim Chile-Solidaritätskonzert in der überfüllten Essener Grugahalle im Mai 1974 auf, bei den Ruhrfestspielen, außerdem in Finnland bei der Sommer-Spartakiade und auf dem Festival des politischen Liedes in Berlin, zusätzlich machten sie eine kleine DDR-Tournee.

Es gab viele Höhepunkte im schaffensreichen Repertoire von Floh des Cologne: insgesamt 1571 Auftritte in der Bundesrepublik und Westberlin, Belgien, DDR, Finnland, Luxemburg, Niederlanden, Österreich, Schweiz und Tschechoslowakei. 15 Bühnenprogramme, 11 LPs, 4 Singles, 2 Bücher, 1 Hörspiel, 2 Theaterstücke, Vertonungen für Film- und Fernsehproduktionen, Mitwirkung an 7 weiteren Schallplatten und an vielen Theater-Inszenierungen ... die produktive Schaffenskraft der Flöhe schien keine Grenzen zu kennen.

Aber: "Keine Goldene Schallplatte, keine goldene Nase, kein Platz in der Hitparade, keine Einladung zum Kanzlerfest und keine Subventionen", so Dieter Klemm auf dem Linken Liedersommer, wo er einen Workshop über Floh de Cologne unter dem Titel "Mumien leben länger" anbot. Nach seinem mit Bild- und Videoprojektionen illustrierten Vortrag beantwortete er dem Schattenblick einige weiterführende Fragen zu einer Zeit, in der linke Opposition vieles beim Namen nannte, das bis heute im Brennpunkt sozialer Emanzipation steht.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Dieter Klemm
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Floh de Cologne tat sich mit ironischen Anspielungen auf eine Weise hervor, die dem Publikum einiges an Vorwissen abverlangte. Hast du den Eindruck, daß kabarettistische Texte, unabhängig davon, ob sie politisch sind oder nicht, heute im Verhältnis zur damaligen Zeit eine gewisse Verflachung erfahren haben?

Dieter Klemm (DK): Nach der Zeit mit Floh de Cologne war ich eine Zeitlang in der Theateragentur Contour tätig, wo ich die Tourneen der Distel gemanagt und organisiert habe. Ich habe mir die Programme natürlich alle angeschaut, aber das ist halt normales Kabarett wie die Lach- und Schießgesellschaft und das Kom(m)ödchen. Es ist schwer, hinsichtlich der Sprache und Textgestaltung ein Urteil dazu abzugeben. Natürlich haben wir uns mit der Sprache Mühe gegeben, zumal Gerd Wollschon, von dem die meisten Texte stammen, ein glänzender Stilist war.

SB: War es in der damaligen Zeit üblich, Texte auf ein hohes Niveau zu bringen und entsprechend darüber zu diskutieren, oder war das, was Floh de Cologne gemacht hat, eher die Ausnahme?

DK: Ich glaube, im studentischen Bereich - Stichwort Rudi Dutschke - wurde auf hohem sprachlichen Niveau kommuniziert, aber was Kultur, Kabarett oder auch Rockmusik betraf, waren wir schon Vorreiter.

SB: Du hast vorhin vom legendären Fehmarn-Festival 1970 berichtet, wo Ton, Steine, Scherben ihren ersten öffentlichen Auftritt hatten, während Floh de Cologne, die dort ebenfalls auftraten, schon seit 1966 existierte. Würdest du sagen, daß ihr auf dem Gebiet deutschsprachiger, politischer, aber auch avantgardistischer Musik Pionierarbeit geleistet habt?

DK: Selbstverständlich. Ich bin ganz sicher, daß wir in dieser Hinsicht wirklich eine Vorreiterrolle gespielt haben. Auch Udo Lindenberg kam erst nach uns. In diesem Sinne waren wir schon die Speerspitze hier in Deutschland.

SB: Ihr seid 1968 und 1969 auf den beiden letzten Liederfestivals hier auf Burg Waldeck aufgetreten. Könntest du einmal schildern, wie du damals die Atmosphäre erlebt habt?

