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NACHLESE/021: 50 Jahre später ... Jeff Beck - Truth (SB)



Now the trees are almost green
But will they still be seen
When time and tide have been?

Fallin' into your passing hands
Please don't destroy these lands
Don't make them desert sands

The Yardbirds - Shapes of Things

Jeff Beck ist vielleicht nicht einer der bekanntesten Rockgitarristen der 60er Jahre, aber unter den noch lebenden Kollegen sicherlich einer der versiertesten Könner am Instrument. Der 75jährige Brite wurde mit Ehrungen für sein Lebenswerk überhäuft. Er steht in der Rolling Stone-Liste der größten Gitarristen aller Zeiten auf Platz fünf, erhielt sechs Grammy Awards in der Kategorie Best Rock Instrumental Performance und ist gleich zweimal in der Rock and Roll Hall of Fame vertreten - als Mitglied der Yardbirds und als Solokünstler. Seit Anfang der 1960er Jahre als Berufsmusiker unterwegs, wurde er 1965 Mitglied der Gruppe The Yardbirds und mit dieser auch in den USA bekannt. Dort fiel er durch sein außergewöhnliches Gitarrenspiel auf, das damals auch als der Beginn der psychedelischen Musik in Großbritannien bezeichnet wurde.

Die Yardbirds gehörten zu dem Kreis britischer Rockgruppen, die dem weißen US-Publikum erstmals bewußt machten, was für eine große Musik die leidvollen Bedingungen der Versklavung aus Afrika nach Nordamerika verschleppter Menschen hervorgebracht hatte. Es waren britische Rockmusiker wie Jeff Beck, die die Musik der unterdrückten schwarze Minderheit in den USA bekannt machten, weil ein aggressiver weißer Rassismus im eigenen Land Mauern errichtet hatte, die sogar höher waren als der Atlantik breit. Sie ließen sich von der großen Authentizität und Aussagekraft des Blues inspirieren und rührten mit Stilelementen des Rock 'n' Roll und der psychedelischen Musik eine Melange aus nie gehörter Klangfülle und emotionaler Intensität an, die bis heute hörenswert ist.

Jeff Beck wandelte als einer der ersten bekannten britischen Gitarristen auf Solopfaden, gingen die späten 60er Jahre doch vor allem als Ära großer Rockgruppen wie Led Zeppelin, The Who oder The Rolling Stones in die Popgeschichte ein. Genaugenommen war die Jeff Beck Group mit Rod Stewart als Sänger, Nicky Hopkins am Piano, Ron Wood als Baßgitarrist und Aynsley Dunbar als Drummer eine All Star Band eigener Art. Auf seinem ersten Album Truth gesellten sich noch John Paul Jones am Bass und an der Orgel wie Jimmy Page an der 12saitigen Gitarre zum Line Up. Auf diese Weise wartete Truth mit zwei späteren Mitgliedern von Led Zeppelin und zwei späteren Musikern der Rolling Stones auf, was auch belegt, wie gut die Londoner Rockszene damals miteinander vernetzt war.

Jeff Beck war einer der besten britischen Slidegitarristen seiner Zeit. Er ließ das Bottleneck in kunstvollen Arrangements so geschickt über die Saiten gleiten, daß dabei weitgespannte Klanggemälde entstanden, in denen die zugrundeliegenden Bluesformen sprichwörtlich zu fliegen begannen. Der neu arrangierte Yardbirds-Hit Shapes of Things, Morning Dew des kanadischen Folk-Urvaters Bonnie Dobson, der von Jimmy Page komponierte Instrumentaltitel Beck's Bolero und der von Willie Dixon und J.B. Lenoir verfaßte Blueskracher You Shook Me gehören zu den Titeln, die das im Mai 1968 veröffentlichte Album Truth zu einem Klassiker der Rockmusik zwischen Blues, Hard Rock und Psychedelia gemacht haben.

Der Song Shapes of Things ist auch deshalb erwähnenswert, weil das Lied bereits Ende 1965, als es von den Yardbirds mit Jeff Beck an der Gitarre eingespielt wurde, durch seine Kritik am Vietnamkrieg und an ökologischer Zerstörung einen auch für die damalige Popkultur ungewöhnlichen Tiefgang aufwies. Hinzu kamen eine orientalische, an indische Raga-Musik erinnernde Klanggebung, überraschende Tempowechsel wie exzessive Feedback-Schleifen, die das im Februar 1966 veröffentlichte Stück zu einer der ersten psychedelischen Hit-Singles der Popmusik werden ließen.

Nicht von ungefähr war der Sound der schnell weltweit bekanntgewordenen Led Zeppelin anfänglich stark an der Jeff Beck Group orientiert. Obwohl seit Anfang des Jahrzehnts mit Jimmy Page befreundet, der ihn als Gitarrist den Yardbirds empfohlen hatte, soll sich Jeff Beck sehr geärgert haben, daß Led Zeppelin mit einer Version von You Shook Me, die seiner stark ähnelte, weit erfolgreicher waren als er selbst. Vor dem Zustandekommen von Led Zeppelin hatte es bereits Sessions mit Jeff Beck gegeben, an denen neben Jimmy Page, Rod Stewart und John Paul Jones auch der Drummer Keith Moon von The Who, in Becks Worten der einzige Hooligan, der trommeln konnte, beteiligt waren. Moon kam mit dunkler Sonnenbrille und einer Kosakenmütze, damit niemand bemerkte, daß er etwas abseits seiner Band unternahm. Man dachte über eine neue Gruppe nach, doch an seiner Bindung an The Who soll das Projekt gescheitert sein, das Jeff Beck damals als seine absolute Wunschgruppe bezeichnete.

Mit Truth hatte der Blues endgültig die treibende Kraft des Hard Rock erhalten. Das Album gilt heute als wichtige Wegmarke der Entwicklung eines urbanen Sounds, dessen Wurzeln in der ländlichen Musik afroamerikanischer SklavInnen kaum mehr in Erscheinung treten. Das alle Hörgewohnheiten sprengende Gitarrenspiel eines Jeff Beck hätte ohne den Blues allerdings keine Tiefe gehabt, wie sich auf dem Album Truth gut studieren läßt, das Wurzeln und Blüten dieser Musik in ihrem organischen Zusammenhang beläßt.

7. November 2018


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