DK: Es kam uns alles ein bißchen merkwürdig vor, zumal es damals den Kleinkrieg mit den Nerothern gab, die völlig gegen dieses Festival waren. Das haben wir alles nicht ganz verstanden. Wenn ich mich richtig erinnere, haben bestimmte Leute Hanns Dieter Hüsch auf dem letzten Festival ganz schön in die Mangel genommen. Als es dann hieß, wir wollen lieber diskutieren als Musik hören, ist Hüsch von der Bühne gegangen. Daraufhin ist Gerd Wollschon aufgestanden und hat gesagt: Genosse Hüsch, wo ist dein sozialistischer Standpunkt? Auf diesem Festival hat Degenhardt draußen die Vietcong-Fahne gehißt. Leider war das die Zeit des Abgesangs, weil die beiden Strömungen Folklore und Politband nichts mehr zusammenmachen wollten.

SB: Wie würdest du den Anspruch, vor allem über Inhalte diskutieren zu wollen, aus heutiger Sicht beurteilen?

DK: Ich fand es schon damals schlecht, denn die Künstler sind hergekommen, um aufzutreten, und die Leute im Saal wollten die Künstler hören. Ohne die Künstler wäre hier nichts los gewesen. Deshalb fand ich es zumindest grob unhöflich, um nicht zu sagen kontraproduktiv, daß man sie von der Bühne gegrault hat. Man hätte sie singen lassen und den Veranstalter bitten können, nach dem Konzert meinetwegen eine halbe Stunde Diskussionszeit einzuräumen. Das wäre eine vernünftige Lösung gewesen, aber die Auftritte zu unterbrechen oder gar nicht erst zuzulassen, fand ich nicht richtig.

Eines möchte ich in dem Zusammenhang noch einflechten: Wir von Floh de Cologne haben es bis zum Schluß so gehalten, daß wir nach den Konzerten ins Foyer gegangen sind und mit den Leuten geredet haben. Ich finde es vernünftig, wenn man den Künstler nachher fragt, was er bei dieser oder jener Textstelle gemeint hat. Aber zu schreien, wir wollen diskutieren und keine Lieder hören, fand ich schon damals und finde es auch nach wie vor schlecht. Dann sollte man gleich sagen, wir machen ein Diskussionswochenende auf der Burg Waldeck.

SB: Franz Josef Degenhardt sang damals, daß die Nazis unsere Lieder kaputtgemacht haben, und forderte, die Tradition des Liedes für Linke zurückzuerobern.

DK: Das Volkslied kann man auch heute nicht einfach so singen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie es in der Nazi-Zeit benutzt wurde. Von daher haben wir Deutschen einfach das Manko, daß durch die Hitlerzeit viele Sachen desavouiert wurden. In diesem Sinne ist es nicht überraschend, daß sich Leute wie Franz Josef Degenhardt und Dieter Süverkrup und eine Zeitlang auch Hannes Wader musikalisch davon abgesetzt haben. Sowohl Süverkrüp als auch Degenhardt, deren Werk ich genauer kenne, ging es nicht darum, jetzt schöne Lieder zu singen, sondern die Korrespondenz zwischen Form und Inhalt zu wahren.


Dieter Klemm hält Buch mit Illustration hoch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Spuren einer rebellischen Zeit
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Heute wird häufig vertreten, daß die 68er-Bewegung vorwiegend aus dem Protest der Jungen gegen ihre Eltern, die die NS-Zeit verdrängten, resultierte. Die Rolle des Vietnamkrieges für die rebellische Jugend scheint aus dieser Sicht eher nachrangig zu sein. Wie sieht die Entstehung dieser Bewegung für dich aus?

DK: Die ersten Impulse kamen zumindest bei den Studenten aus dem Elternhaus, weil sie sich gegen ihre Eltern und muffigen Väter absetzen wollten. Ob das bei der Arbeiterjugend auch so war, kann ich schwer beurteilen, wahrscheinlich eher nicht. Aber dann sind sehr bald die politischen Fragen in den Vordergrund getreten. Die Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, den Schah-Besuch und die Notstandsgesetze hatten nichts mehr mit dem Muff aus tausend Jahren zu tun.

SB: Ihr hattet bei euren Auftritten keine Roadies und habt selber auf- und abgebaut. Hatte das mit eurem basisdemokratischen Anspruch zu tun?

DK: Absolut. Wir wollten niemanden ausbeuten, alle Beteiligten sollten alles mitmachen und alles mitentscheiden. Hierarchien in dem Sinne gab es bei uns nicht. Wenn wir irgendwo ankamen und von den Veranstaltern gefragt wurden, wer der Chef sei, haben wir gesagt, einen Chef gibt es nicht, aber ich mache die Geldgeschäfte. Später bei der Abschiedstournee der Flöhe, die wir zusammen mit Dieter Süverkrüp und den Drei Tornados gemacht haben und die von Fritz Rau organisiert war, hatten wir jedoch Roadies, die alles aufgebaut haben, so daß wir nur kommen und einen Soundcheck machen mußten. Damals haben wir gesagt, wenn das immer so gewesen wäre, hätten wir noch 20 Jahre weitermachen können (lacht). Das Auf- und Abbauen war natürlich Knochenarbeit. Je schöner und lauter die Musik, desto schwerere Boxen mußten geschleppt werden. Nicht überall gab es einen Fahrstuhl. Irgendwann haben wir in die Bühnenanweisung geschrieben, wir brauchen vier Hilfskräfte zum Aufbau, aber die waren nicht immer vorhanden. So gesehen waren wir auch stolz darauf, daß wir alles selbst gemacht haben.

SB: Ihr wart damals bei dem Plattenlabel Ohr von Rolf-Ulrich Kaiser unter Vertrag.

DK: Bei der ersten Platte waren wir bei pläne, dann kam die Platte "Fließbandbabys Beat-Show", was die pläne-Leute inhaltlich nicht mehr so toll fanden, weil sie mit den sexuellen Anspielungen nicht gut leben konnten. Dann kam Rolf-Ulrich Kaiser auf uns zu, den wir von der Uni in Köln her kannten. In den ersten Jahren hatten wir zweimal die Woche im Franziskaner am Gürzenich in einem Hinterzimmer gespielt, das Platz für hundert Leute bot. Inzwischen war Rolf-Ulrich Kaiser Musikmanager bei Metronome Musik in Berlin geworden und hat uns schließlich einen Plattenvertrag besorgt, der übrigens auf einzigartige Weise zustandegekommen ist. Wir haben mit dem entsprechenden Manager von Metronome Musik zusammengesessen und unmißverständlich klargemacht, daß wir den Vertrag nicht unterschreiben werden, solange der Passus: "Die Gruppe kann selbst bestimmen, was auf die Platte kommt - wenn es aber Zwiespalt zwischen der Gruppe und der Firma gibt, dann hat im Endeffekt die Firma das letzte Wort" nicht gestrichen wird. Darin waren wir uns einig, daß wir das letzte Wort haben wollten. Wir wären gegangen, obwohl der Vertrag lukrativ war und ein Vorschuß von mehreren tausend Mark in Aussicht stand. Und tatsächlich haben sie sich darauf eingelassen.

SB: Hattet ihr später noch persönlich mit Rolf-Ulrich Kaiser zu tun, der eine schillernde Figur in der Geschichte der deutschen Popmusik ist?

DK: Rolf-Ulrich Kaiser ist irgendwann in kosmische Sphären abgedriftet. Wir hatten einen Prozeß gegen ihn angestrengt, weil Platten verramscht worden sind, was wir nicht wollten. Den Prozeß haben wir gewonnen, aber das Geld dennoch nie gekriegt. Am Schluß unserer Beziehung gab es noch ein Gespräch in Köln in einer Hotelhalle. Ich bin irgendwann aufgestanden und gegangen, weil ich das ganze Gerede mit den Sternen und so weiter nicht mehr ertragen konnte. Er und seine Freundin waren voll drauf, obwohl ich bei ihm immer vermutet habe, daß er das mit einem Augenzwinkern macht. Schließlich ist er mit seinem Sternenmädchen unauffindbar abgetaucht, offenbar weiß keiner, wo er wohnt. Vor ein paar Jahren wurde in Köln Venus Records gegründet, die irgendwie die Rechte von Kaiser an den Ohr-Platten bekommen hatten.

SB: In euren Texten habt ihr euch häufig mit der Warenwelt auseinandergesetzt und frühzeitig Konsumkritik geübt. Habt ihr damit vielleicht dem heute so wichtigen Diskurs über die Umwelt- und Wachstumsthematik vorgegriffen?

DK: Ich würde gerne ja sagen, aber das wäre ein bißchen geschummelt. Wir waren damals einfach gegen den Konsumterror, weil die Industrie uns aufzuzwingen versuchte, diesen oder jenen Artikel zu kaufen, damit man glücklich ist. Das hieß natürlich umgekehrt, wenn man es nicht kaufte, daß man nicht glücklich ist. Das war unser Ansatz zur Kritik. Zu diesem Zweck haben wir Werbeslogans, die damals populär waren, umgeschrieben, um das darin enthaltene Versprechen bloßzulegen. Man könnte das natürlich auch als eine frühe Form der Kritik an der Vergeudung von Ressourcen und am Umgang mit der Natur verstehen.

SB: Wie kam es dazu, daß ihr euch in euren Liedern speziell der DKP angenähert habt, zumal es noch andere Orientierungsmöglichkeiten politischer Art gegeben hat wie zum Beispiel die aufkommende Spontibewegung?

DK: Wahrscheinlich haben wir aus dem DKP- bzw. SDAJ-Umkreis die meisten Menschen kennengelernt. Sie saßen mit uns auf Veranstaltungen und haben mit uns Bier getrunken und sind uns auf diese Weise schon rein physisch am nächsten gekommen. Außerdem haben wir in den Gesprächen gemerkt, daß das, was sie wollten, unserer sozialistischen Einstellung entsprach.

SB: Was würdest du dir von der heutigen Linken in bezug auf eine Veränderung der Gesellschaft am meisten wünschen?

DK: Die Linke könnte das, was damals angefangen, aber in den 80er und 90er Jahren unterbrochen wurde, wieder aufgreifen und fortsetzen. Die Zeit damals hat gezeigt, daß man, auch wenn man nicht hungern muß oder mit dem KZ bedroht ist, gegen lebensfeindliche Strukturen und Verhältnisse in diesem Staat protestieren kann. Dieser Wille ist heutzutage leider nicht bei allzuvielen Menschen vorhanden, aber vielleicht liege ich mit meiner Einschätzung auch falsch. Ich bin kein Jugendlicher mehr, aber ich denke schon, daß es zuviel Zufriedenheit in diesem Land gibt. Mag sein, daß einige das toll finden, weil sie sich dann nicht gegen die gesellschaftlichen Zustände wehren müssen, aber es ist eine Zufriedenheit auf sehr niedrigem Niveau. Es könnte allen viel besser gehen, damit meine ich nicht, mehr Geld im Portemonnaie zu haben, sondern besser im Sinne einer gerechteren und auch freieren Gesellschaft. Ich spreche jetzt gar nicht vom utopischen Ziel eines Sozialismus oder Kommunismus und auch nicht von kleinen Schritten darauf zu. Im Moment habe ich vielmehr den Eindruck, daß die Gesellschaft erstarrt ist.

SB: Dieter, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

http://www.google.de/url?url=http://www.lmz-bw.de/fileadmin/user_upload/Medienbildung_MCO/fileadmin/bibliothek/biblio_kabarett/biblio_kabarett.pdf&rct=j&q=&esrc=s&sa=U&ved=0CCUQFjADahUKEwjUhtfavrDHAhUDj3IKHXO2CGw&usg=AFQjCNH-SpiXniyrLcysMdIDXWvu3A0BXw

Zum Linken Liedersommer 2015 siehe im Schattenblick:

BERICHT/026: Burg Waldeck - Wurzeln im Wind ... (1) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0026.html

BERICHT/027: Burg Waldeck - Wurzeln im Wind ... (2) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0027.html

BERICHT/028: Burg Waldeck - Tief verwurzelt, hoch im Blatt ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0028.html

INTERVIEW/043: Burg Waldeck - Salamitaktik ... Amazon-Streikende im Gespräch(SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0043.html

INTERVIEW/044: Burg Waldeck - Erinnert euch, langt zu ... Diether Dehm im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0044.html

INTERVIEW/045: Burg Waldeck - Kritisch, politisch und Avantgarde ... Daniel Osorio im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0045.html

INTERVIEW/046: Burg Waldeck - Renaichancen ... Bernd Köhler im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0046.html

INTERVIEW/047: Burg Waldeck - Musizieren Furcht verlieren ... Amei Scheib im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0047.html

INTERVIEW/048: Burg Waldeck - Straßen, Lieder, Lebenswerte ... Guy Dawson im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0048.html

INTERVIEW/049: Burg Waldeck - Protestlied und Hip-Hop-Sound ... Christian Buchinger im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0049.html

17. August 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang